Sonntag, 3. November 2013

Ey, isch schwöre! - Laber nich!



Liebe Gemeinde,


„ey, isch schwöre!“ ruft die Teenagerin in der dicken Daunenjacke an der Haltestelle Vischeringstraße. Ihre Gesprächspartnerin presst die Lippen zusammen und schüttelt den Kopf. „Ich schwöre bei Gott“ ruft die erste wieder, als auch das nicht den gewünschten Erfolg bringt, greift sie zur letzten Instanz: „Ich schwöre bei meiner Oma!“ Ihre Gesprächspartnerin schüttelt den Kopf, greift ihre Handtasche, reißt sich von ihrer Freundin los, die sie am Arm festhalten will. „Laber nicht“, faucht sie sie an, dann huscht sie in die Bahn, die gerade angekommen ist. 
 


(c) ksta.de
Auch eine ältere Frau, die die Szene beobachtet hat, steigt ein. Am Mülheimer Bahnhof steigt sie um, vom S-Bahn-Gleis sieht sie den Anfang der Frankfurter Straße. Früher sind sie oft dahin gefahren zum Einkaufen, damals konnte man das da noch gut, kleine, gut sortierte Fachgeschäfte mit freundlicher Bedienung. Heute ist das ja alles anders, als sie das letzte Mal vor einigen Jahren da war, hat sie die Straße kaum wiedererkannt, und ihre Freundin, die am Wiener Platz wohnt, erzählt ihr, dass fast monatlich ein Geschäft zumacht und ein anderes geöffnet wird. Ihr geht das alles zu schnell, sie kommt nicht mehr mit und fragt sich, auf was eigentlich noch Verlass ist. Sie dreht sich um, blickt vom Bahnsteig Richtung Kaufland und sieht dahinter den dunkelbraunen Kirchturm von Sankt Mauritius in Buchheim. Auch denen traut sie nicht mehr so richtig, spätestens seitdem sie gelesen hat, dass dieser junge Bischof in Limburg vor Gericht muss, weil er wohl in allen schönen Worten gelogen hat. Sie steigt in die S-Bahn, ist unterwegs zu ihrer Tochter. Die braucht Unterstützung, jetzt, wo ihr Mann sie verlassen hat, nur wenige Jahre nach einer glanzvollen, in ihren Augen eigentlich viel zu aufwendigen Hochzeit, bei der die beiden sich in großen Worten ewige Liebe und Treue geschworen haben.



Liebe Gemeinde, ein paar Alltagssituationen, von denen der eine oder die andere von uns vielleicht etwas wiedererkennen. Alltagssituationen, die etwas zu tun haben mit dem kurzen Absatz aus der Bergpredigt, der heute als Predigttext vorgeschlagen ist:


Jesus sagt: Weiter habt ihr gehört, dass zu den Alten gesagt wurde: Du sollst keinen Meineid schwören, sondern dem Herrn deine Eide einlösen. Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören. Nicht beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, nicht bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füsse, nicht bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des grossen Königs, und auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören, denn es steht nicht in deiner Macht, auch nur ein einziges Haar weiss oder schwarz werden zu lassen. Eure Rede sei Ja, Ja und Nein, Nein. Alles andere ist von Übel.

Liebe Gemeinde, in diesem größeren Abschnitt der Bergpredigt geht es darum, was Menschen tun sollen, wenn es ihnen ernst ist mit dem Glauben, darum, wie man bewährten Verhaltensweisen und überlieferten Ratschlägen umgeht. Vielleicht kommt einem beim ersten Hören der Gedanke, dass gerade dieses Stück mit uns nicht allzu viel zu tun hat, zumindest ging es mir so beim ersten Blick in den Predigtplan letzte Woche. Wir sind nicht so schnell mit dem Schwören wie man das im antiken Mittelmeerraum offensichtlich war, oder wie das auch Jugendliche heutzutage sein können. Wir stehen auch nicht an der Stelle der Theologen der Bekennenden Kirche, die in der Nazizeit den Amtseid auf Führer und Reich verweigerten und damit ihrer öffentlichen Karriere effektiv ein Ende setzten.


