Montag, 3. Februar 2014

Selbstversuch SlamPredigt - Rückblick, Ausblick, Seeblick.

Joar, da hat die Gemeinde aber mal was erleben dürfen: Poetryslampredigt auf der ganz normalen Sonntagskanzel. Hollarididudeljö, möchte man mit Loriot sagen (zweites Futur bei Sonnenaufgang). Das Texten und, vielmehr natürlich noch, das Performen war schon eine spannende Sache, ebenso die Reaktion der Leute, und in dieser ungefähren Reihenfolge notiere ich jetzt einfach mal meine Beobachtungen, Erfahrungen und Fragen:

DAS TEXTEN.


(c) Marvin Siefke / pixelio.de
Die Idee war ursprünglich gar nicht, auf der Kanzel Poetry Slam zu spielen, dafür kenne ich Genre und Szene zu wenig, fand ich. Irgendwie kam es aber dann doch dazu, als ich in der Predigtvorbereitung zu Mk 4,35-41 an der Frage der Jünger hängen blieb: "Wer ist er eigentlich?" Die Frage finde ich berechtigt und (zumal im christologisch-dramaturgischen Duktus des Markusevangeliums) interessant, weil sie sich doch eigentlich jedem aufdrängt, der irgendwas mit dem Christentum zu tun hat. Und dann war da irgendwo im Hinterkopf ein Versfragment, ein einsam klingendes Reimpaar (ich tippe auf Revoluzzer-Tempelputzer), und damit war das Fabulieren auch schon in vollem Gange. Und es passte dann auch inhaltlich/dramaturgisch gut, am Anfang eine Kaskade von Jesusbildern und christologischen Hoheitstiteln auf die Hörer_innen einprasseln zu lassen und die inhaltliche Herausforderung von 2000 Jahren Christologiegeschichte durch eine akustische wiederzugeben. Relativ schnell war auch der Gedanke da, sich an den Verben weiterzuhangeln, mich also an dem in der Geschichte geschilderten Handeln Jesu zu orientieren (narrative Christologie!) - immerhin ist es ausdrücklich er, der die Handlung in Gang setzt. Zwei weitere Aspekte, die mir im Kopf herumschwirrten und zwar nicht unbedingt expressis verbis genannt wurden, aber im Hintergrund tatkräftig mitgearbeitet haben, sind die deutlich exorzistische Kolorierung des Rettungswunders und der Ansatz der Pyrotheologie (putziger Name). Relativ schnell war dann auch der erste Teil fertig - ich hatte, in Nicol'scher Diktion, einen Move. Einen Move. Für einen sechsminütigen Slambeitrag oder eine Kurzandacht hätte der vielleicht sogar ausgereicht, aber ich hatte eben noch gute zehn Predigtminuten zu füllen. Also war für mich erst einmal wieder aktiver Konsum angesagt, und ich verbrachte einige Stunden bei youtube auf der Suche nach Anregungen.     

HÖREN, SEHEN, LERNEN UND ABGRENZEN.


Den Wissenschaftler in meinem Kopf kann und will ich ja gar nicht so richtig ausschalten, und wenn ich mir an die fünfzig Poetry Slam-Videos angucke, neige ich natürlich zum Analysieren, Systematisieren, Typisieren - und im Moment übrigens auch, curse you, poets!, zum Reimen. Ich will mich gar nicht groß in Milieustudien vertiefen, und meine Beobachtungen sind sicherlich nur bedingt repräsentativ. Ein paar wiederkehrende Dinge fallen mir auf: Es gibt offenbar Schablonen, stilbildende Vortragsarten. Eine bestimmte Art von Sprechgesang assoziieren auch einige, die sich nicht viel in der entsprechenden Szene rumtreiben, mit Poetry Slam. Mich interessieren mehr die narrativen Texte - die klingen, selbst wenn sie auswendig aufgesagt werden, oft und wahrscheinlich bewusst wie abgelesen. Das finde ich spannend, und wenn ich demnächst daran denke, werde ich mal irgendwo in Fachzeitschriftendatenbanken suchen, ob sich nicht die Erzählforschung schon dieses Phänomens angenommen hat, merke aber: Für mich ist Erzählen etwas anderes als Vortragen

Was mir auch vor allem bei den anfänglichen Selbstpräsentationen auffällt, ist eine Neigung zum understatement in Sprache und Gesamtauftreten, die im krassen Gegensatz zu der manchmal virtuosen Wortakrobatik steht. Dazu gehört auch eine modische Uniformität - und wenn Kleider wirklich Leute machen, bin ich schon lange ein Slammer, denn ich besitze gleich mehrere Kapuzenpullis, Beanies und Jeans sowie den einen oder anderen RiesenmonsterstrickschalinSchlangeKaaGröße. All das scheint zur notwendigen Grundausstattung zu gehören. Und ich frage mich, oder, ich sag's besser gleich, bin mir ziemlich sicher, dass die Glaubwürdigkeit der Vortragenden beim Publikum viel mit den fast ritualisiert erscheinenden Demonstrationen zu tun haben: "Ich bin Eine_r von Euch". Und da komme ich ans Grübeln und bin mir fast sicher, dass ich bei der Zielgruppe von Poetry Slams, sollten sie sich mal in einen Gottesdienst verirren, schon durch meine gottesdienstliche Arbeitskleidung verloren habe, noch bevor der Kanzelgruß fertigdeklamiert ist - vielleicht, weil ich im Talar so wenig von mir preisgebe.

(c) maedchenschatz.blogspot.de

Ich gucke und gucke und lerne viel, spreche halblaut manche Dinge nach, variiere, probiere aus, erfinde lustige Wörter, habe zwischendurch tierischen Spaß und erinnere mich selbst daran, dass ich immer schon anregen wollte, eine Must-Read-Liste für Prediger_innen zusammen zu tragen, um bei Großmeister_innen der Gegenwartssprache und Erzählkunst (wer's wissen will: Wiglaf Droste, Sibylle Berg, Max Goldt, Walter Moers) zu lernen. Und überhaupt sollten mehr Leute Peter Fox hören.

Aber ich schweife ab. In einer Doku zum Thema werden drei Grundsätze genannt: Spontaneität - Subjektivität - Kompromisslosigkeit. Dass der erste und der letzte immer so lupenrein befolgt werden, zweifle ich spontan und kompromisslos an. Aber der zweite... joar, auf jeden Fall. Subjektiv, sicherlich manchmal auch ein bisschen selbstreferenziell und nabelschaufreudig. In dem Zusammenhang fällt mir auch ein, dass ich wenige bis keine Zitate höre, oder wenn, dann nur solche, die ich nicht als solche erkenne. Und hier sehe ich schon einen grundlegenden Unterschied zur Predigt, die ja in aller Regel nicht eine freie Aneinanderreihung von Gedanken und Befindlichkeiten zu einem Thema eigener Wahl ist, sondern sich, mal ganz allgemein gesprochen, auf eine literarische Vorlage mit irgendwie normativem Charakter bezieht. Wie wirkt sich das auf die sprachliche Gestalt meiner Predigt aus? Die Frage ist für mich tatsächlich offen.

WEITER: TEXTEN.


