Sonntag, 17. November 2013

Fernsehpfarrer im Realitätscheck (III)

In der Bonner Heilandkirche (die eigentlich, zumindest von innen, die Kölner Kartäuserkirche ist - s.u.) geht es wieder einmal rund. Unter dem bedeutungsschwangeren Titel Wunder erwarten Andreas Tabarius und die Seinen eine ganze Reihe davon. Im Zentrum der Folge (in der Mediathek hier zu sehen) stehen das Schicksal einer Obdachlosen und ein undichtes Kirchendach. Im Gegensatz zu früheren Episoden konnte der Samstagabend diese Woche mit einigen überraschend realistischen Szenen aufwarten - leider, möchte man in manchen Fällen sagen, denn dort geht es um Umstände, die auch im echten Kirchenleben nicht unproblematisch sind. Eine "Predigt" bleibt den Zuschauern in dieser Folge zu aller Freude diese Woche erspart, stattdessen tanzt Familie Tabarius zu We are Family durch die Küche - erbaulicher als das Kanzelgeblubber des Fernsehpfarrers ist das allemal.

Die Obdachlose

Treibende Kraft ist zunächst Frau Marquardt, die resolute Gemeindesekretärin. Die triefende Personenchemie zwischen ihr und dem Amtskollegen lässt vermuten, dass die beiden spätestens in drei Folgen in der Kiste oder auf dem Kopierer oder sonstwo landen, und wahrscheinlich kommt es dann zu schwerwiegenden Verwürfnissen zwischen den Erwachsenen und den Pfarrerskindern... aber warten wir es ab. Frau Marquardt jedenfalls stößt in ihrem Antiquitätenladen auf die obdachlose und von Schwindelanfällen geplagte Frau Schütte und wendet sich an Pfarrer Tabarius. Der, beim Pizzaessen im Kreise der Familie gestört, ist gar nicht begeistert von der Idee: "...und dann kommen Sie zu mir?!" (Sohn Nummer Drei ergänzt zu Recht: "Zu uns!"). Frau Marquardt lässt nicht locker, auf ihre wütende Nachfrage, ob er denn "Christsein nur studiert" hätte, erwidert er: "Das ist menschlich natürlich top - aber das geht so nicht!" Im Endeffekt lässt er sich natürlich doch erweichen, und es beginnt ein gegenseitiger Läuterungsprozess: Tabarius, Frau Schütte (die sich skandalöser Weise gar nicht richtig helfen lassen will) und die Pfarrerssöhne kommen einander näher und natürlich verstehen sich am Ende alle besser als vorher. 



