Liebe Gemeinde,
„ey, isch
schwöre!“ ruft die Teenagerin in der dicken Daunenjacke an der Haltestelle
Vischeringstraße. Ihre Gesprächspartnerin presst die Lippen zusammen und
schüttelt den Kopf. „Ich schwöre bei Gott“ ruft die erste wieder, als auch das
nicht den gewünschten Erfolg bringt, greift sie zur letzten Instanz: „Ich
schwöre bei meiner Oma!“ Ihre Gesprächspartnerin schüttelt den Kopf, greift
ihre Handtasche, reißt sich von ihrer Freundin los, die sie am Arm festhalten
will. „Laber nicht“, faucht sie sie an, dann huscht sie in die Bahn, die gerade
angekommen ist.
(c) ksta.de |
Auch eine
ältere Frau, die die Szene beobachtet hat, steigt ein. Am Mülheimer Bahnhof
steigt sie um, vom S-Bahn-Gleis sieht sie den Anfang der Frankfurter Straße.
Früher sind sie oft dahin gefahren zum Einkaufen, damals konnte man das da noch
gut, kleine, gut sortierte Fachgeschäfte mit freundlicher Bedienung. Heute ist
das ja alles anders, als sie das letzte Mal vor einigen Jahren da war, hat sie
die Straße kaum wiedererkannt, und ihre Freundin, die am Wiener Platz wohnt,
erzählt ihr, dass fast monatlich ein Geschäft zumacht und ein anderes geöffnet
wird. Ihr geht das alles zu schnell, sie kommt nicht mehr mit und fragt sich,
auf was eigentlich noch Verlass ist. Sie dreht sich um, blickt vom Bahnsteig
Richtung Kaufland und sieht dahinter den dunkelbraunen Kirchturm von Sankt
Mauritius in Buchheim. Auch denen traut sie nicht mehr so richtig, spätestens
seitdem sie gelesen hat, dass dieser junge Bischof in Limburg vor Gericht muss,
weil er wohl in allen schönen Worten gelogen hat. Sie steigt in die S-Bahn, ist
unterwegs zu ihrer Tochter. Die braucht Unterstützung, jetzt, wo ihr Mann sie
verlassen hat, nur wenige Jahre nach einer glanzvollen, in ihren Augen
eigentlich viel zu aufwendigen Hochzeit, bei der die beiden sich in großen
Worten ewige Liebe und Treue geschworen haben.
Liebe Gemeinde,
ein paar Alltagssituationen, von denen der eine oder die andere von uns
vielleicht etwas wiedererkennen. Alltagssituationen, die etwas zu tun haben mit
dem kurzen Absatz aus der Bergpredigt, der heute als Predigttext vorgeschlagen
ist:
Jesus sagt: Weiter habt ihr gehört, dass zu den
Alten gesagt wurde: Du sollst keinen Meineid schwören, sondern dem Herrn deine
Eide einlösen. Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören. Nicht
beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, nicht bei der Erde, denn sie ist der
Schemel seiner Füsse, nicht bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des grossen
Königs, und auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören, denn es steht nicht
in deiner Macht, auch nur ein einziges Haar weiss oder schwarz werden zu
lassen. Eure Rede sei Ja, Ja und Nein, Nein. Alles andere ist von Übel.
Liebe Gemeinde,
in diesem größeren Abschnitt der Bergpredigt geht es darum, was Menschen tun
sollen, wenn es ihnen ernst ist mit dem Glauben, darum, wie man bewährten
Verhaltensweisen und überlieferten Ratschlägen umgeht. Vielleicht kommt einem
beim ersten Hören der Gedanke, dass gerade dieses Stück mit uns nicht allzu
viel zu tun hat, zumindest ging es mir so beim ersten Blick in den Predigtplan
letzte Woche. Wir sind nicht so schnell mit dem Schwören wie man das im antiken
Mittelmeerraum offensichtlich war, oder wie das auch Jugendliche heutzutage
sein können. Wir stehen auch nicht an der Stelle der Theologen der Bekennenden
Kirche, die in der Nazizeit den Amtseid auf Führer und Reich verweigerten und
damit ihrer öffentlichen Karriere effektiv ein Ende setzten.
