Mittwoch, 18. Dezember 2013

Gastblog zum Fernsehpfarrer auf der Kanzel

Lang, lang ist's her - aber auch die Kirchengeschichten sind vom Advents- und Vorweihnachtsstress nicht ganz verschont. Mit der großen Marie-Luise Nikuta nur angedeutet: "Janz Kölle es e Kreppespill!" Deswegen kommt der folgende Gastblog zum Kanzelauftritt von Fernsehpfarrer-Darsteller Simon Böer am 1. Advent in der Kölner Kartäuserkirche ein bisschen spät. Geschrieben hat ihn eine sehr liebe und, das werdet Ihr merken, sehr schreibbegabte Freundin und Kollegin, die Friederike:


Als ich am 1. Adventssonntag gegen 18.00 Uhr die Kartäuserkirche betrete, sind Argwohn und Skepsis meine Begleiter: Ob das gut gehen kann, einen Fernsehpfarrerschauspieler auf die Kanzel zu lassen? Ob das zur Marketingstrategie gehört? Ob Simon Böer wohl wie Pfarrer Tabarius vom Manuskript abweichen wird? Worauf habe ich mich hier bloß eingelassen?!... Zum Glück bin ich schnell wieder in der Wirklichkeit, lehne mich zurück und genieße den Beginn des neuen Kirchenjahres: Wir singen „Macht hoch die Tür“ und „feiern gegen alle Verzweiflung die Liebe Jesu“ (so Pfarrer Mathias Bonhoeffer in der Begrüßung [Anm. d. Verf.in: Alle in diesem Eintrag genannten Zitate entsprechen nur bedingt dem Wortlaut, eher dem Höreindruck]). Alles ist so, wie es sich gehört und wie ich es gewohnt bin. Alles ist normal.
Bis der letzte Ton des Chorstücks vor der Predigt verklungen ist (warum man am Ersten Advent schon „Es ist ein Ros entsprungen“ singen/hören muss, weiß kein Mensch) und Simon Böer die Kanzel betritt. Ich höre das hektische Klicken einer professionellen Kamera. Natürlich ist die Presse da. Simon Böer trägt Anzug, das Hemd ist nicht ganz zugeknöpft. Er sieht lässig aus und erinnert in seiner Gesamterscheinung an Tabarius – klar! Er lächelt. Ein Fernsehlächeln? Die Spannung steigt. Jetzt wird’s ernst.
„Gnade sei mit euch und Friede von dem, der war und ist und kommt.“ Der erste Satz. Ich bin erleichtert. Noch nie war mir die Funktion des Kanzelgrußes so bewusst wie in diesem Moment: Jetzt spricht einer, der zuvor im Gottesdienst noch nichts gesagt, der bisher liturgisch noch nicht in Erscheinung getreten ist. Und noch mehr: Hier spricht einer im Namen Gottes. Das ist kein Marketing. Das ist keine Schauspielerei. Das ist echt. In seiner Stimme höre ich Engagement und Leidenschaft und das erinnert mich an den Theologen und leidenschaftlichen Prediger Rudolf Bohren, der in seiner Predigtlehre (S. 18) schreibt: „Eine Predigt vorbereiten heißt dann, Freude vorbereiten, und hier kann man nicht sauertöpfisch oder halb, sondern nur gern und ganz und also leidenschaftlich dabei sein, und damit ist man schon selbst hineingezogen in die kommende Freude.“ Das kommt an. Böer ist authentisch, hat etwas zu sagen und zieht die Hörer mit hinein in das, was ihn hineingezogen hat.
Wo hinein also? Aufhänger ist natürlich die Fernsehserie „Herzensbrecher – Vater von vier Söhnen“, deren Titel Böer zum Anlass nimmt, um ein paar Gedanken darüber zu entfalten, was sein Herz bewegt: Dass Cast und Crew familiär zusammenhalten, dass die Kirchengemeinde ihre Räumlichkeiten für die Dreharbeiten zur Verfügung stellt, dass Pfarrer Bonhoeffer ihm die Möglichkeit zur Predigt gegeben hat. Dann fallen aber auch Sätze wie „Mein Herz wurde vom Familienpapier der Evangelischen Kirche bewegt“ und „Wir befinden uns in einer Zeit der Transformation“. Bevor die Predigt aber politisch und gesellschaftsanalytisch wird, bewegt sie sich weg vom Ich-Bericht hin zum Wir und kommt schließlich beim Du an: „Advent – Was ist das? Wir ziehen uns zurück, halten uns fast ausschließlich drinnen auf. Alle Kräfte wenden sich nach innen... zur ureigenen Quelle… Jesus spricht durch Johannes: Das Reich Gottes ist inwendig in euch (Lk 17,20 nach Luther 1912)“. Böer predigt nachdenklich. Das wirkt, denn es bringt mich zum Nachdenken. Ich lese Luther sonst in der revidierten Fassung, da ist jener Vers weitaus plastischer übersetzt: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“. Mit dem intimen „inwendig“ kann ich wenig anfangen. Aber Böer kann es anscheinend. Auch wenn seine Gedanken gelegentlich zu populärtheologische Alltagsweisheiten verflachen (Inwendig, das ist für ihn das Herz, das Paradies Gottes, die Stille). Er moniert: „Besuche dich selbst – das ist schwierig, denn wo Licht ist, da ist auch Schatten… Advent ist die Zeit der Toleranz uns selbst gegenüber… Wir fühlen uns inkompetent… Was man nicht angenommen hat, kann man nicht loslassen… Lasst uns liebevoll annehmen, was ist…“. Und dann nimmt er eine scharfe Kurve: „Aber Gott ist alles, was ist.“ Darin spiegelt sich wider, was er wohl mal im Interview mit der WZ gesagt hat: „Ich glaube an einen bedingungslos liebenden, freudvollen Gott, der mir in meinen Kinderjahren in der Kirche zu wenig begegnet ist, dafür heute in meinem täglichen Leben umso mehr.“ Und so legt er den Beginn des Johannesevangeliums (Joh 1,1ff. in Auszügen) im Zusammenhang mit Lk 17,20 als intime Schöpfungsgeschichte und Antwort auf unser adventliches Erwarten Gottes aus: Schöpfung geschieht von innen her. Das ist neu und berührt mich – auch wenn eine Antwort auf die Frage „Ob’s denn wahr ist?“ ausbleibt und mir insgesamt die Überfrachtung der Predigt mit Zitaten (irgendwann fällt auch eins von Tocotronic) missfällt. Trotzdem passiert in Böers Predigt, was ich in meiner homiletischen Ausbildung gelernt habe: „Eine Predigt lebt geradezu von dem, was die Gemeinde bisher noch nicht, jedenfalls so noch nicht gehört hat“ (Bukowski, Predigt wahrnehmen, 150).
Allerdings gibt es auch Wehrmutstropfen: Bei Sätzen wie „Die ureigene Quelle – viele von uns nennen sie Gott“ zuckt mein theologisches Herz (und ja, auch der Verstand) und als Böer sich/uns mit einem Lebensmittelgeschäft vergleicht (wohl weil das Bild das Haushalten und Verwalten des eigenen Innenlebens verdeutlichen soll), gehe ich in Gedanken woanders spazieren. Aber geht mir das nicht auch bei gestandenen Pfarrern so?
Immerhin ist Böers Predigt konkret und anschaulich. In meiner Ausbildung wird darauf viel Wert gelegt. Leider lässt sie dafür eine stringente Struktur und roten Faden vermissen. In meinem Höreindruck schlängelt Böer sich serpentinenartig von einem Gedanken zum nächsten. Das muss man mögen. Und er ist aufgeregt, macht für einen Schauspieler ungewöhnlich wenig Sprechpausen. Stellenweise komme ich beim Zuhören fast außer Atem. Zum Glück nur fast. Denn Böer ist rhetorisch ansonsten so gut geschult, dass das Zuhören ein Kinderspiel ist. (Warum nochmal ist das in unserer Ausbildung nicht grundsätzlich vorgesehen?) Er ist aufgeregt, klar. Aber das macht ihn doch so authentisch. 

