Dienstag, 29. Dezember 2015

Heilige Familie - Christnacht queer 2015



Am Ende des Jahres steht sie im Wohnzimmer,
aus Keramik oder Holz,
inmitten süddeutsch anmutender Stallromantik,
wir holen sie raus,
stauben sie ab,
stellen sie hin,
singen sie an:
Die Heilige Familie.
Eine Frau, ein Mann,
und ein Kind,
holder Knab‘ mit lockigem Haar
und Heiligenschein.

Landauf, landab wird sie beschworen,
bei den selbsternannten Rettern
des Abendlands,
sie zeigen sie vor,
halten sie hoch,
beten sie an:
Die Heilige Familie.
Eine Frau, ein Mann,
und 1,38 Kinder, durchschnittlich,
holder Knab‘ mit lockigem Haar oder
liebreizendes Mädel mit strengem Zopf
und glänzenden Zukunftsaussichten.

Am Ende des Jahres sitzt sie im Wohnzimmer,
aus Fleisch und Blut,
inmitten einer Wolke aus Old Spice und Kölnisch Wasser.
Wir laden sie ein,
füttern sie durch,
halten sie aus,
zweifeln sie an:
Die Heilige Familie.
Eine Frau, ein Mann,
Kinder und Enkelkinder,
Schwippschwägerinnen und Cousins
und Oma und Onkel Karl,
und deine alte Großtante
- Moment, ich dachte: Deine alte Großtante?!
Faltiges Haupt mit silbernem Haar,
und das Christkind kommt erst in die Krippe,
wenn wir in der Kirche waren,
und Oma legt es selbst rein.
Dann wird gegessen,
dann sehen wir uns die Weihnachssendung im dritten Programm an,
dann gibt es Bescherung,
und dann wird es gemütlich.



Wir schenken uns ja nichts.
Wir schenken uns wirklich nichts.
„Also, wir machen den Rotkohl ja immer selbst. Aber jedem das Seine.“
„Sag mal, Junge, warum hast Du denn immer noch keine Freundin?“
„Früher war mehr Lametta.“
„Sag mal, ist deine Vorstrafe eigentlich verjährt oder wie das heißt?“
„Hast Du eigentlich zugenommen?“
Wir schenken uns nichts.
Und im Schein der Heiligen Nacht scheint mancher Heiligenschein
doch sehr scheinheilig zu sein.
Und es riecht nicht nach Zimt, sondern nach verbrannter Erde.
Und mittendrin steht die Krippe aus dem Erzgebirge,
und die hat beim letzten Umzug gelitten:
Josef hat nur einen Arm,
die Heiligen drei Könige haben ihre Geschenke verloren,
und die Futterkrippe ist weg,
und das, wo Oma doch gleich das Jesuskind reinlegen wollte.

Aber die Krippe stimmt eh nicht.
Sie ist zu schön.
Christ ist geboren,
aber nicht in weißgetünchtem Stall in Oberbayern,
sondern in einer Höhle zu Bethlehem,
und es roch nicht nach Zimt oder Glühwein oder Gänsebraten
oder nach Old Spice und Kölnisch Wasser,
sondern nach Schafmist und Schweiß,
nach stockigen Kleidern und schnellem Aufbruch.
Freue dich, o Christenheit,
denn alle Jahre wieder kommt das Christuskind,
auf die Erde nieder,
wo wir Menschen sind.
Kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus,
auch, wenn es nicht nach Zimt riecht,
sondern nach Einsamkeit und kalten Zigaretten,
nach Kummer und Kümmerling,
und vor der Tür stehen nicht die Weisen aus dem Morgenland,
sondern die Abschiebeamten aus dem Abendland.
Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.

Und die Krippe stimmt eh nicht.
Sie ist zu klein,
obwohl sie größer sein kann,
sein müsste:
Eine Frau, ein Mann,
holder Knab mit lockigem Haar,
ein paar Hirten, drei Könige,
aber es fehlen ein paar,
es fehlt die ganze Welt.
Freue dich, o Christenheit,
denn das erwachsene Christkind wird sagen:
Wer sind meine Mutter und meine Geschwister?
Wer Gottes Willen tut, der ist meine Mutter, mein Bruder, meine Schwester.
Die Heilige Familie ist Wahlverwandtschaft.
Nicht ihr habt mich erwählt, wird das erwachsene Christkind sagen,
sondern ich habe euch erwählt.
Die Heilige Familie ist Patchwork:
Das Christkind ist unehelich,
seinen Vater hat nie jemand gesehen.

Und die Krippe ist kaputt.
Josef hat nur einen Arm,
die Heiligen drei Könige haben ihre Geschenke verloren.
Und das Christkind hat nichts, auf das es sich betten kann.
Und Oma steht auf, feierlich,
nimmt das Christkind,
geht zur Krippe – und stutzt.
Nimmt den Aschenbecher vom Tisch,
stellt ihn in den Stall,
legt das Christkind rein,
tritt einen Schritt zurück.
Sie nickt, und sie lächelt,
und sagt zufrieden:

„Jetzt stimmt es.“

Sonntag, 6. Dezember 2015

Hurra, die Welt geht unter - Predigt über Jak 5,7-8

Predigt zur Einführung in eine neue Pfarrstelle am 2. Advent 2015

Liebe Gemeinde, mit der Einführung eines neuen Pfarrers in der Adventszeit ist es so eine Sache. ”Seht auf und erhebt eure Häupter”, raunt es an den Tischen der Seniorenadventsfeier, ”seht auf und erhebt eure Häupter, weil - der neue Pfarrer ist da!” Er kommt, das ist ist der Kehrvers, der den ganzen Advent durchzieht, und gemeint ist (Gott sei Dank!) nicht der neue Pfarrer. 
Er kommt. Das raunen sich seit der Entstehung der ersten Gemeinden die Christinnen und Christen zu, als Ermutigung, als Anker in stürmischen Zeiten. So wie im fünften Kapitel des Jakobusbriefs: 

So seid nun geduldig, liebe Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. 

Er kommt. Advent. Advent, ein Lichtlein brennt. Der Abzählreim aus Kindermund, der Adventskranz des alten Wichern, kleine Geduldsübungen, gestaltetes Warten: Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, bis dann endlich das Christkind vor der Tür steht. Das Gute ist: Bei Weihnachten weiß man, dass es kommt, daran konnte vor einigen Jahren nicht einmal der Maya-Kalender etwas ändern, man weiß sogar genau, wann es kommt, bei mir mit ziemlicher Präzision einen Tag nachdem ich endlich geklärt habe, was für Weihnachtsgeschenke ich noch kaufen oder basteln muss. Er kommt. Aber gemeint ist nicht irgendein Geschenkelieferant, das Christkind ist längst erwachsen geworden und soll keine Playstation bringen, keinen Familien-Original-Benutzer, formschön, wetterfest, geräuschlos, hautfreundlich, pflegeleicht, völig zweckfrei. Sondern einen neuen Himmel und eine neue Erde, in der kein Tod mehr sein wird und kein Leid und kein Geschrei, und das bitte möglichst bald. Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. Also: Seid geduldig

 Ich bin das nicht. Wenn ich, wie so oft in diesen Tagen, von Köln nach Wuppertal fahre, trommle ich schon am Hildener Kreuz auf dem Lenkrad herum, irgendwo bei Haan-Ost zische ich durch die Zähne und spätestens am Sonnborner Kreuz singen sie im Radio „Hurra, die Welt geht unter“ und ich fluche laut vor mich hin. 

Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig. Manche hier im Uellendahl kennen das noch, als hier noch Höfe standen, bevor der Stadtteil dicht besiedelt wurde, als das Leben auf dem Döppers Hof, dem Haus Mirke, dem Wülfing- und Duckmauser Hof bestimmt war von der Abfolge von Saat und Ernte. 

Ich sähe nicht und ernte nicht, nicht im handgreiflichen Sinn, aber auch ich versuche, Geduld zu lernen und tue das mit Mehlstaub und Teigresten an Händen, Kleidern und Haaren. Ich habe bislang auf keiner Fortbildung, keinem Spiritualitäts- oder Achtsamkeitsworkshop so viel über Geduld gelernt wie beim Brotbacken. Also nicht mit Backmischung und Brotbackautomat, sondern so richtig mit Sauerteig, und das heißt vor allem: Warten, damit aus wenig viel werden kann. 



Ein Esslöffel Roggenmehl, zwei Esslöffel Wasser. 
Lauwarm. 
In ein großes Glas an einen warmen Ort gestellt. 
Und warten. 
Bis der Vorteig Blasen wirft. 
Das kann dauern. Zwei bis drei Tage. 
Alles Klopfen an das Glas bringt nichts, 
nur warm muss man es halten. 
In der Zwischenzeit geht das Leben weiter. 
Wenn der Ansatz aussieht wie helle Mousse au Chocolat, dann ist es Zeit. 
Für den nächsten Schritt. 
Das Brot ist noch mindestens einen Tag weit weg. 
Mehr Roggenmehl. Mehr Wasser. Und ein bisschen Weizen, wegen dem Kleber. 
Und: Warten. 
Ab und zu umrühren. 
Und: Warm halten. 
Am nächsten Tag mehr Mehl, Roggen und Weizen, ein bisschen Wasser. 
Und dann: Kneten. 
Bei Roggenmischbrot mindestens eine halbe Stunde, 
von Hand natürlich. 
Bis der Teig sich wieder von den Händen löst 
und die Schultern fast weh tun. 
Und dann: Warten. 
Drei-Vier Stunden. 
Und in der Zwischenzeit geht das Leben weiter. 
Und die Gärkörbe müssen vorbereitet werden. 
Dann den Teig zu Laiben formen, 
ein großes und ein kleines kommt bei mir raus. 
Rein in die Körbe, 
und wieder: Warten. 
Aber nur zwei Stunden. 
In der Zwischenzeit geht das Leben weiter, 
aber ich muss den Ofen vorheizen. 
Knallheiß, so viel es geht. 
Das dauert. 
Es gibt keine Abkürzungen, 
und leider auch keine absoluten Zeitangaben. 
Die Backzeit variiert, auf jeden Fall je nach Ofen 
und wahrscheinlich auch je nach Wetterlage und Mondphase. 
Von dem Tag aber und der genauen Stunde weiß niemand, 
auch nicht die Engel im Himmel, 
und es heißt wieder: Warten. 
Aber die Küche kann schonmal aufgeräumt 
und das Tuch für das Brot rausgeholt werden. 
Die Butter muss zimmerwarm werden. 
Von der genauen Stunde weiß niemand... 
Irgendwann ist es halt fertig, 
und das ganze Haus duftet vom frischen Brot, 
und die Butter zerfließt langsam 
auf dem dampfenden Knäppchen 
(oder wie auch immer sie das Endstück nennen) 
und ich schmecke und sehe: 
Es lohnt sich. 
Seid geduldig, bis der Herr wiederkommt. 

Seid geduldig, bis der Herr wiederkommt. Das durchzieht die Briefe des Neuen Testaments als Echo der Hoffnungen des Volkes Israel. Das raunen sich die ersten Christinnen und Christen zu, als Ermutigung, als Anker in stürmischen Zeiten. Und die lassen keinen Zweifel daran, dass die Geduld nicht unsere eigene ist, sondern dass dieser lange Atem von Gott selbst kommt. Gott hat einen langen Atem, Gott selbst ist geduldig. Zum Glück, denn sonst sähe die Welt wohl ganz anders aus. Leider, denn eigentlich müsste die Welt doch ganz anders aussehen? 

Bis der Herr wiederkommt. Es steht noch etwas aus. Die Welt ist noch nicht am Ende. Christus ist noch nicht fertig mit uns – Gott sei Dank. Denn am Ende ist alles gut, und solange nicht alles gut ist, es ist noch nicht das Ende. Und nichts ist gut. In Afghanistan. Nichts wird gut sein in Syrien, solange wir meinen, mit Waffen den Frieden schaffen zu können. Nichts ist gut an den Grenzen der Festung Europa. Und darinnen auch nicht. 

Manche spüren das deutlicher als andere, leiden an der Welt, wie sie ist, und wissen, dass es anders werden muss, wenn es gut werden soll: ER muss wiederkommen und richten. Ausrichten, wo das Ziel verfehlt wird, verrichten, was nur er tun kann: Das Krumme gerade biegen. Das Verlorene heimholen. Das Verletzte heilen. 

Manche spüren das mehr als andere, wir nennen sie, je nach Leitkultur und Stimmungslage, Prophetinnen oder Poeten, Künstlerinnen und Dichter oder sagen ihnen nach, sie seien nicht ganz dicht, wenn wir sagen: „Es ist doch alles ganz schön“, und sie sagen: „Eben nicht!“, die Knechte und Mägde, die Visionen haben und Träume träumen von einem neuen Himmel und einer neuen Erde. An der Spitze der deutschen Albumcharts standen im Sommer K.I.Z. und sangen: „Hurra, die Welt geht unter“: 

Seit wir Nestlé von den Feldern jagten 
Schmecken Äpfel so wie Äpfel 
und Tomaten nach Tomaten 
Und wir kochen unser Essen 
in den Helmen der Soldaten 
Komm wir fahren in den moosbedeckten Hallen 
im Reichstag ein Bürostuhlwettrennen 
Unsere Haustüren müssen keine Schlösser mehr haben, 
Geld wurde zu Konfetti 
und wir haben besser geschlafen 
Ein Goldbarren ist für uns das gleiche 
wie ein Ziegelstein 
Ich zeig den Kleinen Monopoly, 
doch sie verstehn's nicht 
"100€ Schein? Was soll das sein? 
Wieso soll ich dir was wegnehm' wenn wir alles teilen?" 

Hurra, diese Welt geht unter / und unter Pflastersteinen wartet der Sandstrand / und auf den Trümmern wächst das Paradies / und heut nach denken wir uns Namen für Sterne aus. 

Geduldig, ja. Und beflügelt von Bildern wie diesen. 
Die Saat wächst von allein, 
nach Frühregen und Spätregen. 
In der Zwischenzeit: 
Werkzeuge reparieren, 
Scheunen leeren, 
Erntehelfer engagieren. 

Der Brotteig geht, ganz von selbst, 
ein bisschen Wärme reicht. 
In der Zwischenzeit: 
Schüsseln spülen, 
Arbeitsplatte putzen, 
Ofen vorheizen, 
Butter aus dem Kühlschrank holen 
und Leute zum Brotessen einladen. 

