Ein bisschen sommerlochträge, von daher hier nur ein paar Hör- und Nachleseempfehlungen. Wem dieser Blog gefällt, der wird vielleicht auch den einen oder anderen Beitrag bei Kirche in 1Live interessant finden...
Samstag, 27. Juli 2013
Montag, 22. Juli 2013
Abendmahlsbrot aus eigener Herstellung
Wer, wie ich, den symbolischen Wert von Esspapier nicht allzu hoch schätzt und auch gewürfeltes Toastbrot nur unwesentlich stimmiger findet, kommt vielleicht früher oder später auf die Idee, eigenes Abendmahlsbrot zu backen. In manchen Gemeinden gibt es die gute Tradition, dass Familien sich mit dem Backen abwechseln und so auf eine sehr basale und handgreifliche Art und Weise etwas zum Gottesdienst beitragen.
Falls jemand das Rezept benutzt - ich freue mich über Erfahrungsberichte und Verbesserungsvorschläge!
Falls jemand das Rezept benutzt - ich freue mich über Erfahrungsberichte und Verbesserungsvorschläge!
Grundrezept für ein Blech
1 kg Weizenmehl
650 – 700 ml Wasser
1 Würfel Frischhefe
1 EL Salz
3 EL Olivenöl
Die
Hefe in einer ausreichend großen Schüssel im lauwarmen Wasser auflösen und das
Mehl hinzugeben. Gut durchkneten und 10 Minuten gehen lassen. Wenn die Hefe
merklich zu arbeiten begonnen hat, Olivenöl und Salz unterrühren und den Teig
so lange durchkneten, bis die Salzkörner aufgelöst sind. Wem der Teig etwas
weich/nass vorkommt – so ist es genau richtig!
Den
Teig zugedeckt an einem warmen Ort (max. 40°) etwa eine halbe Stunde gehen
lassen, bis sich das Volumen ungefähr verdoppelt hat.
Ein
Backblech (ideal: Fettpfanne des Backofens) mit Backpapier auslegen und den
Teig gleichmäßig darauf verteilen. Besonders gleichmäßig geht das, denn man auf
den Teig ein mit Olivenöl bestrichenes Blatt Backpapier legt und den Teig
zwischen den Backpapieren mit dem Nudelholz ausrollt. Durch das Olivenöl
bekommt das Brot außerdem eine schöne Oberfläche.
Auf
die mittlere Schiene des kalten Backofens schieben, auf 200° Ober- und
Unterhitze stellen und insgesamt ca. 30 Minuten backen (bei bereits
vorgeheiztem Backofen verkürzt sich die Backdauer um etwa zehn Minuten, dann
sollte man dem Teig aber vorher noch ein wenig Zeit gönnen).
Das Brot ist fertig, wenn die Oberfläche goldbraun ist und bei leichtem Druck zurückfedert. Vom Backblech nehmen und auf einem Kuchengitter unter
einem Handtuch auskühlen lassen.
Ein paar Anmerkungen:
- Das Rezept ist in der Vorbereitung eines Abendmahls-Workshops in der Gemeinde entstanden, an dessen Ende ein in Kleingruppen vorbereitetes Tischabendmahl stand. Die vergleichsweise hohe Wassermenge (Kenner_innen erkennen die Verwandtschaft zur Foccaccia) ist nicht zwingend notwendig, sondern diente vor allem dazu, den Teig möglichst klebrig zu machen und so das Gemeinschaftserlebnis der Backgruppe zu pimpen - immerhin verbinden und demokratisieren nur wenige Dinge so sehr wie das Rumpantschen in ellbogentiefem Matsch! Man kann guten Gewissens 100-200 ml weniger nehmen. Auch der Vorteig ist nicht unbedingt nötig; er diente ebenfalls der Verstärkung des Kneterlebnisses.
- Da Abendmahlsbrot in der Regel am Sonntagmorgen benötigt wird, man aber einerseits vielleicht nicht unbedingt um 6 Uhr morgens aufstehen will und Brot auf reiner Hefebasis schnell altbacken wird, kann man den Herstellungsprozess aufstückeln und den in der Fettpfanne verteilten Teig über Nacht im Kühlschrank gehen lassen. Eine solche lange Teigführung tut dem Brot auch gar nicht schlecht. Vorher sollte man allerdings ausprobieren, ob das Blech in den Kühlschrank passt...
- Für das Abendmahl kann das Brot in Stücke geschnitten werden. Will man es unbedingt brechen, kann man es bereits vor dem Backen an den Sollbruchstellen einschneiden. Dadurch geht es etwas leichter, allerdings wird das Brot an sich dadurch instabiler und knickt unter Umständen, wenn man es mit einer Hand irgendwo unten hält, in der Mitte durch.
- Im Gegensatz zu Toastbrot ist das Kölner Abendmahlsbrot erfreulich krümelfrei (auch das ein Segen der langen Teigführung). Für durchgehende Intinctio ist das Brot trotzdem nicht unbedingt geeignet - aber die sollte ohnehin nur Notlösung sein, schließlich heißt Abendmahl ja "Essen und Trinken, nicht Tunken"!
Labels:
Abendmahl,
Brot,
Gemeinde,
Gottesdienst,
Küchentheologie
Freitag, 19. Juli 2013
Ab jetzt neu: Der casual friday!
In Berufen mit traditionell strengen Dresscodes ist es seit Mitte des 20. Jahrhunderts Sitte (gewesen?), am Freitag im Büro die obersten Hemdknöpfe aufzumachen, die Ärmel hochzukrempeln oder, am Aloha Friday, Hawaiihemden zu tragen und sich so in Wochenendstimmung zu schaukeln. Von einer casual-friday-Regelung in der kirchlichen Amtstrachtsverordnung ist mir nichts bekannt, von daher beerdige ich freitags bis auf Weiteres in schwarz. Aber, wer weiß...
