Dienstag, 11. Februar 2014

Neeeon. Echt jetzt, oder?

Die NEON, ein Stern-Ableger und sozusagen die BRAVO der Generation Praktikum, ist mehrfach und zu Recht für herausragende Reportagen ausgezeichnet worden. Manchmal schießt sie auch den einen oder anderen Bock. So zum Beispiel in der aktuellen Ausgabe:

Im Zuge der Debatten um das Hitzlsperger-Outing, die Anti-Regenbogen-Petition des Volksschullehrers Stängle veröffentlicht das Magazin unter der etwas reißerischen Überschrift "Die Offenbarung" (auf dem Titelblatt und im Inhaltsverzeichnis "Oh Gott, ich bin schwul!") investigative Kabinettstückchen des Journalisten Philipp Hauner. Der hat bayerische Beichstühle abgeklappert, sich dort geoutet und die Gespräche im Anschluss protokolliert. Die erkenntnisleitende Fragestellung dabei lautet: "Wie denkt eigentlich die katholische Basis, das Bodenpersonal des Herrn, über Homosexualität?" (29). Im NEON-Redaktionsblog erklärt Hauner etwas ausführlicher, wie es zu der Idee kam und wie die Durchführung konkret aussah.

Martin Müller / pixelio.de


Die Gesprächsprotokolle sind ohne Zweifel interessant zu lesen, auch und gerade, weil sie sehr unterschiedlich sind. Da gibt es natürlich die Empfehlung, zölibatär zu leben. Da werden Broschüren des ominösen Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft, das unter der Fuchtel der noch viel ominöseren Kinderärztin Christl Vornholt steht, verteilt. Aber da begegnet man auch katholischen Amtsbrüdern, die ernsthaft mit der Frage ringen, die sich ihrer eigenen Gratwanderung bewusst sind ("Wollen Sie jetzt einen seelsorglichen Rat oder wollen Sie eine offizielle Vorlesung in Kirchenrecht? Das wäre jetzt nämlich ein ordentlicher Unterschied", 30) oder sehr wertschätzend mit der Thematik und vor allem dem Menschen, der ihnen gegenüber sitzt, umgehen ("... letztlich hat Gott Sie so geschaffen, das dürfen Sie schon einmal ganz positiv sehen. Und er hat keinen Fehler gemacht, als er Sie in die Welt gesetzt und gerufen hat und ausgestattet hat mit der der Fähigkeit zu lieben", ebd.) und zu einem verantwortlichen Umgang mit Sexualität raten. Ein paar drollige Episoden gibt es auch, wenn etwa ein Priester sagt, "interessanter Weise [sei Papst Franziskus] ja auch ein wesentlich männlicherer Typ, der nicht das Effeminierte von Papst Benedikt hat" (32).

Im Magazin wird das nicht weiter kommentiert, im Videointerview erklärt der Autor, er habe "schon ein schlechtes Gewissen gehabt", weil sein Gegenüber ja nicht wisse, wen er vor sich hat, das würde jedoch durch den journalistischen Mehrwert wettgemacht, denn "andererseits ist diese Situation im Beichtstuhl eine sehr authentische". Er beschreibt seine eigene Nervosität, aber auch, wie die Gespräche sein Bild von der katholischen Kirche verändert haben, weil er erkannt habe, "dass es tolle Leute gibt, die wirklich die Nöte oder Ängste der Menschen erkennen [...] und ernst nehmen [...] und auch in der Lebenswelt zuhause sind, die wir alle kennen."

Vielleicht ist das für manche Leser_innen, deren Bild von der katholischen Kirche vor allem durch Talkshowauftritte von Martin Lohmann oder die Skandalberichterstattung um Tebartz-van Elst und Meisner geprägt ist, tatsächlich etwas Neues, so etwas wie eine "Offenbarung": Katholische Priester sind nicht per se die Unmenschen, zu denen sie in den Medien manchmal und dann auch gern gemacht werden. Hurra. 

Ich frage mich trotzdem: Ist das legitim? Der Beichtstuhl ist zumindest juristisch einer der am stärksten geschützten Räume in der Gesellschaft (nebenbei: auch das evangelische Kirchenrecht kennt den Unterschied zwischen seelsorglicher Schweigepflicht und Beichtgeheimnis), und es ist schlimm genug, dass es Fälle gibt, in denen das seitens einzelner (!) Priester auf das Widerwärtigste missbraucht wurde. Aber missbraucht Hauner diesen geschützten Raum nicht auch, auf eine ganz eigene und sicherlich weniger desaströse Weise? Mal abgesehen davon, dass er vielleicht Zeitfenster und Gesprächsgelegenheiten blockiert, die Menschen in einer wirklichen Notlage besser gebraucht hätten.