Aber auch wir kommen in Situationen, in denen wir erleben: Unser eigenes Wort reicht plötzlich nicht aus. Ich sage etwas, und man glaubt mir nicht. Vielleicht, weil irgendwelche Umstände gegen mich sprechen, vielleicht, weil ich mich durch irgendetwas selbst unglaubwürdig gemacht habe, warum auch immer.


Wenn dieser Fall eintritt, dann wird es meistens laut und wortreich. Dann fangen wir an zu beteuern, Ehrenworte abzugeben, vielleicht auch: auf ganz eigene Art dann doch zu schwören und alle möglichen Zeugen für unsere eigene Glaubwürdigkeit aufzurufen. Aber wer andere für sich in Anspruch nimmt, riskiert, dass er sich irgendwann vor ihnen verantworten muss. Das ist dem Bischof von Limburg passiert, mit seiner eidesstattlichen Versicherung: Da ruft man die Staatsmacht als Zeugen auf – und die meldet sich in dem Fall zurück und behaftet ihn bei dem, was er gesagt hat.



Vor diesem Hintergrund verstehe ich das, was Jesus sagt: Ihr sollt überhaupt nicht schwören, ihr seid zur Freiheit befreit und sollt Euch nicht plötzlich durch die Hintertür wieder abhängig machen von Euren Schwüren und von denen, die ihr auf die Bühne zerrt, damit sie Euren Kredit absichern.



(c) ecko / pixelio.de
Liebe Gemeinde, irgendwie wissen wir das alles ja selbst. Wir wissen, aus der einen oder anderen Perspektive, dass alles Schwören, alle Beteuerungen, alle Ehrenworte nichts bringen, wenn die eigene Glaubwürdigkeit angekratzt ist. Manche von uns zucken vielleicht zusammen, wenn wir Gespräche wie solche an der Vischeringstraße hören, wenn jemand sagt „ich schwöre bei Gott“, weil wir vielleicht ahnen, dass man sich damit übernimmt, dass Gott eine Nummer zu groß für unser Alltagsgeschäft ist, und weil wir davon ausgehen können, dass Gottes Name das so ziemlich am meisten missbrauchte Wort der Weltgeschichte ist und immer wieder für alles und jeden in Anspruch genommen und in den Ring gezerrt wird. Jesus sagt: Lasst es, das braucht es gar nicht, und für mich steckt tatsächlich auch eine Ermutigung in diesem Verbot, bei Gott und dem Himmel und der Erde und allem möglichen zu schwören. Jesus sagt damit nämlich auch all denjenigen, die ihn auf dem Berg hören: Ich traue Euch zu, selbst für euer Wort und eure Glaubwürdigkeit einzustehen. Und wer sich selbst glaubt, braucht nicht sich und andere durch noch so schwülstige Schwüre und Eide überzeugen.


Sondern kann das tun, was Jesus uns am Ende rät: Eure Rede soll ja, ja und nein, nein sein. Mehr nicht. Alles andere ist von Übel. Punkt. Ich glaube, dass man die Reihe erlaubter Antworten noch erweitern kann, ich glaube zum Beispiel, dass man auch ehrlich sagen darf: „Ich weiß es nicht“. Aber ich möchte das, was Jesus da sagt, ernst nehmen, weil ich es von mir selbst kenne und oft erlebe, dass Menschen sich oft genug davor drücken, klar „Ja“ oder „Nein“ zu sagen – und das dann auch zu meinen.


Das Phänomen können Sie in jeder Disko bestaunen. Da lernen sich ein junger Mann und eine junge Frau kennen, verbringen den Abend eng umschlungen auf der Tanzfläche, und einem von beiden ist diese Begegnung ein bisschen wichtiger als dem anderen. Und so steckt sie ihm am Ende des Abends einen Zettel mit ihrer Telefonnummer zu und fragt ganz leise: „Rufst du mich an?“ Und er macht „hmhm“, und beide ziehen ihrer Wege. Und natürlich ruft er nicht an, vielleicht schmeißt er den Zettel noch vor der Disko in den Müll, weil ihm der Abend nicht so wichtig war wie ihr. Und dann treffen sie sich Wochen später irgendwo beim Einkaufen wieder, und sie sagt leise, traurig: „Du wolltest doch anrufen!“ Und er könnte jetzt „Nein!“ sagen und die Sache ein für alle Mal klären, aber er tut es nicht, sondern entschuldigt sich wortreich, es wäre so viel zu tun gewesen, seine Mutter ist krank, das Auto kaputt, und außerdem hat er den Zettel verloren. Und dann bekommt er ihre Telefonnummer nochmal, sie verabschiedet sich ganz hoffnungsvoll: „Bis bald“, und er macht „hmhm“ und wird sie natürlich nicht anrufen. Und sie wird zuhause sitzen und warten und sich Hoffnungen machen und nicht wissen, woran sie ist. Eure Rede sei ja, ja, nein, nein. Alles andere ist von Übel.


