Donnerstag, 5. März 2015

Passion in Bildern (II): "Entartete Kunst" und eine Freundschaft, die tragisch endet




Unser heutiges Bild stammt aus der neunteiligen Bilderreihe „Das Leben Christi“ aus den Jahren 1911 und 1912 von Emil Nolde, dem großen deutschen Expressionisten des 20. Jahrhunderts. Die Bilder sind allesamt Aquarelle in ausdrucksstarken Farben und zum Teil sehr simplen, zweidimensonalen Figuren, fast so, wie man sie aus Kinderbibeln kennt – hier wirkt einerseits im Großen die Romantik nach, andererseits im Kleinen und Entscheidenden die Bibelstunden auf dem Bauernhof in Nolde (daher der Künstlername). 



Wohlgemerkt, in allen Bildern bis auf das, was uns heute besonders interessiert, aber dazu später. Diese Bilderreihe war im Jahr 1937 Mittelpunkt der Naziausstellung „entartete Kunst“, die Kulturvasallen Joseph Goebbels‘ hatten darüber ein Plakat hängen lassen mit der Aufschrift: „Gemalter Hexenspuk, geschnitzte Pamphlete von psychopathischen Schmierfinken“ – übrigens, bezeichnender Weise hat die Kirche an manchen Stellen in ihrer Kritik an Noldes religiösen Bildern zum Teil fast wortwörtlich dasselbe gesagt – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Nolde selbst war von dieser Kritik auf zweifache Art getroffen: Erstens verstand er selbst seine „biblischen und Legendenbilder“ als Ausdruck einer respektablen Religiosität und Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens – und er war selbst ein fieser Antisemit, aktives NSDAP-Mitglied und Kämpfer gegen die von ihm selbst so bezeichnete „Überfremdung germanischer Kunst.“ 

Aber kommen wir zum Bild selbst. Die knalligen Farben, die ausdruckstarken und deutlichen Formen, die sonst die biblischen Bilder auszeichnen, sucht man hier vergebens. Es ist dunkel, vieles wirkt undeutlich, verschwommen, man muss zwei-, dreimal hingucken, um überhaupt etwas zu erkennen. Das passt, denn es ist wahrscheinlich Abend im Garten Gethsemane. Das passt aber auch auf einer tieferen Ebene, denn wenn vertraute Menschen einen hintergehen, verraten, ausliefern – dann schwankt der Boden unter den Füßen, dann erscheint das, was vorher klar und stabil schien, plötzlich zwielichtig und brüchig. Und zwar auf Dauer – ich weiß nicht, wie oft mir schon jemand erzählt hat: Ich bin einmal sehr enttäuscht worden, mir fällt es schwer Vertrauen zu fassen. 

Es ist dunkel im Garten Gethsemane, und die Menschen sind nur zum Teil erkennbar. Das ist Judas. Er schlingt Jesus die Arme um den Hals, küsst ihn auf den Mund und sieht für mich sehr ungestüm, sehr vereinnahmend aus. Und vielleicht ist das so, so wie falsches Gelächter oft das lauteste ist, und die falschen Küsse die vermeintlich leidenschaftlichen und auf jeden Fall öffentlichkeitswirksamen. Der Judas auf diesem Bild ist noch nicht der, dem kurze Zeit später den Hohepriestern das Geld vor die Füße schmeißt und dem die eigene Existenz unerträglich wird und der seinem Leben ein Ende setzt. Dieser Judas hier ist überzeugt von dem, was er tut. Warum Judas zum Verräter wird, wissen wir letzten Endes nicht, da ist viel spekuliert worden. Ob es die Geldgier ist, ob es die Enttäuschung des politischen Aktivisten ist oder irgendwelche Zwischenmenschlichkeiten, von denen wir keine Ahnung haben – wir wissen es nicht. Aber weiß man überhaupt jemals wirklich, warum Menschen zu dem werden, was sie werden? 