Seid geduldig, liebe Schwestern und Brüder, denn das Kommen des Herrn ist nah. Bald steht das Christkind vor der Tür, es ist erwachsen geworden und bringt einen neuen Himmel und eine neue Erde. 
In der Zwischenzeit: 
Herzen stärken. 
Mit den neuen Flüchtlingen am Röttgen Billard spielen, 
Deutsch lernen, Essen teilen, ohne zu wissen, wie lange sie bleiben. 
Gemeinsam sitzen bleiben, wenn es draußen dunkel 
und drinnen das Gespräch schwer wird. 
Zwischen Trümmern Brombeerbüschen beim Wachsen zusehen. 
Sich einen Namen für einen Stern ausdenken. 
Einen losen Pflasterstein hochheben 
und den Sandstrand darunter entdecken, 
und in den Spuren im Sand lesen, 
dass wir nie allein waren: 
Er, der kommt, ist immer schon da gewesen. 
Seid nun geduldig. 
Es lohnt sich. Seht auf und erhebt eure Häupter... 

Mittwoch, 11. November 2015

Näher ran! | Mehr analoge Exerzitien.

Wer ab und an hier liest, weiß, dass ich seit etwa einem halben Jahr stolzer Besitzer einer analogen Spiegelreflexkamera bin und darüber das Fotografieren angefangen habe. Seitdem schlage ich mich mit ISO-Zahlenreihen, Objektiven, Brennweiten und Ähnlichem herum, habe eigentlich viel Spaß. Und lerne viel. Zum Beispiel, dass ich nicht der Typ bin, der sich mit Stativ und Thermoskanne in malerische Landschaften setzt und mit langen Belichtungszeiten monumental-zauberhafte Panoramen verewigt. Oder der mit Makrolinse die Schönheit eines Schneckenfühlers zum Leuchten bringt. Was bleibt, ist (erstmal) die Straßenfotografie. 



Dazu gibt es eine Reihe von Ratgebern in digitaler und analoger Form. Beim ersten Lesen eine Enttäuschung: "Lassen Sie Ihr Teleobjektiv zuhause", sagen sie übereinstimmend. "Nähe lässt sich nicht vortäuschen." "Gehen Sie näher ran." Oha. Zum Glück folgen solchen Aufforderungen meist ein paar Aufwärmübungen, Tipps und Tricks im Umgang mit Menschen, denen man buchstäblich im Vorbeigehen begegnet. Nicht alle sind dabei so ermutigend, wie sie wahrscheinlich wirken sollen ("Ich habe fast nie schlechte Erfahrungen gemacht... bis auf das eine Mal, wo mich in Buenos Aires ein Boxer zusammenschlagen wollte..." oder ähnliches). Aber andere sind klug und sinnvoll, sogar sehr pädagogisch aufbereitet - und ich ahne, dass sie auf mehr Bereiche als nur das Fotografieren zu übertragen sind, etwa die von Eric Kim:

GEHEN SIE NÄHER RAN /// ZEIGEN SIE RESPEKT /// BITTEN SIE UM ERLAUBNIS (ERSTMAL). /// IGNORIEREN SIE DIE, DIE SIE FÜR VÖLLIG VERRÜCKT ERKLÄREN. /// MACHEN SIE SICH VORHER GEDANKEN ÜBER ANTWORTEN


Und noch so einiges mehr. Und mich mache mich auf, mal wieder Richtung Mülheim, genauer gesagt auf die Keupstraße. "Klein-Istanbul", wie manche sagen, für mich ist es die Straße, von der ich einen Steinwurf weit weg aufgewachsen bin und wo ich bis heute hinfahre, wenn ich anständige Wassermelonen kaufen will. Früher gab es hier auch noch Kokoreç, aber die Zeit scheint vorbei. Außerdem habe ich hier vor über zehn Jahren mein erstes eigenes Backgammon gekauft erspielt! bei einer Tasse Tee mit dem gemütlichen Ladenbesitzer. Und gutmenschig-abendlandsvergessen, wie ich bin, hoffe ich hier auf ein bisschen bunteres Leben (bei s/w-Fotos gar nicht so unwichtig). Hadi, gidelim...



Stehen und warten.

"Auf keinen Fall irgendwas, das anfängt mit: 'Ich warte auf den Bus'", wurde mir eingeschärft, als ich anfing, Radioandachten zu schreiben. Beim Fotografieren bleibt manchmal nichts anderes übrig, also stelle ich mich dezent an eine Friedhofsmauer, warte und versuche mir vorzustellen, was von dem, was ich da sehe, fotografierenswert wäre. Es dauert eine Zeit, aber irgendwann merke ich: Ich bin jetzt da. Ganz da, an dieser Straßenecke, bleibe mit den Gedanken in Sichtweite - und es wird immer schwieriger, mich für ein Motiv zu entscheiden, für eine Geschichte, die ich erzählen will. Denn es sind so viele! Da ist die alte Frau mit dem Einkaufswagen. Ich frage mich, was sie wohl eingekauft hat, ob sie für sich allein kocht, ob sie das überhaupt kann oder ob sie immer noch in Großfamilienportionen denkt und fühlt und schmeckt und kocht. Da ist der Kioskbesitzer, der mit einer Hingabe, wie ich sie nur bei Kopistenmönchen vorstelle, Getränkedosen in seiner Auslage drapiert. Alle mit dem Etikett nach vorn, Cola, Fanta, Sprite, Uludag, Reissdorf. Immer wieder dreht er eine um ein paar Grad, geht wieder raus und beäugt sein Werk, rennt wieder rein, tauscht zwei Dosen, kontrolliert das Ergebnis. Und lächelt. Die Welt ist voller Geschichten, "überall ist Wunderland", sagt Eric Kim, und ich traue mich noch viel weniger als vorher, irgendwelche Fotos zu machen - weil ich den Geschichten gerecht werden möchte. Und ihren Hauptfiguren.



Heimlich?

Ein Tipp aus meinem Street-Photography-Ratgeber, der mir mehr und mehr wie ein Exerzitienbuch vorkommt, lautet: "Tun Sie so, als würden Sie irgendetwas anderes fotografieren." Ich probiere es ein paar Mal - und es gelingt mir nicht. Weil ich analog fotografiere, merke ich das natürlich auch erst ein-zwei Wochen später. Aber auch dann trägt die Einsicht: Heimlich ist scheiße. Wie im Gottesdienst auch: Man kann eh nichts verstecken, also sollte man es möglichst gleich offen machen. Und wie sonst im Leben eigentlich auch. Die Bilder werden schlecht, verwackelt (and not in a good way), nichtssagend, leer, irgendwie, und flach. Trotz Tiefenschärfe und Festbrennweite und so. 


Ansprechend.

"Sprechen Sie Leute an, fragen Sie, ob Sie sie fotografieren können", so geht eine Aufwärmübung (hust) im Fotografierratgeber. Einen Teufel werde ich tun, denke ich. Wer weiß, wie die Leute reagieren. Wer weiß, was die dann für Fotos sehen wollen. Und ich kann sie noch nicht einmal zeigen. Also versuche ich weiter, mich möglichst unauffällig zu verhalten, heimlich unterwegs zu sein, eins mit dem Ort zu werden (auch so ein Tipp), mit der Menge zu verschmelzen... "Eeeey, fotografierst Du uns?!?!" röhrt es mir plötzlich entgegen, und mir bleibt fast das Herz stehen. "Äh, nein", rufe ich instinktiv in die Richtung, aus der das Rufen kam und aus der mir jetzt ein Vater mit seinem Sohn entgegen kommen. Kacke. "Nee, keine Angst", sage ich wieder beschwichtigend. "Warum nicht?!" fragt der Vater, fast ungehalten, "wir sind doch gut!" Und eigentlich hat er recht. Also wird eine kleine Fotosession eingelegt, mit der Exklusiverlaubnis traue ich mich,  näher ranzugehen. Ein bisschen gestellt wirkt es schon, aber wenn ich mir die Fotos angucke, sehe ich dahinter Geschichten. Vielleicht auch nur, weil ich sie kenne. Ich weiß, warum der Junge sein Trabzonspor-Trikot trägt, obwohl es zerrissen und ein bisschen zu klein ist. Ich weiß, was sie gerade in Köln machen, wo sie eigentlich irgendwo im Mittelfränkischen wohnen. Und ich weiß vor allem, wie tierisch stolz der Vater auf seinen Sohn ist. 

Nein, hier kommen jetzt keine Fotos, weil ich natürlich keine schriftliche und juristisch wasserdichte Erlaubnis habe, die Bilder, die mehr Portraits sind, zu veröffentlichen. Mit den Horden von Abmahnanwälten da draußen, die raubvogelgleich ihre Kreise ziehen, ist mir das zu haarig. Nächstes Mal. Vielleicht. 

Die beiden bleiben nicht die einzigen, die mir buchstäblich und in vollem Bewusstsein vor die Linse laufen, bei weitem nicht. Ganz ehrlich: Das hätte ich nicht gedacht. Denn, postmoderne Zeigewut hin oder her - sich von jemandem auf der Straße fotografieren zu lassen, ist etwas anderes als ein Selfie, denn es beinhaltet Kontrollverlust, und es heißt auch, den Blick von außen zuzulassen. Auch nach längerem Nachdenken ist mir nicht klar, was es für sie bedeutet, das Fotografiertwerden. Aber nach längerem Nachdenken ist mir immerhin aufgefallen, dass ich sie das ja auch einfach hätte fragen können. 

Dönüşte / bugün, dört ay sonra.

Auf dem Nachhauseweg rumort es in mir. Die Geschichten klingen nach, die Leute, die ich getroffen habe, die Erfahrungen mit dem missglückten Heimlichsein. Vor allem aber wird mir eins bewusst, und das nagt auch ein paar Monate später noch: Seit drei Jahren bin ich Pfarrer. Vorher war ich Vikar. Ich bin in diesen fünf Jahren nie (lies: überhaupt! kein! einziges! Mal!) in einer Situation gewesen, in der ich von Berufs wegen ungeschützt auf mir fremde Menschen hätte zugehen müssen, mir von ihnen eine Erlaubnis abgeholt oder ihnen einfach gesagt hätte: Ich möchte etwas von dir. Mit dir. Vielleicht auch für dich.
Selbst bei Angeboten oder Tätigkeiten, die sich durch vermeintliche Niederschwelligkeit auszeichnen sollten, ging es im Kern immer nur darum, dass die Leute schon von sich aus irgendwie kommen würden. Und ich frage mich, ob ein Großteil von dem, was wir so von "Offenheit", "Niederschwelligkeit" und dergleichen erzählen, in Wahrheit ganz, ganz großer Bullshit ist...

A propos #Mülheim: Da gibt es auch ein Kirchenprojekt, dass das mit der "Geh"-Struktur tatsächlich macht - die beymeister sind einer der ersten Versuche in Deutschland, fresh expressions zu gestalten. Hingucken lohnt sich, unterstützen auch!

Freitag, 16. Oktober 2015

"Immer erstmal auf dem Stuhl sitzen bleiben" - ein Besuch bei diesseits in Aachen

Plötzlich ist es ganz still, als die Glastür hinter uns ins Schloss gefallen ist. Nach dem Alltagslärm auf der Pontstraße tut das erstmal gut. Wir stehen in einem Ladenlokal, schwarze Fliesen, Tische und Stühle, vor den Fenstern stehen Pinwände und schützen vor neugierigen Blicken von außen. In einer Ecke ein blauer Flauscheteppich, darauf ein Rattankoffer, Sprechpuppen. Und ein Schmetterling. Es ist ruhig, aber nicht totenstill, und das ist wahrscheinlich gut so. Wir stehen in den Räumen von diesseits in Aachen, einem Projekt, das sich an trauernde Kinder und Jugendliche wendet, ihnen Raum und Gesprächsmöglichkeiten bietet. Wir, das sind jugendliche Ehrenamtliche aus der Kölner Jugendarbeit, die sich in den Osterferien weiterbilden zum Thema "Gruppen an der Grenze". Ein paar Grenzen haben wir schon passiert, heute soll es um diese letzte große gehen. Ob die Leute von diesseits sich vorstellen könnten, uns etwas von ihrer Arbeit zu erzählen und den Jugendlichen ein paar Tipps mit auf den Weg zu geben, hatten wir ein paar Wochen vorher mal gefragt. "Klar, herzlich willkommen!" war die prompte Antwort, und genauso herzlich und unkompliziert geht es an diesem Tag weiter. 

Wir sitzen im Stuhlkreis, und Adelheid Schönhofer-Iyassu und Maria Pirch, die beiden Hauptamtlichen des Projekts, beginnen zu erzählen. Über das Projekt, das von den Maltesern und der Pfarrei Franziska in Aachen gemeinsam getragen wird. Und immer wieder von ihren Erfahrungen mit der Trauer von Kindern und Jugendlichen. Man ahnt beim Zuhören, dass sich hier seelsorgliche Kompetenz und Leidenschaft treffen. Gutes Gefühl, das.



Aber es bleibt nicht beim Referat. Plötzlich ist der Ball zurück in die Gruppe geworfen. "Was habt Ihr für Erfahrungen mit Trauer oder Tod gemacht, bei euch selbst oder bei anderen?" fragen die Referentinnen. Und erstmal sagt niemand etwas. Doch dann löst sich irgendetwas, der Erste traut sich mit seiner Geschichte in die Runde. Alle hören zu. Dann die nächste. Dann noch jemand. Am Ende der Runde wird fast jede_r etwas gesagt haben, und auch diejenigen, die sich seit Jahren kennen, lernen Neues voneinander. "Krass, das wusste ich gar nicht", entfährt es einer Jugendlichen, als ihre Freundin vom Tod ihrer Oma erzählt. "Warum redet man da eigentlich nicht drüber?" fragt ein anderer, und so lernen die Jugendlichen ganz nebenbei, was es heißt, dass der Tod in unserer Gesellschaft marginalisiert wird. Die eigenen Trauererfahrungen spielen eine Rolle, wenn man Trauernde begleitet. Die eigenen Trauererfahrungen sind plötzlich mit im Raum, im Ladenlokal auf der Pontstraße. Und man hat das Gefühl, dass sie dort gut aufgehoben sind, bei den beiden Hauptamtlichen, die so aufmerksam und so wohltuend undramatisch zuhören. Und in der Gruppe, die gerade ein Stück zusammengerückt ist. 



