Sonntag, 3. August 2014

Sammeln. Essen. Und ein Stück weiter. - Predigt über Ex 16,1-3.11-15

(c) M. Hermsdorf / pixelio.de

Die Bibel erzählt viele Reisegeschichten. Geschichten von Leuten, die unterwegs sind – und für Leute, die unterwegs sind. Von einem Ort zum anderen, von einer Lebensphase zur nächsten, auf der Suche nach Gold, nach der großen Liebe, nach dem Sinn des Lebens, nach sich selbst, nach Gott, nach etwas, wofür es sich zu leben lohnt. Diese Reisen sind keine Kaffeefahrten, es geht über Berge und Täler, durch Feindesland, durch Wüsten, und die Geschichten dazu erzählen, was Menschen die Kraft gibt, trotzdem weiterzuziehen, das Bekannte hinter sich zu lassen und das Unbekannte, das, was vor einem liegt, zu suchen. Trotz allem. 

Vielleicht sind einige von Ihnen gerade auf dem Sprung oder schon unterwegs. Irgendwoweg, irgendwohin. zwischen einem schwierigen Abschied und einem ungewissen Neuanfang. Und vielleicht fragen Sie sich gerade, ob es wirklich so gut war, aufzubrechen. Diese Predigt ist für Sie. So, wie die biblischen Geschichten von unterwegs für Leute unterwegs sind. Und deswegen nicht verschweigen, wo es auf dem Weg Probleme gibt: 

Von Elim zogen sie aus und die ganze Gemeinde der Israeliten kam in die Wüste Sin, die zwischen Elim und Sinai liegt, am fünfzehnten Tage des zweiten Monats, nachdem sie von Ägypten ausgezogen waren. Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst. 

Liebe Gemeinde, leiden ist einfacher als Verändern. Das ist eine alte Binsenweisheit aus der Psychotherapie, und etwas, das Sie wahrscheinlich aus Ihrem eigenen Leben kennen: Man richtet sich ein, arrangiert sich, sucht sich Wege, um seinem Ärger Luft zu machen oder ihn hinunterzuschlucken. Da weiß man, was man hat, lieber den Spatzen in der Hand als die Taube auf dem Dach. Ich will das gar nicht alles unnötig schlechtreden, immerhin ist die Fähigkeit zur Anpassung ein Talent, das uns Menschen in der Evolution entscheidende Vorteile beschert hat. Aber manchmal lähmt sie doch, manchmal hindert sie daran, notwendige Veränderungen zu unternehmen und wichtige Schritte Richtung Freiheit zu machen. 

Das Perfide ist ja: Eine zweite große Fähigkeit der Menschen besteht darin, das Vergangene zu beschönigen. Und diese Fähigkeit greift auch dann, wenn man endlich einen Schritt gemacht, eine Veränderung eingeleitet, ein Lebenskapitel abschlossen und ein neues aufgeschlagen hat. Und dann die ersten Schwierigkeiten kommen. Dann lockt das Alte, das eigentlich Abgeschlossene, und früher war doch, wenn vielleicht nicht alles besser, so doch auch nicht alles schlecht. 

Bei den Israeliten schleicht sich diese Einsicht ein, als sie in der Wüste unterwegs sind. Sie schleppen sich durch den heißen Wüstensand, die Zunge klebt am Gaumen, der Magen knurrt und die Luft flimmert in der Hitze. Und einer fängt an zu murren, und die ganze Stimmung kippt. In der Auslegungsgeschichte dieser Wüstenwanderung sind die Israeliten meist die Bösen, die Unzufriedenen, die Ungehorsamen, die Kleingläubigen. Aber ich glaube, dass wird ihnen nicht gerecht. Denn wir reden ja nicht von kleinen Kindern, die auf dem Rücksitz quengeln: „Sind wir endlich da?!“ Sondern von Menschen, die alles hinter sich gelassen haben, und die jetzt ins Grübeln kommen: War es das wirklich wert? Die jetzt durch die Wüste ziehen, mit dem grausamen Gefühl in den Fersen und Herzen: Vielleicht sind wir doch in die Irre geführt und allein gelassen worden. 

Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht. Sie wussten es damals noch nicht. So wie wir im Nachhinein immer sagen können: Hurra, wir leben noch, war doch gar nicht so schlimm. Die Israeliten mussten diese Erfahrung erst machen. So, wie wir jedes Mal aufs Neue entdecken und lernen, dass wir nicht allein sind, gegen das Gefühl, gegen den Augenschein, gegen das Knurren im Magen. 

Und am Abend zogen die Wachteln herauf und bedeckten das Lager, am Morgen aber lag Tau rings um das Lager. Und als der Taunebel aufgestiegen war, sieh, da lag auf dem Boden der Wüste etwas Feines, Körniges, fein wie der Reif auf der Erde. Und die Israeliten sahen es und sprachen zueinander: Was ist das? Denn sie wussten nicht, was es war. Da sprach Mose zu ihnen: Das ist das Brot, das der HERR euch zu essen gegeben hat. Das ist es, was der HERR geboten hat: Sammelt davon so viel, wie jeder zum Essen braucht. Ein Gomer je Kopf sollt ihr nehmen, nach der Anzahl der Personen, ein jeder für die, die zu seinem Zelt gehören. Und so machten es die Israeliten: Sie sammelten ein, der eine viel, der andere wenig. Als sie es aber mit dem Gomer massen, hatte der, der viel gesammelt hatte, keinen Überschuss, und der, der wenig gesammelt hatte, keinen Mangel. Jeder hatte so viel gesammelt, wie er zum Essen brauchte. 

Was ist das? fragen die Israeliten, als sie den Fund am Boden begutachten. Man hu, fragen sie auf Hebräisch. Die Sprache setzt den Fragenden ein Denkmal, wir nennen das, was sie da am Leben gehalten hat, Manna. 

Und sie sammeln, 
lassen die fremdartigen Körner durch die Finger rieseln, 
riechen dran, 
spüren den Geschmack auf der Zunge, 
ein jeder Bissen sagt: 
Ihr seid nicht allein. 
Schmecket und sehet, wie freundlich Euer Gott ist. 

Ihr seid nicht allein. Gott sorgt für Euch. Für uns. Für jeden von uns. Hier und jetzt. Das vergessen wir manchmal. Meine Oma hat früher, bevor sie einen neuen Laib Brot abgeschnitten hat, in die Unterseite ein Kreuz geritzt. „Weil unser tägliches Brot nicht von uns selbst kommt“, sagte sie. Als Kind fand ich das komisch. Sie war selbst losgegangen und hatte Mehl gekauft, den Teig geknetet, den Ofen angeheizt, das Brot hineingeschoben und hinterher mit einem Stäbchen geprüft, ob es durch war. Heute habe ich Respekt vor diesem einfach Art, sich bewusst zu machen, dass wir alle von Voraussetzungen leben, die wir selbst nicht schaffen können. 

Ich erinnere mich an einen Kongress in Heidelberg, vor einigen Jahren. Theologen und Naturwissenschaftler hatten sich getroffen, das Thema war „The Ends of the World and the Ends of God“, es ging darum, was Geophysiker, Biologen und Astronomen über die Zukunft unserer Welt zu sagen hatten – und in welchem Zusammenhang das zu unserer christlichen Hoffnung steht. Am Ende trat einer ans Mikrofon und sagte: „Wir beobachten im Moment rund 11.000 Asteroiden, die als Kandidaten für einen Beinahe-Zusammenstoß mit der Erde in Frage kommen. Ein paar der gefährlichsten Krankheitserreger sind nur noch wenige Mutationsstufen davon entfernt, sich als völlig neue Krankheit an allen Impfungen und Arzneien vorbei auf die Menschheit zu stürzen. Meine Damen und Herren, wir leben weitaus mehr in Gottes Hand, als wir das so wahrhaben wollen.“ 

Das Brot in der Wüste sagt deutlicher, glaubwürdiger, handfester als jede Predigt: Gott sorgt für uns. Ihr seid nicht allein in der Wüste. Unser tägliches Brot gib uns heute – hier ist es. 

Jeder hatte so viel gesammelt, wie er zum Essen brauchte. Dann sprach Mose zu ihnen: Niemand hebe etwas davon bis zum Morgen auf. Sie aber hörten nicht auf Mose, und einige hoben davon bis zum Morgen auf, aber es wurde voller Würmer und stank. Da wurde Mose zornig über sie. So sammelten sie es Morgen für Morgen, jeder so viel, wie er zum Essen brauchte. Sobald aber die Sonne heiss schien, zerschmolz es. 

Nur ein bisschen, nur eine kleine Notration, für schlechte Zeiten. Ein bisschen was wegpacken, um es wieder herauszuholen, wenn man es wieder braucht. Ein paar Bissen, ein bisschen von dem honigsüßen Geschmack, um sich zu erinnern, wenn das Leben wieder bitter ist. 

Aber es funktioniert nicht. Da ist der Wurm drin, und es stinkt. 

Manche Dinge lassen sich nicht konservieren, und wenn, dann geht das ohnehin meistens auf Kosten von Nährstoffen und Geschmack. Sammle auf, nutze, genieße das, was Dir vor die Füße gelegt wird. Aber horte es nicht. Das funktioniert nicht. 
Unser tägliches Brot gib uns heute. Dietrich Bonhoeffer sagt: Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie uns nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. Deswegen feiern wir zweimal im Monat Abendmahl. Ein Bissen Brot, ein Schluck Wein oder Traubensaft – mehr braucht es manchmal nicht, um sicher zu sein: Ich bin nicht allein. Das reicht für ein erneutes Aufraffen, ein weiteres Stück weg, ein paar Schritte. Das lässt sich nicht aufheben, nicht konservieren. Wer wieder Hunger bekommt, wer sich unsicher ist, wem die Angst an den Fersen und im Nacken hängt, muss wiederkommen. Jetzt gleich. Greif zu. Nimm hin und iss. Schmecket und sehet, wie freundlich unser Gott ist. Amen.

(c) Daniel Kocherscheidt / pixelio.de

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