Aber auch wir
kommen in Situationen, in denen wir erleben: Unser eigenes Wort reicht
plötzlich nicht aus. Ich sage etwas, und man glaubt mir nicht. Vielleicht, weil
irgendwelche Umstände gegen mich sprechen, vielleicht, weil ich mich durch
irgendetwas selbst unglaubwürdig gemacht habe, warum auch immer.
Wenn dieser
Fall eintritt, dann wird es meistens laut und wortreich. Dann fangen wir an zu
beteuern, Ehrenworte abzugeben, vielleicht auch: auf ganz eigene Art dann doch
zu schwören und alle möglichen Zeugen für unsere eigene Glaubwürdigkeit
aufzurufen. Aber wer andere für sich in Anspruch nimmt, riskiert, dass er sich
irgendwann vor ihnen verantworten muss. Das ist dem Bischof von Limburg
passiert, mit seiner eidesstattlichen Versicherung: Da ruft man die Staatsmacht
als Zeugen auf – und die meldet sich in dem Fall zurück und behaftet ihn bei
dem, was er gesagt hat.
Vor diesem
Hintergrund verstehe ich das, was Jesus sagt: Ihr sollt überhaupt nicht
schwören, ihr seid zur Freiheit befreit und sollt Euch nicht plötzlich durch
die Hintertür wieder abhängig machen von Euren Schwüren und von denen, die ihr
auf die Bühne zerrt, damit sie Euren Kredit absichern.
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Liebe Gemeinde,
irgendwie wissen wir das alles ja selbst. Wir wissen, aus der einen oder
anderen Perspektive, dass alles Schwören, alle Beteuerungen, alle Ehrenworte
nichts bringen, wenn die eigene Glaubwürdigkeit angekratzt ist. Manche von uns
zucken vielleicht zusammen, wenn wir Gespräche wie solche an der
Vischeringstraße hören, wenn jemand sagt „ich schwöre bei Gott“, weil wir
vielleicht ahnen, dass man sich damit übernimmt, dass Gott eine Nummer zu groß
für unser Alltagsgeschäft ist, und weil wir davon ausgehen können, dass Gottes
Name das so ziemlich am meisten missbrauchte Wort der Weltgeschichte ist und
immer wieder für alles und jeden in Anspruch genommen und in den Ring gezerrt
wird. Jesus sagt: Lasst es, das braucht es gar nicht, und für mich steckt
tatsächlich auch eine Ermutigung in diesem Verbot, bei Gott und dem Himmel und
der Erde und allem möglichen zu schwören. Jesus sagt damit nämlich auch all
denjenigen, die ihn auf dem Berg hören: Ich traue Euch zu, selbst für euer Wort
und eure Glaubwürdigkeit einzustehen. Und wer sich selbst glaubt, braucht nicht
sich und andere durch noch so schwülstige Schwüre und Eide überzeugen.
Sondern kann
das tun, was Jesus uns am Ende rät: Eure Rede soll ja, ja und nein, nein sein.
Mehr nicht. Alles andere ist von Übel. Punkt. Ich glaube, dass man die Reihe
erlaubter Antworten noch erweitern kann, ich glaube zum Beispiel, dass man auch
ehrlich sagen darf: „Ich weiß es nicht“. Aber ich möchte das, was Jesus da
sagt, ernst nehmen, weil ich es von mir selbst kenne und oft erlebe, dass Menschen
sich oft genug davor drücken, klar „Ja“ oder „Nein“ zu sagen – und das dann
auch zu meinen.
Das Phänomen
können Sie in jeder Disko bestaunen. Da lernen sich ein junger Mann und eine
junge Frau kennen, verbringen den Abend eng umschlungen auf der Tanzfläche, und
einem von beiden ist diese Begegnung ein bisschen wichtiger als dem anderen.
Und so steckt sie ihm am Ende des Abends einen Zettel mit ihrer Telefonnummer
zu und fragt ganz leise: „Rufst du mich an?“ Und er macht „hmhm“, und beide
ziehen ihrer Wege. Und natürlich ruft er nicht an, vielleicht schmeißt er den
Zettel noch vor der Disko in den Müll, weil ihm der Abend nicht so wichtig war
wie ihr. Und dann treffen sie sich Wochen später irgendwo beim Einkaufen
wieder, und sie sagt leise, traurig: „Du wolltest doch anrufen!“ Und er könnte
jetzt „Nein!“ sagen und die Sache ein für alle Mal klären, aber er tut es
nicht, sondern entschuldigt sich wortreich, es wäre so viel zu tun gewesen, seine
Mutter ist krank, das Auto kaputt, und außerdem hat er den Zettel verloren. Und
dann bekommt er ihre Telefonnummer nochmal, sie verabschiedet sich ganz
hoffnungsvoll: „Bis bald“, und er macht „hmhm“ und wird sie natürlich nicht
anrufen. Und sie wird zuhause sitzen und warten und sich Hoffnungen machen und
nicht wissen, woran sie ist. Eure Rede sei ja, ja, nein, nein. Alles andere ist
von Übel.