Ab sofort geht es jedenfalls bei den Kirchengeschichten freitags more casual zu, sprich: Der Freitag gehört dem Humor, der Satire, dem Spökes und Quatsch - entweder aus eigener Werkstatt oder aus der weiten Fundgrube des Internet.
Labels:
Cartoons,
casual friday,
EKD,
EKD-Familienpapier,
Humor,
Kirche
Donnerstag, 18. Juli 2013
Ab ins Tiefe - Predigt über Lk 5,1-11
Liebe
Gemeinde,
„Nicht
ins Tiefe“, schärfen wir unseren badenden Kindern ein, wenn sie noch nicht so
gut schwimmen können, nicht zu weit weg vom Ufer, nicht dahin, wo die Füße
nicht mehr den Boden berühren. Zur Urlaubszeit wird immer wieder vor dem
Schwimmen in unbekannten Gewässern gewarnt, wo man die Strömungen unter der
Oberfläche und mögliche Untiefen nicht einschätzen kann.
(c) A. Dreher / pixelio.de |
Rund 65% der Erdoberfläche gehören
zur so genannten „Tiefsee“, also die Abgründe im Meer, in denen es bis zu
10.000 Metern tief hinunter geht. Dort herrscht nahezu vollständige Dunkelheit,
die Temperatur liegt um den Gefrierpunkt und dem Druck der Wassermassen kann
kein Mensch standhalten. Rund 1% dieser Tiefsee ist erforscht, selbst über die
Rückseite des Mondes wissen wir mehr. Wir wissen, dass es da unten Leben gibt.
Bizarres, seltsames Leben, vielleicht
kennen sie Bilder von Tiefseefischen, die mit riesigen Mäulern und
Zähnen wie die Seeungeheuer aus alten Seefahrergeschichten aussehen.
Der
Volksmund raunt: „Stille Wasser sind tief“, und meint damit, dass sich unter
der Oberfläche so mancher stiller Zeitgenossen Ungeahntes abspielt, schlafende
Hunde, die man besser nicht weckt.
Die
Tiefe ist also nicht ungefährlich, Ungeahntes kann hier zu Tage treten –
vielleicht spielt sie deswegen im heutigen Predigttext eine Rolle. Hören sie
selbst die bekannte Geschichte vom „Fischzug des Petrus“ aus Lukas 5:
Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eins der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, so daß sie fast sanken. Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfaßt und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen (lebendig) fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.
Wir befinden uns noch am Rand des Sees, relativ am Anfang des
Evangeliums – und doch hat Jesus aus Nazareth schon von sich reden gemacht.
Eine Volksmenge drängt sich um ihn, Menschenmassen, die ihn hören wollen. So
viele, dass er sich Platz schaffen muss; er geht zu den Fischern, die am Rand
des Sees ihre Netze waschen und lässt sich von ihnen wie eine schwimmende Bühne
bereitstellen: Er bat sie, ein wenig vom Ufer wegzufahren. Da steht er dann und
redet, und die Menge hört staunend zu. Das kennen wir: Religiöse Großevents haben Hochkonjunktur, und sicherlich kann man sich fragen, wie tief derartige Massenveranstaltungen überhaupt gehen können.
Vielleicht
kann das nur entscheiden, wer dabei gewesen ist. Unser Bibeltext schweigt sich
darüber aus, die Volksmenge verschwindet irgendwann aus dem Bild an den Rand.
Jesus hat fertig gelehrt. Nun kommt eine Einzelbegegnung inmitten des Trubels
in den Blick, eine Begegnung zwischen Jesus und Petrus, in dessen Boot er
sitzt:
Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon:
Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
Fahre
hinaus, wo es tief ist. Fahre hinaus, weg vom Ufer und seinen seichten
Gewässern. Fahr dorthin, wo Du den Boden unter den Füßen verlierst, wo Du
keinen Grund siehst, wo Du nicht weißt, was sich unter der Oberfläche abspielt.
Und werft eure Netze dort zum Fang aus.
Und mit der
Antwort von Petrus sind wir schon in tieferen Gewässern unterwegs:
Meister, wir haben die ganze
Nacht gearbeitet und nichts gefangen
Hier
schwankt der Schiffsboden schon ganz gewaltig, hier sind wir nahe am Abgrund:
Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Was dem
Freizeitangler die Urlaubsstimmung vermiest, vielleicht kennen Sie das ja aus
der Familie, bedeutet im professionellen Fischfang eine mittlere Katastrophe –
auch heute noch: Die ganze Nacht gearbeitet, Zeit, Geld und Arbeitskraft
investiert – und der erhoffte Fang bleibt aus, das überlebensnotwendige
Tagesgeschäft ist bedroht. Heute werden keine Fische verkauft, heute kommt kein
Geld rein, heute werden die Familien unter Umständen hungrig ins Bett gehen.
Hier
sind wir auf dem Weg in die Tiefe, denn das Eingeständnis ist kein leichtes: Es
war alles umsonst. Alle Mühen, alle Arbeit – es hat nichts genützt. Vor einigen Wochen standen in NRW die Abiturprüfungen an. Es wird manche Schülerin und
manchen Schüler gegeben haben, der mit genau diesem Gefühl nach Hause gegangen
ist – und mit der Angst, genau diesen Satz zu sagen: Nächtelang gearbeitet, und
es hat nichts genützt.
Aber
Petrus redet weiter. Und seine Reaktion ist doch eher unerwartet:
auf dein Wort will ich die
Netze auswerfen
Wir
wissen nicht, was sich auf diesem Boot zwischen Jesus und Petrus abgespielt
hat, das Petrus, den erfahrenen Fischer, dazu veranlasst hat, sich von einer
Landratte aus Nazareth Tipps geben zu lassen. Noch dazu eigentlich völlig
unsinnige, denn mitten am Tag fährt in Galiläa kein Fischer, der was auf sich
hält, raus. Vielleicht hatte dieser Jesus ein besonderes Charisma. Vielleicht hatte
Petrus einfach nichts zu verlieren. Vielleicht liegt es auch daran, dass Jesus
selbst mit im Boot sitzt. Dass er nicht einfach dabei steht und vom Ufer aus
gute Ratschläge zuwirft, sondern selbst auf den Wellen auf und ab schaukelt und
Petrus auf dem Weg ins Tiefe begleitet.
