Sonntag, 26. Oktober 2014

Warum die Kirche eine Hochschule braucht



Zunächst: Ein Disclaimer. Das Folgende ist meine Privatmeinung und in keinster Weise eine Stellungnahme der Hochschule, deren Angehöriger ich bin. Man mag mich daher für befangen halten. Ich finde eher, dass Insiderkenntnisse eine Meinung erst recht interessant machen. Aber nun denn. 

„Theologie ist eine Funktion der Kirche“, darin stimmten Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer überein. In ihrem Geist wurde am 1. November 1935 die Kirchliche Hochschule Elberfeld eröffnet, mit einem Abendgottesdienst, der ursprünglich in der Gemarker Kirche hätte stattfinden sollen, wo anderthalb Jahre zuvor die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet worden war. Die staatlichen Fakultäten konnten nach der „Gleichschaltung“ und der damit verbundenen Unterwerfung unter eine dem Evangelium diametral widersprechende Ideologie kein kritisches Gegenüber mehr zu Kirche und Gesellschaft sein. Die Pressemeldung, am 27. Oktober 1935 im Barmer Sonntagsblatt erschienen, brachte das Anliegen auf den Punkt: 
„Die Kirche ist gerufen, für die Ausbildung ihrer Diener am Wort selbst zu sorgen. Diese Sorge ist der Kirche gerade heute aufgetragen, da die Theologischen Fakultäten an den Staatlichen Universitäten weithin mit solchen Lehrern besetzt sind, die den Deutschen Christen angehören. […] Die Gemeinden selber sollen sich aufrufen lassen, diese Arbeit der Kirchlichen Hochschule als ihre eigene Verpflichtung anzuerkennen.“ 
Die Gestapo verbot nicht nur den Gottesdienst, sondern auch, noch vor der Aufnahme des Lehrbetriebs, die Kirchliche Hochschule. Der Gottesdienst fand trotzdem statt, in einer kleinen Friedhofskapelle. Und Theologie getrieben wurde trotzdem, unter anderem Namen und in den Räumen einer leeren Freimaurerloge und dann, nach 1937, heimlich in Pfarrhäusern. 




Zeitsprung – dreißig Jahre zurück. 1905 eröffnete Friedrich von Bodelschwingh eine Kirchliche Hochschule auf dem Gelände der Betheler Anstalten. Auch hier sollten Theologen unabhängig von staatlichen Fakultäten und in ständigem Austausch und kritischer Begleitung der dortigen diakonischen Einrichtungen lernen. Auch diese Hochschule musste unter dem Druck der Nationalsozialisten 1939 ihre Tätigkeit unterbrechen. Im Jahr 2007 fusionierten beide Einrichtungen zur letzten verbliebenen Kirchlichen Hochschule nördlich der A 6. 

Im September 2014 hat die Evangelische Kirche im Rheinland einen Plan zur „Haushaltskonsolidierung“ vorgelegt (hier einzusehen). In Zeiten von Kirchensteuereinnahmen in Rekordhöhe will man für schlechte Zeiten vorsorgen und knapp zwölfeinhalb Millionen Euro einsparen. Neben vielen kleinen Wunderlichkeiten, die einen die Stirn runzeln lassen, gibt es einen Gesamteindruck, der mir persönlich Bauchschmerzen bereitet. Und zwar richtige. Knapp die Hälfte der zwölfeinhalb Millionen (wie gesagt, ich hab’s nicht mit Zahlen, correct me, if I’m wrong) soll nach meiner Rechnung aus Arbeitsbereichen abgezogen werden, die sich vorzugsweise an Menschen U30 wenden. Ein Teil dieses Pakets ist der Jugendförderplan: „Fördergelder sollen nicht mehr“, wie es vielleicht unbewusst abschätzig heißt, „nicht mehr in die Breite verteilt“ werden, stattdessen werden „Projekte […] gefördert, die modellhaften Charakter haben.“ Das klingt nach Kirche der Freiheit und dem penetranten Gerede von Leuchtfeuern, das vor einigen Jahren die Debatten beherrschte – das Kölner Jugendpfarramt hat in einem youtube-Video die Konsequenzen dieser Entscheidung erklärt. Zu dem Paket gehören auch Einsparungen in Höhe von 4,5 Millionen EUR (für alle Älteren: Das sind fast 9.000.000 Mark) im Bereich der evangelischen Schulen. Und eine Million, etwas mehr als die Hälfte der bisherigen Ausgaben, soll an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel eingespart werden. Die EKiR wünscht sich, dass die anderen Trägerkirchen diese Million übernehmen – wer weiß, vielleicht stellt sich ja bei der Gelegenheit heraus, dass das Leben doch ein Ponyhof ist. Sollten die anderen Trägerkirchen (die ja immerhin auch Rekordkirchensteuereinnahmen verzeichnen) das nicht wollen, erwägt die EKiR einen Rückzug aus der Trägerschaft und nimmt damit eine Schließung in Kauf. 

