Donnerstag, 20. Februar 2014

Sieben Wochen ohne Theaterdonner

Der Kirchengeschichtler frohlockt über die quasi-reformationszeitlichen Verhältnisse: Wittenberg ruft - und alle schreien. Das Zentrum für evangelische Predigtkultur schlägt eine Fastenaktion vor: Sieben Wochen ohne große Worte. Das Ganze ist gewissermaßen verpartnert mit der diesjährigen Fastenaktion der EKD, die ihrerseits unter dem Motto Sieben Wochen ohne falsche Gewissheit "raus aus fragloser Routine und halben Wahrheiten, zum Nachfragen und Neudenken locken" möchte. Das Predigtzentrum schlägt vor, in der Fastenzeit asketisch mit den "großen Worten" umzugehen, jenen geprägten Begriffen aus Frömmigkeit und Theologie, die im fachwissenschaftlichen Diskurs unumgänglich sind, auf der Kanzel bedeutungsschwanger daherkommen, aber oft genug, wie es Dietmar Wischmeyer und Oliver Welke in ihrem übrigens sehr empfehlenswerten Buch Frank Bsirske macht Urlaub auf Krk. Deutsche Helden privat (Berlin 2013, 108ff.) so hübsch ausdrücken, letztlich nur "dieses nickende Wissen [...] bei den Schäfchen" und "dieses unnachahmbare Wir-Gefühl der Ahnungslosigkeit, für das sie alle so lieben" verursachen. Die Begründung ist so simpel wie einleuchtend, das Ziel so ehrenhaft wie nachvollziehbar:
"Kaum eine Predigt kommt ohne Große Worte aus: Barmherzigkeit, Hoffnung, Kreuz … Manchmal funktionieren sie wie Platzhalter, aus denen die Inhalte längst ausgewandert sind. Die Predigtsprache gerinnt in Substantiven. Wie kann sie wieder lebendig, anschaulich und konkret werden?"
(So formuliert auf der Begleithomepage des Projekts: www.ohne-grosse-worte.de)

Wer mitmachen möchte, kann sich eine Karte zuschicken lassen, auf der die 49 großen Begriffe, die es zu vermeiden gilt, abgedruckt sind:

(c) Zentrum für evangelische Predigtkunst

Vielleicht vorneweg: Man kann, was die Auswahl der Begriffe im Einzelnen angeht, sicherlich geteilter Meinung sein. Ich zum Beispiel finde, dass Gott und Jesus keine Begriffe, sondern Namen sind. Und sicherlich betreffen betreffen manche Begriffe die eigene Predigtpraxis mehr als andere - das ist aber im Übrigen bei allen Fastenempfehlungen so: In manchen neo-orthodoxen Gemeinden gehört es vor der Fastenzeit fast zum guten Ton, einander zu informieren: "Ich faste auf..." Ich war bei sowas immer fein raus und habe zum Beispiel "auf" Kaffee und Zigaretten gefastet. Ich war auch meistens einer der wenigen, der das komplett die sieben Wochen durchgehalten hat, was bei einem bekennenden Kaffeehasser und Nichtraucher auch keine große Kunst ist. Aber im Großen und Ganzen ist das doch eine ganz hübsche Idee, eine Art rhetorisches Trainingsprogramm (wie ja im Protestantismus generell das Fasten eher eine freiwillige und nach Bedarf zu definierende und dosierende geistliche Übung ist). Und ein auf eine überschaubare Zeitspanne angelegtes Experiment in einer Zeit, in der ansonsten oft und gern gerade die "großen Worte" explizit zum Thema gemacht werden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dachte ich. 