Ich entscheide mich, weil ich in der Predigt ja die Zeit habe, Passagen mit unterschiedlicher Dynamik, Covers und Remixes von Stilen, die mir gefallen haben, einfließen zu lassen. Den Aufzählungstext am Anfang, etwas Stand-Up-Anekdötchenhaftes in der Mitte, engagiertes Reimen mit subjektiver Note und einem "Baby, Du bist Du"-crescendo zum Ende hin. Und stelle fest: Dann passiert da aber ganz schön viel, holla. Und Arbeit macht's auch, aber ich habe Spaß in Tüten, wälze, zum ersten Mal bei einer Predigtvorbereitung, Reimlexika, forsche nach Synonymen, tauche hier und da in einen flow, finde eine gute Balance zwischen den Forderungen "Liebe deinen Text" und "Kill your darlings". Ab und zu flattern Mahnungen aus alten Predigtlehrbüchern auf meinen Schreibtisch, die vor dem Fabulieren warnen, vor der eitlen Freude an der eigenen Sprache. "Rhetorik ist fremdes Feuer auf Gottes Altar", solche Sachen. Neenee, halte ich entgegen, ich sitze ja nicht da und freue mich wie ein Schneekönig über meine ach-so-gelungenen Formulierungen (naja, nicht nur zumindest), sondern ich ringe ja um eine angemessene Sprache, um (Barmen!) die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk. Also bitte. Natürlich haben die Altvorderen auch recht, wenn sie vor der Gefahr des Herumlaberns warnen. Aber ich nehme mir dann vor, genau das eben nicht zu tun. OK?
Erwähnte ich schon das mit dem Spaß? Ja, achso, naja, aber es sei nochmal gesagt: Ich habe lange nicht mehr so intensiv an einzelnen Formulierungen gefeilt, immer wieder umgestellt, Nuancen verändert, herumgefrickelt, hab' ausprobiert, aussortiert, austariert und wegradiert... und es fängt schon wieder an - curse you, poets!
Zwischendurch lese ich Partien laut, sitzend, stehend, rumlaufend, probiere verschiedenen Tempi, verschiedene Tonlagen und Pausen durch, und merke ganz deutlich: Er will raus. Der Text drängt zur Performance.

Günther Gumbold / pixelio.de

DIE PERFORMANCE.

Jahaaa. Zum ersten Mal seit meiner allerersten Predigt habe ich Vortragsanweisungen in meinem Manuskript stehen. Pausenzeichen, Unterstreichungen, Bögen, Haken, Ausrufezeichen, Klammern, kleine Männchen mit großen Gesten (für das Feeling). Vor der Performance aber kommt die Anmoderation, das Warming-Up mit dem Publikum. Das ist im Gottesdienst anders als beim Slam, ich habe mit den Leuten ja schon gesprochen. Aber ich erkläre doch kurz, dass die Predigt etwas anders wird als sonst (weil ich auf Fortbildung war - in den ersten zwei Minuten darf man kalauern, habe ich irgendwo gehört oder selbst entschieden), erzähle ein bisschen zum Thema Poetry Slam und bitte die Leute, wie das Publikum in den slammenden Kneipen und Diskos zu bewerten: Kann das was? Lohnt es sich, da weiterzumachen? Hat mir das gefallen? Und so weiter. Gerne am Ende des Gottesdienstes. Die Konzentration ist enorm, kein Mucks ist zu hören. Ich lese den Bibeltext, dann meine christologische Kaskade - und stelle fest: Das Setting verändert Vieles. Der Talar, die Kanzel, ein Mikrofon, das man sich fast hinter die Backenzähne klemmen muss und das einem nicht wirklich viel Freiheit lässt und dann doch wieder zum lauten Deklamieren verführt und letzten Endes zwischendurch ausfällt. Ich merke auch so eine Tendenz zum Ausbalancieren: Wollte ich bei der Performance eigentlich die einzelnen Teile deutlich voneinander absetzen, klingt es bei nochmaligem Kontrollhören doch sehr ausgeglichen und alles einander ähnlich. Das führt etwa dazu, dass die Reaktion auf lustige Passagen eher verhalten ist, weil viele noch an anderen, dichteren Stellen zu hängen scheinen. Auch das mit den langen Sätzen gelingt mir nicht so richtig - was das angeht: Mir ist aufgefallen, dass in manchen Texten bei Poetry Slams stellenweise sehr lange Sätze vorkommen, was auf der Kanzel und bei allen anderen Gelegenheiten eigentlich als no-go und Zumutung für die Konzentrationsfähigkeit der Zuhörenden gilt. Wenn aber vereinzelt solche langen Sätze kommen, dann werden sie lustvoll zelebriert, durch bewusste Überphrasierung in ihre Bestandteile zerlegt und dem Publikum zugänglich gemacht, der Slammer inszeniert sich als Führer durch ein Dickicht aus verschlungenen Pfaden. Das hat was, definitiv. Sollte aber, finde ich, wie jedes Stilmittel nur dann eingesetzt werden, wenn man begründen kann, warum man es an dieser Stelle zu brauchen meint. Genauso wie fast gerappte Passagen, die großen Spaß machen und auf der Kanzel eine Dynamik reinbringen, wie sie dort sonst selten vorkommt.

