Donnerstag, 10. April 2014

Gottesdienst "feiern"?

Der FeierSchleiermacher
Das im kirchlichen Sprachgebrauch dem Substantiv Gottesdienst entsprechende Verb ist feiern. Soweit ich sehen kann, ist diese enge Verbindung recht neu; im achten Band des Grimm'schen Wörterbuchs von 1958 taucht sie noch nicht auf, als historisch gebräuchliche Varianten werden dort tun oder erweisen und ähnliches genannt. Der Siegeszug des Verbs ist ohne weiteres: "Feiern" ist eindeutig positiv besetzt, außerdem vermag es das gemeinsame Tun von Liturgen und Gemeinde in ein einziges Wort zu fassen und klingt darüber hinaus nicht so technokratisch wie etwa "abhalten". Als einer der Kronzeugen wird in aller Regel Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) ins Feld geführt, der den Gottesdienst als "Fest" verstand, denn:
"Wenn die Menschen sich, indem sie die Arbeit und das Geschäft sistiren, in größeren Massen zu einer gemeinschaftlichen Thätigkeit vereinen, so ist das ein Fest."
Ein solches Gottesdienstverständnis schwingt mit, wenn es etwa auf der Website der Evangelischen Landeskirche in Württemberg heißt:
"Gottesdienst feiern heißt innehalten, den Alltag zu unterbrechen und die Seele mal wieder durchatmen zu lassen. Singen, Beten und Hören ist angesagt. Eine Einladung das Leben für eine größere Dimension zu öffnen. Eine Einladung, nicht im Vorletzten stehen zu bleiben, sondern dem Eigentlichen Raum zu geben. Menschen kommen so wie sie sind – mit ihrer Angst und Traurigkeit, ihrem Schmerz und Zweifel, ihrem Suchen und Fragen, ihrer Freude und Zufriedenheit. Durch das, was sie aussprechen, und durch das, was ihnen zugesprochen wird, sollen sie eine befreiende Erfahrung machen können."
Man kann darüber sicherlich darüber diskutieren, ob das eine angemessene Charakterisierung des Gottesdienstes ist, ob hier nicht ein wenig unterbestimmt, vielleicht sogar banalisiert wird. Aber darum soll es im Moment nicht gehen. Auch nicht um die (wie ich finde höchst interessante und m.W. namentlich von Falk Wagner gestellte) Frage, inwieweit sich die Kirche mit der häufigen Betonung des nötigen Ausstiegs aus dem Alltag nicht unbewusst und ungewollt spätkapitalistischen Verzweckungsmechanismen unterwirft - die Soziologie weiß einiges darüber zu erzählen, dass Ventilsitten und dergleichen letzten Endes immer der Befestigung bestehender Machtverhältnisse dienen.

Mein Problem ist: Ich weiß nie so richtig, was eigentlich gemeint ist, wenn in Diskussionen über Gottesdienstformen und -traditionen der Einwurf kommt: "Aber der Gottesdienst wird doch gefeiert!", wenn also die eigentlich funktionale Definition plötzlich in eine inhaltlich-ästhetische überführt wird. Heißt das, es möge bitte möglichst "feierlich" zugehen, also, nach Definition des Dudens, "der Würde des Augenblicks Rechnung tragend, würde-, weihevoll, erhebend", in Worten und Gestik "emphatisch, nachdrücklich"?

Das ist für mich eine offene Frage - ich freue mich über alle Anregungen! 

Jedenfalls: Grundlegend sind, auch in der liturgischen Forschung, meistens Theorien über das Fest, denen in aller Regel gemeinsam ist, dass sie von Unterbrechungen des Alltags und ähnlichem ausgehen. Bei der Arbeit an der Diss ist mir letzte Woche aufgefallen, dass in der Soziologie mitunter zwischen Fest und Feier unterschieden wird. Unter einer "Feier" versteht etwa Winfried Gebhardt eine 

"Form der Vergesellschaftung […], in der wertrationales Handeln institutionalisiert ist, und folglich alltägliche Wirklichkeit in ihrer Bedeutung für den einzelnen und die Gesamtheit der Feiernden bewußt gemacht wird."

Ich kann hier nichts zu Ende Gedachtes präsentieren - aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass damit auch Aspekte zumindest des real Sonntag für Sonntag "gefeierten" Gottesdienstes adäquat beschrieben werden?

3 Kommentare:

  1. Mir fallen zu der Frage zwei Punkte ein:
    1. Der (evangelische) Gottesdienst hat als Zentrum die Verkündigung der "frohen Botschaft". Er ist kein Gottesdienst in dem die Menschen nur ihre Sünden bekennen, sondern er ist Zuspruch des Heils.
    Von daher ist ein freudiges Ereignis, also etwas was man feiern kann.

    2. Der Gottesdienst unterscheidet sich durch seine liturgische Form von anderen alltäglichen Ereignissen / Ritualen. Es geht nicht nur um den Menschen, sondern auch um die Erfahrung von Heiligkeit, von der Gegenwart Gottes.
    Aus diesem Grund unterscheidet sich der Gottesdienst von einer profanen Geburtstagsparty. Er ist in diesem Sinne feierlich.

    Dies ist mein Verständnis warum wir Gottesdienste feiern. Alternative Wörter wären vielleicht: begehen oder zelebrieren, aber die halte ich nicht für so treffend.

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  2. Ich teile dein Unbehagen an dieser Stelle, die funktionale in eine ästhetische Definition zu überführen und das als Kriterium zu nehmen, bestimmte Gottesdienstformen zu kritisieren. Nach meinem Verständnis kann sich das Evangelium in seiner frohmachenden, das Heilige zelebrierenden Weise sowohl in "feierlichen" wie in ausgelassenen, denkerisch oder politisch betonten Formen wiederfinden.

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  3. Ich habe GENAU darüber in den letzten Tagen nachgedacht. Auch nicht zu Ende, aber zumindest dahin, dass (Feier-)Schleiermacher (gefällt mir!), indem er den Gottesdienst als Fest bezeichnet, er ihn als Unterbrechung/Pause sieht.
    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten, die auf "Aber der Gottesdienst wird doch gefeiert!" insistieren, damit genau das meinen: Ein Gottesdienst unterscheidet sichqualitativ vom Alltag, deshalb kann er ihn auch unterbrechen. Ich teile diese Meinung übrigens nicht, denn ich kann mir (soziologisch und theologisch) nicht vorstellen, den Alltag anzuhalten, wenn ich in einen Gottesdienst gehe - mal davon abgesehen, dass ich die Fernbedienung dazu noch nicht gefunden habe...

    Zu deiner Frage: Ja, ich finde, Gebhardt beschreibt damit treffend den (Sonntags-)Gottesdienst. Denn auch wenn ich eine Geburtstags-/Hochzeits-/sonstwasFEIER besuche, wird dort "wertrationales Handeln institutionalisiert", und wenn sie auch nur halbwegs gelungen ist und ich das ein- oder andere gute Gespräch hatte oder gut unterhalten wurde, wird mir spätestens auf dem Nachhauseweg "bewusst, welche Bedeutung alltägliche Wirklichkeit für mich und die anderen hat, mit denen ich gefeiert habe".

    Ich werde noch weiter denken - und vor allem werde ich weiter Gottesdienste FEIERN.

    PS: Ein Presbyter betet in der Sakristei immer "...schließe uns zusammen in dieser Feier des Lebens...". Ich finde, dadurch wird die Kontinuität von Alltag und Gottesdienst treffend ausgedrückt.

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