Haha. Denn dann ging es los in den sozialen Medien, meist erst dann, wenn traditionelle reaktionäre Bedenkenträgermedien die Meldung entdeckt und sich ausführlichst darüber ausgelassen hatten. Ich zitiere mal meine Lieblingsstellen - dass es sich hierbei um Originalzitate handelt, möge man mir einfach glauben, ich verzichte auf genaue Quellenangaben, weil ich finde, dass es ein Akt der Nächstenliebe ist, Menschen nicht auf jeden Mumpitz, den sie in den Äther blasen, festzulegen:
"Die spinnen doch diese Protestanten seit jeher..." 
"Die EKD ist seit 50 Jahren nicht mehr ernst zu nehmen - und in 100 Jahren eh vollkommen verschwunden. Also, wen kümmerts?" 
"Den Gemeindegliedern, deren Pfarrer sich daran halten wollen, kann ich nur empfehlen: Fastet vom Gottesdienstbesuch. Das Opfer, das ihr dabei bringt, wäre wahrscheinlich nicht allzu groß." 
"Mit ihrer "Roten Liste" können die EKD Glaubensfastenden _kein_ Glaubenszeugnis über Jesus Christus ablegen, aber über Wotan und Thor können sie ja dann ganz unverbindlich plaudern. Chapeau !" 
"Man sollte dem Potestanten sagen es wäre besser für ihn gewesen, bis Ende der Fastenzeit ganz zu schweigen, oder mal bei den Kirchenvätern sich zu informieren, oder wenigstens mal 40 Tage so zu fasten wie es 400-1500 n.Chr alle Christen gemacht haben. Wenn der Computer mit Viren befallen ist, muss man das System neu installieren, sollte aber tunlichst vermeiden andere damit anzustecken." 
Und so weiter. Das große Übel von web 2.0 ist ja, dass es vielen Zeitgenossen vom unangenehmen Typus des "Leserbriefschreibers" eine bis dato nicht gekannte Öffentlichkeit bietet und suggeriert, dass jedwedem Flackern im Großhirn automatisch der Rang einer begründeten Meinung zukommt. Aber als demokratisch-freiheitlich gesinnter Mensch sagt man sowas natürlich nicht laut, sondern fragt sich im Stillen, ob verbaldiarrhöinduzierte Hyperemesis als Berufskrankheit durchgeht, seufzt so vor sich hin und macht ein paar Fleißaufgaben, weil ja niemand am eigenen Beißreflex ersticken soll. Also:

WIE WAR DAS NOCHMAL MIT DER KANZELSPRACHE?


Alle, die in der Initiative per se Abzulehnendes, da Neuartiges und den damit unvermeidlich verbundenen Untergang des christlichen Abendlandes zu wittern meinen, seien hiermit beruhigt. Ich zitiere einfach mal aus ein paar Jährchen Predigtratgeberliteratur:

(c) zazzle.de
"Theologische Stilistik verklausuliert, verschließt die Predigt, statt ihren Inhalt zu verstehen zu geben. [...] Sofern die semantische Welt, aus der der Prediger seine Formulierungen bezieht, keine Einstiegsmöglichkeiten bietet, gewinnt sie für den Hörer auch nicht an Gestalt; die "existiert" für ihn nicht. Der Prediger führt zwar vor, wie gewandt er sich in seiner Welt bewegen kann; aber dem Hörer signalisiert er damit unter Umständen - und ohne es zu wollen -, daß das Ganze wohl eine Nummer zu hoch und der Glaube letztlich eine Sache für "Auskenner" ist. [...] Ein solcher Predigtstil liegt in dichter Nachbarschaft zu christlich-religiöser Phraseologie, in der man nur noch vage eine theologische Motiviertheit, geschweige denn eine im Evangelim begründete Predigtintention erkennen kann. [...] Dieser Stil ist sowohl in semantischer wie in theologischer Hinsicht als eine Art Rauschen zu beschreiben, das es nicht möglich macht, Genaueres zu verstehen, das aber ständig vorgibt, daß es etwas zu verstehen gebe. [...] Was im Rahmen theologischer Systeme plausibel ist, kann außerhalb dieses Systems völlig unverständlich sein. Freilich - auch solches Reden bleibt nicht ohne Wirkung; es kann z.B. zur faktischen Exkommunikation der Predigthörer führen, also eine 'asoziale Note' haben. Wer sich der 'Sprache Kanaans' bedient, ist sich womöglich der sozialen Komponente sprachlichen Handelns nicht hinreichend bewußt."
(Wilfried Engemann, Einführung in die Homiletik, Tübingen/Basel 2002 [UTB 2128], 34-36.328f.)

"Spreche ich so, dass es auch mein Nachbar verstünde, mein Hausarzt oder der Schaffner im Bus? Oder rede ich im frommen Jargon? [...] Dagegen ist in manchen, unterschiedlichen kirchlichen Milieus ein Jargon üblich, der für Außenstehende nicht nur schwer verständlich ist, sondern obendrein abstoßend. Da wird z.B. in der Sprache der Lutherbibel geredet [...]. Da werden die sonst aus der Sprache längst ausgewanderten grammatischen Endungen munter weiter gebraucht [...] Natürlich wissen wir auch alle, wer der "reiche Jüngling" und die "blutflüssige Frau waren. Die "Epheser" sind uns so vertraut wie der FC Bayern. Wir danken Gott nicht, wir bitten ihn: "Hab Dank..." [...] Die Reihe ließe sich nahezu brenzenlos fortsetzen. Abgesehen von der Unverständlichkeit für nicht Eingeweihte ist die Gefahr des frommen Jargons die uneingestandene gedankliche Unklarheit: Ich benutze unter Umständen Begriffe, die Klarheit suggerieren ("Heil", "Sünde", "Barmherzigkeit", "Gerechtigkeit"), bei näherem Hinschauen aber alles andere als klar sind." 
(Michael Herbst/Matthias Schneider, ...wir predigen nicht uns selbst. 
Ein Arbeitsbuch für Predigt und Gottesdienst, Neukirchen-Vluyn ²2002, 159f.)