Was den Kontakt zu den Zuhörenden angeht, bin ich mir unsicher. Ich merke, dass ich stärker am Manuskript klebe als sonst, introvertierter bin - und dass die sechs Minuten, auf die sich deutsche Poetry Slammer_innen begrenzen, wahrscheinlich schon eine Art Obergrenze markieren. Andererseits: Die Gemeinde ist extrem konzentriert, man merkt den Leuten an, dass sie zuhören wollen - was, glaube ich, auch mit der informellen Begrüßung am Anfang der Predigt zu tun hat, zumindest legt ein Teil der Rückmeldungen das nahe:

FEEDBACK.


Vorneweg direkt gleich mal: Es lohnt sich total, die Gemeinde einzubeziehen. In meiner Anmoderation (die ich beim nächsten Mal etwas kürzer und weniger apologetisch halten würde) habe ich von einem Experiment und Wagnis gesprochen und um Rückmeldungen gebeten. Die Verabschiedung an der Kirchentür nach dem Gottesdienst dauert weitaus länger als sonst, weil sehr viele Leute etwas zu sagen haben. Und das nehme ich, unabhängig von dem Slam-Experiment, mit: Es ist gut, die Leute mit ins Boot zu holen. Eigene Unsicherheit zuzugestehen (ohne sich gleich prophylaktisch für den Auftritt zu entschuldigen), die Menschen als die kompetenten Hörer_innen anzusprechen, die sie sind, und sich mit ihnen gemeinsam auf einen Weg zu machen - in unserem Fall auf die Suche nach angemessenen neuen Formen der Verkündigung. 
Denn das liegt Vielen offensichtlich sehr am Herzen. Die meisten Rückmeldungen sind überaus positiv - true story: Der Gesamttenor ist sogar weitaus positiver, als ich das erwartet hätte. Die einzelnen Statements sind dabei ausgesprochen differenziert, stark auf das eigene Erleben bezogen, bieten aber auch Vorschläge zur Performance, sind sehr konstruktiv und irgendwie... solidarisch. Alle sind sich einig, dass die Kirche aktiv nach neuen Formen der Verkündigung suchen muss und dabei auch kreativ mit Sprache spielen darf - bei dem doch tendenziell eher höheren Altersdurchschnitt dieser Gottesdienstgemeinde hätte ich das nicht für selbstverständlich gehalten, lasse mich aber wieder einmal eines Besseren belehren. Wahrscheinlich hatte der niederländische Kollege recht, der uns im Sommer sagte: "Nicht die Jungen sind die Flexiblen, sondern die Alten!"
Viele haben sich selbst als sehr konzentriert beim Hören wahrgenommen, auf meine Rückfrage hin, ob sie es zu anstrengend fanden, verneinen die meisten aber, der Tenor geht eher in die Richtung: Dafür kommen wir irgendwie doch auch hierher. Sehr positiv gewürdigt wird auch der Verzicht auf typische Kanzelsprache (deren Anteil ich beim Hören doch stärker finde als erhofft).
Die meisten kritischen Anmerkungen beziehen sich auf den Umgang mit dem Mikrofon, stellenweise sei in manchen Teilen der Kirche nichts zu hören gewesen. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches in dieser Kirche, und ich würde mir wünschen, die Gemeindeglieder hätten mehr Mut, sich bemerkbar zu machen.
Manche überlegen aber auch in eine ähnliche Richtung wie ich, halten die Kanzel tendenziell für ungeeignet und schlagen das Mikro im Altarraum vor (das auch weitaus besser funktioniert) - "dann können Sie viel mehr mit dem ganzen Körper arbeiten". 