Wie realistisch das ist? Gar nicht so unrealistisch, und das macht die Episode fast schon interessant: Im ersten Pfarrerscheck hatte ich erwähnt, dass im Zweikampf von Tabarius und seiner bösen Presbyteriumsvorsitzenden der alte Dualismus von Institution und Charisma inszeniert wird. Das ist ein altes, u.a. auf Max Weber und Rudolf Sohm zurück gehendes kirchengeschichtliches Paradigma, bei dem man davon ausgeht, dass Autorität auf zwei Arten abzusichern ist: Durch eine charismatische Persönlichkeit oder durch Leitungsstrukturen. Lange Zeit entsprach dem der klassische protestantische Blick auf die früheste Kirchengeschichte: Zuerst waren da Jesus und die Apostel, dann ging das Charisma verloren und die Christen schufen als schlechten Ersatz hierarchische Strukturen - der Anfang einer Verfallsgeschichte, die erst durch die Reformatoren wieder aufgehalten werden konnte. Wenn auch dieser häufig in allzu platter Vulgarität vorgetragene Dualismus kirchengeschichtlich so nicht haltbar ist, eignet er sich offensichtlich doch zur Dramatisierung: In den allermeisten Fernsehserien, die im kirchlichen Milieu spielen, geht es letzten Endes um den Konflikt zwischen grundpatenten Einzelpersonen und dem kirchlichen oder bürgerlichen Establishment: Da kämpfen Schwester Lotte und Schwester Hanna gegen Bürgermeister Wöller und die böse Mutter Oberin, da bringt die Pastorin (Christine Neubauer) ihre Landgemeinde durcheinander und so weiter. In dieser Folge werden die Rollen vertauscht, und Andreas Tabarius steht plötzlich als Vertreter einer kaltherzigen, berechnenden Institution da, der zu (zunächst) zu unbeweglich ist, um auf die glasklaren Lösungsvorschläge, die die vor Charisma sprühende Gemeindesekretärin ihm präsentiert, einzugehen: Er verweist auf staatliche Stellen und seine eigene Privatsphäre, ventiliert sein Misstrauen gegenüber der Obdachlosen (wer weiß, warum die auf der Straße gelandet ist) und erklärt, dass sporadische Einzelzuwendungen das grundsätzliche Problem nicht lösen. Und so ruckelt sie Serie diese Woche an einem Stachel im Fleisch der Kirche und stellt die Frage nach dem Ort der Diakonie in der Gemeinde. Die Einwände des Fernsehpfarrers sind alle durchaus berechtigt und sachlich gerechtfertigt und bleiben doch moralisch anfechtbar: Darf und soll ein Pfarrer so sehr auf der Intimsphäre seiner
Dienstwohnung beharren? Oder muss er das nicht sogar, weil er seine Familie zu schützen hat? 
Realistisch dabei auch die Obdachlose - denn die will sich zunächst partout nicht helfen lassen. Auch das ist eine Erfahrung, die Menschen machen, wenn sie mit Obdachlosen arbeiten, die Hilfeangebote nicht annehmen wollen, sei es aus nostalgischem Festhalten an einem (wirklich oder vermeintlich) selbstgewählten, bohemischen Lebensstil, sei es aufgrund psychischer Erkrankungen, die laut zahlreichen Studien in diesem Milieu gehäuft vorkommen. Im Fernsehen löst sich alles in Wohlgefallen auf, natürlich durch das energische Eingreifen des nunmehr geläuterten und ganz auf der Seite von Frau Schütte stehenden Tabarius (dessen seelsorgliches Reden ähnlich selbstreferenziell ist wie sein Predigen). Aber: Die offenen Fragen bleiben. Wer sich mit dem Thema ausführlicher auseinander setzen will, kann das übrigens bei der evangelischen Obdachlosenhilfe tun.

Der Herr Pfarrer und die Frauen


Frau Marquardt ist nur eine von vielen, die dem Herrn Pfarrer offensichtlich amourös nicht abgeneigt ist - wie gesagt, man wird sich höchstwahrscheinlich auf Leidenschaftliches freuen (?) dürfen. Oder auf Bizarres, wenn beim Schäferstündchen plötzlich die verblichene Frau Tabarius im Zimmer steht, die ist nämlich auch in der dritten Folge wieder mit von der Partie und boostet das Ego ihres dekorativ an sich selbst zweifelnden Ehemannes. Auch die reiche (und deswegen vorabendprogrammatisch per se böse) Schwester von Frau Schütte streicht ihm gurrend um die Beine und will sogar Sex mit ihm - gegen Spende, versteht sich. Und auch Frau Nadolny, die sehr junge Ärztin, weitet lüsternd die Nüstern, als sie Pfarrer Tabarius über ihre ständige Bereitschaft in Kenntnis setzt.

Gerade sagt sie: "Möäännerrrrr...."

