Sonntag, 27. März 2016

Als der Tod sie nicht mehr alle hatte... Ein Osterspielt mit Tod und Pudel




PLOT
Im Büro des Todes feiert dieser die erfolgreiche Erledigung eines prestigevollen Auftrags: Den Tod Jesu von Nazareth. Die Feierstimmung wird unterbrochen von seinem Pudel, der ihn auf das Geschehen am Grab Jesu hinweist: Die drei Frauen entdecken das leere Grab, zwei Engel verkündigen ihnen die Auferstehung Jesu. Die Frauen verlassen das Grab und kehren mit Petrus und Thomas zurück. Dort zeigt sich ihnen der Auferstandene und beauftragt sie mit der Verkündigung des Evangeliums in aller Welt. Als die Frauen und Jünger freudig in die Welt ziehen, besucht Jesus den Tod, überreicht ihm ein mittelmäßiges Zeugnis und erklärt, dass seine Werke keinen Bestand haben werden.

PERSONEN:
TOD – in schwarzer oder brauner Kutte, mit Sense: Typische Darstellung, aber nicht zu gruselig. Angeberisches, übermäßig selbstsicheres Auftreten, am Ende aber ein Verlierertyp. Requisiten: Sense, Akte, Schreibzeug
PUDEL – Ganzkörperkostüm weiß und/oder rosa, flauschig – optisch comic relief, inhaltlich Stimme der Vernunft und Bedenkenträger im Büro des Todes.
Requisiten: Zeitung
MARIA 1 – Typisch „biblisches“ Gewand (einfaches knöchellanges Kleid oder Mantel, Kopftuch oder Kopfbedeckung) in blau (Mutter Jesu); traurig, aber realistisch. Requisiten: Gartengeräte
MARIA 2 – Ähnliches Gewand wie MARIA 2, aber rot (Magdalena). Leidenschaftlich, daher besonders traurig am Anfang und besonders hoffnungsvoll und freudig am Ende. Requisiten: Grabgesteck
MARIA 3 – Ähnliches Gewand in anderer Farbe, ruhig und handlungsorientiert. Requisiten: Grablichter
ENGEL – In weißen Gewändern, Flügel und Heiligenschein.
PETRUS – ruppiger, hitziger Typ in Anglerklamotten (Regenjacke und Südwester) oder unauffälliger bräunlich-gräulicher Kleidung. Requisiten: Weißes Handtuch.
THOMAS – ruhiger und zögerlicher als Petrus.
JESUS – typische Darstellung: Weißes Gewand, lange Haare, Bart, deutlich sichtbare Wunden an den Händen. Requisiten: Blatt Papier.

BÜHNENBILD
An linker Wand bemaltes Bettlaken (leeres Grab, schwarzes Loch und Landschaft), Stein aufgemalt oder modelliert an der Wand lehnend. Mittig vor Altar: Schreibtisch mit Büro- und Besucherstuhl, auf dem Schreibtisch ein paar Akten(ordner), ein großer Stempel, Schreibzeug.






Auftritt TOD. Setzt sich an seinen Schreibtisch.

TOD
singt laut und falsch
So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der dürfte nie vergehn…

Auftritt PUDEL. Setzt sich auf Besucherstuhl.

PUDEL         
Was ist denn mit dir los? Du bist ja völlig aus dem Häuschen!

TOD
Ich habe heute einen Großauftrag erledigt!

Knallt einen großen Stempel auf ein Formular

Ha! Erledigt und ausgeführt!

Reicht Pudel eine Akte.

Hier, das kannst du abheften. Und dann wird angestoßen!

PUDEL
Liest aus Akte vor:
Jesus, Sohn des Josef, geboren in Bethlehem, Familienstand: Ledig, Nächste Angehörige: Mutter Maria, Maria Magdalena, Freunde Petrus, Andreas, Zachäus,… Beruf: Schreiner… War der nicht was anderes?

TOD
Ha! Das haben sie alle gedacht. Gottes Sohn und so. Aber am Ende kriege ich sie doch alle! Zu den Akten mit ihm. 