Mir fällt noch einmal der Umgang mit der Publikumswertung bei Poetry Slams ein: Die höchste und die niedrigste Punktzahl werden nicht mitgezählt, um Parteilichkeiten, Unpässlichkeiten und Grundsatzkonflikte nicht allzu viel Einfluss zuzugestehen. Eine einzelne Rückmeldung ist nur negativ, wird aber, das finde ich sehr hilfreich, äußerst wertschätzend vorgetragen. Der/die Betreffende würdigt den Wortwitz, findet aber, dass die "Botschaft" oder der "Inhalt" dahinter gänzlich zurückgetreten sei. Die ihm/ihr Nachfolgenden widersprechen energisch, aber ich möchte die dahinter stehenden Befürchtungen und die Sorge um die inhaltliche Qualität der gottesdienstlichen Predigt sehr ernst nehmen, und gleichzeitig in der Zusammenfassung der Rückmeldungen nicht überbewerten. Denn es scheint mir hier um eine grundsätzliche Anfrage an ungewohnte (unerhörte?) Predigtformen zu gehen. Solche (höflich ausgedrückt) "grundsätzlichen Anfragen" habe ich selbst auch - wenn ich in einem Gottesdienst zum Beispiel mit einer Sprechmotette belästigt werde, dann werde ich diesen Gottesdienst blöd finden, egal, was da sonst noch alles gelaufen ist. 

Unterm Strich: Die allermeisten Rückmeldungen waren wirklich positiv, und ich gehe mit einem warmen Gefühl nach hause. Nicht, weil ich meine eigene Performance so gediegen fand, sondern weil ich davon gerührt bin, wie sehr unsere Gemeindeglieder bereit sind, mit uns Predigenden unterwegs zu sein, wie sehr auch sie von Fragen um die Zukunft ihrer Kirche bewegt sind. Und das macht mir Mut, mich auch mit unfertigen Gedanken und Formen auf die Kanzel zu stellen.


MEIN FAZIT.

In einem Satz? Ich würd's wieder tun. Und werde es auch, am nächsten Sonntag. Ein Gottesdienstbesucher stellte fest, dass der Text von gestern (Mk 4) für so eine Art der Performance nun auch auch sehr geeignet sei. Jetzt am Sonntag ist der zweite Petrusbrief dran - ich seh mal, was der kann. Ich werde mir auch überlegen, ob ich nicht die Kanzel verlasse. Gleichzeitig ist klar, dass nicht jede Sonntagspredigt jetzt so sein kann und soll - darum ging es ja von Anfang an auch gar nicht. Aber ich möchte mich weiter inspirieren lassen von den Wortkünstler_innen der Slam-Bühnen. Und ich überlege im Hinterkopf, ob man da nicht ein Format für Jugendgottesdienste draus entwickeln kann, drei Slammer_innen, die zu jeweils einen eigenen Text zu einem vorgegeben Thema oder Bibelvers performen. Nicht als die bereits bekannte Form "Pfarrer_innen gegen Poetryslammer_innen", sondern als genuine Predigtform. Mal sehen, wo die Gedanken noch hinwollen. Hintergrund dieser Überlegungen ist auch, dass mich generell frage (gut reformiert möchte ich ja die Liturgie immer der Predigt unterordnen), welcher liturgische Rahmen da passen würde.