"[V]ielleicht ist die Korrektheit das eingefleischteste Laster der Prediger. Ich hege den Verdacht, daß der Korrektheit eine ungezählte Zahl von Seelen geopfert werden, und ich erhebe Protest gegen eine eine Menschen opfernde Korrektheit. [...] Der Gegensatz zu Korrektheit heißt darum auch nicht Schlampigkeit, sondern Freiheit. Korrekte Predigten sind unfrei und ohne befreiende Kraft. Korrektheit riecht immer ein wenig nach Gefängnis und Gefangenschaft. [...] Artikuliert sich solche Gefangenschaft auf der Kanzel, weht Gefängnisluft in die Gemeinde. In solcher Gefängnisluft erstickt das Evangelium. Dann hören Mencshen vielleicht eine Predigt über das Evangelium, das Evangelium selbst bleibt stumm. Dies nenne ich die Menschen opfernde Korrektheit: dem Prediger ist es wichtiger, richtig zu predigen, als daß Menschen zur Freiheit kommen und über dem Evangelium froh werden. Seien Richtigkeit kommt vor der Rettung der andern. - WIll man solch predigende Korrektheit theologisch erklären, wird man sie als "Dienst des Buchstabens" verstehen, der damit beginnt, daß der Prediger sich von Regeln beherrschen läßt, statt daß er sie beherrscht. Im Endeffekt macht er aus dem Evangelium Gesetz und aus dem Gesetz Gesetzlichkeit. [...] Die Beliebigkeit und Häufigkeit einer auf der Kanzel gebrauchten Wendung sagt nichts aus über ihre Wahrheit, wohl aber verrät jede Floskel eine Wahrheit, indem sie eine Aussage macht über die Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Predigers."
(Rudolf Bohren, Predigtlehre, Gütersloh [1980] 61993, 403.416)

"Es ist gutt, das einer nur predige iuxta analogiam fidei. Ad simplicem modum contionandis e omnes contionatores debent assuefacere, und sollen bey sich beschließen, das sie predigen jungen, unvorstendigen leuten, pawern, die eben so wenig vorstehen als die jungen under 12, 13, 14, 20 jaren, denen man allein predigt. Das ist auch der grosseste haufe. Das dieselbige vorstehen ader etwas daras fassen mugen und ihr leben beßern. [...] Man sol sich aldohin accomodiren ad auditores, und das feilet gemeinglich allen predigern, das sie predigen, das das gemeine volck gar wenig daraus lerne. [...] Einfeldig zu predigen, ist eine große kunst. Christus thuts selber; er redet allein vom ackerwerck, vom senffkorn, und brauchet eitel grobe, pewrische similitudines."
(Martin Luther, Tischrede vom 23. Juli 1539, in: WAT 4, 447).



Halten wir das doch erstmal fest: Die Warnung vor unverständlichen Phrasen, und klingen sie auch noch so biblisch, ist so alt die das Nachdenken über die evangelische Predigt selbst. Und: Die Wahrheit einer Predigt bemisst sich nicht an der Anzahl der in ihr behaupteten theologischen Richtigkeiten, die charakterlich entsprechend disponierte Menschen mit Bademeisterfrömmigkeit auf einer internen Checkliste abhaken können. Die Problematik hat Peter Bukowski (Predigt wahrnehmen. Homiletische Perspektiven, Neukirchen-Vluyn (4)1999, 149) schön auf den Punkt gebracht: "Jeder Predigthörer kenn den Effekt, den Passagen dieser Art bei ihm auslösen. Man kann (im besten Fall) den Eindruck, es war alles richtig, ja man hätte jeden Satz unterschreiben können, und doch hat einen das Gehörte nicht angesprochen. Warum nicht? Weil man das alles so oder so ähnlich schon oft gehört hat. Wenn wir nach solchen Predigten sagen: 'Heute war wieder alles richtig', dann verstehen wir 'richtig' als Schimpfwort. Das liegt daran, daß sich Aussagen - unbeschadet der Sachgemäßheit ihres Inhalts - abnutzen. Informationen sind nämlich nicht konservierbar, im Gegenteil, sie büßen mit dem Grad ihrer Bekanntheit von ihrer Wirkungskraft ein."

