Donnerstag, 6. März 2014

Von Fallhöhen und heiligen Kühe - die Geschichte eines nichtgedruckten Cartoons

Huiuiui. Es wird scharf geschossen bei Kirchens. Stein des Anstoßes ist ein Cartoon, den ich für die westfälisch-evangelische Wochenzeitung Unsere Kirche (UK) gemacht hatte, der gestern über Facebook geteilt wurde und zu verhältnismäßig heftigen Diskussionen geführt hat. Hier ist das gute Stück:



Wie gesagt: Die Diskussion wird an manchen Stellen mit einiger Schärfe geführt. Da ist die Rede von "Herabwürdigung", von einer "erbärmlichen Karrikatur [sic]" und so weiter. Ich finde es gar nicht so schlimm, wenn Cartoons Anlass zu hitzigen Diskussionen bieten - das unterscheidet Karikatur, Satire und Kabarett von Bilderwitz, Schwank und Komödienstadl: Die letztgenannten Kunstformen sind ihrer Intention nach auf Breitenwirkung ausgelegt und arbeiten deswegen mit Pointen und Bezugsgrößen, die weitgehend konsensfähig sind, während die erstgenannten humoristische Überspitzungen nutzen, um kritische Akzente zu setzen und/oder Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen - und damit Parteilichkeit riskieren.

Nach gängigen rezeptionsästhetischen Maßstäben habe ich als Urheber keine Deutungshoheit über das Endprodukt. Aber ein paar Bemerkungen werde ich mir ja doch erlauben dürfen:

Vielleicht zuallererst: Eine Pointe zieht ihr komisches Potenzial aus der Fallhöhe, das heißt aus der Diskrepanz zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Reaktion. Als Faustregel könnte man formulieren: Je geringer bei den Protagonisten die Fähigkeit zur Selbstdistanz und das Bewusstsein von Ambivalenz ausgeprägt ist, desto leichter fällt es, sie zu komischen bis hin zu grotesken Figuren zu stilisieren. Das macht es gerade bei Kirchens oft einfach, den Finger in die Wunde zu legen - weil wir generell alles, was wir sagen und tun, furchtbar ernst meinen.

Der Cartoon macht über keines der beiden benannten Phänomene eine inhaltliche Aussage, weder über den Karneval, noch über den Weltgebetstag "an sich". Aber er thematisiert eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, zwischen Innen- und Außenperspektive, zwischen Anspruch und Wirkung. Ob man den Cartoon witzig findet, entscheidet sich damit vor allem daran, ob man eine solche Diskrepanz wahrnimmt oder nicht. Sprich: Wer im eigenen Arbeitsfeld überwiegend beglückende, tiefgehende, bewegende Erfahrungen mit dem Weltgebetstag gemacht hat, wird an dem Cartoon nichts Lustiges finden. Das ist nichts Schlimmes, im Gegenteil: Das zeigt ja, dass nicht überall diese Diskrepanz erlebt wird und dass sich das Konzept immer wieder als tragfähig erweist. Der Cartoon sollte diese Möglichkeit im Rahmen der zeichnerischen Möglichkeiten zumindest offen lassen: Die Protagonistinnen sind individuell kostümiert, haben also im Vorfeld ein hohes Maß an Eigeninitiative entwickelt - und sind offenbar bester Laune. 
Kleiner Schlenker am Rande: In einer Facebookdiskussion war es einem Kollegen wichtig zu betonen, dass der "Weltgebetstag [...] nicht karnevalistisch" sei. Abgesehen davon, dass da offenbar eine tradierte protestantische Karnevalsskepsis eine Rolle spielt, würde ich widersprechen. Wenn etwa in der Liturgie des Weltgebetstagsgottesdienstes deutsche Frauen um der Unmittelbarkeit der Identifikation Willen Texte in der Ich-Form vorlesen ("Mein Name ist Fatima, ich bin eine junge Frau aus Marokko" oder ähnliches), dann sind das karnevaleske Elemente in Reinform, nämlich als Spiel mit Identitäten. Ob solche Elemente ihr im Kern subversives Potenzial voll entfalten können, hängt wiederum davon ab, inwieweit die Vorbereitenden und die Ausführenden bereit sind, sich auf ein solches Spiel einzulassen.
Nun gibt es aber eben Menschen, die den Cartoon lustig finden. Und die kennen die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit offenbar aus eigener Erfahrung. Aus meiner Perspektive heraus sind das nicht gerade wenige - aber, und deswegen überraschen die heftigen Reaktionen letzten Endes auch nicht, es gibt zumindest auf Gemeindeebene so gut wie keine öffentlichen Diskussionen über den Weltgebetstag, weder über das generelle Für und Wider, noch über eine den lokalen Möglichkeiten und Bedürfnissen angemessene Gestaltung.

