Sonntag, 5. Juni 2016

Der Patriarch auf dem Weg in Erschöpfungsdepression und Impotenz (Abraham, Sara, Hagar: Gen 12/16/21, Predigtreihe "Männergeschichten")

Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich will dich zu einem grossen Volk machen und will dich segnen und deinen Namen gross machen, und du wirst ein Segen sein. Segnen will ich, die dich segnen, wer dich aber schmäht, den will ich verfluchen, und Segen sollen durch dich erlangen alle Sippen der Erde. Da ging Abram, wie der HERR es ihm gesagt hatte, und Lot ging mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er von Charan auszog. Und Abram nahm Sarai, seine Frau, und Lot, den Sohn seines Bruders, und all ihre Habe, die sie besassen, und die Leute, die sie in Charan erworben hatten, und sie zogen aus, um ins Land Kanaan zu gelangen, und sie kamen ins Land Kanaan. 

Ein Mann, zwei Frauen, Das ist die Überschrift über diesem Gottesdienst heute. Darum geht es in der Geschichte, die im Zentrum dieser Predigt stehen soll, eine Geschichte, die so lang ist und so viele Ecken und Kanten hat, dass wir sie aufteilen und immer wieder ein Stück lesen. Ein Mann, zwei Frauen. Das hat vielleicht auf den ersten Blick einen Schimmer von Seifenoper, Schürzenjägerei und wilder Romantik. Das klingt vielleicht so, als ob hier, in den Zelten, unter glutvoll brennender Sonne und taktvoll schimmerndem Mond, Männerfantasien wahr werden. Aber von Fantasien ist man weit entfernt, wenn man mit Sack und Pack quer durch den vorderen Orient zieht, durch die trockenen Landstriche im südlichen Irak und der östlichsten Türkei, hinunter nach Ägypten und wieder hinauf in die Westbank. Und was sich dort abspielt, zwischen Fluss-, Ehe- und Kindbetten, ist weniger schlüpfrig als schmerzhaft. 

Wie in jeder Fernsehserie haben wir vorhin die Rückblende gehört. Was bisher geschah. Es begann mit verheißungsvollen Mondnächten und Aufbruchstimmung, mit einem Auftrag und einem Versprechen: Geh – und ich begleite dich, ich segne dich, und du wirst ein Segen sein. Aber die Anfangseuphorie ist verflogen, und Abraham ist Träger einer Verheißung, die zwischendurch schwerer wiegt und schwerer zu tragen ist als alle Zeltstangen, alle Vorräte, alle Verantwortung zusammen. 

Vielleicht ist das gar nicht so weit weg von uns. „Aus dir wird einmal etwas ganz Großes“, Sätze wie dieser klingen viel versprechend, können aber zur Last werden. In einem jüdischen Witz unterhalten sich zwei Mütter am Sandkasten. „Wie alt sind denn ihre Kinder?“ fragt die eine. Die andere antwortet: „Der Anwalt ist vier, der Arzt wird nächste Woche zwei.“ Der Anwalt und der Arzt. Sollen Abitur machen, studieren, eine eigene Kanzlei oder eine eigene Praxis aufmachen. Wann ist der Mann ein Mann? Wenn er ein Haus gebaut hat. Einen Baum gepflanzt. Ein Kind gezeugt. Vaters Firma übernommen. Und so weiter. Männer, Frauen natürlich auch, scheitern immer wieder. An den Erwartungen, die Eltern, Arbeitgeber oder irgendeine diffuse Gesellschaft an sie richten. So auch Abraham, so sieht es zumindest aus. In der Geschichte von Abraham und seinen beiden Frauen zeigt sich Abraham von einer Seite, die wir nicht unbedingt mit unseren großen Vorbildern im Glauben in Verbindung bringen, die aber immer wieder bei Gottesmännern und Gottesfrauen vorkommt. Abraham auf dem Weg in die Erschöpfungsdepression, schwach, träge, passiv, ohnmächtig – die Lateiner unter uns ahnen, was kommt. Abraham wird impotent, weil einfach alles zu viel wird. 