Ein Priester, der in echter Solidarität mit dem Rat suchenden Menschen so klar und eindeutig von der geltenden kirchlichen Lehrmeinung abweicht, ihr sogar (mit gutem Recht, wie ich finde) widerspricht, geht ein großes Risiko ein. Er kann dabei nämlich auch an den Falschen geraten, an einen erzkonservativen Eiferer, der ihn im Nachhinein bei seinen Vorgesetzten anschwärzt. Das gibt es, katholische Krankenhäuser erlebten vor einigen Jahren den Fall, dass selbst ernannte Lebensschützer Strohfrauen als angebliche Vergewaltigungsopfer in die Kliniken einschleusten, um die Rechtgläubigkeit der behandelnden Ärzte im Blick auf die "Pille danach" zu überprüfen. Bis zur endgültigen Klärung dieser Frage im Januar 2013 begaben sich die Ärzte mit der Verschreibung in ein hohes persönliches Risiko.

Und ich glaube, dass die Angst davor, dogmatische und kirchenrechtliche Mauern im diakonischen und seelsorglichen Handeln einzureißen, größer wird, wenn die Verantwortlichen erleben, wie der geschützte Raum eines seelsorglichen oder ärztlichen Beratungsgesprächs seitens der Konfidenten gewaltsam aufgebrochen wird, und sei die Motivation eine noch so aufklärerische. Deswegen finde ich die Reportage äußerst problematisch und die Grenzen des ethisch Vertretbaren deutlich überschreitend.

Wie seht Ihr das?

12 Kommentare:

  1. Tatsächlich geben Sie ja zu, dass die Redaktion sich Gedanken geamacht hat und bewusst auf Grund der Aufklärung entschieden hat, dass die Aktion stattfinden darf. Außerdem wurden die beteiligten Priester effektiv unkenntlich gemacht. Das Problem am Ende, wo sie ausführen, dass damit etwas eingerissen wird, was man nicht einreißen sollte, relativieren Sie einen Abschnitt vorher, wenn Sie sagen, dass es schon mehrfach unter schändlichen Motiven eingerissen wurde. Hier ist also kein Dammbruch zu befürchten, da diese Methode bereits mit schlechten Hintergedanken genutzt wurde. Also im Zweifel immer für Aufklärung. (Ich würde auch eher dazu tendieren, angeblich vergewaltigte Frauen in katholische Kliniken zu schicken, um nachher die Ärzte anzuzeigen, die die Pille danach verweigern…)

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    1. Hallo, und danke für den Kommentar.
      Naja, auch die Redaktion macht sich Gedanken darüber, welche Themen gut laufen. Und das ist im Moment eben der Komplex Homosexualität, gerne auch mit Blick auf die Kirche. Da spielen neben dem Willen zur Aufklärung auch marktwirtschaftliche Interessen eine Rolle - ohne dass damit die Verdienste des Magazins in Sachen Gleichstellung geschmälert werden sollen.

      "Im Zweifel für die Aufklärung" halte ich für ein Prinzip, das sich gut anhört, aber aus pragmatischen Gründen schwer durchzuhalten ist. Es wird Priester geben, die sich aufgrund des Interviews jetzt dreimal überlegen, welchen Rat sie einem Schwulen geben.

      Und was das effektive Unkenntlichmachen angeht, da darf man nicht unterschätzen, wie sehr sich Kollegen untereinander (wiederer)kennen. Wenn von einer "großen Kirche in Regensburg" die Rede ist (davon gibt es mehrere, aber eben eine überschaubare Anzahl), die elektrische Besetztzeichen für die Beichtstühle verwendet (Sonderausstattung, die man nicht überall hat) und in der ein "junger Priester" Dienst tut (davon gibt es nur wenige), dann kann das für Insider ausreichen, um den Betreffenden recht eindeutig zu identifizieren. Im Erzbistum München-Freising dürfte das nicht das große Problem sein, aber es hat in der Vergangenheit anderswo durchaus engagierte Recherche erzkonservativer Bluthunde gegeben.

      Aus irgendeinem intrinsischen Forscherinteresse (die Verweigerung der Pille danach ist m.W. kein straf- oder sonstwie rechtlich relevantes Delikt) Vergewaltigungen vorzutäuschen, damit Ärzt_innen zu belügen, damit Ressourcen zu belegen und Steuergelder auf den Kopf zu hauen, halte ich für ein sehr zweifelhaftes Vorgehen...

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  2. Diese Reportage ist nicht nur problematisch, sondern auch ein Zeugnis schlechten Geschmacks und eine Grenzverletzung sondergleichen. Was tut ein Journalist nicht alles, um sich mit einem reisserischen Thema in Szene zu setzen. Kirche und Homosexualität sind da sicher ein Daueraufhänger in den Medien - Sex sells ja immer irgendwie, auch bei Neon. Philipp Hauner hat mit diesem Ausrutscher nur eines bewiesen: dass er zu Gunsten einer reisserischen Story bereit ist, jede Anstandsregel zu missachten, das Vertrauen eines kirchlichen Mitarbeiters im Beichtstuhl zu missbrauchen, den geschützten kirchlichen Bereich, der eben viel Vertrauen benötigt, in den Schmutz zu ziehen.
    Ganz ehrlich: Mich ekelt das an. Kann man als Journalist noch tiefer sinken.

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    1. Hallo und danke für den Kommentar!

      Hm, ich möchte nicht aufgrund eines einzelnen Artikels so weit gehen, seinem Verfasser pauschal jegliches Interesse an journalistischer Sorgfaltspflicht abzusprechen. Dafür habe ich zu wenig von ihm gelesen, deswegen finde ich dieses Urteil sehr hart und sehr persönlich.
      Aber natürlich kann man fragen, ob die Redaktion eine richtige und ethisch vertretbare Entscheidung getroffen hat, in der Hinsicht bin ich ganz bei Ihnen.

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    2. Also, ich habs gelesen und hatte erst auch einen leichten Schauder: verletztes Beichtgeheimnis: das gilt ja für beide Seiten. Also: der vertrauensvolle Raum muss bleiben. Andererseits: Die Reportage ist einfühlsam, nicht reißerisch (Das Thema Homosexualität ist ja nun wirklich nicht mehr reißerisch), respektvoll und ohne Häme. In den Schmutz gezogen fand ich niemanden.

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    3. Hallo Peter-Felix!
      Die beiden Aspekte sind mir auch wichtig: Ein geschütztes Gespräch sollte irgendwie von beiden Seiten geschützt sein - es sei denn, dieser Schutz wird missbraucht. Und ich finde auch den Gesamttenor wichtig und vermute, ich bleibe ja dabei, dass ich die Reportage unglücklich finde, eher Unbedachtheit als Häme oder Sensationslust.

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  3. Das ist definitiv nicht in Ordnung. Für mich sieht das auch mehr nach versuchter Bloßstellung als nach journalistischer Aufklärung aus. Kein Risiko, kaum öffentliches Interesse, Missbrauch von Vertrauen, potenziell heikel für die Betroffenen. Ich hoffe, dass das Ding für NEON zum Bumerang wird.

    Worauf ich vorher noch nicht gekommen war, ist der Gedanke, das so etwas evtl. auch ähnlich wie Testkäufe oder Testanrufe in der Wirtschaft auch von der Kirche selbst gemacht werden könnte.

    Wenn ich Priester wäre, hätte ich allerdings vermutlich auch vorher schon einmal darüber nachgedacht, dass mir da prinzipiell auch einmal jemand eine wilde Geschichte erzählen könnte, nur um meine Antworten dann hinterher am Stammtisch oder beim Kaffee zum Besten zu geben.

    Dass so etwas journalistisch verwendet wird, ist allerdings eine andere Kategorie.

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    1. Hallo Thomas, und danke fürs Mitdenken!
      Zu einer Sache: Ich glaube, man muss grundsätzlich einen Vertrauensvorschuss geben, wenn jemand mit einer Geschichte in die Seelsorge kommt. Ich gehe davon aus, dass das, was mein Gegenüber erzählt, seine subjektive Realität widerspiegelt, selbst, wenn bestimmte Geschehnisse anders passiert sind. Dieses Vertrauen kann natürlich missbraucht werden, genauso, wie Leute prank calls bei der Telefonseelsorge machen oder sich durch das Erzählen sexueller Fantasien befriedigen. Da kann es durchaus auch Punkte geben, an der man sich als Seelsorger_in auch selbst schützen muss. Dass Leute ihre Geschichte am Stammtisch erzählen, kommt, glaube ich, eher selten vor - im Videointerview erzählt ja der Journalist selbst, dass er vor dem ersten Beichtstuhl kehrt gemacht hat. Es gibt eine Schwelle, selbst bei so offenen Seelsorgeangeboten, die man wahrscheinlich am ehesten überschreitet, wenn Leidensdruck da ist.

