Donnerstag, 18. April 2013

Die Frau mit der roten Nase

Direkt vorneweg und ungeschützt gesagt: Ich mag Clowns nicht wirklich. Zirkusmanegenslapstick ist nicht mein Humor, und die schwarz-weiß-melancholische Variante des Pierrot ist mir in seinem zur Schau gestellten Weltschmerz irgendwie zu  pathetisch. Mit einigem Staunen höre ich deswegen die Berichte über Krankenhausclowns. Ganz ehrlich: Wenn ich als Kind im Krankenhaus gelegen hätte und ein Clown wäre zur Tür herein gekommen - ich hätte, wie in der biblischen Geschichte, mein Bett genommen und wäre, nicht mehr ganz so wie in der biblischen Geschichte, laut kreischend rausgelaufen. Die Krankenschwestern hätten mir nachgeguckt und in Worten Johannes Mario Simmels leise gemurmelt: "Mit den Clowns kamen die Tränen!" Stephen King und Tim Curry ("Es") haben die Sache natürlich nicht besser gemacht.
  
Foto: Andreas Musolt / pixelio.de
Ich bin damit übrigens alles andere als allein - die Leiterin einer Studie der Universität Sheffield aus dem Jahr 2008 kommt zu dem viele Leute offensichtlich dann doch überraschenden Schluss: "We found that clowns are universally disliked by children." Sag ich ja! Dazu ist einschränkend zu sagen, dass sich die Studie meines Wissens auf Bilder von Clowns bezieht, die an den Wänden der Kinderstation hängen - und meistens stereotype Zirkusclowns mit kompletter Gesichtsbemalung zeigen. Diese wiederum kommt einer Totalmaskierung sehr nahe, und die wirkt auf viele Menschen bedrohlich. Soweit ich weiß, benutzen Krankenhausclowns aus diesen oder ähnlichen Gründen in der Regel wenig Schminke und allenfalls eine rote Nase.

Für ein Gespräch mit einem Clown, genauer gesagt einer Clownin, bin ich allerdings äußerst dankbar. Es ist schon einige Jahre her, ich war als Referent auf eine Tagung mit dem Thema "Religion und Humor" eingeladen und sollte etwas über den jüdischen Humor erzählen. Mit besagter Clownin ergab sich eine Gesprächsmöglichkeit kurz vor dem Mittagessen, und da auch sie nur eine rote Nase trug und ansonsten in Zivil unterwegs war, konnte ich meine coulrophoben (ha!) Impulse im Zaum halten und ihr, im Laufe des Gesprächs immer gebannter, zuhören. Dass sie von Hause aus Psychologin und Psychotherapeutin war, hat sicherlich auch seinen Teil dazu beigetragen, denn diesen Menschen traue ich doch eine Menge zu. Sie arbeitete schwerpunktmäßig mit Senioren und erzählte von einer besonderen Begebenheit mit einem demenziell veränderten Patienten:

"Weißt du", erzählte sie, "Demenzkranke erleben eigentlich den ganzen Tag, dass andere ihnen ihre Wirklichkeit ausreden wollen. Ihre Wahrnehmungen werden pauschal als 'falsch' bezeichnet, und Angehörige und zum Teil auch Pflegende schwingen sich zu Anwälten einer vermeintlich vernünftigen Konsensrealität auf. Ich muss das nicht, ich kann mich auf ihre Gedanken einlassen, sie in ihrer Welt besuchen und mit ihnen da eine gute Zeit haben.

Neulich war ich zu Besuch bei einem alten Mann im Zimmer, der felsenfest darauf beharrte, im Park zu stehen. Alle wollten, aber niemand konnte ihn davon überzeugen, dass er eigentlich vor seinem Bett im Altenheim stand. Ich habe mich dann bei ihm untergehakt, gesagt: 'Wir gehen jetzt mal spazieren', und dann sind wir ein paar Runden durchs Zimmer gegangen, und er hat mir erzählt, was er sah. Mal standen wir am Teich und haben Enten beobachtet, mal an den Blumen in den Beeten gerochen. Zwischendurch war Kaffeezeit, die Pflegerin kam mit Kuchen ins Zimmer, und dann haben wir uns eben in ein Café gesetzt und dort Kuchen gegessen. Nach noch ein paar Runden im Zimmer setzte er sich schließlich auf sein Bett, pustete einmal kräftig aus und sagte dann mit einem zufriedenen Lächeln: 'Das war ein schöner Tag.'"

Weiß geschminkte und durch die Manege purzelnde Clowns finde ich immer noch eher verstörend als witzig. Aber in dieser halben Stunde habe ich von der klugen Frau mit der rosen Nase manches über den Umgang mit Demenzkranken (und eigentlich mit Menschen generell) gelernt, von dem ich erst später erfahren habe, dass es unter dem Label Integrative Validation ein durchaus anerkanntes Pflegemodell ist.

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