In den Kapiteln, die wir heute überspringen, wiederholt Gott seine Verheißung noch zweimal – offensichtlich stand das zwischendurch immer wieder in Frage, zumindest für Abraham. Offensichtlich gab es mehr als einen Moment, an dem Abraham dachte: Ach, eigentlich war es doch ganz schön, er, mit Sara. Bevor Gott kam und alles durcheinander wirbelte. An dieser Stelle in der Bibel lernen wir beide noch mit ihren Spitznamen kennen: „Abram“, eine liebevolle Kurzform, und „Sarai“, „meine Sarah“. Irgendwo auf dem Weg der beiden gehen die Kosenamen verloren. Das kennen Sie vielleicht auch von zuhause. Abraham und Sara sind beide in einem Alter, in dem aus „Liebling“, „Schatz“ und „Mausezahn“ bei vielen Paaren schon „Mutti“ und „Vati“ geworden ist. Wenn Kinder da sind. Aber die fehlen. Mark Twain hat einmal gesagt: „Wer sich schon lange kennt, kriegt nicht mehr so schnell Nachwuchs.“ Und hier geht die Geschichte weiter. 

Und Sarai, Abrams Frau, hatte ihm keine Kinder geboren; sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hiess Hagar. Und Sarai sprach zu Abram: Sieh, der HERR hat mich verschlossen, so dass ich nicht gebären kann. So geh zu meiner Magd, vielleicht bekomme ich durch sie einen Sohn. Und Abram hörte auf Sarai. Da nahm Sarai, Abrams Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Land Kanaan gewohnt hatte, die Ägypterin Hagar, ihre Magd, und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau. Und er ging zu Hagar, und sie wurde schwanger. Und sie sah, dass sie schwanger war; da wurde ihre Herrin gering in ihren Augen. Sarai aber sprach zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich. Ich selbst habe meine Magd in deinen Schoss gelegt. Und kaum hat sie gesehen, dass sie schwanger ist, da bin ich gering in ihren Augen. Der HERR sei Richter zwischen mir und dir. Und Abram sprach zu Sarai: Sieh, deine Magd ist in deiner Hand. Mach mit ihr, was gut ist in deinen Augen. Da behandelte Sarai sie so hart, dass sie ihr entfloh. Der Bote des HERRN aber fand sie an einer Wasserquelle in der Wüste, an der Quelle auf dem Weg nach Schur. Und er sprach: Hagar, Magd Sarais, wo kommst du her, und wo gehst du hin? Und sie sagte: Vor Sarai, meiner Herrin, bin ich auf der Flucht. Da sprach der Bote des HERRN zu ihr: Kehr zurück zu deiner Herrin und ertrage ihre Härte. 

Und Sarai, Abrams Frau, hatte ihm keine Kinder geboren. Was hier in einem Satz zusammengefasst wird, sind Jahre vergeblichen Wartens. Jahre, in denen Sara ewig in sich hineinhorcht, ob sich da nicht doch etwas tut, Jahre, in denen sie abends den Kopf schüttelt, weil es wieder falscher Alarm war, Jahre, in denen sie es immer wieder versuchen, gegen alle Vernunft und irgendwann auch gegen alle Lust. Zwei Millionen Paare in Deutschland kennen das, es kommt, wie an Abraham und Sarah zu sehen, in den besten Familien vor. Für Abraham und Sarah steht nicht nur der Fortbestand ihrer Familie auf dem Spiel, sondern eben auch diese mal ermutigende, mal erdrückende Verheißung - und die Frage, wie vertrauenswürdig Gott denn eigentlich ist, wenn der Segen, der Kindersegen, ausbleibt? Und das macht die Geschichte für mich so tragfähig, weil sie realistisch ist. Den Menschen, die mit Gott unterwegs sind, die sich auf das Abenteuer des Glaubens einlassen, sogar denen, die alles stehen und liegen lassen, passiert genau dasselbe wie anderen Menschen auch. 