In einer letzten Runde wird es wieder pragmatischer: Wie können ehrenamtliche Teamer_innen zum Beispiel mit einer Konfirmandin umgehen, deren Eltern uns bei der Abfahrt zur Wochenendfreizeit mitteilen: "Die Marie ist vielleicht ein bisschen neben der Spur, weil ihre Oma gestern gestorben ist?" Schon bei der Vorbereitung der Schulung wurde es deutlich, und bei der Nachlese mit anderen Referent_innen wird es sich bestätigen: Das Thema spielt bei der Teamerfortbildung, bei Schulungen für die JuLeiCa und dergleichen, so gut wie keine Rolle. Im Gespräch fallen, wie nebenbei, weise Ratschläge: "Immer erstmal auf dem Stuhl sitzen bleiben." - "Fragt euch mal, ob das auch schon eure beste Freundin war, bevor sie einen Trauerfall hatte." Und ähnliches. Die Jugendlichen hören aufmerksam zu, fragen engagiert nach, bringen immer wieder ihre eigenen Erfahrungen mit ins Spiel. 

Nach ein paar Stunden verlassen wir das Ladenlokal. Um uns herum die verkehrsreiche Pontstraße, der Alltag hat uns plötzlich wieder, verlangt, dass wir mitgehen, das Tempo halten, uns anpassen. Und noch einmal wird deutlich, wie wichtig solche Orte wie diesseits sind, an denen Kinder und Jugendliche sagen können: "Plötzlich ist alles anders."

Irgendwann geht es von Aachen zurück nach Vaals. Einkäufe, Abendessen, das Übliche. Aber der Besuch wirkt nach. Statt, wie sonst, lautes Gelächter aus einem der Bungalows zu hören, stößt man überall auf Zweier- oder Dreiergruppen, die sich zurückgezogen haben, unter einem Fliederbusch sitzen, auf der Terrasse, in einem Fenster. Einer der älteren Jugendlichen kommt rüber zum Leiterbungalow. Setzt sich zu uns an den Tisch. "Krass", sagt er, "da hat irgendwie jeder eine Geschichte, mit Trauer und so." Und dann beginnt er, seine zu erzählen. Es wird ein guter Abend. Ruhiger als sonst. Aber das braucht man manchmal. Danke dafür.

Samstag, 5. September 2015

In eigener Sache

Alles wird wieder analog! 
In den letzten Wochen war es ruhig bei den Kirchengeschichten, das hatte aber seinen guten Grund. Oder gleich mehrere: Es wurde viel gedoktorarbeitet, vor allem aber (Trommelwirbel bitte) haben es die Cartoons zwischen zwei Buchdeckel geschafft! 
Das Buch ist gestern druckfrisch beim Luther-Verlag in Bielefeld erschienen und eine Zierde (nicht nur) für jedes Bücherregal!


Wer Originale sehen will, kann das auch tun, und zwar derzeit in Meerbusch-Osterath (bei Düsseldorf), im Rahmen des tollen Projektes "Kunst in der Apsis": 




Pastorale Kuppelei oder missionarische Chance? Tro, hopp och kärlek (svt)

Tro, hopp och kärlek. Das ist der Name einer neuen Doku-Soap im schwedischen (Staats-)Fernsehen. Glaube, Hoffnung, Liebe, eins der bekanntesten Bibelzitate überhaupt. Und offensichtlich mit Bedacht ausgewählt, denn: Es geht um Dating mehr oder weniger im Stil von „Bauer sucht Frau“ (das auch in Schweden mit großem Erfolg gelaufen ist), aber das allein macht es ja nicht interessant genug, um hier erwähnt zu werden. Nein, es geht um Pfarrerinnen und Pfarrer (bzw. einen freikirchlichen Pastor), die einen Partner/eine Partnerin suchen. 

https://instagram.com/josefemanuel/


Das Thema ist in Schweden wahrscheinlich ein bisschen weniger kontrovers als es in Deutschland wäre: In Deutschland prägt (trotz der heldenhaften Einsätze von Simon Böer, Lee Rychter, Robert Atzorn, Christine Neubauer und Veronica Ferres und allen anderen) der zölibatäre katholische Priester das mediale Pfarrbild entscheidend mit, in Schweden ist der aber eine absolute Ausnahmeerscheinung. Vor etwa zehn Jahren gab es schonmal einen Werbespot, der zwei Kolleg_innen beim Flirten zeigte – ganz fremd ist die Idee dem schwedischen Fernsehen also nicht. 

Anfang des Jahres ging eine Mail an diverse Pfarrer_innen raus, Jacob Sunnliden war so nett, sie öffentlich zu machen:
"Im Frühjahr 2015 plant SVT [...] ein neues Format zu produzieren. Ein Format, bei dem es um Glaube, Liebe und Hoffnung gehen soll... Die Sendung soll vier alleinstehenden Pfarrer_innen folgen, die für ihren Job brennen und die einen Lebenspartner finden möchten. Der Gedanke ist auch, dass wir ein moderneres Bild von der Pfarrschaft und davon, was die Kirche heutzutage macht, zeigen wollen. Jetzt suche ich diese Pfarrer. Bist du es? Oder kennst du jemanden, der deiner Meinung nach dazu passt? Das Format soll einen seriösen Ton haben und mehr in Richtung Dokumentation gehen. Ich erzähle sehr gerne mehr und biete ein Gespräch dazu an. Aber ich möchte noch einmal betonen, dass wir eine seriöse Sendung produzieren wollen, die weit entfernt ist von einer albernen Doku-Soap. Keiner der Pfarrer, die mitwirken, sollen sich auf irgendeine Weise Sorgen um ethische oder moralische Problemstellungen machen. Und ich lege persönlich Wert darauf, dass die 'richtigen' Pfarrer_innen hier die Kirche repräsentieren sollen."
Die bindungswilligen Pfarrerinnen und Pfarrer konnten sich auf eine Initiative von SVT hin bewerben und sich dann Ende März mit einem kurzen Video den potenziellen Kandidat_innen vorstellen. 

MIT VIERUNDVIERZIG JAHREN, DA FÄNGT DAS LEBEN AN...

klippen kommer samtliga från svt.se

Der erste, der sein Glück versuchen darf, ist David Castor, ein computerinteressierter, bloggender Pfarrer aus Småland, der theologisch eher konservativ ist und nach eigener Aussage im Laufe seines 44jährigen Lebens noch keine Beziehung hatte. In einem Interview mit Kvällsposten erklärt er: 
„Ich habe keine Ahnung, warum ich ausgewählt wurde. Vielleicht haben sie [die Redaktion] mich bei Facebook gesehen, wo mein Status ‚Single‘ ist. [...] Sie haben damit gelockt, dass das Programm seriös sei und dass es um den Glauben, die Kirche und die Rolle des Pfarrers gehen sollte. Das fühlte sich gut an. [...] Aber diese Datingperspektive schien mir schon eher fremd und etwas, das halt dazugehörte. Aber jetzt finde ich das spannend – wenn auch ein bisschen surrealistisch. [...] Dass ich [...] noch niemanden kennengelernt habe, kann ich eigentlich nicht erkären. [...] Zum Teil hat das damit zu tun, dass ich etwas schüchtern bin, zum Titel hängt das damit zusammen, dass ich arbeite, wenn alle anderen frei haben. [...] Es wäre komisch, wenn ich in meinem Beruf [jemanden kennenlernen würde]. Die Rolle des Pfarrers ist, alle zu sehen. Und als solcher habe ich immer eine leitende Funktion.“ 
Die pastoraltheologischen Fragen, die mit der Sendung zusammenhängen, sind ohne Zweifel interessant. Mindestens genauso interessant ist aber auch die Frage: Wer meldet sich auf eine solche Kontaktanzeige hin? 