Liebe Gemeinde,
machen wir uns nichts vor, es ist nicht einfach, immer klare Ansagen zu machen.
Helmut Schmidt hat einmal gesagt: Mit der Bergpredigt kann man keine Politik
machen. Und vielleicht hat er (höchstens!) in diesem einen Punkt zumindest auf den ersten
Blick Recht, denn ein Politiker, der sich Jesu Ratschläge zu eigen macht, muss
wahrscheinlich um seine Wiederwahl fürchten, wenn er ernst macht und sich nicht
in Ausflüchte und wolkige Erklärungen flüchtet und stattdessen sagt: Ja, ja,
nein, nein, oder auch: Ich weiß es nicht.
Herr
Finanzminister, wird die Eurorettung mehr kosten, als Sie bisher gesagt haben?
– Ja.
Frau
Bundeskanzlerin, finden Sie, dass Ihr Handy wichtiger ist als das der
Unzähligen Ihrer Wählerinnen und Wähler, die auch abgehört wurden? - Ja.
Herr
Europaratsabgeordneter, tut die EU genug, um Flüchtlingskatastrophen wie die vor
Lampedusa zu verhindern? – Nein.
Herr
Innenminister, wollen Sie und Ihre Partei etwas am Asylgesetz ändern, damit die
Aufnahme von Flüchtlingen erleichtert wird? – Nein.
Mit solcher
Offenheit würde jeder der Befragten seine Wiederwahl gefährden. Aber vielleicht
würde so auf lange Sicht etwas von dem Vertrauen in unsere Politikerinnen und
Politiker zurückkehren, das verloren gegangen ist.
Liebe Gemeinde,
das alles ist nicht einfach. Der Predigttext von heute nicht, und eigentlich
ist nichts von dem, was Jesus in der Bergpredigt oder anderswo von uns fordert,
einfach, weil es so oft quer steht zu dem, was wir gewohnt sind. Weil wir
natürlich befürchten müssen, und unbeliebt zu machen und Erwartungen zu
enttäuschen, wenn wir klar sagen: Ja und nein und keine Ahnung. Oder weil man
vielleicht lange schwelende Konflikte zum Ausbruch bringt, wenn jemand, der
oder die sich immer nach anderen gerichtet hat, plötzlich sagt, was ihm oder
ihr wichtig ist.
Aber Jesus legt
auch den Grund, den festen Boden, auf dem man zu seinem eigenen Wort stehen und
auch schwierige Konflikte austragen kann. Ganz am Anfang der Bergpredigt sagt
er das, was kein Mensch sich selber sagen kann: Ihr seid das Licht der Welt.
Ihr seid das Salz der Erde. Und wenn er das sagt, wird es wohl stimmen, auch,
wenn es manchmal schwer fällt zu glauben. Denn Jesus ist für das eingestanden,
was er gesagt hat, er hat das, was er gesagt hat, in die Tat umgesetzt, und er
ist dafür bis ans Kreuz gegangen.
Deswegen will
ich ihm glauben, wenn er sagt: Eure Rede sei ja, ja, nein, nein, alles andere
ist von Übel. Oder, in den Worten eines der beiden Mädels von der
Vischeringstraße gesagt: Laber nicht.
Das nehme ich
mit, und das nehme ich mir vor, möglichst heute schon: Klar und offen zu sein,
und dadurch glaubwürdiger zu werden, sodass ich hoffentlich keine Schwüre,
keine Beteuerungen, keine Wolke an Zeugen brauche. Ja, ja, und nein, nein. Und
in den Situationen, in denen ich dafür ganz besonders mutig sein muss, spreche
ich in Gedanken einen kleinen Zusatz mit, der wird hoffentlich erlaubt sein:
Ja, ja, nein, nein – mit Gottes Hilfe.
Amen.
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