Liebe
Gemeinde, lassen wir auf dem Weg ins Tiefe hier das Ruder mal einen Moment
ruhen, setzen kurz den Anker und bleiben bei diesem Gedanken. Denn ich glaube,
hier blitzt der Grundgedanke des biblischen Gottesbildes auf: Er sitzt mit im
Boot. Davon weiß das jüdische Volk Geschichten zu erzählen: Gott ist mit ihnen,
er zieht mit ihnen durch turmhohe Meeresfluten und brennend heißen Wüstensand.
Vorhin haben wir uns Worte aus dem Jonapsalm geliehen, aus dem verzweifelten
Hoffnungsgesang, den der in die Irre gegangene Prophet im Bauch des Fisches
anstimmt, in dem er erkennt, dass er auch als Ertrinkender, dem die Luft
ausgeht, dem sich das Schilf wie eine Schlinge um den Hals legt, nicht
dauerhaft von Gott getrennt ist. In Jesus Christus hat Gott seine Sympathie für
uns, sein (wörtlich übersetzt) Mit-Leiden auf die Spitze getrieben, auf die
Spitze des Schädelberges namens Golgatha, um von dort aus in die tiefsten
Tiefen von Tod und Gottverlassenheit hinabzustürzen.
Jesus
sitzt mit im Boot. Das gibt Petrus den Mut, ins Tiefe zu gehen. Das ist doch
auch das, was uns im Leben den Mut gibt, in die Tiefe zu gehen, uns unseren
eigenen Abgründen und den heiklen Fragen zuzuwenden: Nicht der gut gemeinte
Ratschlag, das aufmunternde Zurufen vom Ufer aus, sondern die Hand auf der
Schulter von einem, der mit im Boot sitzt.
Für Petrus zahlt sich der Weg ins Tiefe aus, auch, wenn er alles andere als stress- und risikofrei ist.
Erstens:
Wer in die Tiefe geht, kann einen großen Fang machen, größer als an der
Oberfläche, wo sie alle, Sport- und Freizeitfischer und Gelegenheitsangler,
ihre Ruten und Netzte ins Wasser halten. Weil sich manche Fische in die Tiefe
zurückziehen. Und weil das Flachwasser und die Oberfläche abgefischt sind.
Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge
Fische, und ihre Netze begannen zu reißen,
so der Text.
Wer in die Tiefe geht, der wird etwas hochholen. Das kann etwas so Gewaltiges sein, dass es
die eigenen Kräfte fast übersteigt. Petrus erkennt dieses Risiko und ruft die
anderen Fischer zu Hilfe. Das ist die zweite Einsicht dieses Weges ins Tiefe,
dieses Fischens am Grund: Ich schaffe es nicht allein:
Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot
waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide
Boote voll, so daß sie fast sanken.
Petrus
sieht, dass er Hilfe braucht – und spricht es aus. Auch das nicht ganz einfach,
auch für uns nicht. Und er macht die wunderbare Erfahrung, dass er nicht allein
ist. Mit Jesus im Boot stellen sich ihm andere an die Seite, um mit vereinten
Kräften gemeinsam den Fang in der Tiefe an Land zu bringen, zu sichern und zu
verarbeiten. Auch das ist nicht ohne Dramatik, der Fang ist so gewaltig, dass
die Boote fast sinken – und wer andere dabei begleitet, wenn es ins Tiefe geht,
der wird erleben, dass man da auch an die Grenzen der eigenen Kraft gehen kann.
Das geht den ehrenamtlichen Mitarbeitenden im Hospiz nicht anders als dem
Freund oder der Freundin, die bis in die Nacht mit am Küchentisch sitzt, Tränen
trocknet und Schweigen erträgt.
Und drittens
lernt Petrus etwas über sich selbst, denn der Weg in die Tiefe bleibt
ambivalent. In dramatischer Sprache fährt der biblische Text fort:
Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und
sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken
hatte ihn erfaßt und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie
miteinander getan hatten.
(c) Lara Dengs / pixelio.de |
Wer in
tiefen Gewässern fischt, holt nicht nur die dicksten glänzenden Speisefische
nach oben, sondern wirbelt vielleicht auch den Schlamm auf dem Grund des Sees
auf – und stößt auf so manch versunkene Überreste, stinkende Fischkadaver oder
rätselhafte, erschreckende Tiefseebewohner. Erkenntnisse über sich selbst, die
nicht ohne Grund im Schlamm auf dem Grund des Sees verschüttet waren,
Einsichten und Erinnerungen, die schwer zu tragen sind. Petrus zwingt es in die
Knie, er sagt zu dem, der ihn in die Tiefe begleitet hat: Geh weg von mir. Ich
bin ein sündiger Mensch. Da unten lauern Dinge, die so fundamental falsch
gelaufen sind. Dinge, die ich getan habe oder die mir passiert sind, die andere
mir getan haben, die so schäbig sind, dass ich mich vor mir selber ekele.
Wir wissen
nicht, was Petrus gesehen hat, als er sich im tiefen Wasser gespiegelt hat. Wir
wissen nicht, welche versunkenen Erfahrungen an die Oberfläche gekommen sind.
Was sieht Petrus in der Tiefe? Was sehen wir, wenn wir uns selbst auf den Grund
gehen?