 Sara fragt nicht nach dem Warum, vielleicht auch nur nicht mehr. Siehe, der HERR hat mich verschlossen, sodass ich nicht gebären kann. So dachte man damals in der Antike, so denken bestimmt Menschen auch heute noch: Wenn es nicht klappt, wenn irgendetwas nicht klappt, ist es die Frau Schuld. Und dann nimmt sie die Dinge selbst in die Hand, und tut etwas, das für uns heute wahrscheinlich fremd ist, vielleicht sogar abstoßend, in der Antike aber Gang und Gäbe war: Da nahm Sarai, Abrams Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Land Kanaan gewohnt hatte, die Ägypterin Hagar, ihre Magd, und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau. „Leihmutterschaft“ würden wir das heute nennen, denn der Plan ist ja, dass Sara das Kind als ihr eigenes bekommt. In Deutschland ist das verboten, in Finnland und den USA zum Beispiel nicht, in der Bibel wird das an keiner Stelle gewertet, sondern offensichtlich als bekannt und grundsätzlich akzeptabel vorausgesetzt. Trotzdem führt die Dreiecksgeschichte in Kanaan zu Verwicklungen und Verwerfungen. Und er ging zu Hagar, und sie wurde schwanger. Wieder bleibt die Zelttür vor unseren Augen verschlossen, wir können nur erahnen, wie schwierig das wahrscheinlich für alle drei gewesen ist. Für Hagar, die verschachert wird wie ein Besitz. Für Abraham, der herumgereicht wird wie ein Zuchthengst. Für Sara, die wahrscheinlich abends in ihrem Zelt liegt und nicht aufhören kann zu denken: Jetzt ist er bei ihr. 

Mit Hagars Schwangerschaft verändern sich die Verhältnisse in Abrahams Familie, die Sklavin bleibt zwar rechtlich Sklavin, aber sie wird eben auch diejenige, die Abraham das gibt, was seine Frau ihm nicht geben konnte. Das macht etwas mit allen Beteiligten, und die beiden Frauen geraten aneinander, und so kommt es in Abrahams Zelt zu einem handfesten Ehekrach – auch das kommt bekanntlich in den besten Familien vor. Und hier zeigt Abraham seine unschönen Seiten, kraftlos, desinteressiert, als ob ihn das alles nichts an- und es bei dem ganzen nur um einen Zickenkrieg geht. Mach doch, was du willst, mit diesen Worten winkt er ab, entzieht sich seiner Verantwortung. Was er sich Gott gegenüber nicht traut, nimmt er sich gegenüber Sara raus. Und Sara macht es ihm nach: Sie sucht nicht den offenen Konflikt mit Hagar, sondern behandelt sie extraschlecht, sodass sie am Ende die Flucht ergreift. Das ist bis heute eine gern genutzte Methode, um eine Beziehung abzubrechen, einen Mitarbeiter aus dem Betrieb zu bekommen und hinterher die Hände in Unschuld zu waschen und zu sagen: Ich hab ja gar nichts gemacht. Es menschelt also sehr im Hause Abraham, aber Gott sei Dank nicht nur. Auf der Flucht begegnet Hagar einem Engel, einem Boten Gottes, der für sie und ihr Kind sorgt, und auch sie bekommt eine Verheißung. Keine so glanzvolle wie Abraham und Sara, aber genug, um zu überleben und mit Würde und Kind wieder zurückzukehren. Und sie wird die erste sein, die Gott einen Namen gibt: El Roi, du bist der Gott, der mich sieht. Hagar gibt Gott einen Namen. Dieser Satz hat einen anderen Klang seit zwei Tagen, seit die Synode der lutherischen Kirche in Lettland beschlossen hat, die Frauenordination abzuschaffen. Wer Hagar in die Wüste folgt, weiß, dass Lettland eine falsche Entscheidung getroffen hat. Es menschelt, auch in der Kirche.

