Montag, 13. Februar 2017

Wir waren jung und brauchten kein Geld



Kleiner Text, der auf einem Schreibwochenende in Hanau im Arm der Gastfreundschaft der Fachtstelle Zweite Lebenshälfte entstanden ist. Mit kleinen Anleihen an K.I.Z., Alligatoah und Barbara Brown-Taylor.



Wir waren jung und brauchten kein Geld
Wir waren alt und träumten von der Zukunft
Wir waren lahm und tanzten vorneweg
Wir waren blind und trauten unseren Augen
Und der Himmel stand offen
und Fesseln lösten sich
und Steine fielen von Herzen
und wir weinten und er lief umher
mit einem Krug
und Wasser wurde Wein
und aus Mehl wurde Brot wurde Leben
und aus der Welt eine Spielwiese.
Und wir sangen: Fuchs du hast die Gans gestreichelt,
Und wir machten Pflugscharen aus Schwertern
und kochten Süßkartoffelmöhrensuppe in Soldatenhelmen
und nähten Topflappen und Küchenschürzen
und Kirschkernkissen aus Heeresbannern und Kriegsflaggen
und wir waren eine Bewegung
waren Bewegung.
Und wir kauten die Worte wie hartes Brot
das mit dem Kauen immer süßer wird.
Lasen die alten Schriften als Landkarten
durch unwegsames Gelände und als Anleitung
zum Überleben in der Wildnis,
und wenn unsere Fußspuren die ersten im Sand waren
und wir Gegenden durchzogen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat,
dann schrieben wir unsere eigenen Geschichten
fanden eigene Worte, um andere durch die Untiefen zu lotsen
und waren doch nie so vermessen zu glauben
wir hätten die Welt im Ganzen durchmessen
und der Himmel stand offen
und Er holte die Leute vom Baum
und verscheuchte die Geister
und siehe, wir gingen hin und taten desgleichen
und wir waren in Bewegung, waren Bewegung
und der Himmel stand offen...


Und irgendwann legten wir ordentliches Pflastersteine
über den Sandstrand
und zogen Jägerzäune um die Spielwiese
und die Mütter holten die Kinder von den Löchern der Ottern weg
und sagten: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!
und wir stellten das Campinggeschirr in eine Vitrine
und holten für Sonntag das gute Service hervor
und schickten die farblich gar nicht passenden Topflappen und Küchenschürzen und Kirschkernkissen nach Afrika,
weil die es ja lieber bunt haben als wir,
und wir nahmen die Landkarten und hängten sie hinter Glas
in Büros und Museumssäle.
Und da hängen sie noch heute,
und wir bezahlen in sich gekehrte Gelehrte,
die mit staubiger Stimme erklären,
dass unsere Welt so aussieht wie auf den alten Karten
und dass bitte niemand mit den Fingern auf das Glas...
und Vorsicht an der Vitrine...
und Händewaschen, bevor du nach den Sternen greifst
und das gute Porzellan gibt’s nur für die,
die ordentlich essen können.
Wir sind alt und brauchen das Geld.
Wir sind jung und sehen keine Zukunft.
Aber der Himmel steht offen
und die Welt ist voller Spielwiesen
und Wunder, die gemacht,
und Tränen, die gesammelt
und Wunden, die verbunden,
und Geister die vertrieben werden wollen.
Und manchmal träumen wir,
wir klauen den Schlüssel zur Vitrine
und holen das Campinggeschirr raus
und nehmen die Landkarten aus dem Bilderrahmen
und packen Stifte und Papier ein
für die unbekannten Länder
und klettern aus dem Fenster nach draußen
und rutschen ab und fallen hin
und strahlen,
weil Hoffnung die Farbe von Grasflecken an den Knien hat
und Wunder mit dreckigen Händen am besten funktionieren
und der Himmel steht offen
immer.



Ein kleines Feature zum Preacher Slam in Hagen gibt es hier.