Liebe Gemeinde, machen wir uns nichts vor, es ist nicht einfach, immer klare Ansagen zu machen. Helmut Schmidt hat einmal gesagt: Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen. Und vielleicht hat er (höchstens!) in diesem einen Punkt zumindest auf den ersten Blick Recht, denn ein Politiker, der sich Jesu Ratschläge zu eigen macht, muss wahrscheinlich um seine Wiederwahl fürchten, wenn er ernst macht und sich nicht in Ausflüchte und wolkige Erklärungen flüchtet und stattdessen sagt: Ja, ja, nein, nein, oder auch: Ich weiß es nicht.



Herr Finanzminister, wird die Eurorettung mehr kosten, als Sie bisher gesagt haben? – Ja.


Frau Bundeskanzlerin, finden Sie, dass Ihr Handy wichtiger ist als das der Unzähligen Ihrer Wählerinnen und Wähler, die auch abgehört wurden?  - Ja.


Herr Europaratsabgeordneter, tut die EU genug, um Flüchtlingskatastrophen wie die vor Lampedusa zu verhindern? – Nein. 

Herr Innenminister, wollen Sie und Ihre Partei etwas am Asylgesetz ändern, damit die Aufnahme von Flüchtlingen erleichtert wird? – Nein.


Mit solcher Offenheit würde jeder der Befragten seine Wiederwahl gefährden. Aber vielleicht würde so auf lange Sicht etwas von dem Vertrauen in unsere Politikerinnen und Politiker zurückkehren, das verloren gegangen ist.


Liebe Gemeinde, das alles ist nicht einfach. Der Predigttext von heute nicht, und eigentlich ist nichts von dem, was Jesus in der Bergpredigt oder anderswo von uns fordert, einfach, weil es so oft quer steht zu dem, was wir gewohnt sind. Weil wir natürlich befürchten müssen, und unbeliebt zu machen und Erwartungen zu enttäuschen, wenn wir klar sagen: Ja und nein und keine Ahnung. Oder weil man vielleicht lange schwelende Konflikte zum Ausbruch bringt, wenn jemand, der oder die sich immer nach anderen gerichtet hat, plötzlich sagt, was ihm oder ihr wichtig ist.
Aber Jesus legt auch den Grund, den festen Boden, auf dem man zu seinem eigenen Wort stehen und auch schwierige Konflikte austragen kann. Ganz am Anfang der Bergpredigt sagt er das, was kein Mensch sich selber sagen kann: Ihr seid das Licht der Welt. Ihr seid das Salz der Erde. Und wenn er das sagt, wird es wohl stimmen, auch, wenn es manchmal schwer fällt zu glauben. Denn Jesus ist für das eingestanden, was er gesagt hat, er hat das, was er gesagt hat, in die Tat umgesetzt, und er ist dafür bis ans Kreuz gegangen.


Deswegen will ich ihm glauben, wenn er sagt: Eure Rede sei ja, ja, nein, nein, alles andere ist von Übel. Oder, in den Worten eines der beiden Mädels von der Vischeringstraße gesagt: Laber nicht.


Das nehme ich mit, und das nehme ich mir vor, möglichst heute schon: Klar und offen zu sein, und dadurch glaubwürdiger zu werden, sodass ich hoffentlich keine Schwüre, keine Beteuerungen, keine Wolke an Zeugen brauche. Ja, ja, und nein, nein. Und in den Situationen, in denen ich dafür ganz besonders mutig sein muss, spreche ich in Gedanken einen kleinen Zusatz mit, der wird hoffentlich erlaubt sein: Ja, ja, nein, nein – mit Gottes Hilfe.

Amen.

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