Ich halte diesen Weg für falsch. Mehr noch: Ich halte ihn für gefährlich. Bin ich parteiisch? Natürlich – ich bin Theologe, ich kann und darf nicht anders! Ich bin der Meinung: 

DIE EKIR BRAUCHT DIE KIHO. 


Weil Theologie und Biografie zusammen gehören. 

Theologie und Biografie sind untrennbar. Das eigene Erleben und die Reflexion persönlicher Prägungen wirken sich auf das akademische Lernen aus, an biografischen Wendepunkten liegen auch theologische Weichenstellungen – und das ist gut so: Wann immer man sich einbildet, die Bruchlinien des Lebens außer Acht lassen zu können, wird Theologie hohl, nichtssagend und langweilig und fällt unter das Verdikt Oscar Wildes: „The supreme vice is shallowness.“ Das Campusleben an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel ermöglicht es durch den engen Kontakt aller Hochschulgruppen, solche Zusammenhänge zu entdecken, andere daraufhin zu befragen und eine eigene theologische Persönlichkeit zu entwickeln. 


Lebensweg von Markus Müller - MM
(c) Markus Müller / fotocommunity.de

Weil Theologie Erdung braucht. 

„Was ist mit Erwin, jetzt, wo er tot ist?“ Diese Frage stellte uns der Leiter des Predigerseminars, als wir im Oktober 2002 im Rahmen einer Einführungsveranstaltung im ersten Studiensemester dort zu Gast waren. „Was ist mit Erwin, jetzt, wo er tot ist? – Das werden Ihre Gemeindeglieder Sie später fragen.“ Der Satz hat sich mir tief eingegraben, er hat mich immer wieder daran erinnert, dass Theologie kein Glasperlenspiel ist, sondern Antworten auf existenzielle Fragen geben soll. Für solche Antworten braucht es freilich Freiräume, in denen gedacht, geforscht, gefragt wird, ohne gleich zu verzwecken. Aber erfahrungsgemäß hilft es, wenn diese Zusammenhänge, in denen Theologie sich bewähren muss, nicht ganz außer Acht fallen.
Eine ganz andere Art der Erdung verdanke ich persönlich der KiHo: Die ersten vier Semester dort haben mich weitgehend immun gemacht und kritisch gegenüber den Eitelkeiten des universitären Lebens, weil sich die dortigen Lehrenden und Assistierenden in der Regel solchen erwachsenen Kinderspielen entziehen - und das strahlt aus und lässt mich bis heute wachsam sein gegenüber den Selbstvergewisserungsmechanismen von Institutionen und Systemen. 

Weil Theologie aus der Begegnung mit dem Anderen lebt. 

Gemeinschaftliches Leben und Lernen führt zu Konflikten. Aus Konflikten, die aktiv bewältigt und reflektiert werden, kann man etwas lernen. Im besonderen Milieu einer Kirchlichen Hochschule kommt es zu Konfrontationen, die sich aus unterschiedlichen konfessionellen Hintergründen, theologischen Traditionen und religiösen Sozialisationen ergeben. Da stellt die Studentin aus einer politisch sehr aktiven Stadtgemeinde plötzlich fest, dass ein Kommilitone eine andere Einstellung zur Bundeswehr hat - und sich damit genauso auf seinen Glauben bezieht. Da begegnet der Student aus der erwecklichen Gemeinde im Oberbergischen Gleichaltrigen, die lesbisch, schwul, trans oder Sozialisten sind - und genau darin aufrechte Christenmenschen. In solchen Begegnungen üben die angehenden Pfarrerinnen und Pfarrer etwas ein, das sie später in der Gemeinde brauchen, vielleicht mehr als vieles andere, nämlich konstruktiv mit Diversität umzugehen. Damit ergänzt die Kirchliche Hochschule auf sinnvolle Weise die Möglichkeiten des akademisch-interdisziplinären Arbeitens an den staatlichen Fakultäten.  


(c) updatenet.net


Weil Kirche nur in Vielfalt denkbar ist. 

Kirche ist bunt und vielfältig. In den verschiedensten Kontexten versucht sie, Menschen Glaubens- als Lebenshilfe anzubieten. Auf dem "Heiligen Berg" in Wuppertal sind eine ganze Reihe von Einrichtungen versammelt: Die Hochschule. Das Predigerseminar. Das Amt für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste. Die Polizeiseelsorge. Chorverband und Gottesdienststelle. Und noch so einige mehr. Im täglichen Miteinander und in punktuellen Kooperationen lernen Studierende ihre Kirche in ihrer ganzen Vielfalt kennen - und blicken weit über den Tellerrand hinaus: Die langjährige erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Vereinten Evangelischen Mission wurde jüngst noch einmal intensiviert und das theologische und diakonische Lernen auf dem Berg in einem internationalen Kontext verankert. An der Kirchlichen Hochschule lernen angehende Pfarrerinnen und Pfarrer, Kirche multidimensional zu denken und Synergieeffekte zu nutzen. 