Den oben hinterfragten "Zwang zur Subjektivität" finde ich bei näherer Betrachtung gar nicht so schlimm. Als Prediger kann ich mir ein bisschen Freiheit davon gönnen, indem ich relativ viel zitiere, parafrasiere, parodiere, mich auf Bewährtes stützen kann - und ich finde, dass so Worte aus der Tradition, Gesangbuchverse, aber auch Bibeltexte (schon allein so eine Wortkette wie "Wunder-Rat! Gott-Held! Ewig-Vater! Friede-Fürst!" drängt ja zur Performance!) noch einmal neu zu Gehör gebracht werden können. 
Das Gebot der Subjektivität bringt mich aber auch dazu, persönlich zu werden. Das ist immer ein Balanceakt, weil es immer auch die Gefahr gibt, zu privat und damit für die Zuhörenden entweder belanglos oder übergriffig zu werden, aber das Problem scheint es beim Poetry Slam auch zu geben. Und es ist ja durchaus bekannt, das Predigthörende auch die persönliche Auskunft der/des Predigenden darüber schätzen, wie er oder sie den Glauben im Alltag lebt - oder auch daran scheitert. In oben erwähnter Doku findet Maximilian Humpert, selbst sehr profilierter Slammer aus Remscheid, es "generell immer gut bei Slams, wenn Leute persönlich werden. Ich mag das einfach, wenn man merkt, dass die Leute das gerade wirklich so meinen, weil [...] wenn sich etwas echt anfühlt, dann berührt mich das mehr [...] und ich freue mich darüber, wenn Leute sich das trauen.

Wie bereits weiter oben erwähnt, glaube ich, dass das Maß an Authentizität, das die Besucher eines Slams den Performenden zusprechen, stark von der Selbstanmoderation und dem Vortragsstil abhängen. Ich glaube, dass viele dieser Sprachformen schon eine gewisse Stufe der Ritualisierung oder (im nur gut gemeinten Sinne) Schablonisierung erreicht haben und bestimmte Wendungen oder Klangmuster direkt am Anfang den geneigten Zuhörenden signalisieren: Jetzt wird es echt und bedeutsam. Und bei mir wirklich offen ist da die Frage nach liturgisierten Grußformeln. Ich ahne eine Relevanz, eine spezifisch theologische Form des understatements darin, dass man sich als Prediger_in das erste Wort nehmen lässt und, zumindest formelhaft, der Bibel den Vortritt lässt. Aber ich frage mich auch, ob es nicht Menschen gibt, für die man sich gerade damit von vorneherein disqualifiziert. Auch deswegen bin ich schwer dafür, mit Sprachformen, Tonfällen und Vortragsweisen zu experimentieren.

Was mich auch noch begleitet, ist die Frage nach dem Open-Mic-Prinzip der meisten Slams (Meisterschaften ausgenommen): Wer kann, der darf. So etwas fehlt bei uns schlicht und ergreifend. Wenn ich mir das endlose "Zeugnisgeben" in manchen Freikirchen anhöre, finde ich das auch gar nicht schlecht - aber der Grundsatz beim Poetry Slam, auch unbekannten Autor_innen und Talenten eine Bühne zu geben, lässt mich doch noch einmal erneut fragen, wie es denn um unser Priestertum aller Gläubigen im Gottesdienst eigentlich bestellt ist.

Und zum Abschluss: Ich predige gern. Sehr gern sogar. Und ich mag es, mit einem biblischen Text unterwegs zu sein, damit zu ringen, zu sehen, was er mit mir und ich mit ihm mache. Und doch habe ich seit langem nicht mehr mit so viel Spaß an einer Predigt gesessen. Das war richtig Arbeit, und andere Dinge sind dafür liegen geblieben. Aber, hey, das finde ich dann irgendwie auch wieder angemessen. Ich würd's wieder tun.

1 Kommentar:

  1. Ganz großes Kino, diese Text! Macht Lust, es selber zu probieren! Und ist ein wunderbarer Einstieg in das Thema "Poetry Slam und die Sonntagspredigt", demnächst in Villigst oder werweißwo...
    Referent: Pfr. Py., der von mir mehr und mehr geschätzte Kollege.
    Weiter so!

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