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  4. Ich tendiere dazu, das Ganze bei weitem nicht so kritisch zu sehen wie die anderen Kommentatoren. Nach meinem Verständnis (ich kann mich irren) schützt das Beichtgeheimnis den Beichtenden, nicht den Priester.
    Da ich den Artikel selbst nicht gelesen habe, kann ich kaum einschätzen, inwieweit die Priester identifizierbar sind. Aber große Kirche, elektrische Beseztzeichen und junger Priester ist in der Tat ziemlich genau... Das wäre der einzige Punkt an dem ich wirklich auch sehr kritisch würde. Man muß die Priester nicht noch ans Messer liefern.
    Nach der Darstellung hier im Artikel habe ich allerdings den Eindruck gewonnen, daß es gerade nicht um ne reißerische Aktion geht, von wegen sex sells und immer drauf auf die Kirche. Dann dürfte es keine verständnisvollen Priester geben. Wobei, vielleicht ist ja gerade das als Skandal aufgebauscht.
    Daran, daß die Kirche von Rom oder einige ihrer Anhänger Kontrollbeichten veranstalten könnte, bin ich bisher auch nicht gekommen. Das wäre für mich der ultimative Beweis, daß es nicht um Seelsorge geht oder um Ermöglichung von Buße und Absolution, sondern um Kontrolle. Aber vielleicht ist das auch nur die protestantische Überzeugung in mir...

    Womöglich werden jetzt wirklich mehr Priester aufpassen, was sie sagen. Aber das Problem ist ja im System angelegt. Und das System Kirche von Rom hat ein Problem mit Homosexualität (ebenso wie viele protestantische Gruppen, wenn nciht die meisten)...

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    1. Hallo De Benny, und danke fürs Mitdenken!
      Wem der Schutz des Beichtgeheimnisses gilt... das ist ein spannendes Thema, das bei mir auch beim Schreiben im Hinterkopf war und bei dem ich keine richtige Antwort weiß. Aber es gibt in dem Zusammenhang ja mehr Ebenen als nur die juristische. Zum Beispiel eine rein menschliche: Ich gehe davon aus, vielleicht zu Unrecht, dass ein vertrauliches Gespräch von beiden Seiten so behandelt wird. Anders ist so ein Gespräch, finde ich, schwer vorstellbar. Ich glaube, damit hat auch zu tun, dass meines Wissens im Beichtstuhl auch der Priester nur bedingt sichtbar ist. Denn das Maß an Schutz, die ein geschlossener seelsorglicher Raum bietet, hängt auch davon ab, wieviel man ihm zutraut. Ich glaube, dass bei einer öffentlichen Verletzung dieses Raumes, egal von welcher Seite, rein assoziativ-instinktiv der Eindruck entstehen kann, dass der Raum nicht so geschützt ist wie gedacht - und dass das wiederum Menschen davon abhält, diesen Raum aufzusuchen. Das ist sehr ins Unreine gedacht, ich bin damit noch nicht fertig.

      Gezielte Kontrollversuche sind immer mal wieder vorgekommen, soweit ich weiß nicht im Auftrag der Amtskirche, sondern eher durch besonders "engagierte" Einzelpersonen oder Initiativen, denen man sicherlich in manchen Fällen kein Unrecht tut, wenn man hier ekklesiogene Neurosen vermutet. Zum Beispiel gab es immer mal wieder Nachrichten darüber, dass etwa in schwulen Netzwerken gezielt nach Priestern gesucht wurde, um sie aus ihrer Anonymität herauszulocken. Bei David Berger ist so etwas ähnliches passiert, glaube ich. Wenn die Ergebnisse dieser "Detektivarbeit" der Amtskirche zugestellt werden, muss sie natürlich im Rahmen des Kirchenrechts irgendwie reagieren.
      Dass das Ganze in hohem Maße ein systemisches Problem ist, das glaube ich auch.

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    2. Danke für die Rückmeldung. Ich nehme auf jeden Fall mit, daß es sich lohnt drüber nachzudenken, inwieweit auch der Seelsorger vom Geheimnis geschützt werden soll. Ich bin da auch noch nciht ganz fertig mit. Weißt Du eigentlich etwas über den amtskirchlichen Umgang mit den "Petzen"? Ist natürlich Sache der Kirche von Rom, aber ich würde da eingreifen wollen, wenn meine eigenen Fanboys mir die Sakramente kaputtmachen...

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    3. @De Benny: Mir ist gestern noch was aufgefallen - klar dient das Seelsorge- und Beichtgeheimnis auch in gewissem Sinne dem Schutz des Seelsorgers: Ich habe zum Beispiel ein Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht.

      Eine Twitter-Userin schrieb, dass das Ganze kirchenrechtlich sanktionierbar sei - ich bin gespannt.

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