Dann ist da noch Jesus auf dem Bild. Sein Blick scheint in weite Ferne zu gehen, sein Gesicht ist seltsam ausdruckslos. Ein Arm leicht erhoben, ich kann nicht sehen, ob er die Umarmung halb erwidert oder Judas halb abwehrt – aber es ist auf jeden Fall nur eine halbe Geste. Jesus lässt das alles mit sich geschehen, angeblich, weil es einfach so sein muss. Und auch das ist die Tragik menschlicher Beziehungen, die zerstörerisch enden: Es gehören immer zwei dazu, auf irgendeiner Ebene, bewusst oder unbewusst, auf eine Art und Weise gehört immer jemand dazu, der den anderen machen lässt, weil es angeblich irgendwie so sein muss. 

Im Vordergrund ein römischer Soldat, erkennbar am Helm und an den Fackeln, die er trägt. Also einer von der Gegenseite, an die Judas Jesus verkauft hat. Er schlägt die Hand vor den Mund und schaut sich das Geschehen ungläubig, fast entsetzt an. Vielleicht erkennt er, mit was für fiesen Mitteln seine Befehlshaber hantieren. Vielleicht ist es auch so, dass niemand einen Verräter mag, auch die nicht, die einen Nutzen von ihm haben. 

Im Hintergrund steht eine weitere Person. Man kann sie kaum erkennen, man sieht nur ihre Augen im Dunkeln leuchten und vielleicht schemenhaft ein paar Gesichtszüge, eine Hand. Und irgendwie passt es auch, denn in den meisten Fällen, in denen Vertraute zu Verrätern werden, in denen Menschen Menschen verraten, gibt es da jemanden im Hintergrund. Im Kleinen fängt das im Sandkasten oder auf dem Schulhof an, wenn da auf einmal jemand ist, der die cooleren Klamotten oder Spielzeuge hat und es wert scheint, dass man alle anderen plötzlich links liegen lässt. Das ist meistens dann so, wenn Liebende anfangen, einander zu belügen und zu hintergehen, weil da irgendjemand ist, der das verspricht, was man vermisst. 

Und mit all dem ist gerade einmal die Hälfte des Bildes beschrieben. Absolut dominant ist das Schwarz, die Dunkelheit, die Finsternis, die alle zu verschlucken droht. Und man, gerade bei Judas, gar nicht so richtig, ob er aus der Dunkelheit hervorgeht, oder ob sie ihn verschlingt. Vielleicht kann man das auch gar nicht so genau unterscheiden, vielleicht ist das so, dass bestimmte Mächte, Motive, Gedanken, mit denen man sich abgibt, für den Augenblick zwar einen Antrieb bedeuten, auf lange Sicht aber immer die auffressen, die sich mit ihnen abgeben. 

Es ist kein weiter Gedankensprung, mit der Schwärze in dem Bild den Tod zu verbinden, den Tod beider Hauptfiguren, auf den es hinausläuft. Dabei ist es, glaube ich, nicht nur der physische Tod am Kreuz und der Tod am Strang. Es gibt noch etwas, das man in den verschiedensten Zusammenhängen als den „sozialen Tod“ kennt. Eine eindrückliche Schilderung davon haben wir in dem Psalm, den wir vorhin gebetet haben, gehört. Der soziale Tod ist der Abbruch aller Beziehungen, schon im Leben. In unseren Breitengraden ist er vielleicht besonders in denjenigen Institutionen verbreitet, in denen alte und kranke Menschen ohne menschliche Kontakte vor sich hin vegetieren, nicht mehr als Personen, sondern nur noch als Insassen behandelt werden. Am sozialen Tod sterben Menschen, der so genannte Alterssuizid, ob er aktiv durch Medikamentenüberdosierungen oder eher „passiv“ durch Nahrungsverweigerung oder schlichtweg Selbstaufgabe geschieht, ist eine Tatsache. 

Jesus selbst ist auch den sozialen Tod gestorben, nicht allein wegen Judas. 
Auch wegen Petrus und aller anderen, die ihn verlassen haben. 
Jesus selbst ist in das Dunkle menschlicher Verwicklungen hinabgestiegen 
und hat dafür gesorgt, dass die Zeiten und Räume der Einsamkeit 
keine Sekunde lang Momente der Gottesferne sind. 
Das ist keine Entschuldigung. 
Das ist die einzige Hoffnung für alle Menschen, 
die einander ins Dunkel reißen. 
Amen.

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