Es ist
bezeichnend, dass die Bibel die Intimität dieser Begegnung schützt. Lukas berichtet
nur von der Reaktion Jesu – und vielleicht ist das das eigentlich Wundersame,
das Unerwartete, das Heilvolle und das Rettende in dieser Geschichte, viel mehr
als der wundersame Fischfang: Jesus wendet sich nicht ab. Er bleibt im Boot.
Fürchte dich nicht, sagt er. Ich weiß, was Du gesehen hast. Ich weiß, wer Du ist. Aber ich
bleibe bei dir. Mehr noch: Von nun an
sollst Du Menschen fangen, die Übersetzung ist hier etwas missverständlich,
man kann auch lesen: Von nun an sollst Du Menschen das Leben schenken, für das
Leben in den Bann ziehen, zu neuem Leben verhelfen. Jetzt kann Petrus das, weil
er sich mit Jesus an der Hand ins Tiefe gewagt hat, sich selbst auf den Grund
gegangen ist und die Erfahrung gemacht hat, dass dieser sich nicht abwendet.
Diese
Begegnung verändert sein ganzes Leben. Und
sie brachten die Boote an Land, verließen alles und folgten ihm nach.
Man kann
nicht ewig in der Tiefe bleiben. Es geht wieder zurück an Land, zurück auf
festen Boden – und doch ist nichts, wie es war.
Das ist das
Verheißungsvolle an diesem Text, an diesem Tiefgang.
Fahr hinaus,
dorthin, wo es tief ist. Trau dich weg vom Ufer und seinen seichten Gewässern,
weg von der Oberfläche, von den Menschenmassen mit ihren Erwartungen. Fahr
hinaus, dorthin, wo es tief ist. Und fürchte dich nicht, denn, so spricht
Christus: Siehe, ich bin bei euch, alle Tage, bis ans Ende der Welt.
Amen.
(c) Lichtkunst.73 / pixelio.de |
Labels:
Predigten,
Sommer,
Spiritualität
Montag, 15. Juli 2013
The Sense of Urgency, oder: Was Kirche und Baumarkt gemeinsam haben
Da sitzt man noch ganz beeindruckt von den grandiosen gemeindlichen Aufbrüchen in den Niederlanden am Schreibtisch und schreibt über das dort in all seiner Härte erkannte Ende der Selbstverständlichkeit volkskirchlicher Relevanz:
Das ungeschönte Krisenbewusstsein, ein „sense of urgency“ und das Eingeständnis, mit den über Jahrzehnte selbstverständlichen und gleichermaßen diffusen Konzepten von „Volkskirche“ an einem Ende angekommen zu sein. Das vermisse ich in Deutschland, wo die Situation sicherlich weniger prekär als in den Niederlanden ist. Aber es kann durchaus auch nur eine Frage der Zeit sein, bis auch wir gar keine andere Wahl mehr haben. Vielleicht sind wir noch nicht so weit – bekanntermaßen ist Leiden ja einfacher als Verändern. Und vielleicht ist unser Leidensdruck noch nicht groß genug, vielleicht sind die pseudotheologischen Beschwichtigungsformeln, mit denen wir unsere Statistiken schön reden, noch zu wolkig und zu mächtig.
Und am selben Tag geht ein Brief der rheinischen Kirchenleitung an die Kirchenkreise und landeskirchlichen Einrichtungen raus, zwei Tage später wendet sich der rheinische Präses Manfred Rekowski in seinem Videoblog an die Öffentlichkeit. Der Tenor: Die finanzielle Lage sieht schlecht aus, dramatischer als gedacht. Der Präses sagt: "Wir werden uns kleiner setzen müssen" - im Klartext heißt das unter anderem, dass im landeskirchlichen Haushalt in den nächsten fünf Jahren 35% eingespart werden sollen und "dass wir die Arbeitsweise, die Arbeitsformen und Strukturen unserer Kirche umfassend verändern müssen."
Wieder einmal ist es das (fehlende) Geld, das die Brisanz der Situation deutlich macht, im Präsesblog ist mehrfach von einem "Kassensturz" die Rede, der Klarheit brachte. Das allein weckt die Frage, ob nicht all die anderen Zahlen der letzten Jahre gereicht haben: Die desaströs geringe Gottesdienstteilnahme (manchmal auch als vermeintlich "evangelische Freiheit, 'Nein' zum Gottesdienst zu sagen", verbrämt), die niedrige (aktive wie passive) Beteiligung bei Presbyteriumswahlen, all die Anzeichen dafür, dass wir mit unseren Kernangeboten nur äußerst wenige Menschen erreichen. Vielleicht braucht man das Gefühl von Objektivität und Sachlichkeit, das die nackten Zahlen vermitteln, und die gedankliche Entlastungsmöglichkeit, das, was nicht läuft, auf das Schreckgespenst des demografischen Wandels abzuwälzen. Vielleicht gilt auch, was einem Bischof der anglikanischen Kirche zugeschrieben wird: "Gott hat immer die richtige Sprache gefunden, um seiner Kirche zu sagen, dass etwas falsch läuft. Die Sprache, die wir verstehen, ist die des Geldes."
Ganz ungefährlich sind die Zahlen als Motoren und Motivatoren organisatorischen Umdenkens indes nicht, darauf hat u.a. Christian Möller nachdrücklich hingewiesen:
Aber lassen wir das für einen Moment, und machen wir einen kurzen gedanklichen Sprung zu einem anderen Großunternehmen, dessen finanzielle Not dieser Tage Schlagzeilen macht: Die Baumarktkette Praktiker hat Insolvenz angemeldet. In den zahl- und wortreichen, dabei einander oft ähnlichen Kommentaren und Analysen zur Situation (interessant und anders: Stephan Kaufmann) werden vor allem zwei Ursachenkomplexe hervorgehoben. Zum Einen falsch eingesetzte Ressourcen: "Der Verwaltungsapparat ist aufgebläht [...]. Im Übrigen, in den letzten eineinhalb Jahren wurden 80 Millionen Euro alleine für Berater-Gutachten ausgegeben", so eine Großaktionärin - ein Schelm, wer hier an Kirche denkt. Zum Anderen die berühmt-berüchtigte ("Zwanzig Prozent auf alles außer Tiernahrung"), am Ende aber kolossal "fehlgeschlagene Rabattstrategie. Sie brachte dem Unternehmen ein Billig-Image, beschädigte die Marke".