PUDEL
Du warst zwischendurch aber selbst ganz schön nervös, gib’s zu! Als er dir die ganzen Leute vor der Nase weggeschnappt hat – die Kranken und Hungrigen. Und diesen Lazarus erst…

TOD
Geschäftsschädigendes Verhalten! Aber: Am Ende kriege ich sie doch - meine Erfolgsquote liegt bei hundert Prozent, das soll dieser Wanderprediger mir erstmal nachmachen! Aber der macht jetzt nichts mehr. Wenn ich mal ein Buch schreibe, dann wird das der Titel: „Vom Messias zur Karteileiche. Die größten Erfolge des Todes.“ Das wird ein Beststeller! 

Hält kurz inne und grinst dann zufrieden.

Und den Lazarus hole ich mir als nächstes! 

Kritzelt etwas auf einen Zettel.

PUDEL
Aber dann bitte etwas sanfter. Diesen Jesus hast du dir ja ganz schön brutal geholt. Kreuzigung… also ehrlich! Wie einen Verbrecher. Hättest du das nicht etwas eleganter machen können? Ein schneller Herzinfarkt, irgendsowas…

TOD
Nein, der brauchte was Großes. Die Leute haben ja fast angefangen, ihm zu glauben. „Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt“, hat er gesagt. So ein Quatsch. 

PUDEL
In Jerusalem war ja auch einiges los.

Holt eine Zeitung hervor und liest:
„Chaos in Jerusalem – Naturkatastrophen und übersinnliche Phänomene bei Kreuzigung Jesu. Tote stehen aus Gräbern auf, Tempelvorhang zerreißt, Erde bebt, unerwartete Sonnenfinsternis…“

TOD
Kinderkram! Taschenspielertricks! Jetzt wird erstmal gefeiert! 

PUDEL
Ich verstehe nicht, wie dir jetzt zum Feiern zu Mute sein kann. Guck dir an, wie traurig die Leute sind. Alle Leute, die so viel Hoffnung auf ihn gesetzt haben…

TOD
Selber schuld! Hoffnung ist was für Weicheier, für Traumtänzer. Die Welt gehört den Realisten, so wie mir!

PUDEL
Guck mal, da gehen gerade schon wieder welche zu seinem Grab…



Auftritt drei MARIAS im Mittelgang.

MARIA 2
Ich will das Grab gar nicht sehen. Es ist alles so schrecklich!

MARIA 1
Ja, das ist es. Aber wir gehen da jetzt hin. Wenigstens um sein Grab können wir uns kümmern. Die Ehre können wir ihm noch erweisen. Das hilft uns, zu begreifen.

MARIA 2
Aber ich will das gar nicht begreifen! Ich will nicht, dass das so sein soll… so… endgültig!  

MARIA 3
Aber so ist es nun einmal. Ich bin auch traurig, Maria. Aber der Tod ist endgültig, das müssen wir einfach akzeptieren. 

Freeze MARIAS.

TOD
So ist es richtig! Akzeptiert endlich, dass das nicht zu ändern ist. Ich kriege sie alle!
Lacht laut und schaurig, verschluckt sich aber und hustet.

PUDEL
Lach nicht so dreckig. Du störst die armen Leute in ihrer Trauer.

Unfreeze 3 MARIAS. Gehen auf Wandbehang mit leerem Grab zu.

MARIA 1
Gleich sind wir da. 

MARIA 2
Aber… was ist das denn?! Guckt mal, der Stein von der Höhle ist weggerollt! 

MARIA 3
Das ist ja furchtbar! Das müssen Grabräuber gewesen sein! 

MARIA 1
Nicht einmal sein Grab konnten sie in Frieden lassen! 

MARIA 3
Wir müssen nachsehen, ob wenigstens sein Körper noch da ist…

Auftritt ENGEL.

ENGEL
Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Jesus ist nicht hier. Wisst ihr nicht mehr, was er euch gesagt hat? Er wird sterben – und am dritten Tage auferstehen.

MARIA 2
Er ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!

MARIA 1
Nein, das kann nicht sein! Irgendjemand hat seinen Leichnam gestohlen und sein Grab kaputt gemacht! 

MARIA 3
Ist jetzt auch egal, wir müssen das den anderen sagen! 

MARIA 1
Ja, lasst uns abhauen, hier bleibe ich keine Minute länger! 

Ab ENGEL und MARIAS


 
PUDEL
Oha… was war das denn?!

TOD
Winkt ab.
Was soll das schon sein? Grabräuber. Unschön, aber kommt halt immer wieder vor. Und jetzt hol mir endlich was zu trinken, damit wir anstoßen können!

PUDEL
Aber der Engel…

TOD
Humbug! Das bilden sie sich ein, weil sie das alles nicht wahrhaben wollen. Weil sie MICH nicht wahrhaben wollen. Deswegen denken die Menschen sich doch die ganzen Religionen aus.

PUDEL
Nachdenklich.
Also, ich weiß ja nicht… wer weiß, ob du dich dieses Mal nicht übernommen hast… 

TOD
Ich übernehme mich nicht! Gibt es hier jetzt was zu trinken oder nicht?!

Auftritt MARIAS, PETRUS und THOMAS

PETRUS
Ich verstehe immer nur Bahnhof. Ihr seid ja ganz aufgeregt!

MARIA 1
Das Grab ist leer!

MARIA 3
Jesus ist weg!

MARIA 2
Aber da war ein Engel, der hat gesagt…

PETRUS
Nicht alle durcheinander! Immer diese hysterischen Hühner…

THOMAS
Wir gucken uns jetzt erst einmal den Tatort an.

TOD
Stimmt, Tatort, heute ist ja Sonntag!

PUDEL
Psst, leise jetzt!

MARIAS, PETRUS und THOMAS am Grab, JESUS steht mit dem Rücken zu ihnen.

PETRUS
Tatsächlich… Das Grab ist leer. 



JESUS dreht sich um. Alle erstarren.

JESUS
Seid gegrüßt. Fürchtet Euch nicht.

MARIA 2
Jesus, du lebst! Ich habe es immer gewusst!

PUDEL
Oh-oh…

TOD
Entsetzt.
Das… das kann nicht sein! Das gilt nicht! Der war doch schon zu den Akten gelegt!

THOMAS
Das glaube ich nicht!

TOD
Genau, das ist auch nicht zu glauben! Das bilden die sich doch alle ein, dafür gibt es eine ganz wissenschaftliche Erklärung – kollektive Visionen, Halluzinationen, was weiß ich – die drehen einfach durch vor Trauer!

PUDEL
Sei doch mal leise, ich will hören, wie es weitergeht.

THOMAS
Das glaube ich nicht! Da müsste ich schon die Wunden an seinen Händen fühlen, da, wo die Nägel gewesen sind.

MARIA 1
Aber Thomas…

JESUS
Lass ihn. Es ist ja auch schwer zu glauben.

Geht auf THOMAS zu und streckt ihm die Hände hin.

Hier, überzeuge dich selbst.

THOMAS nimmt seine Hände.

THOMAS
Überwältigt.
Du bist es… Mein Herr und mein Gott!

JESUS
Du glaubst, weil du gesehen hast. Aber andere Menschen werden auch glauben, obwohl sie mich nicht mit eigenen Augen gesehen haben. Noch nicht.

Zu den anderen.

Aber dafür müssen sie von mir erfahren. Darum bitte ich euch: Macht euch auf in die Welt und erzählt den Leuten, dass ich lebe. Erzählt ihnen, dass der Himmel offen steht und der Tod seine Macht verloren hat. Ich bin bei euch, alle Tage, bis ans Ende der Welt.

Hält inne und guckt Richtung TOD und PUDEL.

Aber vorher habe ich noch etwas zu erledigen.

Ab MARIAS, PETRUS und THOMAS.

PUDEL
Oh-oh…

TOD
Außer sich.
Das geht nicht! Das gibt es nicht! Wie soll das überhaupt gehen…?!

PUDEL
Duckt sich.
Das fragst du ihn am besten selbst…

JESUS geht auf TOD und PUDEL zu und bleibt vor dem Schreibtisch stehen.

JESUS
Hallo, Tod. So sieht man sich wieder.

TOD
Guckt demonstrativ weg.
Ich sehe niemanden. Zu Pudel: Siehst du hier jemanden außer uns beiden?

JESUS
Sanft.
Das ist jetzt sehr schwer für dich. Aber du wirst es akzeptieren müssen. Du hast verloren.

Legt TOD ein Blatt Papier auf den Schreibtisch.

TOD
Grabscht nach dem Papier und liest mit steigender Irritation.
„Hat sich stets nach Kräften bemüht, seine Arbeit termingerecht zu erledigen…“, „… in gegenseitigem Einvernehmen getrennt…“ He, das ist ein Zeugnis – und zwar ein schlechtes! Du willst mich loswerden! Das kannst du gar nicht.

JESUS
Doch, WIR können das…
Zeigt vielsagend nach oben.

PUDEL
Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen…

TOD
Geschockt. Du bist… Nervös. Aber hey, da kann man doch drüber reden… Gut, ich war vielleicht manchmal etwas übereifrig. Aber im Großen und Ganzen… Ihr braucht mich doch, sonst platzt diese Erde aus allen Nähten. Und es war ja auch nicht alles schlecht! Überleg doch mal, die vielen Male, wo ich Menschen aus großen Qualen erlöst habe…

PUDEL
Oh-oh…

JESUS
Eben. Du hast dich als Erlöser getarnt. Kluge Strategie, das muss ich dir lassen. Aber damit ist es vorbei. Es gibt nur einen Erlöser.

TOD
Wütend. Ich habe Freunde, mächtige Freunde! Die alle für mich arbeiten. Überall werden Waffen gebaut und benutzt…

JESUS 
Ich habe mehr Schwestern und Brüder als du Freunde.

TOD
Und wenn schon – gestorben wird immer!

JESUS
Ja. Und immer werden Menschen sich gegenseitig trösten und daran erinnern, dass du nicht das letzte Wort haben wirst.

TOD
Alles Karteileichen!

JESUS 
Alles Kinder Gottes, deren Namen im Buch des Lebens geschrieben sind.

Nimmt PUDEL seine Akte aus der Hand.

Die nehme ich mal mit. Und die anderen habe ich auch schon abholen lassen.

TOD
Ich bin der Tod!

JESUS
Ich bin die Auferstehung und das Leben.

TOD
Ich kriege sie alle!

JESUS
Du hast sie doch jetzt schon nicht mehr alle.
PUDEL
Halleluja!
Ab JESUS, PUDEL und TOD.
Gemeinde singt „Er ist erstanden, Halleluja“

Sonntag, 20. März 2016

Was, wenn er käme...? Predigt über Joh 12,1.9-19 (Palmsonntag)

Sechs Tage vor dem Passafest kam Jesus nach Betanien, wo Lazarus war, den Jesus auferweckt hatte von den Toten. Da erfuhr eine große Menge der Juden, dass er dort war, und sie kamen nicht allein um Jesu willen, sondern um auch Lazarus zu sehen, den er von den Toten erweckt hatte. Aber die Hohenpriester beschlossen, auch Lazarus zu töten; denn um seinetwillen gingen viele Juden hin und glaubten an Jesus. Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme,nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.« Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte. Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach. 

Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie es war in Jerusalem. Eine Menschenmenge hat sich auf den Weg gemacht, um Jesus in der Stadt zu begrüßen. Ein aufgeregtes Summen liegt in der Luft. Da sind einige, die ihm schon begegnet sind. Da werden einige sein, die nur mal gucken wollen. Vielleicht erhoffen sich andere etwas für ihr ganz eigenes Leben, ein Wort, das sich wie Balsam über die Seele legt, vielleicht ein kleines Zauberkunststück oder auch ein größeres. Irgendwo am Rand steht Lazarus, der schon gestorben war. Wer Lazarus vom Tod aufwecken konnte, der schafft das vielleicht auch bei meiner Tochter, meinem Vater, meiner Frau… 

Und Lazarus war nicht der Einzige. Da war noch der Sohn des königlichen Beamten. Da war auch dieses Hochzeitsfest in Kana, gegen Abend am toten Punkt angekommen, der Wein alle, die Stimmung am Boden – und dann kam Wein in die Wasserkrüge und Leben in die Bude. 

Tote werden lebendig, Wasser wird zu Wein – die Dinge sind nicht mehr, wie sie waren. Und überall im Volk wächst die Hoffnung auf bessere Zeiten, wächst aus einem kleinen Senfkorn, durchbricht den Asphalt und die staubigen Straßen, die Wüste blüht, was längst verdorrt und tot schien, erwacht zu neuem Leben. Und alles macht sich auf zum großen Fest der Befreiung. 

Ein aufgeregtes Summen liegt in der Luft, wie vor einem Gewitter, man weiß, dass die Mächtigen der Stadt Pläne schmieden, um diesen Jesus los zu werden – wer die Augen und Ohren offen hat in Jerusalem in diesen Tagen, der weiß: Es läuft auf eine Entscheidung hinaus. Sie oder er. Und die Menge hat die Seite gewählt, hat die Entscheidung schon getroffen: Sie nehmen sich Palmzweige, im antiken Israel fast so etwas wie Nationalfahnen, sie gehen ihm entgegen, wie man einem hohen Würdenträger entgegengeht, und sie rufen „Hosianna“, wie man es einem König entgegen ruft, ihrem König, von dem sie hoffen, dass er sie befreit von römischem Militär und religiösen Eliten, dass er seinen Platz einnimmt in seinem Palast, wie im Himmel, so auf Erden. Ein starker Mann, der mit starker Hand regiert. Und die Menge jubelt und wedelt mit ihren Palmzweigen, und endlich ruft man von ganz vorn: Er kommt! Und die Menschen stellen sich vor, wie er wohl aussehen wird, ob er auf einem Pferd kommt oder sogar in einem großen Streitwagen in strahlender Rüstung. 

Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf. 



Möglich, dass hier schon die ersten ihre Palmenzweige sinken lassen, betroffen zu Boden gucken, verstört und peinlich berührt von dem seltsamen Anblick, von diesem seltsamen Menschen, der unerträglich langsam und so bestürzend unauffällig angeritten kommt. Möglich auch, dass hier die Stimmung schon zu kippen beginnt. Keine Woche später wird sich in Jerusalem wieder eine Menge zusammenrotten, wird gröhlen und schreien: Kreuzige ihn, und die Palmzweige werden zu Ruten und Peitschen. 

Es ist ja nicht das erste Mal, dass er Erwartungen an ihn enttäuscht. Da ist diese Geschichte mit der Frau, die wegen Ehebruchs verurteilt wird und gesteinigt werden soll. Und sie bringen diese Frau zu Jesus, die Pharisäer und Schriftgelehrten, und erwarten eine gelehrte rechtswissenschaftliche oder theologische Debatte. Die Schriftgelehrten hoffen, dass er sie verliert, die Jünger hoffen, dass er sie gewinnt. Und drumherum stehen die Leute, ein Teil hofft vielleicht, dass er die Frau mit großer Geste befreit, ein anderer Teil hofft vielleicht, dass endlich die Steinigung anfängt. Auf jeden Fall: Die Stimmung ist angeheizt, die Spannung fast unerträglich. 

Jesus aber bückte sich und malte mit dem Finger in den Sand. 

Nicht erst seit Palmsonntag haben aufgebrachte Volksmassen etwas Bedrohliches. Vor ein paar Wochen standen wir bei strahlendem Sonnenschein und klirrender Kälte auf dem Rathausplatz in Barmen. Auf der einen Seite stehen wir. Menschen aus Wuppertal, Jung und Alt, ein paar Pfarrerinnen und Pfarrer, Politiker, mit Fahnen und Spruchbändern, die für Demokratie und Toleranz werben. Wir haben Trillerpfeifen. Auf der anderen Seite stehen die anderen und gröhlen. ProDeutschland nennen sie sich, und stehen doch gegen alles, was Deutschland zur Heimat macht: Ein paar Lokalpolitiker, eine alte Frau im Pelzmantel, drumherum Nazis, wie man sie von früher kennt: Kahle Köpfe, Runentätowierungen auf den Fingerknöcheln, Springerstiefel, Bierdosen in der Hand. Sie schwenken Fahnen, schwarz, rot, gold. 



Mittendrin ein grobschlächtiger Glatzkopf in orangefarbenen Kapuzenpulli. Er hebt den rechten Arm zum deutschen Gruß, hält ihn oben, seine Kumpels feixen, die Polizisten stehen teilnahmslos herum. Jemand muss doch kommen und was tun! 

Und ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn er käme. In diesem Moment, auf den Rathausplatz in Barmen. Er würde sich nicht zu der gröhlenden Meute mit den Deutschlandfahnen gesellen, da bin ich mir mehr als sicher, und wenn man ihn fragte, würde er vielleicht erklären, dass er mit dem so genannten christlichen Abendland nicht das Geringste zu tun hat, und dass man sich bitte einen anderen Namen für dieses biologisch reine Alptraumland ausdenken soll. Aber wenn ich die Geschichte vom Einzug nach Jerusalem noch einmal lese, werde ich immer unsicherer, ob er sich einfach so zu uns stellen würde. Ich bin mir immer noch sehr sicher, dass wir, die Presbyterinnen und Presbyter, Pfarrerinnen und Pfarrer dieser Gemeinde, auf der richtigen Seite standen, vor einigen Wochen in Barmen, auf der einzig möglichen Seite stehen, wenn wir unsere Stimmen gegen Nationalflaggen und Hitlergrüße und fremdenfeindliche Parolen erheben. 

Wir würden ihn freundlich begrüßen, bejubeln, unsere Gewerkschafts- und Regenbogenfahnen schwenken, würden vielleicht sagen: Endlich! Aber wer weiß, ob er sich einfach so zu uns stellen würde. 

Vielleicht setzt er sich mitten auf den Platz, mitten in die Knautschzone zwischen Polizisten und Absperrgittern, holt eine Packung Kreide aus seinem Gewand und fängt an zu malen. 

Vielleicht hält er ein kleines Mädchen aus Syrien an der Hand und sagt, in keine bestimmte Richtung, aber so, dass es jeder auf dem Platz hören kann: Wer so ein Kind aufnimmt, der nimmt mich auf. 

Vielleicht dreht er sich zu uns und sagt: Steckt Eure Trillerpfeifen in die Tasche. Denn wer die Trillerpfeife zieht, der wird durch die Trillerpfeife taub werden. 

Vielleicht geht er zu dem grobschlächtigen Mann im orangefarbenen Kapuzenpulli, der immer noch die Hand zum deutschen Gruß erhoben hat, drückt seinen Arm sanft hinunter und sagt: Heute will ich in deinem Haus zu Gast sein. 

Vielleicht reitet er auf einem Eselchen oder fährt auf einem stinkig knötternden Motorroller unerträglich langsam, und wir würden unsere Fahnen und Trillerpfeifen enttäuscht sinken lassen. 

Jesus fand einen jungen Esel und ritt darauf. 

Mit keiner Silbe widerspricht er dem jubelnden Volk, das tut er nie, wenn sie von ihm als König reden. Aber er macht gleichzeitig klar: Ich bin ein anderer König als den, der Ihr Euch vorstellt. Ich lasse mich nicht einfach so von Euch auf eine Seite ziehen. Und selbst seine Jünger haben Schwierigkeiten, das zu verstehen, erst im Nachhinein, nach Ostern, lassen sie das Geschehene, und auch den Einzug nach Jerusalem, Revue passieren und verstehen. 



Liebe Gemeinde, ab heute geht es in die Karwoche, die „stille“ Woche, sagt man auf Schwedisch. Und vielleicht ist das dran: Die Palmwedel sinken lassen, und unsere Erwartungen an Jesus, an Gott, sinken lassen, nicht runterschrauben, sondern ganz bewusst beiseitelegen und sehen, was passiert. Wer sein Leben gewinnen will, der wird es verlieren. Jesus kommt, das ist so ziemlich das Einzige in dieser Predigt, dessen ich mir wirklich sicher bin. Er kommt am Ende aller Tage, um das Verlorene heimzuholen. Aber er kommt auch jetzt schon dorthin, wo zwei oder drei in seinem Namen beisammen sind. Er kommt anders, als man denkt. Anders, als ich es mir wünsche, er tut Dinge, die wir uns nicht hätten vorstellen können. Gott sei Dank. 
Vielleicht ist das dran in dieser Karwoche. Den Palmwedel niederlegen und mit leeren Händen still werden und gucken, was kommt. Irgendwo steht Lazarus. Irgendwo auf dem Boden Spuren und Schriftzeichen im Sand. Irgendwo alte Wasserkrüge, die plötzlich voller Wein sind. 

Mein Reich ist nicht von dieser Welt, sagt Jesus. Gott sei Dank.