Samstag, 12. Oktober 2013

Gebete, die zu Boden fallen


Yere Düşen Dualar - „Gebete, die zu Boden fallen“. So lautet der Originaltitel eines Romans von Sema Kaygusuz. Der Titel hat die deutsche Ausgabe leider nicht überlebt, bei Suhrkamp heißt es „Wein und Gold“, ich weiß auch gar nicht mehr, worum es in dem Buch geht. Aber das spielt im Moment auch keine Rolle. Mich hält das Bild fest:

Gebete, die zu Boden fallen. 

Ich glaube fast, das kann passieren. Zumindest befürchte ich das manchmal. Wenn der Kopf gesenkt ist. Wenn keine Luft mehr in den  Lungen ist, um sie in den Himmel hinaufzuschreien, wo sie hingehören. Wenn der Kloß im Hals nur noch Fetzen vorbeilässt, oder wenn im Kopf kein Raum ist, wo sie gedankliche Flügel bekommen können.


(c) Jürgen Acker / pixelio.de

Gebete, die zu Boden fallen. In der vierten Klasse einer Düsseldorfer Grundschule weckt dieses Bild Besorgnis – und ungeahnten Schaffensdrang. Marie ist der Meinung, dass man viel vorsichtiger durch die Welt gehen müsste, wenn überall auf dem Boden Gebete rumliegen. Einige Kinder überschlagen sich mit Erfindungen, um dieser Not Abhilfe zu schaffen: In der Kirche müsste ein kleines Trampolin stehen, findet Leonard, und jeder, der Angst hat, dass sein Gebet den Sprung in den Himmel nicht schafft, könnte sich davor stellen und seine Gebete auf das Trampolin fallen lassen – dann springt es hoch. Sophie denkt praktisch und wendet ein, dass die Gebete dann zwar nicht auf dem Boden liegen, aber dafür an der Kirchendecke kleben. Das weckt Widerspruch, einige Kinder sagen, wenn Gott in der Kirche wohnt, dann sei er groß genug, bis an die Decke zu kommen. Raúl meint, man könne Gott ja den Tipp geben, über dem Trampolin zu schweben. 

Alle sind sich einig: Auf dem Boden können die Gebete nicht liegen bleiben. Charlotte sieht das Ganze ein bisschen entspannter, denn: Immer, wenn etwas zu lang auf dem Boden liegt, wird es weggeräumt. Das wiederum beunruhigt Marius, denn seine Mutter droht ihm immer, wenn etwas zu lang bei ihm im Zimmer auf dem Boden rumliegt, wird es weggeschmissen. Und das kann ja nicht sein. 

Lena schließlich erinnert sich daran, wie sie vor einem Jahr Kröten über eine Landstraße getragen haben, und so kommen wir, über Umwege, auf das Thema Fürbitte zu sprechen. Das finden alle eine sehr nützliche Sache – bis auf Sophie, die irgendwann einwendet, dass man ja nie an alle denken könne. Ratlos sehen sich die Kinder an. 

(c) Henning Hraban Ramm / pixelio.de

Ihre Religionslehrerin Frau Tekampen stammt aus der reformierten Grafschaft und hat dort im Konfirmandenunterricht etwas vom munus triplex gehört, dem dreifachen Amt Jesu Christi – und erinnert daran, dass Christus selbst als Hohepriester in ständiger Fürbitte für uns eintritt und Gott mit unseren Sorgen und Problemen in den Ohren liegt. 

Was wir im Allgemeinen als schwer verständliches Lehrstück der Dogmatik handhaben, leuchtet den Kindern unmittelbar ein und gibt ihnen Mut zur Lücke, auch bei der Fürbitte, und erleichtert sie ein wenig von der Sorge um die Gebete, die zu Boden fallen.

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