Soviel erstmal zur sprachlichen Korrektheit der Predigt. Aber da ist ja noch die Sache mit dem Fasten.



WIE WAR DAS NOCHMAL MIT DEM FASTEN?


Manche Kritik entzündet sich an dem Missverständnis, das Zentrum für evangelische Predigtkultur wolle als Einrichtung der EKD den in den Gliedkirchen Predigenden irgendetwas vorschreiben. Es ist ein bisschen langweilig, dass man das immer wieder betonen muss, aber es sei trotzdem gesagt: Dazu gibt es überhaupt kein Mandat - und deswegen auch keinen Grund zur Sorge. Die Kirchenordnung stellt nämlich eindeutig fest: "Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind im Rahmen der kirchlichen Ordnung in der Verkündigung und in der Seelsorge selbstständig" (Art 51, Abs 1 KO.EKIR).

Davon abgesehen, lohnt (wie immer!) der Blick in die Kirchen- und Theologiegeschichte 
 - was sich die Reformatoren zu dem Thema gedacht haben, ist durchaus anregend. Die hatten ja überhaupt nichts gegen Askese, eher im Gegenteil. Ihre Kritik richtete sich nur gegen das Fasten als Pflichtübung spätmittelalterlicher Frömmigkeit und gegen das Missverständnis, es würde daran, wie wir vor Gott stehen, im Kern irgendetwas ändern - sie konnten sich dabei u.a. auf Jesaja 58 berufen. Huldrych Zwingli etwa stellt in seiner Schrift Von Erkiesen und Freiheit der Speisen (1522) fest, dass keine kirchliche Obrigkeit das Recht hat, den Gläubigen das Fasten aufzuerlegen: "Und sind wir under kein gsatz verbunden, denn das gsatz der liebe, und fryheit der spysen schadt der liebe des nächsten nüt, so sy recht gelert und erkent wirt, so sind wir demselben gbott oder gsatzt nüt schuldig."

In CA XXVI stellen die Reformatoren fest, "daß ein jeglicher schuldig ist, sich mit leiblicher Übung, wie Fasten und anderer Arbeit, so zu halten, daß er nicht Ursache zu Sündigen gebe, nicht, daß er mit solchen Werken Gnade verdiene. [...] Und wird also nicht das Fasten verworfen, sondern daß man ein notigen Dienst daraus auf bestimmte Tage und Speisen, zu Verwirrung der Gewissen, gemacht hat." Die CA liegt damit ganz auf der Linie Luthers, der im Kleinen Katechismus etwas eingängiger schreibt: "Fasten und leiblich sich bereiten ist zwar eine feine äußerliche Zucht; aber der ist recht würdig und wohl geschickt, wer den Glauben hat an diese Worte: Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden", an anderer Stelle, im Sermon von den guten Werken, ausdrücklich vor geistlicher Überanstrengung warnt und daher rät: "[W]enn er fände, dass ihm vom Fasten der Kopf wüst und toll oder der Leib und der Magen verderbt würde […], so soll er das Fasten ganz gehen lassen und essen, schlafen, müßig gehen, so viel ihm zur Gesundheit nötig ist."

UNTERM STRICH...


... gilt also wieder einmal der gut paulinische Grundsatz: Prüfet alles und behaltet das Beste. Will sagen: Die Fastenaktion ist eine gute und, wie ich finde, inspirierende Möglichkeit, die eigene Predigtpraxis auf ihre Floskellastigkeit und Lebensnähe hin zu überprüfen. Dass das einfach wird, hat ja niemand behauptet - und wer trotz Nachtschichten und wortschöpferischer Schwerstarbeit am Schreibtisch immer noch große Worte in seinem Manuskript findet, der möge doch bitte, ehe "dass ihm der Kopf wüst und toll oder der Leib und der Magen verderbt würde, essen und schlafen" gehen.

Und wem der Kamm immer noch nicht abgeschwollen ist, wer immer noch meint, sich schon über Predigten ärgern zu müssen, die noch gar nicht geschrieben sind, dem sei an dieser Stelle empfohlen, sich an anderer Stelle in Askese zu üben:



2 Kommentare:

  1. Danke mit 7 Ausrufezeichen!!!!!
    Leider ist ja des Theaterdonners derzeit kein Ende...

    AntwortenLöschen
  2. Lieber Kollege,

    herzlichen Dank für diesen Artikel!
    Es lohnt eben doch, mal etwas genauer hinzuschauen.

    Ich habe mir vorgenommen, in den nächsten Wochen mal die "Rote Liste" durchzugehen und die Begriffe für mich durchzubuchstabieren.

    Liebe Grüße aus Hessen Nassau
    Uwe Hermann

    AntwortenLöschen