Die Assoziationen, die das unschöne Stichwort "Billig-Image" in mir weckt, kann ich nicht so leicht abschütteln, wie ich es gerne täte. Ebensowenig die leisen, aber nervig pochenden Fragen:
Wir tragen mit leidenschaftlichem Pathos unseren Anspruch vor, "Kirche für alle" sein zu wollen - aber fallen wir uns nicht mit der skandalösen und dabei in den meisten Gemeinden beharrlich betriebenen Milieuverengung selbst ins Wort?
Und sind wir nicht in unseren irgendwann vielleicht sogar mal begründeten, mittlerweile aber vielerorts zu automatisierten und selbstgefälligen Schattengefechten degenerierten Abgrenzungen von der Enge und Strenge früherer Generationen übers Ziel hinausgeschossen?
Laufen wir nicht Gefahr, mit unseren fehlgeschlagenen religiösen Rabattstrategien eine theologische Insolvenz herbeizuführen? (Ja, ich schmeiße ein paar Euro ins Phrasenschwein.)
Statt "Kirche für alle" (ob und wie das im Einzelfall funktionieren könnte, sei mal dahin gestellt, auch die Frage nach der theologischen Begründung lassen wir mal tunlichst außen vor) zu sein, haben wir uns vor allem zur "Kirche für alle, die gerne in Ruhe gelassen werden" entwickelt.
Wir sind sehr geübt darin, den unentschlossenen Mitgliedern am Rand der Kirche, meist im vorauseilenden Gehorsam, Beschwichtigungsformeln zuzurufen, um ihnen ein wohlwollendes Kopfnicken zu entlocken und das Versprechen, dann doch weiter Kirchensteuer zu bezahlen, statt dem Roten Kreuz etwas zu spenden. Und nehmen damit diejenigen Menschen nicht ernst, die nach Perspektiven suchen, die über das hinausgehen, was sie sich auch selbst sagen können.
Wir halten uns für religionspädagogische Avantgarde, weil unsere Konfirmand_innen nichts mehr auswendig lernen müssen - und nehmen ihnen damit die Chance, in Auseinandersetzung mit traditionellen und bewährten Formulierungen ihre eigene religiöse Sprachlosigkeit zu überwinden.
Wir missbrauchen die an sich wichtige Einsicht von der Vorläufigkeit allen menschlichen Tuns und der Brüchigkeit unserer Erkenntnis, um damit unausgegorene und handwerklich schlecht gemachte Predigten, lieblos zusammen geschusterte Gottesdienste und theologisch bestenfalls halbgare Richtigkeiten zu legitimieren.
Wir inszenieren uns als "Kirche für alles", halten für jede öffentliche Veranstaltung ein gefälliges Grußwort bereit und freuen uns über unsere Relevanz als Akteure im öffentlichen Leben, verdrängen dabei aber oft genug unseren prophetischen Auftrag, der uns dazu bringen könnte, die Intentionen so mancher Veranstaltung, die wir mit einem religiösen Goldrand versehen und damit legitimieren, in Frage zu stellen.
Um es klar zu stellen: Es geht nicht darum, angesichts einer unbequemen und unübersichtlichen Postmodernen den neofundamentalistischen Fluchtreflexen zurück zu einer autoritären "Is so!"-Theologie nachzugeben. Aber vielleicht darum, den externen Beraterinnen und Beratern, denen wir so viel Geld hinterherschmeißen, mal zu glauben, wenn sie uns durch die Bank raten, uns auf unser "Kerngeschäft" zu konzentrieren und die oftmals hausgemachte Angst abzulegen, man würde uns dadurch für religiöse Spinner halten - und damit auch endlich die innerkirchlichen Grabenkämpfe des letzten Jahrhunderts ruhen zu lassen.
Und es geht darum, die prekäre Situation nicht als Damoklesschwert am reißenden Faden, sondern als kairós zu entdecken, als einen geschenkten Anlass, unsere kirchliche Praxis und die dahinter stehenden ekklesiologischen Grundentscheidungen oder Missverständnisse zu hinterfragen.
Ganz ungefährlich sind die Zahlen als Motoren und Motivatoren organisatorischen Umdenkens indes nicht, darauf hat u.a. Christian Möller nachdrücklich hingewiesen:
Sind Zahlen erst einmal vorhanden, so lösen sie ihre eigene Logik aus und lähmen die Kirche, so daß sie vor ihrer futuristisch hochgerechneten Zukunft wie ein Kaninchen vor der Schlange erstarrt und dem adventlich zukommenden Reich Gottes nichts mehr zutraut, da es empirisch nicht verwertbar zu sein scheint.
- Chr. Möller, Lehre vom Gemeindeaufbau. Bd. 1, Göttingen ²1987, 22.
Aber lassen wir das für einen Moment, und machen wir einen kurzen gedanklichen Sprung zu einem anderen Großunternehmen, dessen finanzielle Not dieser Tage Schlagzeilen macht: Die Baumarktkette Praktiker hat Insolvenz angemeldet. In den zahl- und wortreichen, dabei einander oft ähnlichen Kommentaren und Analysen zur Situation (interessant und anders: Stephan Kaufmann) werden vor allem zwei Ursachenkomplexe hervorgehoben. Zum Einen falsch eingesetzte Ressourcen: "Der Verwaltungsapparat ist aufgebläht [...]. Im Übrigen, in den letzten eineinhalb Jahren wurden 80 Millionen Euro alleine für Berater-Gutachten ausgegeben", so eine Großaktionärin - ein Schelm, wer hier an Kirche denkt. Zum Anderen die berühmt-berüchtigte ("Zwanzig Prozent auf alles außer Tiernahrung"), am Ende aber kolossal "fehlgeschlagene Rabattstrategie. Sie brachte dem Unternehmen ein Billig-Image, beschädigte die Marke".
Die Assoziationen, die das unschöne Stichwort "Billig-Image" in mir weckt, kann ich nicht so leicht abschütteln, wie ich es gerne täte. Ebensowenig die leisen, aber nervig pochenden Fragen:
Wir tragen mit leidenschaftlichem Pathos unseren Anspruch vor, "Kirche für alle" sein zu wollen - aber fallen wir uns nicht mit der skandalösen und dabei in den meisten Gemeinden beharrlich betriebenen Milieuverengung selbst ins Wort?
Und sind wir nicht in unseren irgendwann vielleicht sogar mal begründeten, mittlerweile aber vielerorts zu automatisierten und selbstgefälligen Schattengefechten degenerierten Abgrenzungen von der Enge und Strenge früherer Generationen übers Ziel hinausgeschossen?
Laufen wir nicht Gefahr, mit unseren fehlgeschlagenen religiösen Rabattstrategien eine theologische Insolvenz herbeizuführen? (Ja, ich schmeiße ein paar Euro ins Phrasenschwein.)
Statt "Kirche für alle" (ob und wie das im Einzelfall funktionieren könnte, sei mal dahin gestellt, auch die Frage nach der theologischen Begründung lassen wir mal tunlichst außen vor) zu sein, haben wir uns vor allem zur "Kirche für alle, die gerne in Ruhe gelassen werden" entwickelt.
Wir sind sehr geübt darin, den unentschlossenen Mitgliedern am Rand der Kirche, meist im vorauseilenden Gehorsam, Beschwichtigungsformeln zuzurufen, um ihnen ein wohlwollendes Kopfnicken zu entlocken und das Versprechen, dann doch weiter Kirchensteuer zu bezahlen, statt dem Roten Kreuz etwas zu spenden. Und nehmen damit diejenigen Menschen nicht ernst, die nach Perspektiven suchen, die über das hinausgehen, was sie sich auch selbst sagen können.
Wir halten uns für religionspädagogische Avantgarde, weil unsere Konfirmand_innen nichts mehr auswendig lernen müssen - und nehmen ihnen damit die Chance, in Auseinandersetzung mit traditionellen und bewährten Formulierungen ihre eigene religiöse Sprachlosigkeit zu überwinden.
Wir missbrauchen die an sich wichtige Einsicht von der Vorläufigkeit allen menschlichen Tuns und der Brüchigkeit unserer Erkenntnis, um damit unausgegorene und handwerklich schlecht gemachte Predigten, lieblos zusammen geschusterte Gottesdienste und theologisch bestenfalls halbgare Richtigkeiten zu legitimieren.
Wir inszenieren uns als "Kirche für alles", halten für jede öffentliche Veranstaltung ein gefälliges Grußwort bereit und freuen uns über unsere Relevanz als Akteure im öffentlichen Leben, verdrängen dabei aber oft genug unseren prophetischen Auftrag, der uns dazu bringen könnte, die Intentionen so mancher Veranstaltung, die wir mit einem religiösen Goldrand versehen und damit legitimieren, in Frage zu stellen.
Um es klar zu stellen: Es geht nicht darum, angesichts einer unbequemen und unübersichtlichen Postmodernen den neofundamentalistischen Fluchtreflexen zurück zu einer autoritären "Is so!"-Theologie nachzugeben. Aber vielleicht darum, den externen Beraterinnen und Beratern, denen wir so viel Geld hinterherschmeißen, mal zu glauben, wenn sie uns durch die Bank raten, uns auf unser "Kerngeschäft" zu konzentrieren und die oftmals hausgemachte Angst abzulegen, man würde uns dadurch für religiöse Spinner halten - und damit auch endlich die innerkirchlichen Grabenkämpfe des letzten Jahrhunderts ruhen zu lassen.
Und es geht darum, die prekäre Situation nicht als Damoklesschwert am reißenden Faden, sondern als kairós zu entdecken, als einen geschenkten Anlass, unsere kirchliche Praxis und die dahinter stehenden ekklesiologischen Grundentscheidungen oder Missverständnisse zu hinterfragen.
Labels:
Gemeinde,
Kirche,
Moderne Zeiten,
Theologenalltag,
Zukurzgebratenes
Emergenz und höhere Mathematik - Predigt über Lk 9,10-17
Liebe Gemeinde,
in der Schule war ich nie besonders gut in Mathe. Vielleicht habe
ich deswegen Theologie studiert, anstatt irgendetwas „Anständiges“ zu machen.