Von daher ist es vollkommen nachvollziehbar, dass manche den Cartoon weniger witzig finden als andere. Nachdenkenswert und, das will ich gar nicht verhehlen, problematisch erscheint mir aber, wenn Kritiker_innen die Möglichkeit einer Diskrepanz zwischen Idee und Umsetzung überhaupt nicht in Erwägung ziehen, wenn die Institution als Gesamtheit von Idee, Vorbereitung und Durchführung plötzlich als unantastbar erscheint und durch dicke Mauern aus programmatisch gestelzten Grundsatzerklärungen reflexartig geschützt werden muss: 


Das ist der lobenswerte Anspruch, ohne Zweifel. Ob aber diese Ziele de facto erreicht werden, hängt je und je auch von der Umsetzung ab. Und in der ecclesia semper reformanda muss jede Organisations- und Handlungsform grundsätzlich und ergebnisoffen diskutiert werden können, sonst verlassen wir unsere reformatorischen Grundlagen. Das gilt auch für den Weltgebetstag. Nicht so sehr für seine konzeptionellen Ausgangspunkte und Ziele - die sind im Übrigen äußerst lesenswert und, darüber dürften wir uns einig sein, im Kern ohne weiteres aus dem Evangelium ableitbar. Aber sehr wohl für die praktische Umsetzung dieser Ziele. 

Der Cartoon wendet sich nicht gegen den Weltgebetstag als solchen - höchstens gegen Eigenheiten der Umsetzung, die nach Meinung des Zeichners der (pardon my french) Marke empfindlich schaden können, die aber kaum öffentlich diskutiert werden. Und damit verbunden vor allem gegen eine kirchliche Diskussionskultur, der jeder Sinn für Humor und damit für die Ambivalenzen des Lebens abhanden kommt. Das passiert, zum Beispiel dann, wenn bestimmte Institutionen unter der Hand zu heiligen Kühen erklärt werden, die nur etwas krampfig umtanzt und bierernst gestriegelt, nicht aber hinterfragt, geschweige denn zum Gegenstand humoristischer Auseinandersetzungen gemacht werden dürfen. Für ein kirchliches Milieu, das sich allenthalben die "Freiheit" auf die Fahnen schreibt, ist das peinlich und sehr schwach. Und es ist schade, denn auf diesem Weg wird der Weltgebetstag, einer der weltweit größten laikalen und interkulturellen Bewegungen, zumindest in Deutschland aussterben, weil jenseits der gut vernetzten Ökumene- und Genderreferate die Trägerkreise zunehmend vergreisen und vereinsamen.

Dass die UK den Cartoon nicht abgedruckt hat, ist aus politischen und ökonomischen Motiven verständlich. Bedauerlich ist es ein bisschen, weil die Debatte so wieder nur auf einen inner circle begrenzt bleibt. Für mich war die kurze Diskussion trotzdem interessant, weil ich etwas über Tabuisierungsmuster und Unantastbarkeitsregeln im binnenkirchlichen Diskurs gelernt habe. Da harrt noch Vieles der humoristischen Aufarbeitung, und das Thema ist spannend genug, um es mit (täterä!) dem hundertsten Blogeintrag der Kirchengeschichten zu würdigen. 



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