Aber nicht nur. Darum nochmal: Gott sei Dank. Wenn Menschen Gott spielen, und das tut Sara ja in dem Moment, als sie die Verheißung selbst in die Hand nimmt, dann geht das meistens auf Kosten anderer. Karl Popper hat mal gesagt: Der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produziert immer die Hölle. Und Dietrich Bonhoeffer hat mal gesagt: Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Und so gibt es Hoffnung für Hagar, eine Zukunft für ihren Sohn Ismael – und eine erfüllte Verheißung für Sara und Abraham: Der HERR aber nahm sich Saras an, wie er gesagt hatte, und der HERR tat an Sara, wie er geredet hatte: 

Sara wurde schwanger und gebar Abraham in seinem Alter einen Sohn, zu der Zeit, die Gott angekündigt hatte. Und Abraham nannte seinen neugeborenen Sohn, den Sara ihm geboren hatte, Isaak. Und Abraham beschnitt seinen Sohn Isaak, als er acht Tage alt war, wie Gott es ihm geboten hatte. Und Abraham war hundert Jahre alt, als ihm sein Sohn Isaak geboren wurde. Da sprach Sara: Ein Lachen hat mir Gott bereitet. Jeder, der davon hört, wird meinetwegen lachen. Und sie sprach: Wer hätte je zu Abraham gesagt: Sara stillt Kinder. Und doch habe ich in seinem Alter einen Sohn geboren. Und das Kind wuchs heran und wurde entwöhnt. Und Abraham gab ein grosses Festmahl an dem Tag, da Isaak entwöhnt wurde. Sara aber sah, wie der Sohn der Ägypterin Hagar, den diese Abraham geboren hatte, spielte. Da sagte sie zu Abraham: Vertreibe diese Magd und ihren Sohn, denn der Sohn dieser Magd soll nicht zusammen mit meinem Sohn Isaak Erbe werden. Dieses Wort bekümmerte Abraham sehr, um seines Sohnes willen. Aber Gott sprach zu Abraham: Sei nicht bekümmert wegen des Knaben und wegen deiner Magd. In allem, was Sara dir sagt, höre auf sie. Denn nach Isaak sollen deine Nachkommen benannt werden. Doch auch den Sohn der Magd will ich zu einem Volk machen, weil er dein Nachkomme ist. Am andern Morgen nahm Abraham Brot und einen Schlauch mit Wasser, gab es Hagar und legte es ihr auf die Schulter, übergab ihr das Kind und schickte sie fort. 

Liebe Gemeinde, es fällt schwer, jetzt Schluss zu machen mit der Predigt. Als letzten Satz zu hören: Er schickte sie fort. Abrahams beide Söhne, Isaak und Ismael, werden einander noch einmal begegnen, sie werden ihren Vater gemeinsam begraben. Auch das gibt es ja heute noch zuhauf, dass Verwandte, Geschwister, erst auf Beerdigungen wieder zusammentreffen. Sie werden beide viel erleben, von Ismael wissen wir nicht viel, von Isaak kennen wir die verstörende Geschichte, die gleich im nächsten Kapitel wartet, in der Abraham kurz davor ist, ihn zu opfern. Und vielleicht ist es dann doch ein guter Zeitpunkt für einen Schluss. Kein Punkt, aber ein Doppelpunkt. Ein Doppelpunkt, hinter dem Ihr Leben steht und meins. Wir versuchen auch, ein Leben mit Gott zu leben, Christus nachzufolgen, und wir erleben doch auch: Wir haben schwer zu tragen an den Erwartungen, die an uns gerichtet sind. Wir versuchen, Abkürzungen zu gehen und richten damit manches Mal Schaden an, wir stehen zwischen Menschen und schieben Entscheidungen hinaus. Und trotzdem. 

Ein Mann, zwei Frauen. Das ist, im Fall von Abraham, Sara und Hagar, nicht schlüpfrig, sondern schmerzhaft. Aber in alldem ist Gott dabei. Durch die ganze Geschichte hindurch klingt die Erkenntnis: Du bist ein Gott, der mich sieht. Abraham, Sara, Hagar, Isaak und Ismael. Und uns. Wenn ich aus dieser Männergeschichte, die ja, wie alle Geschichten in dieser Predigtreihe, nicht nur eine Männergeschichte ist, eins mitnehme, dann ist es das: Du bist ein Gott, der mich sieht. Damit lässt es sich leben. Amen. 

(Ein paar Gedanken stammen aus einer Predigt des Düsseldorfer Kollegen Uwe Vetter)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen