Donnerstag, 16. Oktober 2014

Im Heiligen Land (II) - Rund um den See Genezareth

Eine ganze Reihe der schönsten biblischen Geschichten spielen rund um den See Genezareth (oder Tiberias): Der Fischfang des Petrus, das Männgergespräch am Ende des Johannesevangeliums, und viele mehr. Grund genug also, von Nes Ammim aus einen kleinen Abstecher dorthin zu machen. 

Relativ schnell fahre ich die Nordspitze ab und besucht pflichtschuldig die wichtigsten Stationen: Primatenkirche, Kafernaum, die UFO-hafte Kirche über Petrus seiner Schwiegermutter ihrem Schlafzimmer. In der Brotvermehrungskirche beobachte ich eine junge Frau, die vor einer Christus-Ikone eine Kerze anzündet. Sehr langsam. Und wieder eine. Und noch eine. Irgendwann höre ich das Klicken. Und eine enthusiastische Regieanweisung: "Come on, honey, try to look a bit more... ya know, reverent, pious, will ya... damn it, we could make the front page of next month's parish newsletter!" 

Die geballte Ladung religiöser Touristik ist nur mit einer Portion Galle zu ertragen. Und trotzdem... Als ich am Abend vom Privatstrand meines Hostels Karei Deshe aus im flachen, fischreichen Wasser des Sees Genezareth herumwate, denke ich: Ja. Hier ist es gewesen, hier ist er gegangen. Das weckt in mir nicht das Bedürfnis, irgendwelche Steine zu verehren oder gar eine Kirche darüber zu bauen. Aber... es erdet. Es sind keine Märchen aus dem Nimmer- oder Taka-Tuka-Land, die wir uns erzählen. Und es ist nicht herauszulösen aus diesem Kontext: Jesus hat einen Stallgeruch.


Wenn schon die Geschaftelhuberei am Nordstrand irritierend war, dann ist das nichts gegen das, was mich am nächsten Tag erwartet...


YARDENIT - "SIEHE, DA IST WASSER - WAS HINDERT'S, DASS ICH MICH TAUFEN LASSE...?!"



Ein ganz besonderes Kleinod religiöser Nahosttouristik ist Yardenit - The Baptismal Site on the Jordan River, ein an sich wunderschönes Stück Fluss mit fast lagunenhaft anmutender Atmosphäre. Womöglich seit vormittelalterlicher Zeit als angeblicher oder symbolischer Ort der Taufe Jesu ein beliebtes Ziel christlicher Pilgerinnen und Pilger, hat sich auch hier der Betrieb seit dem 19. Jahrhundert ordentlich professionalisiert - wie so häufig im Heiligen Land mit tatkräftiger amerikanischer Unterstützung. Nunmehr kann man in Yardenit alles und jeden taufen, was nicht bei drei auf dem Bäumen ist, und das geschäftstüchtige Management hält das passende Merchandising bereit: Nachthemdartige Taufkleider zum Ausleihen (10 $), zum Kaufen (20 $) und zum Bedrucken (noch mehr $), "offizielle Taufzertifikate" und eine ganze Menge an Zubehör, von der Ikone bis zur Spezerei. 



Als ich ankomme, ist vergleichsweise wenig los. Schade eigentlich, ich hatte mich sehr auf eine ekstatische Massentaufe gefreut. An einer Taufbucht tummeln sich ein paar Amerikaner um einen farbigen Guru mit Khakihemd, Cowboyhut und beachtlicher Leibesfülle. Zwei Ladies älteren Semesters waten knöcheltief im Jordan und reiben sich das lauwarme Wasser auf verschiedene (wahrscheinlich chronisch schmerzende) Stellen. Eine verkündigt unmittelbare Linderung - Praise da Lord! - und plantscht ein wenig auf der Stelle, die andere klettert missmutig wieder aus dem Wasser. Der Mann im Cowboyhut hat sich derweil einen Ölzweig organisiert, tunkt ihn ins Wasser und fuchtelt damit in Richtung einer Sechzigjährigen mit Bubikopf und Sonnenbrille, die sich immer wieder in atemberaubender Geschwindigkeit bekreuzigt und zwischendurch juchzt wie ein Teenager beim Boybandkonzert.



Ein durchaus beachtliches Spektakel, aber leider keine Taufe. Schade, denke ich - da betritt auch schon eine zweite Gruppe die Taufbucht, die wohl nicht von ungefähr an ein kleines Amphitheater erinnert. Das Grüppchen kommt unüberhörbar aus Russland - und der einzige Mann im Bunde trägt tatsächlich schon ein weißes Unisex-Taufkleid aus dem Souvenirshop. Er geht etwas zögernd ins Wasser, ich frage mich, wer hier wohl taufen wird - aber Pustekuchen, es geht nur um ein Foto. Und wahrscheinlich auch um eine kleine Abkühlung, denn es ist extrem heiß an diesem Morgen. 




"Ja, die Russen... bei denen meint man manchmal, das sei ein Badeausflug... or like a countryclub swim", seufzt wenig später eine englische Mitarbeiterin des wohlsortierten Souvenirladens. Sie ist clearly not amused über diese Unart, das Tauferlebnis als Ferienspektakel zu begehen. Soso. Viel lieber seien ihr da "those Africans", die brächten wenigstens Enthusiasmus und ab und zu ein bisschen Exstase mit, just like "those South Americans". Auf meine Frage, wer denn hier eigentlich taufe, erklärt sie, dass die Gruppen meist ihre eigenen Offizianten mitbrächten, "wir haben aber auch ein paar ältere Priester, die ein paar Vormittage die Woche da sind und sozusagen Bereitschaftsdienst machen". Irgendwann macht meine Fragerei sie wohl neugierig, sie will wissen, wer ich bin, was ich so mache - als ich ihr erzähle, dass ich auch Pfarrer bin, jubelt sie: "Well, that's just perfect, see, we are in a bit of a pickle here... There are some people coming this afternoon who don't bring a priest of their own, and it would be frightfully nice if you could just..." Ich verabschiede mich schnell und breche auf Richtung Nazareth. Als ich den großen Parkplatz von Yardenit verlasse, läuft im Radio "Wicked, wicked Wonderland". Ich nicke im Takt und trete aufs Gas.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen