Donnerstag, 29. Mai 2014

Ein Text und sein Echo - Lk 2,1


Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.

Religionsunterricht, 6. Klasse, bei der neuen Referendarin.

Referendarin:
"Du bist alle Welt. Du hast gehört: Du sollst geschätzt werden. Was macht das mit dir? Welche Fragen gehen dir dabei durch Kopf und Herz?"

Schüler:
"Schriftlich oder mündlich?!"




Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.

Irgendein Experte aus der "freien Wirtschaft", der auf eine Synode, einen Pfarrkonvent, eine Kirchenleitungssitzung eingeladen wird, um mal "ganz bewusst die kirchliche Binnenperspektive aufzubrechen", "damit man nicht immer im eigenen Saft kocht".

Experte:
"Große Bewegungen brauchen große Entscheidungen! Und große Menschen, die Großes wollen! Wie viel Größe gesteht Ihre Kirche, Ihr Unternehmen, sich selbst zu?! Wie groß sind Ihre Führungspersönlichkeiten? Wie sehr wagen Sie, top-down zu entscheiden, einen Kurs vorzugeben, wenn es nötig ist?! Lassen Sie mich ganz provokant fragen: Wer bei Ihnen hat Eier genug, den Augustus zu machen und etwas anzuordnen?!"



Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.

Weihnachtsgottesdienstlicher Baustein des Arbeitskreises "Genderbewusste Liturgie" der Evangelischen Akademie Butzenhausen.

"die zeit
die welt
zwei von mir
zwei von uns
zwei weiblichkeiten / die
ineinander fallend einander beschenkend /
dem handeln des einen
mannes
eine heilvolle
grenze setzen.
nicht er / augustus / sondern Sie:
die zeit
die welt
bringen sich in bewegung"



Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.

Positionspapier der Kirchenleitung zum Thema "Organisation und Verwaltung"


"Auch in der Umwelt des Neuen Testaments sind statistische Erhebungen selbstverständliche Grundlage makroökonomischer Steuerung. Vom Kaiser unbeabsichtigt, setzt seine Anordnung eines Volkszensus zugleich die heilvolle Geschichte des Kommens Gottes zur Welt unaufhaltsam in Gang. Volkswirtschaftliches und behördliches Handeln erfährt so eine deutliche theologische und christologische Aufwertung. Als kennzeichnendes Leuchtfeuer sehen wir daher im Jahr 2030 auch die kleinen und großen Strukturelemente kirchlicher Verwaltung. Wie auch Augustus seine Volkszählung nicht begründet, so strebt auch die kirchliche Verwaltung in wohltuender, prophetischer Abgrenzung zur zwanghaften Effizienzsteigerung ihrer Umwelt nicht nach logischer Stringenz oder messbaren Resultaten, und predigt (Barmen III) demnach durch ihr So-Sein eine heilsame Ethik der Selbstgenügsamkeit."


Am zweiten Tag unseres Wittenberger Slam-Workshops standen Textproduktion und -redaktion auf dem Programm - immerhin sollte es abends in die Bütt gehen. Für Leute wie mich, die noch keinen blassen Schimmer hatten, was sie im CLACK-Theater auf die Bühne bringen sollten, gab es eine weitere Einheit mit Schreibimpulsen. Dabei sind einige nette Literaturstückchen entstanden, die unter "Wiedervorlage" einsortiert wurden. Eine der möglichen Übungen war das verfremdende Nacherzählen eines biblischen Textes. Ich habe es abgewandelt und nenne das Ganze TEXTECHO und fantasiere ein paar Stimmen zu einem Bibeltext oder einem einzelnen Vers zusammen. Im vorangehenden Beispiel mit satirischen Untertönen - aber ich könnte mir vorstellen, das auch zur Predigtvorbereitung zu benutzen, quasi imaginäre Gesprächspartner_innen auftreten zu lassen, so ein bisschen was wie ein Bibliolog mit mir selbst. 

Mittwoch, 28. Mai 2014

Predigt-Slam in Wittenberg



In aller Kürze die wichtigsten Erkenntnisse vom Predigt-Slam in Wittenberg:

- Es gibt grandiose Kolleginnen und Kollegen aus allen Teilen der Republik. Und das Tollste: Von ganz vielen kann man auch im Internet lesen (zum Beispiel hier, hier und hier)! Allein deswegen hat es sich gelohnt, in die Lutherstadt (s.u.) zu fahren.

- Fortbildungen zusammen mit Theologiestudierenden machen großen Spaß und vermitteln einem das Gefühl (bzw. bei mir bestätigen sie Erfahrungen von der eigenen Arbeit an der Hochschule), dass da eine Generation von Theologinnen und Theologen heranwächst, für die wir dankbar sein können - und die wir hegen und pflegen sollten...

- Das Zentrum für evangelische Predigtkultur liegt in Wittenberg und somit aus rheinischer Sicht so ziemlich am anderen Ende der Welt. Und die Fahrt dorthin zieht sich, zumal mit dem Auto. Aber: Die Menschen, die dort arbeiten, sind absolute Profis. Nicht nur darin, dass sie das, was sie lehren, selbst richtig gut können. Sondern auch und vor allem darin, dass sie andere dazu bringen, über sich hinauszuwachsen und die Leidenschaft fürs Predigen wachzuhalten.
- Wer wissen will, wie's geht, sollte Bo Wimmer kennen!
- Eine Jury, die zum großen Teil aus Theolog_innen besteht, lässt sich schwerer mitreißen als ein "normales" Publikum. Vielleicht ist das normal und unvermeidlich, who knows. Der nachstehende Text, bei betreuten Schreibübungen und auf vielen Spaziergängen durch Wittenberg (und in Teilen knapp eine Minute vor Slambeginn) entstanden, hat es dann immerhin auf 27 Punkte gebracht und vor allem deswegen gewonnen, weil einige andere Texte unverdient wenige Punkte bekommen haben. 







DIE LÄNGST FÄLLIGE ENTSCHULDIGUNG EINES BERUFSSTANDS AN EINE STADT


Andere Städte haben Stadtplaner, Bürgermeister und Architekten,
die ihre Stadt planen, ihre Bürger meistern und ihre Schätze entdecken und Potenziale checken.
Bei Dir ist das anders, deine Gestalter
sind theologische Nachlassverwalter.
Amsterdam ist das Mekka bezahlter Avancen,
New York das Versprechen unendlicher Chancen,
Stockholm das Sinnbild ethischer Tugend,
Rio die Hoffnung auf ewige Jugend –
und Du? Der feuchte Traum eines Kirchengeschichtlers!

So rufe ich mit der Christenheit:
Alle: Wittenberg, es tut mir leid!

Mekka zieht Pilgermassen an,
Köln hat mehr Fans, als das Stadion fassen kann,
Mallorca hat Früh-, Mittel- und Last-Minute-Bucher,
nach Asien ziehen in FlipFlops die ernsthaften Sinnsucher,
nach Las Vegas die Jäger und Sammler und Spieler,
nach Venedig die Liebenden, Träumer und Fühler.
Und Du? Zu dir kommen auf Studienreisen
ergraute Menschen aus Kirchenkreisen! 

So rufe ich mit der Christenheit:
Alle: Wittenberg, es tut mir leid!

Dann kommt ihr gelaufen,
ich soll euer Kind taufen
und weil wir in Wittenberg sind,
heißt das Kind
natürlich nicht anders als Martin Luther!
Oder Lukas Cranach der Allerjüngste.
Oder Kevin Bugenhagen.
Oder, ihr wisst schon, Melanchthon.
Und ich so: Momentchen, das ist ja ein Mädchen, die Arme,
und ihr so: Genau, ihr Name
sei „Martin Luther seine Frau“!

So rufe ich mit der Christenheit:
Alle: Wittenberg, es tut mir leid!

Und sagst Du: Ich bin so irritiert, konsterniert, inspiriert,
ich will mal ganz konzentriert, introvertiert,
einfach so in die Kirche gehn –
sag ich: Is‘ schlecht, echt, Pech,
die werden grad alle renoviert, restauriert,
von Bautrupps besetzt und in Stand gesetzt
für Zweitausendsiebzehn.

Dann werden sie kommen,
die zigtausend Frommen,
und euch wird der Platz und der Alltag genommen,
sie machen aus eurer Mutterstadt
die mottenkugelnde Lutherstadt.
Sie werden im gemäßigten Takt durch die Stadt rushen
und Lutherbrot naschen,
nach Andenken haschen,
die sie in ihren Jutetaschen verstauen,
die Flaschen
mit Lutherbier, Luthersaft,
Lutherstulle, Lutherfass, Luthermesser, Halbfettluther,
alles Luthersöhnchen von vor Lutherliebe strotzendern Luthertieren,
aus 2017 cm geöffnetem Luthermund
das alte Lied: „Ein feste Burg ist unser Gott!“
Unser Gott. Mein Gott. Dein Gott. Und. Mar-Gott.

Und so rufe ich mit der Christenheit:
Alle: Wittenberg, es tut mir leid!


Samstag, 24. Mai 2014

Wer noch einen Sommersoundtrack sucht...

Wer noch einen Soundtrack für den Sommer sucht, wird vielleicht bei Laurenso fündig: Im besten Sinne handgemachte Feelgood-Musik mit rechtsrheinischer Gute-Laune-Garantie. 

http://www.guter-plan.com
(c) Laurensomusic


Die Kirchengeschichten finden: Das ist ein 

Freitag, 23. Mai 2014

Casual Friday - Losungen...

Die eingehende Recherche im persönlichen Umfeld belegt: Der nachfolgende Cartoon ist nur etwas für Leute, die Jäger und dergleichen in der Verwandtschaft haben...


Mittwoch, 14. Mai 2014

Kura skymning - Dämmerung sitzen.

Bild: Thor Thorsson/thort.se


Im Schwedischen gibt es einen Ausdruck, den ich sehr gern mag, der aber schwer zu übersetzen ist. Vielleicht ist es auch bezeichnend, dass das Deutsche kein Wort dafür hat: Kura skymning. Kura heißt eigentlich so etwas wie "kauern", "hocken", skymning heißt Dämmerung. Aber kura skymning ist auch nichts, worüber man groß redet. Man tut es. Ungeplant, immer. Und meistens merkt man erst mittendrin, dass man gerade dabei ist. Kura skymning bedeutet: Man sitzt abends drinnen oder draußen, in Gedanken, ein tiefes Gespräch oder gemeinsames Schweigen versunken, und langsam bricht die Dämmerung ein, und man sitzt einfach da und lässt sich vom Dunkel umgeben. Irgendwann bricht es, irgendwann steht jemand auf und sagt: "Ich mach mal Licht!" Dann ist es vorbei, die fast magische Stimmung verflüchtigt sich, und dann ändert sich auch oft irgendetwas im Gespräch. Und das ist dann gut so. Kura skymning. Ich mag das. Sehr. 

In meiner noch recht kurzen Pfarrerslaufbahn habe ich bislang mehr Frauen als Männer beerdigt, meist ältere Frauen, viele von ihnen hatten einen längeren Krankheitsweg hinter sich, oft irgendwas mit Krebs und/oder Demenz. Viele von ihnen ließen einen Mann zurück, der sich in der letzten Phase ihres Lebens um sie gekümmert hat. Die Pflege von schwerst- oder todkranken Angehörigen ist immer einer der Knochenjobs unter den Liebesdiensten, aber ich glaube, dass diese Zeit gerade diesen angehenden Witwern etwas Besonderes abverlangt, den Männern, die noch mit sehr klaren Rollenverteilungen aufgewachsen sind und plötzlich vor ganz praktischen Aufgaben stehen, mit denen sie vorher nie zu tun gehabt hatten. "Zum Glück", erzählt einer, "kam die Diagnose sehr früh. So konnte meine Frau mir noch das Kochen beibringen, damit ich für sie und dann später auch für mich sorgen kann." Ein anderer erzählt von missglückten Versuchen, mit dem Kärcher die Küche sauber zu machen. Das sind die Momente, in denen man im Trauergespräch anfängt zu lachen, ein kleines Atemholen zwischen all dem Schweren. Mich rührt das sehr, wenn ich diese Geschichten höre.

Bei einigen dieser Gespräche haben wir es getan, ganz ungeplant, es kam einfach dazu. Kurat skymning - Dämmerung gesessen. Wir saßen da und redeten oder schwiegen. Um uns herum wurde es dunkel, aber keiner machte Licht. 

Im Predigerseminar haben wir gelernt, dass man Trauergespräche recht kurz halten sollte. Auch Michael Schibilsky rät in seinem eigentlich immer noch sehr empfehlenswerten Buch Trauerwege, Trauergespräche möglichst nicht in den Abend zu legen, damit sie sich nicht endlos zerdehnen, sondern durch natürliche Zäsuren begrenzt sind. Begründen kann man das unterschiedlich, man kann auf beiden Seiten eine Überforderung befürchten, vielleicht sogar mit Recht. Ich finde solche pauschalen Zeitvorgaben trotzdem schwierig. Klar gibt es Gespräche, die relativ schnell an einem Punkt sind, an dem alles oder eigentlich nichts gesagt ist, und doch nicht mehr gesagt wird. Die muss und sollte man nicht unnötig in die Länge ziehen - vielleicht ist es da die größte Herausforderung an manchen Seelsorger, manche Seelsorgerin, nicht der Versuchung zu unterliegen, einem Gespräch, dass man selbst als unbefriedigend empfindet, doch noch ein paar bewegende Momente abtrotzen zu wollen. Und ohne ein feines Gefühl für das "Genug" geht es in dem Beruf ja ohnehin nicht. Aber genauso wahr ist es ja auch, dass sich Kontakte prozesshaft entwickeln, man in manchen Fällen erst miteinander warm werden muss. 

Und in solchen Trauergesprächen kann das gemeinsame Sitzen in der Dämmerung einen unglaublichen Symbolcharakter haben und die Atmosphäre und den Kontakt nachhaltig verdichten. Ich glaube, dass wir uns in solchen Situationen als Trauerbegleiter_innen bewähren, weil wir mit im Dunkeln sitzen bleiben - und vielleicht sogar darin über uns hinausweisen, indem wir stellvertretend die unausgesprochene Einladung annehmen: "Bleib' bei uns, denn es wird Abend werden, und der Tag hat sich geneigt." Der Satz stammt aus der Emmausgeschichte, die beiden Männer richten diese Einladung an Jesus - ohne zu wissen, wen sie vor sich haben. Ich glaube, dass wir auch in einem solchen Trauergespräch nicht nur zu zweit sind. Und das Bleiben, Wachen und Beten angesichts des Todes ist ja auch sonst ein Auftrag an die Jüngerinnen und Jünger von Jesus gewesen. Irgendwann ist dieser Moment vorbei, dieses ganz kompakte und in der Form nicht planbare Miteinander ist immer zeitlich begrenzt, aber meiner Erfahrung nach können die Gesprächspartner an der Stelle für sich selbst sorgen: Sie stehen irgendwann von alleine auf und machen Licht, irgendwann, wenn es für sie für diesen Abend erstmal gut ist.



(Kleiner kultureller Werbeblock am Ende: Das Lied stammt von Helen Sjöholms Album Visor. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das eins der besten und schönsten Alben ist, die jemals aufgenommen wurden. Echt.)

Dienstag, 13. Mai 2014

"Nur" spielen? Von wegen! Ein nicht wenig neidischer Blick nach Schweden

(c) Sveriges radio

"Ich will doch nur spiel'n, uuhuuu", sang Annett Louisan im Jahr 2004. So charmant das Lied ist - mich stört das Wort "nur", das bemerkenswert oft im Zusammenhang mit Spielen verwendet wird und etwa zum Standardbeschwichtigungsrepertoire der Herrchen und Frauchen besonders kontaktfreudiger Hunde gehört. Auch in der Pädagogik fristet das Spiel mitunter noch ein verlegenes Schattendasein. Obwohl es seit geraumer Zeit verheißungsvolle Ansätze zu seiner Aufwertung gibt, rufen manchmal nach dem Konfirmandenunterricht noch empörte Eltern an, wenn sie den Erzählungen ihrer Sprösslinge entnehmen, man habe wieder einmal "nur gespielt".

Dass Kinder spielend lernen, ist altbekannt: Im bewährten Vatermutterkind werden tradierte Rollenmuster angeeignet und reflektiert und ein eigener Umgang damit erprobt. Ich weiß nicht, inwieweit moderne Patchworktfamilienstrukturen ihren Niederschlag im Kinderspiel finden, kann mich aber daran erinnern, dass mich meine Sandkastenliebe schon vor 25 Jahren ständig zum "Barbie lässt sich scheiden und bekommt das Haus und Ken muss zahlen"-Spielen genötigt hat. Möglich ist das also.

In der Religionspädagogik erfreut sich das Konzept des Godly play seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit, bei dem biblische Geschichten (unter durchaus beträchtlichem Materialaufwand) nachgespielt und angeeignet werden. Einige kritische Anfragen an Godly play, die sich abseits der üblichen Unkenrufe, die bei ganzheitlichen Methoden oft laut werden, bewegen, hat Horst Klaus Berg gestellt.  

In Schweden hat sich in den letzten Jahren eine andere Form Montessori-inspirierter religiöser Spielepädagogik etabliert, die mein Herz höher schlagen lässt: Über das Land verteilt bauen Gemeinden lekkyrkor, also "Spielkirchen" - kleine, aber voll ausgerüstete Kirchen in Gartenhäuschengröße, in denen Kinder spielerisch kirchliches Leben nachahmen und einüben können. Dazu gehören aufwändig gestaltete Messgewänder in Kindergröße, kniehohe Altäre und suppentellergroße Taufschalen. Die Kirchen werden, in der Regel unter großen Medienaufgebot, formell eingeweiht, meist ist sogar der zuständige Bischof oder die zukünftige Bischöfin zugegen, auf jeden Fall aber eine Miniaturausgabe - hier betreten die Spielkirchen historischen Boden, denn der Brauch des Kinderbischofs stammt aus der frühen Neuzeit und wird heute gelegentlich unter religionspädagogischen oder kinderemanzipatorischen Gesichtspunkten neu gepflegt. Auch die Idee der Spielkirchen ist nicht so neu, wie man meinen könnte; Maria Montessori selbst baute eine kindgerechte Kapelle in Barcelona 1915, Beschreibungen davon finden sich in ihren Büchern (z.B. in The Child in the Church). 


https://www.facebook.com/Lekkyrka/info
(c) St:a Katarina lekkyrka, Malmö

Eine etwas kleinere Variante halten manche Gemeinden in Form eines "Kinderaltarschrankes" (barnens altarskåp) bereit, in dem passende Messgewänder und gottesdienstliche Geräte darauf warten, in Gebrauch genommen zu werden. Das Spiel in und mit der Kirche wird dabei nicht komplett sich selbst überlassen, sondern religionspädagogisch begleitet - "Die Kirche steht nicht immer offen. Wenn man in die Spielkirche geht, zieht man die Schuhe aus und spielt ein Spiel oder liest aus der Kinderbibel. Ein bestimmtes Maß an Respekt vor dem Kirchenraum soll da sein", erklärt Gemeindepädagogin Annie Svensson anlässlich der Einweihung der Spielkirche in Växjö. Auf der Facebook-Seite der Spielkirche St:a Katarina in Malmö fasst man die Ziele der Einrichtung ebenso prägnant wie anregend zusammen:
A play church exists to let children play worship. It is a holy space on their terms, beautiful and dignified. An altar will be placed there, and a baptismal font, child sized, and liturgical vestments and things will be available. Everything to provide children with the tools to themselves draw close to God through our common liturgy.

Unterm Strich: Ich find's toll! Und würde solche Spielkirchen gerne auch in Deutschland sehen. Als ganzheitliche Würdigungen von Kindertheologie, aber auch als eine Möglichkeit, bei Planung und Bau einer Spielkirche viele Menschen aus dem Umfeld der Gemeinde mit einzubeziehen.

Wer sich weiter damit beschäftigen will - eine erste wissenschaftliche Untersuchung hat Elise Svensson 2012 in ihrer Examensarbeit an der Uni Uppsala vorgenommen, die online verfügbar ist, allerdings nur auf schwedisch. Kurse zum Spielkirchenbau wurden eine Zeitlang von Kastlösa stiftsgård auf Öland angeboten, wo auch 2003 die erste schwedische Spielkirche eröffnet wurde; leider wird diese Arbeit dort nicht mehr fortgesetzt. Wer ohnehin im Norden Urlaub macht, kann sich das gleich vor Ort angucken. Leider gibt es (noch) keine offizielle Liste mit allen Spielkirchen, die folgende Liste ist daher wahrscheinlich unvollständig:


Skåne, Blekinge:
Malmö (Slottsstaden/S:t Andreas): St:a Katarina lekkyrka
Mjällby (Mjällby församling): Lekkyrkan

Småland:
Traryd (Hinneryds församling)
Växjö (Växjö stads- och domkyrkoförsamling): Teleborgskyrkan und Skogslyckans lekkyrka

Öland (Borgholms församling)

Westküste:
Göteborg (Masthuggs församling): Masthuggskyrkans lekkyrka
Orust (Morlanda församling): http://www.svenskakyrkan.se/orust/lekkyrka

Norrland:
Umeå (Umeå landsförsamling): Grisbackakyrkan

Montag, 12. Mai 2014

Von Amsterdam nach Athen und weiter nach Köln - Predigt über Apg 17,18-32

(c) de.wikipedia.org

Liebe Gemeinde, 
Vor fast einem Jahr war ich in Amsterdam. Mit einer Gruppe Pfarrerinnen und Pfarrern haben wir uns dort ermutigende Beispiele für kirchliche Arbeit angeguckt, Gemeinden, die neue Wege gegangen und eine Heimat für Menschen geworden sind, die mit Kirche nie etwas anfangen konnten. Wir haben viele tolle Projekte gesehen, große, blühende Gemeinden - aber die Gemeinde, die mich, wenn ich mit etwas Abstand zurückblicke, am Meisten berührt hat, war eine winzige Gemeinde, die in einem kleinen, etwas heruntergekommenen Ladenlokal ihre Räume hatte, die sie sich außerdem noch mit der Volkshochschule teilen musste. Für uns, Pfarrerinnen und Pfarrer aus Rheinland und Westfalen, waren das Zustände, die wir nicht gewohnt sind, und unter denen wir uns kaum vorstellen können, wie man da sinnvolle, gute Gemeindearbeit machen konnte. Aber wir alle hatten so eine Ahnung, dass es auch bei uns irgendwann einmal so sein könnte wie in den Niederlanden: Dass wir Kirchen verkaufen müssen, Mitarbeiter entlassen, dass wir an Orte kommen, an denen die Formen von Gemeindearbeit, die wir kennen und lieben, keine Chance haben. Das war die Erkenntnis, die die dortige Pfarrerin zu Beginn ihrer Arbeit hatte. Ihr Name ist Margrieta Reinders. Nett, sympathisch, ein bisschen verhuscht – und unglaublich neugierig auf die Menschen, die ihr begegnen. Sie erzählte, dass man in ihrer Gemeinde besonders gerne und besonders aufmerksam die Briefe von Paulus liest, sie sagt: Paulus hat an kleine, gefährdete, unsichere Gemeinden, an Gemeinschaften voller Pioniere geschrieben – und wir sind eine kleine, gefährdete, unsichere Gemeinde, und wir sind vielleicht in unserem Umfeld auch so etwas wie kleine Pioniere. 

Ich möchte das heute mit Ihnen und Euch heute auch tun, nachlesen: Was hat Paulus gesagt und getan? Und was können wir sagen und tun in einer Zeit, in der es für Menschen nicht mehr selbstverständlich ist, zur Kirche zu gehören? Der Predigttext aus der Apostelgeschichte, der für heute vorgeschlagen ist, ist in dieser Hinsicht echt interessant; es geht um Paulus, der mittlerweile in Europa angekommen ist. Wer das zuhause noch einmal nachlesen will – die Geschichte steht in Apg 17; es ist ein langer Text, und wir werden ihn gleich noch Stück für Stück durchgehen. 

Da trat Paulus vor die Ratsmitglieder und alle anderen, die zusammengekommen waren, und begann: »Bürger von Athen! Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid. Als ich nämlich durch die Straßen eurer Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, stieß ich auf einen Altar mit der Inschrift: ›Für einen unbekannten Gott‹. Ihr verehrt also ein göttliches Wesen, ohne es zu kennen. Nun, gerade diese euch unbekannte Gottheit verkünde ich euch. Meine Botschaft handelt von dem Gott, der die ganze Welt mit allem, was darin ist, geschaffen hat. Er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschen erbaut wurden. Er ist auch nicht darauf angewiesen, dass wir Menschen ihm dienen. Nicht er ist von uns abhängig, sondern wir von ihm. Er ist es, der uns allen das Leben und die Luft zum Atmen gibt und uns mit allem versorgt, was wir zum Leben brauchen. Aus einem einzigen Menschen hat er alle Völker hervorgehen lassen. Er hat bestimmt, dass sich die Menschen über die ganze Erde ausbreiten, und hat festgelegt, wie lange jedes Volk bestehen und in welchem Gebiet es leben soll. Mit allem, was er tat, wollte er die Menschen dazu bringen, nach ihm zu fragen; er wollte, dass sie – wenn irgend möglich – in Kontakt mit ihm kommen und ihn finden. Er ist ja für keinen von uns in unerreichbarer Ferne. Denn in ihm, dessen Gegenwart alles durchdringt, leben wir, bestehen wir und sind wir. Oder, wie es einige eurer eigenen Dichter ausgedrückt haben: ›Er ist es, von dem wir abstammen.‹ Wenn wir nun aber von Gott abstammen, dürfen wir nicht meinen, die Gottheit gleiche jenen Statuen aus Gold, Silber oder Stein, die das Produkt menschlicher Erfindungskraft und Kunstfertigkeit sind. In der Vergangenheit hat Gott gnädig über die Verfehlungen hinweggesehen, die die Menschen in ihrer Unwissenheit begangen haben. Doch jetzt fordert er alle Menschen an allen Orten zur Umkehr auf. Er hat nämlich einen Tag festgesetzt, an dem er durch einen von ihm bestimmten Mann über die ganze Menschheit Gericht halten und über alle ein gerechtes Urteil sprechen wird. Diesen Mann hat er vor aller Welt als den künftigen Richter bestätigt, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.« Als Paulus von der Auferstehung der Toten sprach, brach ein Teil der Zuhörer in Gelächter aus, und andere sagten: »Über dieses Thema wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt mehr von dir erfahren.« Damit endete die Anhörung, und Paulus verließ die Ratsversammlung. Doch einige Leute schlossen sich ihm an und kamen zum Glauben, so zum Beispiel Dionysios, ein Mitglied des Stadtrats, und eine Frau namens Damaris; und es gab noch andere, die zusammen mit diesen beiden an Jesus glaubten. I. Da trat Paulus vor die Ratsmitglieder und alle anderen, die zusammengekommen waren. 

Liebe Gemeinde, Paulus ist nicht ganz freiwillig vor den Rat getreten, das Ganze hat eine Vorgeschichte: Paulus ist schon einige Zeit in Athen, und er redet in den Synagogen mit den Leuten, aber ein paar Verse vorher steht auch: Auf dem Marktplatz unterhielt er sich Tag für Tag mit denen, die er dort antraf. Diese kleine Notiz finde ich unglaublich wichtig, und sie fordert mich gleichzeitig heraus, denn ich muss mich fragen: Wo bin ich eigentlich unterwegs, um mit den Menschen über den Glauben zu sprechen? Paulus geht dahin, wo die Menschen sind, wo Menschen unterwegs sind mit ihren Fragen, ihren Sehnsüchten, aber auch ihren Alltagsgeschäften. Und ich frage mich: Wo könnte das hier in Dellbrück sein? Und ein paar Leute wundern sich, und in der Stadt geht das Gerücht um, dass da jemand ist, der versucht, eine fremde Religion unter die Leute zu bringen. Und so bringt man Paulus auf den Areopag, ein großer Hügel mitten in Athen, auf dem der Stadtrat tagt. Und dort fragt man ihn: Was sind das eigentlich für komische Sachen, die Du da erzählst? Und alle Gespräche verstummen, und alle Augen richten sich auf ihn. 

Vielleicht haben Sie, habt Ihr das auch schon mal erlebt. Manchmal passiert das ja, weil es in unserer Gesellschaft immer weniger selbstverständlich wird, Mitglied einer Kirche zu sein – oder zumindest aktiv am Gemeindeleben teilzunehmen. Da kommt es vor, dass man auf einer Geburtstagsfeier oder im Kollegenkreis sitzt und nebenbei erwähnt: Am Sonntag gehe ich in die Kirche. Oder: Ich singe im Kirchenchor. Oder: Dienstags habe ich Konfirmandenunterricht. Und Menschen sind ganz erstaunt, und fragen vielleicht: Warum denn das? 

(c) ruthafrita.com


In unserem Glaubenskurs, der jetzt schon fast zu Ende ist, gibt es einen festen Punkt, an dem viele Leute Spaß haben. Wir nennen das: Der heiße Stuhl. Den ganzen Abend über haben die Teilnehmer die Möglichkeit, jede Frage, die sie immer schon zum Thema Glauben oder Kirche oder Religion im Allgemeinen stellen wollten, auf einen Zettel zu schreiben und an die Pinwand zu heften. Und gegen Ende des Abends werden alle Zettel nach vorne geholt, und ein Pfarrer muss all diese Fragen innerhalb von zwei Minuten verständlich beantworten – das wird sogar mit Stoppuhr kontrolliert. Mir macht dieser Punkt auch Spaß, aber ich bin danach richtig kaputt – und ich weiß nicht, was am schwierigsten ist: Die Fragen an sich, denn alle Antworten habe ich auch nicht, oder die Zeitgrenze von zwei Minuten, oder die Aufgabe, die Frage verständlich zu erklären – Kürze und Klarheit sind ja nicht unbedingt die Tugenden, für die wir Pfarrer allgemein bekannt sind. 

Paulus wird auf den heißen Stuhl gesetzt, und er sagt: »Bürger von Athen! Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid. Als ich nämlich durch die Straßen eurer Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, stieß ich auf einen Altar mit der Inschrift: ›Für einen unbekannten Gott‹ 

Liebe Gemeinde, wir wissen nicht, ob es so einen Altar wirklich gegeben hat – bei allen Ausgrabungen in und um Athen hat man zumindest keinen gefunden. Aber ich glaube, zumindest im übertragenen Sinne trifft Paulus einen Nerv: Menschen sind auf der Suche, nach Sinn und Bedeutung, nach dem, was trägt, nach irgendetwas oder irgendjemandem, der ihnen sagt: Du bist gut - in den Straßen von Athen vor 2000 Jahren, und in Köln 2014. 

Bilder (c) blog.nn-online.de und sol.de/dpa


Mit dem Predigttext im Hinterkopf gehe ich über die Dellbrücker Hauptstraße. Einmal rauf, einmal runter. Gucke mir die Menschen an, die dort unterwegs sind. Am Postbank-Automaten an der Kemperwiese steht eine Schlange Menschen. Einer geht weg, blättert durch seine Kontoauszüge und lächelt zufrieden. Ein junge Frau, ein Kind auf dem Arm, eins im Kinderwagen, tippt hektisch ihre PIN-Nummer ein und wartet ungeduldig. Ihre Lippen bewegen sich leise, sie murmelt Unverständliches, während der Automat arbeitet, ihr Blick zuckt immer wieder nach oben, Richtung Decke. Oder dahinter. 

Im Buchladen ein ganzes Regal mit der Aufschrift: „Esoterik/Lebenshilfe“. Eine ganze Reihe Bücher, die meisten in bunten, hellen Farben: Erfolg und Ausdauer durch kosmische Energie – mit Übungsbuch und Gratis-Edelstein. // Astrologie für Gesundheitsbewusste – schlank und schön mit der Kraft der Sterne. // Wegbegleiter für jeden Tag – Engelkalender mit 52 Engelkarten. Dazwischen, passend, kleine Engels- oder Buddhastatuen. 

Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid. Als ich nämlich durch die Straßen eurer Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, stieß ich auf einen Altar mit der Inschrift: ›Für einen unbekannten Gott‹. 

Liebe Gemeinde, mir fällt auf, dass Paulus diese Suche der Menschen nicht abwertet. Er sagt ihnen nicht: Das ist falsch. Auch, wenn er das bestimmt so sieht. Sondern er nimmt ihr Suchen, ihre Sehnsucht, ihre selbstgebastelten Antwortversuche ernst. Daran muss ich mich selbst erinnern. Ich gehe meistens sehr schnell und meist mit einem etwas geringschätzigen Blick an den Esoterikecken in den Buchläden vorbei, meistens riecht es da ja auch etwas penetrant nach Lavendel oder Patchuli. Aber ich mache mir selten Gedanken über die Menschen, die dort nach Antworten suchen. 

Paulus nimmt diese selbstgebauten Heiligtümer ernst – aber er bleibt nicht dabei stehen, sondern er sagt ganz vollmundig: Ich erkläre euch diesen unbekannten Gott. Und dann erklärt er. Meine Botschaft handelt von dem Gott, der die ganze Welt mit allem, was darin ist, geschaffen hat. […] Mit allem, was er tat, wollte er die Menschen dazu bringen, nach ihm zu fragen; er wollte, dass sie – wenn irgend möglich – in Kontakt mit ihm kommen und ihn finden. Und eine ganze Menge anderes sagt er, wir brauchen das nicht alles zu wiederholen, Ihr könnt es ja zuhause nachlesen. Aber: Er benutzt dabei Ausdrücke und Bilder, die nicht direkt aus der Bibel stammen, sondern aus dem Sprachgebrauch der Philosophie seiner Zeit, benutzt also Begriffe, die die Leute kennen, aber er füllt sie mit neuem Inhalt. Und an ganz zentraler Stelle sagt er: Keinem von uns ist Gott fern. 

Er spricht auch von Jesus Christus, allerdings ohne ihn beim Namen zu nennen, er sagt von ihm nur: Diesen Mann hat er vor aller Welt als den künftigen Richter bestätigt, indem er ihn von den Toten auferweckt hat. 

Und an der Stelle passiert etwas: Seine Zuhörerschaft zerstreut sich. 

Als Paulus von der Auferstehung der Toten sprach, brach ein Teil der Zuhörer in Gelächter aus, und andere sagten: »Über dieses Thema wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt mehr von dir erfahren.« Damit endete die Anhörung, und Paulus verließ die Ratsversammlung. 

Das kenne ich aus meiner Arbeit. Solange wir irgendwas allgemeines reden, von einem Gott, den es irgendwie gibt, einem höheren Wesen, das irgendwie allen nah ist, nicken die Menschen. Aber wenn es konkret wird, regt sich Widerstand, und Leute sagen: Naja, zu religiös wollen wir bitte doch nicht werden. Und mir macht das Mut, dass das bei Paulus nicht viel anders war. Die meisten drehen sich weg und gehen. Alle, bis auf eine Handvoll; unsere Geschichte endet mit einer kleinen Notiz, die oft übersehen wird: Doch einige Leute schlossen sich ihm an und kamen zum Glauben, so zum Beispiel Dionysios, ein Mitglied des Stadtrats, und eine Frau namens Damaris; und es gab noch andere, die zusammen mit diesen beiden an Jesus glaubten. 



Als wir unseren Glaubenskurs vorbereitet haben, haben wir über tausend Karten verschickt, die meisten handgeschrieben, mit einem persönlichen Gruß und einer Einladung. Als der erste Abend näher rückte, hatten wir sogar einen Plan B in der Tasche, hatten die Kirche aufgeheizt und vorbereitet – falls mehr als die dreißig Leute kommen würden, für die wir im Gemeindehaus Stühle gestellt hatten. Und wir warteten. Um kurz vor sieben war eine Person da, kurz darauf kamen noch vier andere. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde: Ich war nicht enttäuscht, nach all der Arbeit, nach der ganzen intensiven Vorbereitung im Team. Aber am Ende des Abends standen wir zusammen und blickten zurück auf einen interessanten und intensiven Abend, mit vielen persönlichen Gesprächen und spannenden Diskussionen. Und das hat eigentlich jeden unserer bisherigen Abende geprägt. 

Liebe Gemeinde, die kleine Gemeinde in Amsterdam trägt den stolzen Namen Heilig Vuur, heiliges Feuer. Und das, was Margrietha Reinders von ihrer Arbeit erzählt hat, und das, was in der Apostelgeschichte über die Erfahrungen von Paulus in Athen schreibt, das alles macht mir nochmal klar: Das heilige Feuer muss kein Flächenbrand sein. Es kann auch die Flamme sein, die in den Herzen von einzelnen entzündet wird, und die im persönlichen Gespräch von Mensch zu Mensch weitergegeben wird. Und dieses Gespräch, das müssen wir suchen, stärker als bisher. Denn auch eine kleine Flamme wärmt. Und macht das Leben heller. Und wer weiß, was sich daran noch alles entzündet. Amen.

Sonntag, 11. Mai 2014

Offtopic: Warum Deutschland beim ESC so oft abschmiert und Conchita Wursts Sieg politisch ist

Kleine Kritzelei am Rande

Nein, ich spare sie mir hier und jetzt, die ganzen Rumkalauereien mit "Wurst". Da haben die Leute von Extra3 schon alles nur irgend mögliche aufgelistet. Unterm Strich: The same procedure as last every year. Deutschland ist erwartungsgemäß abgestunken - irgendwie bringen es die meisten Auswahlprogramme der letzten Jahre nicht so wirklich: Die gewollt glamourösen Beiträge (auch, wenn sie dreimal klingen wie ein Aufguss des Vorjahressieges) haben eine Bühnenpräsenz wie die Schaufensterauslage von Strauss Innovation, der Versuch, nach Nicole mal wieder auf grundpatente Schlagersängerinnen zu setzen, geht regelmäßig (etwa mit Bianca Shomburg 1997 oder Corinna May 2002) und kräftig in die Binsen. Pomadenglatte Budenluis und Eintänzertypen (Leon 1996, Roger Cicero 2007 oder Oscar Loya 2009) versprühen statt der gewollten swingig-guten Laune einen Hauch von Kaffeefahrt. Wessen castingshowgepushte five minutes of fame schon im Heimatland seit längerem vorbei ist, der reißt auch im Paradies des Eurotrash nichts (Gracia 2005 oder No Angels 2008). Und auch die vielleicht schon etwas gestandenen, sich bewusst von der ESC-eigenen Kunststoffästhetik abhebenen Vollblutmusiker, die "ganz ehrliche Musik" machen wollen, schaffen es selten übers Mittelfeld hinaus - ein Schicksal, das Lou (Gruseln im Jahr 2003) und Texas Lightning (2006) teilen. 

Vielleicht liegen diese Desaster an der sehr deutschen Einstellung, Charisma und Erfolg seien mit genug Professionalität und behördlich organisiertem Vorgehen plan- und machbar. Im letzten Jahr zum Beispiel war es das Votum der Jury, das die drolligen und publikumsaffinen Lederhosensepperl von LaBrassBanda zugunsten von Cascada aus dem Rennen kickte - und das, obwohl schon die eigene Statistik zeigt, dass sowohl ethno- (Sürpriz 1999) als auch nonsenslastige (Gildo Horn 1998 und Stefan Raab 2000) Beiträge ganz gut laufen. Auch in diesem Jahr gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen den Punkten der Jury und des Publikums. Mich erinnern diese top-down-Prozesse immer ein wenig an die Schröderisierung der Hochschullandschaft im Rahmen der Exzellenzinitiative. Und irgendwie erinnert es mich auch ein bisschen an Kirche der Freiheit. Von wegen behördliche Anordnung von Kreativität und Profilierung, ya know?

Womöglich hängt das auch mit der Zusammensetzung der Jury zusammen; in diesem Jahr waren es Sido, Andreas Bourani, Madeline Juno (ja, ich musste auch erst googeln) und Jennifer Rostock, in den letzten Jahren war das Lineup ganz ähnlich, und man kann sich die Mitglieder der nächsten Jahre, wenn sich nichts ändert, ohne weiteres vorstellen: Adel Tawil, Inga Humpe, Mieze Katz von MIA, Glasperlenspiel, Annett Louisian, Tim Bendzko, einer oder zwei von Culcha Candela oder Revolverheld, Philipp Poisel, Max Prosa und so weiter. Alles sicherlich irgendwie gestandene Musiker_innen mit Ahnung vom Musikkommerz, die bestimmt auch gerne von Goetheinstituten als "witzige, freche, selbstbewusste und unverkrampft deutsche" Protagonisten der hiesigen Musikszene gehypet werden. Ihnen allen ist auch gemeinsam, dass sie recht humorlos und ironiefrei Musik machen. Natürlich wird da mal gelacht, aber, bitte, mit Anspruch. Es fehlt diese diebische Freude am Trash, die für den ESC aber überlebensnotwendig ist. Die allermeisten Jurymitglieder verbindet dementsprechend auch, dass sie sich aus ESC-Zusammenhängen bislang weitestgehend rausgehalten haben und höchstens mal in einem deutschen Vorentscheid mitmachen durften. 

Aber nun. Jetzt hat ja Conchita Wurst für Österreich gewonnen - überraschen dürfte dabei höchstens der deutliche Punkteabstand; sogar ich habe, vielleicht zum zweiten Mal in meinem Leben seit Lena Meyer-Landruth, richtig getippt.

Natürlich ist ein solches Abstimmungsergebnis politisch. Transnationale Musikwettbewerbe sind, genauso wie Olympische Spiele, eine hochpolitische Angelegenheit; in beiden Fällen werden die selbst gesetzten neutral and nonpartisan goals of unity and cooperation through shared [...] culture (so die Grundsatzerklärung der ESC-Verantwortlichen) dadurch konterkatiert, dass die Veranstaltungen als "Mittel national-kultureller Repräsentanz" (Irving Wolther 2006, 1) erkannt und wahrgenommen werden. Auch dann, wenn man sich politischer Kommentare enthält - einen lobenswerten Bruch mit dieser auch von IOC und FIFA bekannten Schweige- und Aussitzungstaktik, die besonders bei den Debatten um die Auftritt von t.A.T.u 2003 einen traurigen Höhepunkt erreichte, verdanken wir Anke Engelke mit ihrem Kommentar zur Lage beim ESC in Bakü 2012, mit dem sie aber leider allein auf weiter Flur blieb. Auch das Wort zum Sonntag, souverän, sympathisch und ungekünstelt vorgetragen von Annette Behnken, blieb da letzten Endes ein wenig zahnlos und ventilierte mehr oder weniger die aus vielen ESC-Beiträgen sattsam bekannten Moralappelle.

Natürlich ist der Sieg von Conchita Wurst politisch, die ganze Figur ist ein einziges politisches Statement. Sie spielt mit Genderstereotypen und bringt stammtischaffine Kommentatoren in Verlegenheit - heißt es jetzt "der, die oder das" Wurst? Harhar. Die Sache dürfte eigentlich klar sein: Die Kunstfigur Conchita Wurst ist phänotypisch eine Frau, trotz der Gesichtsbehaarung, der Künstler Tom Neuwirth ein Mann. In der englischsprachigen Presse wurde Wurst häufig als "bearded lady" bezeichnet - eine Reminiszenz an die freak shows und Kuriositätenschauen des frühen 20. Jahrhunderts, bei denen die bärtige Dame (in der Regel an Hirsutismus leidende Frauen) neben siamesischen Zwillingen und groß- oder kleinwüchsigen Menschen zum Standardfigurenkabinett gehörte. Aus heutiger Sicht sind derartige Zurschaustellungen körperlicher Devianzen natürlich und aus gutem Grund moralisch verfemt - man darf dabei aber nicht vergessen, dass sie bis in die 1920erjahre hinein Menschen, die heute als "Behinderte" oder "Menschen mit besonderen Herausforderungen" auf ihre medizinischen Normabweichungen reduziert werden, nicht nur ein Auskommen, sondern auch eine Möglichkeit zum kreativen Selbstausdruck ermöglichten. Der US-amerikanische Regisseur Tod Browning setzte diesen selbstbewussten freaks (übrigens sprachhistorisch gesehen ein Geusenwort) 1932 ein filmisches Denkmal - sie einfach nur als Opfer gieriger Kunstmanager und voyeuristischer Zuschauer zu sehen, entspricht nach gegenwärtigem Forschungsstand nicht ihrem Selbstverständnis. Mein gestriger Lieblingstweet zum Thema:



Unterm Strich: Der diesjährige ESC hat gezeigt, dass die wirklich politischen Beiträge nicht diejenigen sind, die vom Händereichen und Brückenbauen und Einanderliebhaben singen. Off topic? Nicht ganz. Auch, wenn ich kein Freund davon bin, Personen öffentlichen Lebens ohne deren Zustimmung zu unterstellen, sie würden für etwas einstehen, was die (evangelische) Kirche immer schon gewusst oder getan hat - als Theologe kann ich nicht anders als an eine subversive Stelle Galater 3 denken: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Das letzte Wort hat deshalb Eva Brunne, Bischöfin in Stockholm: "Ein Sieg für Österreich, und noch viel mehr. Danke Conchita Wurst und allen, die für Freiheit und Vielfalt abgestimmt haben. Es gibt Hoffnung!"



Samstag, 10. Mai 2014

What is the Song in Your Heart? - Erinnerungen an den ESC 2011...

In Kopenhagen läuft der Countdown zum diesjährigen ESC-Finale, auf dem Laptop läuft ein etwas bemühtes Warming Up mit Barbara Schöneberger und Adel Tawil - in Sachen ESC sind die Skandinavier einfach besser. Ich jedenfalls kommentiere das gerne auf Twitter, und erinnere mich ansonsten sehr gerne an den ESC 2011 in Düsseldorf. Ich war damals Vikar in Kaiserswerth, hatte für das Zweite Theologische Examen ein Praxisprojekt abzuliefern - und eine Gemeinde mit vielen Muttersprachen und Lust auf Neues. Also haben wir einen mehrsprachigen Abendgottesdienst zum ESC veranstaltet - und zwischen Werkwinkeln, Eurovisionsschlagern und Fürbitten in einszweidreivierfünfSECHS Sprachen viel Spaß gehabt!


Zur Nachlese nochmal die Predigt von damals, betitelt, wie der ganze Gottesdienst:


What is the Song of Your Heart?

(I.) 
When we started telling people about our plans concerning this ESC-service, reactions were almost entirely positive, or rather, downright enthusiastic: “Eurovision Service… wow, what a brilliant idea, I have never heard of such a thing before” – and that was what, on second thought, made most people wonder: “Sure, it is a brilliant idea… but why? What does the church have to do with the Eurovision Song Contest?” When you think about it, you’ll find a couple of rather striking similarities between the two. And some tiny, yet significant differences. First of all: It is all about bringing people together. People from different countries, different cultural backgrounds, coming together in a friendly, harmless, joyful competition. That has been the basic idea ever since the very first contest in Lugano in 1956, the Gran Premio Eurovisione della Canzone Europea. And we can experience that ourselves these days, with the city packed with people from all over Europe, chattering away in their own languages, recognizing each other from one of the finales or from one of the numerous parties. Now, admittedly, the church hasn’t been that good at that particular point. The church has always been very keen on bringing only the right people together, carefully shutting out those who - in one way or another - don’t fit in, strictly dividing between insiders and outsiders. However, I think we should be careful not to mix up things here. God wants to bring people together, it’s his fan clubs that keep on messing things up. The Good News is: God is still finding his ways through all our human boundaries and blockades, softening the walls we built, broadening our views and widening our hearts, ultimately bringing people closer to Himself – and to one another. For all we can hope for, he might even do so tonight, at this very moment, God is working our hearts and minds and creating an experience that we here are sharing. That is why we begin our services “in the name of the Father and the Son and of the Holy Spirit”. In that way, major events like the Eurovision Song Contest can remind us of the dream that Jews and Christians share and that we are likely to forget in the chaos of our everyday life: A dream of a world to come, in which all nations will be united in peace and worship, no more weapons, no more territorial quarrels, no more battle of the cultures, just peace, everlasting and stable. So, by the looks of it, we will all be spending eternity together – so why not try getting on with one another already here and now? I think, this year’s song from Denmark sums it up quite well: Come on boys, come on girls, in this crazy, crazy world, you’re the diamonds, you’re the pearls, let’s make a new tomorrow. Come on girls, come on boys, it’s your future, it’s your choice, and your weapon is your voice, let’s make a new tomorrow – today. And I would like to add: With God’s help. 

(II.) 
Secondly, it’s all about music, and singing in particular. And there is an obvious parallel, because singing has always been one of the most basic religious rites, one of the essential experiences and ways of expressing yourself in the presence of the Holy One. For all we can tell, the absolute oldest text in the Bible is just a song, sung for the very first time thousands of years ago, that has been passed on from mouth to mouth and from heart to heart. And when you scan through the pages of the Bible, you’ll meet loads of characters who whenever there are in great danger, whenever they are despaired, whenever they are bubbling over with joy, start singing. The psalms, for instance, are basically a collection of songs to be sung in all sorts of situations. So singing is a basic religious experience, because singing involves the whole body, muscles from your head to your toes, your mind and your soul. And so does God, by the way, faith is never just in your head or just in your heart. So singing enables us to get in touch with deeper lying emotions, deeper layers of ourselves. Victor Hugo, the famous French writer, is quoted to have once said: Ce qu'on ne peut pas dire et ce qu'on ne peut pas taire, la musique l'exprime. Musik drückt das aus, über das man nicht sprechen kann und über das zu schweigen unmöglich ist- Music expresses that which cannot be said and on which it is impossible to be silent. That’s why we asked you, at the very beginning of this project, when we started dishing out our posters and leaflets and tiny little business cards one of which each of you has been so lucky to pick up: What is the song in your heart? You have had some time to try and get in touch with this question, and I think that for those who can hear it, this room is full with all sorts of different songs, some glad and energetical, some sad and desperate, some laid-back and peaceful, some full of heartbeat and romance, some fast and confusing and hard to hear in this crazy, noisy world. At these stations, you found Bible verses as well as pictures and symbols and colours and stuff. And it was not all too difficult to find fitting verses – finding fitting songs was far more difficult, because the Bible is a book bursting with experience and feelings. And the one thing we can tell you today, whichever the song in your heart may be: GOD KNOWS. God knows. Not in a nasty “uuuh, God is watching you” sort of way, but God knows, because God himself has come down to earth, has become Jesus Christ, to get some first hand experience of how it is like, being human in this crazy, crazy world. Whatever song is in your heart – you are never alone, however lonely and detached you may feel, from the world, from yourself, from God – whatever song your heart is humming on, you can be sure there is someone who knows is and joins in. 

(III) 
And God, and that is the big difference from the Eurovision Song Contest, God won’t vote on you and your song, like the millions of fans from all over Europe will be doing this time tomorrow. God won’t judge on you like you are judging on yourself or like we all are judging on one another, by looks, by status, by any weird instinct or old habits. It’s not that God won’t judge or won’t vote, but God’s vote on all of us has already been given. And it is no such vote we will be seeing tomorrow, God’s vote won’t be like: “Here are the results of how Heaven has voted – you, zero points. You there, eight points. You, well, three points. You, ten points. You, you, you – zero.” And so on. The result of God’s vote cannot be expressed in figures, numbers and statistics. The result of God’s vote can be told in the Great Story of God and his people, and the result of God’s vote can be summarized like in the gospel according to St. John, chapter 3: “For God so loved the world that he gave his one and only Son, that whoever believes in him shall not perish but have eternal life.” 

(IV) 
And maybe the effects of God’s vote could be seen on us. If you’re following the Eurovision Song Contest through the years, you might have noticed that you can always tell what the absolute best performance of the night will be, it has always been the same and I guess it won’t be any different tomorrow night: The best show is always the performance of the winning song after it has been announced. When all the pressure is gone, when it’s just about singing and dancing, when no jury, no voters have to be impressed upon anymore, when the other contestants don’t have to be fought, but can be hugged and invited to share the stage with the winner, when the show becomes just a good piece of music. And the same is true for our lives: You don’t have to fight. You don’t have to compare yourself to others all the time. You don’t have to be afraid of other people’s songs, just because they are different from yours. You don’t have to impress on the great judge in heaven. Let’s picture that for the moment. You may close your eyes, if it makes it easier for you. Imagine what the world could be like if we all remembered, that God already has spoken his word, his vote full of love and compassion and forgiveness. The battle is over. The contest is won. The votes are out. We are not each other’s rivals or competitors. We are just fellow human beings, neighbours, brothers and sisters, each and every one loved by God and destined to spend eternity with him. And now open your eyes again, take a look at each other. There they are, your brothers and sisters. Take that feeling with you. May God bless you, and may you become a blessing for those around you as well, in Düsseldorf or wherever the road may lead you. Amen.