Weil Kirche und Diakonie ihr Verhältnis bestimmen müssen. 

Das Verhältnis von Kirche und institutionalisierter Diakonie bedarf seit den Anfängen im Urchristentum (vgl. Apg 7) der fortlaufenden Reflexion, unter theologischen, soziologischen, ökonomischen und noch ganz vielen anderen Aspekten. Das Institut für Diakoniewissenschaft und Diakoniemanagement bietet derartige Möglichkeiten auf höchstem, interdisziplinären Niveau - durch vielfältige Lehrexporte von Bethel nach Wuppertal lernen Studierende, Kirche diakonisch zu denken.

Weil die Kirche sich verdammt noch mal um ihren Nachwuchs kümmern muss! 

Um mal ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern: Die EKiR ist keine Kirche, die sich allzu gluckenhaft um ihren Nachwuchs kümmert. Ich selbst habe das immer als äußerst positiv empfunden, weil ich nie das Gefühl hatte, von der Landeskirche auf irgendeinen Kurs getrimmt zu werden, sondern den Eindruck hatte: Man vertraut mir, dass ich mein Studium schon gut mache.
Nur: Die Kirche ist größer als die entsprechende Abteilung im Landeskirchenamt. Und wenn man sich auf Synoden, Pfarrkonventen, Presbytertagen oder ähnlichem umhört, wundert man sich ab und zu, welche Vorstellungen vom Theologiestudium oder von denen, die sich darauf einlassen, da so im Schwange sind. Das wundert sehr - denn eigentlich müsste es doch im Interesse aller sein, den Nachwuchs für die Führungspositionen (denn, ja, ob wir es wollen oder nicht, auch das Rheinland ist in hohem Maße eine Pastor_innenkirche) zu fördern und zu motivieren. Das wird noch wichtiger, wenn durch Einsparungen in Höhe von sechseinhalb Millionen (nochmal für die Älteren: Fast dreizehn Millionen Mark!) im Bereich der Jugend-, Schüler- und Studierendenarbeit die Kontaktflächen zwischen jungen Menschen und der Kirche noch mehr verkleinert werden als es der demografische Wandel allein schon hinbekommt. 


Liebe Landessynodale, lieber Landessynodaler,

Sie haben schwierige Entscheidungen vor sich. Und bis dahin werden Ihnen noch viel emotionale Appelle in den Ohren klingen - so wie dieser hier. Und das ist auch gut so, denn was wäre es für ein Zeugnis für unsere Einrichtungen, wenn die, die dort arbeiten oder deren Dienstleistungen in Anspruch nehmen, keine Leidenschaft für ihr Tun aufbrächten? Eigentlich würde ich Ihnen jetzt gerne nochmal zurufen: "Behalten Sie die KiHo!" Aber ich bin selbst auf genug Landessynoden gewesen um zu wissen, wie schwer es ist, bei Entscheidungen über Einschnitte, Einsparungen und derartig gravierenden Veränderungen im Leben der Landeskirche, wie es die Sparvorschläge mit sich führen, die richtige Wahl zu treffen. 
Darum nur die eine Bitte: Treffen Sie im Januar keine Entscheidung über die Zukunft von Einrichtungen, von denen Sie sich nicht selbst ein Bild gemacht haben. Fahren Sie nach Wuppertal oder Bethel - oder noch besser: Suchen Sie das Gespräch mit dem theologischen Nachwuchs Ihres Kirchenkreises - die Adressen hat die Superintendentur. 

1 Kommentar:

  1. Diesen Satz mit den Geldern, die "nicht mehr in die Breite" verteilt werden sollen, habe ich auch bei wiederholtem Lesen nicht verstanden... Es klingt so, als hätten sie bisher Perlen vor die Säue geworfen, was ich nicht nur unerhört, sondern auch total falsch finde.

    "Weil sich die Kirche verdammt nochmal um ihren Nachwuchs kümmern muss": Ja! Unbedingt!
    Leider ist gegenwärtig diejenige Pfarrer_innengeneration zahlenmäßig überlegen, um die sich die Landeskirche nie wirklich gekümmert hat. Dafür waren es viel zu viele und dafür hätte man ja auch als Kirche wissen müssen, wo und wie und in welche Richtung man seinen Nachwuchs fördern will...von daher hoffe ich, dass sich das nicht rächt, wenn Kolleg_innen dieser Generation, deren Pfarrbild davon geprägt ist, auf sich allein gestellt zu sein, im Januar in Bad Neuenahr entscheiden. Ich sehe mich jetzt selbst nochmal stärker in die Pflicht genommen, das Gespräch zu suchen. Deshalb: DANKE für die klaren Worte!

    P.S.: Zum Dokument zur Haushaltskonsolidierung fehlt noch der Link

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