Vielleicht gefällt mir auch deswegen die Geschichte besonders gut, die für
heute als Predigttext vorgeschlagen ist – denn hier kommt man mit Rechnen nicht
besonders weit, zumindest nicht so, wie wir es gewohnt sind. Sie kennen die
Geschichte alle, in unseren Bibeln ist sie überschrieben mit „Die Speisung der
Fünftausend“ und steht im Lukasevangelium, Kapitel 9:
Als die Apostel zu Jesus zurückkamen, berichteten sie ihm alles, was sie getan hatten. Danach nahm Jesus sie mit sich und zog sich in die Nähe der Stadt Betsaida zurück, um mit ihnen allein zu sein. Aber die Leute merkten es und folgten ihm in großen Scharen. Jesus wies sie nicht ab, sondern sprach zu ihnen über das Reich Gottes; und alle, die Heilung nötig hatten, machte er gesund. Als es auf den Abend zuging, kamen die Zwölf zu ihm und sagten: »Schick die Leute fort, dann können sie in die umliegenden Dörfer und Gehöfte gehen und dort übernachten und etwas zu essen bekommen. Hier sind wir ja an einem einsamen Ort.« Jesus erwiderte: »Gebt doch ihr ihnen zu essen!« – »Wir haben fünf Brote und zwei Fische, mehr nicht«, entgegneten sie. »Oder sollen wir uns etwa auf den Weg machen und für alle diese Leute Essen kaufen?« (Es waren etwa fünftausend Männer dabei.) Da sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Sorgt dafür, dass sich die Leute in Gruppen von je etwa fünfzig lagern.« Die Jünger taten, was Jesus ihnen gesagt hatte. Als alle sich gesetzt hatten, nahm Jesus die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf und dankte Gott dafür. Dann zerteilte er die Brote und die Fische und ließ sie durch die Jünger an die Menge verteilen. Und alle aßen und wurden satt. Am Schluss wurde aufgesammelt, was sie übrig gelassen hatten – zwölf Körbe voll.
- Neue Genfer Übersetzung
Liebe Gemeinde, eine große, eine unglaubliche Geschichte mit einer
noch größeren Menschenmenge. Lassen Sie uns am Rand Platz nehmen, bei Jesus und
den Jüngern – denn die sind uns, gerade
in dieser Geschichte, sehr nah und sehr ähnlich.
I. Das Ende der Addition
Um sie herum: Eine riesige Menschenmasse. Unsere Bibeln
überschreiben die Szene mit „Die Speisung der Fünftausend“, das stimmt aber
nicht ganz: Es sind allein fünftausend Männer, insgesamt also mindestens 15.000
Menschen, die sich da versammeln, ungefähr so viele, wie bei einem Abend in die
lachende Kölnarena kommen. Warum die Einzelnen alle gekommen sind? Wir wissen
es nicht, wir wissen nicht, was sie suchen, was sie sich von Jesus erhoffen,
was sie hören oder sehen wollen. Wir wissen nur, dass da ein brennendes
Interesse ist – und dass sie Hunger haben. Vielleicht war es damals so wie
heute: Seit längerem spricht man von einer „Wiederkehr der Religion“, einem neu
entdeckten Interesse, vielleicht sogar einer Sehnsucht nach mehr, als wir sehen
und erklären können. Unsere Kirchen werden zwar nicht voller, eher im
Gegenteil, aber Spiritualitätsseminare haben Hochkonjunktur, der esoterische
Büchermarkt boomt, alternative Medizin wird salonfähig.
Damals, am Rand der Stadt Betsaida, stillt Jesus die Sehnsucht der
Menschen nach einer Perspektive, die über ihre eigene Gegenwart hinausgeht, und
ihre Sehnsucht nach Heil-Sein und Ganz-Sein: Er sprach zu ihnen über das
Reich Gottes; und alle, die Heilung nötig hatten, machte er gesund.
Was machen die Jünger?
(c) S.Hofschlaeger /pixelio.de |
Sie zählen und rechnen – und stellen fest: Es reicht nicht. Fünf
Brote, zwei Fische – das langt als Mahlzeit für zwei bis drei Menschen. Wie man
es auch dreht und wendet: Es reicht nicht. Und so wollen sie die Leute nach
Hause schicken, weil das, was sie haben, die Menge unmöglich satt machen kann.
Und hier sind uns die Jünger, glaube ich, sehr nah. Uns als
Gemeinde, uns als Christinnen und Christen, die in der Kirche aktiv sind. Das
kennen wir doch: Wir rechnen und zählen – und stellen auch fest: Es reicht
nicht, hinten und vorne nicht.
So gewinnt diese Geschichte gerade bei uns im Rheinland eine ganz
akute Brisanz: In diesen Tagen geht ein Brief unseres rheinischen Präses an die
Kirchenkreise und Einrichtungen der Landeskirche heraus. Vor Kurzem hat die
Kirchenleitung noch einmal nachgerechnet und festgestellt, dass wir weitaus
weniger Geld haben und noch weniger haben werden, als wir bisher gedacht haben.
In einer Videobotschaft hat der Präses am Mittwoch gesagt: „Die Situation ist
dramatischer, als wir angenommen haben… Wir werden uns kleiner setzen müssen.“
Im Klartext heißt das: Bis 2018 sollen 35% aller Ausgaben eingespart werden. In
vielen Gemeinden sieht es nicht anders aus.
So sitzen wir da, Seite an Seite mit den Jüngern, und zählen und
stellen fest: Was unterm Strich steht, ist nicht genug; was wir haben, was wir
geben können, das reicht nicht. Mit keinem Rechentrick der Welt wird aus fünf
Broten und zwei Fischen eine Mahlzeit, die 15.000 Menschen satt machen kann. Kein
Wunder also, dass die Jünger sagen: Schick die Leute weg. Das ist rechnerisch
nachvollziehbar, das ist buchhalterisch sinnvoll, es bleibt aber ein Skandal: Die
Menschen sollen hungrig nach Hause gehen, weil das, was zur Verfügung steht, nicht
reicht.
Sie wissen, wie die Geschichte weitergeht: Niemand geht hungrig
nach Hause. Weil zu dem, was da ist, was die Jünger den Menschen bieten können,
etwas dazu kommt. Weil Gott seins dazu gibt. Weil etwas geschieht, das nicht in
der Bibel, sondern von uns, weil wir nicht mehr damit rechnen und es als etwas
Außergewöhnliches sehen, als ein Wunder bezeichnet wird:
Als alle sich gesetzt hatten, nahm Jesus
die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf und dankte Gott
dafür. Dann zerteilte er die Brote und die Fische und ließ sie durch die Jünger
an die Menge verteilen. Und alle aßen und wurden satt.
II. Das Wunder: Emergenz und Synergie
Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, wie
unspektakulär das Geschehen hier beschrieben wird. Jesus nimmt das Brot und die
Fische, spricht ein kurzes Tischgebet, zerteilt sie und lässt seine Jünger sie
verteilen. Und alle werden satt. Einfach so. Einfach unglaublich. Oder?
Was da passiert, irgendwo im Niemandsland vor Betsaida, wird nicht näher beschrieben, nicht erklärt. Was da passiert, übersteigt unsere Möglichkeiten: Die finanziellen Möglichkeiten der Jünger, und womöglich auch unsere Möglichkeiten, zu verstehen. Oder?
Was da passiert, irgendwo im Niemandsland vor Betsaida, wird nicht näher beschrieben, nicht erklärt. Was da passiert, übersteigt unsere Möglichkeiten: Die finanziellen Möglichkeiten der Jünger, und womöglich auch unsere Möglichkeiten, zu verstehen. Oder?
Es gibt immer wieder Deutungsversuche, das Wundersame, das
Nicht-Verrechenbare, das Unbegreifliche dieser Geschichte weg zu erklären. Zum
Beispiel, indem man etwas dazu erfindet und sagt: Dann hat eben jeder etwas zu
Essen gekauft und die Leute haben es untereinander geteilt. Das ist ein schöner
Gedanke, aber wenn man sich die Szene konkret vor Augen führt - 15.000
Menschen, arme Menschen übrigens, die alle irgendwo auf dem Land auf die
Schnelle etwas zu Essen besorgen sollen – dann ist diese Deutung fast noch
unglaubwürdiger, noch unrealistischer als zu sagen: Es ist eben ein Wunder.
(c) graphics.stanford.eu |
Ein Wunder übrigens, das wir, glaube ich, alle schon einmal erlebt
haben. Vielleicht kennen Sie den Spruch: „Das Ganze ist mehr als die Summe
seiner Teile.“ In vielen Lebensbereichen passiert es, dass Kräfte zusammen
wirken und aus diesem Zusammenwirken etwas entsteht, das mehr ist als man von
den Einzelteilen hätte voraussehen können, mathematisch ausgedrückt: 1+1=3. Es
klingt paradox, und ist es auch, aber alles Leben auf unserem Planeten hängt
davon ab: Aus zwei kleinen Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom entsteht
etwas völlig Neues, nämlich Wasser, das gefrieren und verdampfen kann. Aus
unzähligen kleinen Zellen werden Knochen, Organe, Muskeln, Haut und Haare – und
doch sind wir als Mensch mehr als nur die Einzelteile eines biologischen
Bausatzes zusammen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das gilt
auch für den zwischenmenschlichen Bereich; vielleicht haben sie es schon einmal
erlebt, dass ein paar Menschen gemeinsam etwas gestemmt bekommen oder etwas schaffen,
das weit über die kombinierten Einzelleistungen hinausgeht. In der Wissenschaft
werden diese Prozesse im Moment untersucht – und doch bleibt immer ein Rest des
Unerklärbaren zurück. Wir können nicht erklären, wir können nur darüber
staunen, wenn geteilte Freude doppelte Freude wird. Aus eins und eins wird
drei, aus fünf Broten und zwei Fischen eine Mahlzeit für 15.000.
Liebe Gemeinde, ich würde sagen: Wenn so etwas passiert, dann gibt
Gott seins dazu zu dem, was wir haben und was allein nicht ausreichen würde.
III. Höhere Mathematik: Mit Gott rechnen
Und das gibt mir Hoffnung, zum Beispiel im Blick auf die Zukunft der Kirche. Das ermutigt mich, die Rechnung nicht ohne Gott zu machen, etwas schlagwortartig gesagt: Die Speisung der mehr als 5.000 Menschen lehrt uns die höhere Mathematik, die mit Gott rechnet.
Dass solches Rechnen sich lohnt, habe ich in der letzten Woche
in den Niederlanden gesehen. Die Protestantische Kirche der Niederlande steckt
in einer schwierigeren Situation als wir: Während wir damit rechnen, dass wir
bis 2030 ein Drittel unserer Kirchenmitglieder verlieren, ist man dort davon
ausgegangen: Wenn alles so weitergeht, dann gibt es uns 2020 nicht mehr. Was
wir haben, reicht nicht. Diese Einsicht hat dort zu einem Umdenken geführt,
unter anderem hat man sich darauf besonnen, was es heißt, Kirche zu sein:
Gemeinsam Gottes Wort zu hören, gemeinsam zu beten und gemeinsam zu essen –
also das, was die Menschen in unserer Geschichte am Rande von Betsaida auch tun.
Fast jedes der sehr zum Teil sehr erfolgreichen missionarischen Projekte, die
wir besucht haben, konzentriert sich auf diese Grundvollzüge christlichen
Glaubens: Bibel. Beten. Essen. Und es passieren wahre Wunder.
Liebe Gemeinde, mir machen solche Geschichten Hoffnung. Sie lösen
nicht die schwierige Lage, in der sich die Kirche befindet, auf. Und sie versprechen
uns auch nicht, dass wir alle Angebote, die wir derzeit als Kirche machen,
beibehalten können. Aber sie erzählen davon, dass Gott noch lange nicht am Ende
ist, wenn wir unterm Strich keine Zukunft mehr sehen: Auch dort, wo wir zählen
und feststellen: Was wir zu geben haben, das reicht nicht – da wird Gott seins
dazu geben und dafür sorgen, dass Menschen sein Wort hören, gemeinsam beten und
essen.
Ich war, wie gesagt, nie gut in Mathe. Vielleicht möchte ich sie
gerade deswegen lernen: Die höhere Mathematik, die mit Gott rechnet.
Amen.
Labels:
Gemeinde,
Kirche,
Küchentheologie,
Moderne Zeiten,
Predigten,
Reformiertes
Abonnieren
Posts (Atom)