Wie realistisch das ist? Irgendwie ja schon. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Pfarrer, ebenso wie Ärzte, Lehrer, Anwälte und andere zum Gegenstand erotischer Interessen ihrer Klient_innen, Patient_innen und Schüler_innen werden können. Realistisch betrachtet handelt es sich dabei in den wenigsten Fällen um rein persönliche Sympathien, sondern um die Übertragung von Erfahrungen, Konflikten, Wünschen und Sehnsüchten, einem aus Seelsorge, Beratung und Therapie sattsam bekannten Phänomen oder um eine Reaktion, die durch eine falsche Interpretation der therapeutischen Beziehung hervorgerufen wird, bei dem der/die Ratsuchende die professionell-klientenzentrierte, aktiv zuhörende Haltung des Beratenden als persönliches Interesse missversteht. Als Seelsorger_in muss man sich dieses Risikos bewusst sein und sollte professionell damit umgehen können. Andreas Tabarius, von Beginn des Gesprächs mit Frau "Nennen Sie mich 'Gabi'" Miller an aus sämtlichen erotischen Kanonen und den unfairsten Winkeln beschossen, schlägt sich gar nicht mal so schlecht, tappt aber auch in naheliegende Fallen. Als sie ihm in aller Laszivität, die im öffentlich-rechtlichen Vorabendprogramm möglich ist, entgegenkeucht: "Ich liebe schüchterne Männer, wenn sie dann auch noch Pfarrer sind und so gut aussehen wie Sie...", lässt er sich auf diese private Ebene ein und widerspricht: "Frau Miller... Gabi, wenn ich schüchtern wäre, dann würde ich hier nicht einfach so einmarschieren...", kriegt aber noch die Kurve zur Kirchendachfinanzierung. A propos Übertragung: Das Ganze hat natürlich noch eine andere Ebene, denn Frau Miller dürfte auch eine Projektionsfigur für die Fantasien der anvisierten Durchschnittszuschauerin sein, die sich bei Mon Chéri und Instantcappuccino kaum entscheiden kann, ob sie sich über das Biest im Fernsehen entrüsten oder lieber an deren Stelle wünschen soll und die sich, als Tabarius seinen Kindern mitteilt, er habe "Lust auf Tomate-Mozzarella", denkt: "Hmm, lecker, könnte man eigentlich auch mal wieder machen."

Das Kirchendach


In der Heilandkirche tropft es durch das Dach. Bei einer Baubegehung ist man sich über das Ausmaß und die Finanzierbarkeit der Reparaturkosten uneins. Pfarrer Tabarius weigert sich, vor Eimern zu predigen, die böse Presbyteriumsvorsitzende will kein Geld geben, der Küster weiß nicht, was zu tun ist. Der Superintendent jedoch bewilligt ein Viertel der Kosten (offensichtlich) aus Kirchenkreismitteln, sofern Amtsbruder Tabarius den Rest mit Spenden aufbringen kann.



Wie realistisch das ist? Nicht sehr. Zum Einen rennt der Superintendent nicht dauernd durch die Gemeinden, zum Anderen kann er nicht im Eilentscheid über Kirchenkreisgelder verfügen. Und gleichzeitig: Der Bauunterhalt alter, denkmalgeschützter Kirchen ist ein Dauerproblem für viele Kirchengemeinden. 

Fernsehen trifft Realität - Veranstaltungshinweis


Wie oben erwähnt, werden die Kirchenszenen in der Kölner Kartäuserkirche gedreht. Die Gemeinde ist beim Dreh beteiligt gewesen - und am 1. Advent findet ein Gottesdienst mit Simon Böer alias Andreas Tabarius statt. Ich kann leider nicht, bin aber gespannt, wer was darüber zu berichten weiß - und finde es gut, dass die evangelische Gemeinde Köln solche Schnittstellen wahrnimmt und gestaltet!


4 Kommentare:

  1. Hach! Du sprichst mir aus der Seele! Soo unrealistisch... und doch habe ich ne Dauerprogrammierung eingerichtet! Mich nervt ja total dieser Sup! Da mache ich zum Glück ganz andere Erfahrungen.
    Schade, dass ich am 1. Advent auch nicht kann, bin zeitgleich selbst im ökumenischen Adventsandachtseinsatz. Bin gespannt, ob sich jemand zum bloggen findet...

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  2. Schönen 1. Advent zusammen!
    Ich hoffe, zur neuesten Folge gibt es auch einen Blog. Schließlich konnten wir am Samstag unter anderem lernen, dass es offensichtlich rheinische Gemeinden gibt, wo Presbyteriumsvorsitzende und stellv. Presbyteriumsvorsitzende Nichttheologen sind. Ist Pfarrer Tabarius überhaupt Mitglied seines Presbyteriums? Immerhin kann er seiner Sekretärin mal eben 1000€ Gehaltsvorschuss am Verwaltungsamt vorbei gewähren. Oder war das aus dem Verfügungskonto?

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  3. Ich bin gespannt was zum "Beichtgeheimnis" zu hören.

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  4. Hallo!
    Hier ein Bericht über die "wahren" Herzensbrecher aus der Ev. Heilandkirchengemeinde Bad Godesberg.

    http://www.express.de/bonn/pfarrer-klaus-merkes--wir-sind-die-wahren-herzensbrecher-,2860,25575534.html#

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