Für David hat SVT acht Frauen ausgewählt. Alle mittleren Alters, zum Teil schon mit Kindern aus einer früheren Ehe, eine ist Köchin, eine Schriftstellerin, eine andere Lehrerin. Die meisten tragen irgendwo ein Kreuz oder andere christliche Symbole, dem Dialekt nach zu urteilen kommt auch mindestens die Hälfte aus einer der Gegenden, die eher volksfromm sind: Die Westküste, Småland und andere Orte, die besonders empfänglich für die Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts waren. In kurzen Videostatements geben sie als Gründe für ihre Bewerbung das Übliche an: Er wirkt nett, hat schöne Augen, gefällt ihnen, scheint Humor zu haben und dergleichen. 

David trifft alle acht Kandidatinnen hintereinander, probiert es also mit Speed-Dating. Weil er sich selbst für schüchtern hält, wünscht er sich ein Gegenüber, das etwas forscher ist. Mit der ersten Kandidatin hat er dabei kein Glück, denn die sagt nur: „Hallo“ und „nervös“, und spricht dann einfach nicht mehr, lässt sich auch von Davids aktivem Zuhören nicht zu weiteren Äußerungen bewegen. „Blackout“, sagt sie später. Die zweite Kandidatin ist ungleich gesprächiger, auf seine recht schnelle Frage, wie sie es wohl mit dem Glauben halte, sagt sie: „Ich bin damit aufgewachsen, dass Gott existiert... wenn ich zum Beispiel ein Glas umschmeiße und es im letzten Moment noch auffange, sage ich: ‚Danke, Gott!‘“, und dann sagt sie den sehr schönen, aber auch irgendwie traurigen Satz: „Ich habe nie daran gezweifelt, dass Gott existiert, aber er hat wohl das eine oder andere Mal an mir gezweifelt.“ „Das glaube ich nicht“, ruft David, und freut sich auf ein zweites Date. Sie auch. Die dritte im Bunde hat gleich zwei Kreuze umhängen, eins davon in mindestens Bischofsgröße, und fängt schon an zu reden, bevor sie sitzt: Es sei wichtig, über Jesus zu reden, außerdem sei er, also David, ja so nett. Dann sagt sie etwas streng: „Ich hoffe, dass Dir das mit dem Glauben auch wichtig ist!“ Schließlich sei es nicht, ü-ber-haupt nicht einfach, im heidnischen Schweden als „christliches Mädchen“ jemanden zu finden. Dann will sie noch wissen, was für ihn sonst noch „gutes Material für eine Ehefrau“ ausmache. David rutscht auf seiner Bank hin und her. Er findet das schwer zu sagen, man müsse ja gut miteinander auskommen. Mit mir kommt man gut aus, erklärt sie. David sieht nach dem Gespräch etwas gestresst aus, aber dann kommt auch schon Köchin Gina. Fünf Kinder, seit ihrem 29. Lebensjahr Christin – und mit einem Pastor verheiratet gewesen, der, wie sie freudestrahlend erklärt, David von Aussehen und Wesen her zum Verwechseln ähnlich gewesen sei. Die nächste Kandidatin kennt er schon virtuell, denn sie waren beide Mitglied im selben Forum, der anonymen Sprachpolizei („Du bist ein unglaublicher Nerd“, hatte schon der Moderator treffend bemerkt). Eine weitere Kandidatin tanzt in der Kirche Bauchtanz und geht in die Bibliodramagruppe einer Studentenpfarrerin, bei der sie Frauenfiguren aus dem Alten Testament gestaltet – „das ist ja mal was... äh... anderes“, sagt David und sieht alles andere als begeistert aus. 

ZWISCHEN BIBEL UND BOWLING




Josef Emanuel Barkenblom ist 31 Jahre und damit der Jüngste im Bunde, Jugendpastor der Pfingstkirche Södertörnskyrkan in Huddinge bei Stockholm. Auch er ist äußerst medienaffin, bloggt, twittert und ist bei Instagram. Auf seinem Blog erklärt er, warum er sich nach einiger Bedenkzeit zum Mitmachen entschlossen hat: 
„Ich habe mich entscheiden mitzumachen, weil das wahrscheinlich irgendjemandem helfen kann. Vielleicht hilft das jemandem zu einem positiven Bild von Gott, Christen, der Kirche und dem Bild von Pastoren! Und wie wir auf Beziehungen sehen. Ich dachte, ich bekomme eine Chance, mit meinem Leben zu ‚predigen‘. Nicht nur sonntags, sondern auch montags. Ich habe mich entschieden mitzumachen, weil wir alle mit Beziehungen zu tun haben und weil ich glaube, dass gesunde Vorbilder notwendig sind und ich ein solches sein will. Ich bin nicht perfekt. Ich habe eine Menge Fehler gemacht. Aber ich glaube an das Leben, das ich lebe und glaube, dass es das aushält, auf die Probe gestellt und im Fernsehen gezeigt zu werden. Beziehungen, Liebe und Sex sind Gottes Ideen, deswegen sollten wir, die wie Leiter sind und für Gott sprechen, auf jeden Fall zeigen können, wie das gehen soll. Darum zeige ich öffentliche Dates. Ich glaube nicht, dass das für mich einfacher wird, aber ich will dem Ganzen auf jeden Fall eine Chance geben. Vielleicht kann ich the love of my life finden!! =)“ 
In die engere Auswahl von Josef, der in seinem Bewerbungsvideo deutlich gemacht hat, dass er eine Heiratskandidatin sucht und Sex nur in der Ehe für ihn in Frage kommt, kommen fünf Frauen ungefähr in seinem Alter, darunter drei Studentinnen, eine Innenarchitektin und eine Kollegin, ebenfalls aus der Freikirche. Sie geben andere Gründe für ihr Mitmachen an: Sie suchen die Herausforderung, wollen ihren Glauben mit jemandem teilen, nicht mehr allein sein. Bevor sie zum Date fahren, beten sie daher gemeinsam für einen gelungenen Tag.

Um den Glauben geht es auch bei seinem ersten Date mit Johanna (der Innenarchitektin), bei dem sie sich zum Bowlen treffen. 

"NICHT OHNE MEINE CHEFIN"


Åsa Meurling ist 52 Jahre alt und Pfarrerin auf einigen Inseln vor Stockholm. Über ihre Motivation zum Mitwirken bei Tro, hopp och kärlek erklärt sie im Interview mit der Lokalzeitung „mitt i“
„Zuerst dachte ich, das sei ein Scherz, aber dann hat das Fernsehen mich angerufen, und da habe ich angefangen zu überlegen. Es ist nicht so einfach, hier draußen jemanden kennenzulernen. Ich treffe viele Menschen in meiner Gemeinde, aber ansonsten bewege ich mich nicht in Kontexten, in denen ich jemanden kennenlernen könnte. Und es ist ja nicht gerade so, dass der Richtige im Lebensmittelgeschäft von Djurö auf mich wartet. [...] Ich war ein bisschen unsicher, ob ich als Pfarrerin wirklich die Liebe im Fernsehen suchen kann, aber dann habe ich mit mehreren aus der Gemeinde gesprochen, und alle fanden das eine tolle Idee – Alte wie Junge! Aber vor allem finde ich es gut, ein realistisches Bild vom Beruf zeigen zu können. Viele haben vielleicht so eine Vorstellung, dass Pfarrer_innen sich für etwas Besseres halten und dass wir todernst sind, aber wir sind ja auch nur Menschen. [...] Der, den ich suche, muss sich nicht ‚Christ‘ nennen, aber sollte schon offen für die spirituelle Welt sein. Er sollte mein Alter haben, Wärme ausstrahlen, Nähe mögen und Humor haben.“ 
In Åsas engere Auswahl kommen fünf Männer, zu denen ihre Kollegin bei der gemeinsamen Durchsicht der Bewerbungsschreiben bemerkt: „Die wirken alle schon extrem seriös. Keiner scheint ja den geringsten Zweifel zu haben, dass er dich heiraten will...“ 