„Es ist eben kein Drehbuch“, erzählt er später bei Brot und Wein in der Kapelle nebenan. „Das war auch aufregend. Ich konnte an keiner Stelle „Cut!“ rufen und den Dreh unterbrechen.“ Ich denke, Böer war sich bewusst, dass er hier etwas wagt und muss wieder an Rudolph Bohren denken: „Zur Freude am Predigen gehört das Wagnis. Eine Predigt ist ein gewagtes Unternehmen, dessen Tollkühnheit nicht durch Gewöhnung und Verharmlosung verdeckt werden sollte“ (Bohren, Predigtlehre, 19). Das gilt für Theologen wie für Laien. Böer ist zwar nicht der erste Laie, der auf die Kanzel tritt. Aber der erste, der auf jener schon öfter den Pfarrer mimte. Es ist ein Wagnis, sich dieser Rollendiffusion zu stellen. Und es ist ihm gelungen.
Nach dem Gottesdienst herrscht eine Atmosphäre wie beim sonntäglichen Kirchenkaffee und spätestens da wird mir bewusst, wie „normal“ dieser Abend doch ist: Menschen, die sich vorher fremd waren, kommen miteinander ins Gespräch (einige waren extra wegen des Schauspielers gekommen, andere sind einfach treue Besucher_innen der Abendgottesdienste in der Kartäuserkirche und waren ob des fremden Predigers zunächst irritiert); man spricht über Gott und die Welt und den Gottesdienst – und natürlich über die Predigt! Und wie sonntags auch wird der Prediger in Beschlag genommen, der jetzt sichtbar erleichtert ist. Alles ist normal.
Bleibt mein Fazit zum Predigterlebnis von Simon Böer: Die Predigt ist harmlos ohne zu verharmlosen und allgemein ohne zu verallgemeinern. Deshalb spreche ich nach dem Kanzelsegen mein „Amen“ ganz bewusst und bin froh, dass Argwohn und Skepsis die Kirche längst verlassen haben, denn Simon Böer ist zwar kein Theologe, aber er war für die letzten 15 Minuten mehr Pfarrer als Andreas Tabarius in allen Episoden zusammen.
Um es mit den Worten von „Kirchengeschichten“ zu sagen (Blogeintrag vom 17.11.2013): Ich „finde es gut, dass die evangelische Gemeinde Köln solche Schnittstellen wahrnimmt und gestaltet!“ Danke dafür.

PS: Falls sich Leser_innen über die visuelle Schlichtheit dieses Eintrags wundern: Ich war als Theologin, nicht als Fan da und habe davon abgesehen, ihn um ein gestelltes Foto oder Autogramm zu bitten.


Kleiner Medienroll zum Thema:
Auf der FB-Seite von Simon Böer gibt es ein Video seiner Predigt. Aus praktisch-theologischer Sicht gar nicht so uninteressant sind die Kommentare in der Spalte rechts neben dem Bildschirm.


Und der Bonner Express hat mal die richtige Heilandkirche besucht.

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