Screenshot från http://www.svtplay.se/video/3372423/tro-hopp-och-karlek/tro-hopp-och-karlek-sasong-1-avsnitt-1?tab=klipp

Zu ihrem ersten Date nimmt sie auch gleich Kollegin Yvonne, die auch ihre Chefin ist, mit. Das Gespann trifft auf alle Bewerber gleichzeitig, man verabredet sich am lauschigen See. Ein ehemaliger Berufssoldat hofft, dass sie keine Vegetarierin ist und dass sie nicht abends in der Küche Oblaten backt und Abendmahlswein braut. Ein pensionierter Manager möchte vor allem irgendeine Partnerin haben, und eine Pfarrerin könnte ja ein bisschen mehr Ordnung ins Leben bringen. Die Chefin übernimmt im Folgenden bei Sekt und Fingerfood die Gesprächsleitung, und man fragt sich bei den kurzen Ausschnitten, wer da eigentlich verkuppelt werden soll. In der nächsten Folge, das verrät die Vorschau am Ende, wird Åsa weinen. Und das fühlt sich nicht gut an. 

FUNKTIONSPFARRER FLIRTEN LEICHTER?


(c) blogg.svenskakyrkan.se
Kristin Molander ist 45, geschieden und arbeitet nicht als Gemeindepfarrerin, sondern im Kirchenamt, wo sie für den Kontakt zum ÖRK und zum LWB zuständig ist. Sie glaubt nicht, dass es ihr schwerer als anderen Leuten falle, jemanden kennen zu lernen, führt das aber auch darauf zurück, dass sie keine Gemeindepfarrerin ist: 
„Wenn man zum Beispiel als Gemeindepfarrerin in einer Kleinstadt arbeitet, gehört man ja ein bisschen zur Lokalprominenz, und dann trauen sich nicht alle Männer, die Initiative zu ergreifen und die Dorfpfarrerin anzubaggern. Mein Eindruck ist, dass sich eher Frauen auf so eine Art Beziehungsdrama einlassen. [...] Das allgemeine Bild von der Kirche und von Pfarrern ist relativ oberflächlich. Ich frage mich, wo diese Vorstellungen herkommen, und ich glaube: Der moralische Lebenswandel von Pfarrerinnen und Pfarrern, was man darf und nicht darf. Es gibt eine Erwartungshaltung von außen, dass man moralisch überlegen sein soll. Zusammenfassend kann man sagen, dass es viele Vorurteile gibt, starke und sehr vereinfachende.“ Im Interview mit unt.se scheint sie mit einiger Skepsis auf die Sendung zurückzublicken: Sie beschreibt die zwei Wochen, in denen sie aufgezeichnet wurde, als „eine Herausforderung und ein bisschen durchgedreht [...]. Ich hatte ja zwei Wochen Urlaub, Alltagsdinge wie Einkaufen und das Bringen und Abholen meiner Kinder spielten keine Rolle – die Welt draußen wurde ausgesperrt. Alles wurde zu einem künstlichen Spiel, in dem sich alles darum drehte, Männer kennen zu lernen [...]. Das Liebesleben ist kompliziert geworden, würde ich sagen...“ 
In dem etwas kritischeren Interview mit Kristin (mit der es offenbar Spannendes im Laufe der Sendung zu erleben gibt) erfährt man auch ein bisschen mehr über den Ablauf: Insgesamt um die 250 Pfarrerinnen und Pfarrer wurden gecastet, die Kandidat_innen, die den in der Sendung Mitwirkenden vorgeschlagen wurden, wurden außerdem, im Gegensatz zu den Aussagen des Moderators Mark Levengood, von der Produktionsfirma, nicht von ihnen selbst ausgewählt. 

In einem anderen Interview mit der schwedischen Kirchenzeitung Kyrkans tidning gibt auch Kristin eher berufliche Gründe für ihre Teilnahme an:
"Ich tue das hier für die Kirche und für mich, in der Reihenfolge. Das hier ist ein neuer Kontext für die Kirche, und kann ich dazu beitragen, indem ich christliches Verhalten zeige, dann will ich das machen. [...] Das Primäre ist für mich nicht, jemanden kennen zu lernen. [...] Wenn KG Hammar [der vorletzte schwedische Erzbischof] nur nieste, sind Leute aus der Kirche ausgetreten, und manche sind eingetreten. [...] Als Pfarrerin ist es schwer, alles ganz richtig zu machen, das ist meine Erfahrung. Ich bin im Reinen mit mir und meinem Glauben und meiner Berufung, so gehe ich damit um."
Kristins Kontaktanzeige hat anscheinend, wie schon bei David, am Ehesten diejenigen Kandidaten angesprochen, die man vielleicht als Erstes mit dem Format „Castingshow“ verbindet. Nizze, 48, ist angezogen wie ein Bestatter, nennt sich aber „Universalkünstler“, und hat sich nicht nur zu einem streichergeschwängerten „Liebeslied an Kristin“ hinreißen lassen, das er mit großem Ernst und annähernder Taktsicherheit vorträgt, sondern auch zu einem Armband, das er in der heimischen Schmiede zusammenhämmert. Tomas, der schon als Krankenpfleger, Soldat und Schauspieler gearbeitet hat, stellt fest: „Bei der Liebe ist es wichtig, dass das beidseitig ist. Sonst ist es ja sogar illegal.“ Rickard leert vor dem ersten Date, bei dem Kristin alle fünf auf einmal zum Grillen bei sich zuhause einlädt, eine halbe Flasche Parfüm über sich aus, steckt sich das türkise T-Shirt in die hochgezogene Jeans und freut sich, dass sie ihn von seinem Foto wiedererkennt. Nur in einer Bewerbung spielt das Thema Religion eine Rolle, bei allen anderen sind es auch eher die üblichen Gründe, insofern: Kein großer Unterschied zu anderen Kuppelshows, was vielleicht auch an Kristins Arbeit liegt. 

Am Ende strahlt Mark Levengood in die Kamera: „Glaube ist da, Hoffnung ist da – aber kommt auch die Liebe dazu? Jetzt beginnt das ernsthafte Dating, und wir werden merken: Es ist nicht einfach, den richtigen Partner fürs Leben zu finden. Sogar dann, wenn man Pfarrer_in ist.“

REAKTIONEN IN SCHWEDEN


Gerade zu Beginn der Vorarbeiten hat das Format natürlich für Reaktionen gesorgt. Jacob Sunnliden, ein bloggender Kollege, schrieb bereits im Januar, als die ersten Anfragen rausgingen: 

"Ich bin zwiegespalten bei dieser Idee. [...] [Die Produktionsfirma] will ein moderneres Bild der Pfarrerschaft zeigen. Moderner als welches, ist da die natürliche Frage? Aber dann wiederum ist das eine seriöse Serie, die außerdem bilden soll. Die Dokusoaps von SVT sollen darüber Auskunft geben, was die Kirche ist? Nja, ich bin skeptisch. [...] Nein, die Idee kann gut und vielleicht durchführbar sein. Aber ich mache mir keinerlei Sorgen, ob die Sendung überhaupt durchgeführt werden kann oder ob die Produktionsfirma Kandidaten finden könnte. Nein, so gut kenne ich meine Kirche..."

Die Reaktionen auf die Ausstrahlung der ersten Folge sind unterschiedlich. Auf dem Blogg der "Parteipolitisch Ungebundenen in der Schwedischen Kirche" (POSK), einer Partei im Kirchenparlament, schreibt ein_e Rezensent_in:
"Das Format hat viel Kritik bekommen, bevor es anfing. Sollen Pfarrer_innen wirklich bei einem Dating-Programm mitmachen? Jetzt habe ich die erste Folge gesehen. Ich finde, dass es gar nicht so schlimm ist. Es geht um Menschen, die die Liebe suchen und die durch ihren Beruf und ihr Leben Schwierigkeiten haben, jemanden zu finden. Und sie sind auch unerhört deutlich mit ihrem Glauben und dass dieser etwas für ihr Leben bedeutet. [...] Man könnte ja sagen: 'God moves in mysterious ways.'"
Im Editorial von Göteborgs-Posten wird Tro, hopp och kärlek als eins der Beispiele dafür angeführt, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Schweden seinem Auftrag und seinen eigenen Ambitionen nicht gerecht wird. 

TV-Bloggen schreibt ganz begeistert von der ersten Folge: 
"In der Ankündigung von SVT heißt es u. a., dass die Serie ein Bild davon geben will, worum es heutzutage im Pfarrberuf geht. Nach der Pilotfolge, die im Frühjahr gesendet wurde, und der Episode von heute Abend entsteht der Eindruck, dass der Fokus doch auf der Paarbildung und der Paarbeziehung liegt, und da unterscheiden sich Pfarrer_innen nicht so sehr von so genannten normalen Menschen, auch wenn sie erwartungsgemäß eine gewisse Menschenkenntnis und Lebensweisheit besitzen. Gut so, die Programmidee "Pfarrer sucht Lebenspartner" ist hochgradig interessant, und die Kostprobe von den Personen, die die Pfarrer_innen daten wollen, macht es nicht weniger interessant. Man glaubt ja, dass man als Zuschauer ziemlich schnell erkennt, zwischen wem es letztendlich funken wird. Man guckt allerdings nicht nur um zu sehen, ob man recht hat, sondern auch, weil das hier eine gut gemachte und engagierende Produktion zu sein scheint."

Offizielle Stellungnahmen der Kirche gibt es, soweit ich weiß, nicht.

EINFÄLTIGES BEDENKEN...


Eine Sendung wie diese weckt gleich eine ganze Reihe pastoraltheologischer Fragen, vielleicht sogar Zweifel berufsethischer Art. Mir fällt auf, dass drei von den vieren letztlich volksmissionarische Motive anführen, die sie zu ihrer Teilnahme bewegen: Sie wollen zeigen, dass Pfarrer_innen eben nicht 'anders' sind, sondern Menschen wie Du und Ich, die Kirche und ihre Vertreter_innen sollen als volks- und lebensnah gezeigt werden, sie wollen christliche Werte vermitteln. Diese Begründung liest man immer wieder, bzw. meistens dann, wenn Pfarrer_innen in Kontexten auftauchen, die ungewohnt scheinen. Nicht immer kann man sich dabei von dem Eindruck freimachen, dass hier ein eigentlich privates Interesse im Vordergrund steht, das pastoraltheologisch legitimiert wird. Gleichzeitig nehmen die Kandidat_innen damit die Argumentation des Fernsehsenders auf, der bei der Ankündigung der ersten Staffel verlauten lässt: "Mit Tro, hopp och kärlek wollen wir einen Einblick in einen Beruf geben, der von Vorurteilen umgeben ist, und zeigen, dass Pfarrer_innen und Pastoren auch eine Sehnsucht nach Liebe und Ehe haben, genau wie die meisten von uns."

Aus Sicht gängiger pastoraltheologischer Modelle würde man dem wahrscheinlich widersprechen müssen. "Der Pfarrer ist anders", schrieb schon Josuttis vor etlichen Jahren, und auch Isolde Karle, die in ihrem professionstheoretischen Ansatz sehr viel argumentative Mühe aufwendet, um aufzuzeigen, dass Pfarrer_innen ein bisschen Distanz zum gemeinen Volk ganz gut tut, hätte wohl etwas dagegen. Man wird auch fragen können, ob die medial inszenierte Vermischung von Privatperson und öffentlicher Rolle wirklich für die Einzelnen so gesund ist - aber das müssen die Kolleg_innen wohl selbst in der Supervision klären. 

Natürlich hat SVT es geschafft und mich bei meiner Neigung zur Fernsehsucht gepackt - die nächste Folge steht rot im Kalender. Und, ja, das Programm ist gut gemacht, die Kandidat_innen und vor allem ihre potenziellen Partner_innen, von denen einige Material bieten, von dem man im Schneideraum von RTL nur träumen kann, werden fast liebevoll dargestellt. Trotzdem komme ich aus dem Stirnrunzeln nicht mehr raus. Die Schüchternheit von drei der vier Kolleg_innen fordert Sympathie im wortwörtlichen Sinne heraus, aber wenn in der Vorschau schon Tränen zu sehen sind, fragt man sich doch, ob es letzten Endes nicht doch darum geht, im Dienst der Quote Emotionen zu generieren oder zumindest zu triggern und dann auszuschlachten. Und ob man als Pfarrer_in diese Art Fernsehen unterstützen will. 

Hui, so viel Text. Aber jetzt interessiert mich brennend: Was haltet Ihr, ob Kolleg_in oder nicht, von dem Format? Und: Welche Fragen würdet Ihr den Beteiligten stellen (Interviewanfrage ist schon raus...)?

Sonntag, 23. August 2015

"...von einem stinkenden Stern"

FREITAL.
HEIDENAU.
HOYERSWERDA.
ROSTOCK-LICHTENHAGEN.
Aber auch:
MÖLLN.
KÖLN-MÜLHEIM.
SOLINGEN.


"In Solingen brannte ein Haus, Frauen und Kinder verbrannten. Betroffenheitsadressen wurden abgegeben. Ratlosigkeit herrschte vor. Wahrscheinlich waren die Mörder Jugendliche. Sie haben ihren Hass gegen das Ganze, gegen uns gerichtet - und Muslime getroffen. Wer vergiftete sie? Wir. Die Jugendlichen fielen nicht von einem stinkenden Stern, sondern wuchsen unter unseren kalten Händen auf. Wir, traditionell auf dem rechten Auge blind, verniedlichten doch die Nazischweinereien. Wir hatten drei Jahrzehnte anderes zu tun, als unserer Jugend Rede und Antwort zu stehen. Wir lehrten sie den Gebrauch der Ellenbogen, wir ersetzten Rückgrat und Anstand durch die harte Mark - und wundern uns. Wir werden uns verrückt wundern. Johannes Rau hat schon recht, wenn er sagt: 'Wir können Gesetze schaffen und anwenden, wie wir wollen. Findet keine Veränderung in den Köpfen und in den Herzen statt, sind wir verloren!' 'Die Stadt liegt wüst, und die Häuser sind ohne Menschen', sagt Jesaja."
Peter Beier, 1993.

Bild von der Aachener Zeitung.