Dienstag, 30. Oktober 2018

Ach, lasst mir doch meine Kürbisse...



Ein bisschen leiser scheint es geworden zu sein. Trotzdem kann man den Kalender danach stellen - Ende Oktober ist es wieder soweit: Das Naserümpfen, das Unken und Motzen über Halloween. "Es gibt kein Entkommen", zelotete vor einigen Jahren Margot Käßmann ausgerechnet in der BILD-Zeitung und bediente sich dabei altbekannter Argumente aus der Mottenkiste kulturkritischer Protestanten und anderer sittlichkeitsbewegter und vaterlandsbesorgter Kreise. Argumente, die in den frühen 20er und späten 40er Jahren des letzten Jahrhunderts Hochkonjunktur hatten, als die Kirchen sich noch vehement für ein Verbot des rheinischen Karnevals einsetzten: Es sei reiner Kommerz, man habe diese und jene erschröckende Eskalationsanekdote gehört, außerdem sind die Katholiken auch dagegen. 

Die "heidnischen Wurzeln"

 

Evangelisch.de lässt in diesem Jahr den Vorsitzenden der Evangelischen Allianz, Ekkehard Vetter, zu Wort kommen. Der raunt in der Osnabrücker Zeitung, dass hinter Halloween "ein heidnischer Brauch und die Tradition des Totenkultes steht." Soso. Der geneigte Leser mag sich fragen, welcher Totenkult dahinter stehen mag, aber mit Detailfragen wollen sich Vertreter*innen solcher sogenannter Kontinuitätshypothesen nicht befassen. Diese Hypothesen sind aus zwei Gründen problematisch: 

Die penetrante Rückführung von Volksfesten auf vermeintlich antik-pagane Vorläufer war ein liebes Hobby der romantischen Volkskundler. Im Bestreben, den bürgerlichen (und unterbürgerlichen) Festkalender zu adeln (und zum Teil mit dezidiert kirchen- oder christentumsfeindlicher Spitze), konstruierte man riesige Spannungsbögen über Zeiten und Räume hinweg. Historisch ist das kaum haltbar, aber die Volkskundler der ersten Stunde arbeiteten eher assoziativ als quellenkritisch. Da findet man in irgendeinem Werk über die Sitten und Gebräuche der Etrusker einen Bericht über Geschenkbräuche im Winter, und schon hat man die Wurzeln der Weihnacht im vorchristlichen Dunkel ausgegraben. Und wo keine Quellen zur Hand waren, scheute man sich nicht, die Belege einfach zu erfinden. Was so gut ins eigene Weltbild passt, das muss es schließlich gegeben haben. Das Anliegen der romantischen Volkskundler war es, den Festen den Anschein des "Ursprünglichen", "Reinen", "Echten" zu geben. Im Laufe der Zeit wurde daraus auch das "echt Germanische" - kein Wunder, dass die Nazis diese Kontinuitätshypothesen gern aufnahmen und mit ihrer Hilfe versuchten, die christlichen Wurzeln der Fest- und Feiertage zu leugnen, um diese im Dienste nationalsozialistischer Propaganda zu instrumentalisieren. 
Der erste, der die heidnische Herkunft von Halloween behauptete, war der schottische Ethnologe James Frazer. Der bezog sich methodisch auf Wilhelm Mannhardt, war ganz einer religionskritischen Grundansicht verhaftet, die Menschheit entwickle sich mental von der Magie über die Religion zur Wissenschaft, und also fast ein Musterbeispiel für den westeuropäischen Kontinuitätenbastler. In Deutschland verbreitete das zwischen 1927 und 1942 (...) erschienene Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens ähnliche Thesen. 

Haltbar sind solche Kontinuitätshypothesen nach heutigem historischen Wissensstand und methodischen Standard nicht. Allzu frei und mitunter gewaltsam werden hier disparate Befunde unter eine Überschrift gestellt, allzu unkritisch werden hier mitunter hochgradig zweifelhafte Quellen zitiert. 

Selbst, wenn es solche heidnischen Wurzeln gäbe - die Dinge ändern ihren Charakter, wenn sie in einen neuen Kontext gestellt werden. Zum Beispiel die Kartoffel: Bei den indigenen Völkern Süd- und Mittelamerikas spielte sie eine wichtige Rolle im kultischen Leben, der ganze Festkalender richtete sich nach dem Saat- und Ernterhythmus. Als sie in die Alte Welt importiert wurde, verlor sie diesen Zusammenhang und wurde zum gänzlich entmythologisierten Nahrungsmittel. Oder die Olympischen Spiele - in der Antike frömmer und religiöser und kultischer als heute der Kirchentag. Käme jemand auf die Idee, Leichtathletik zu verbieten, weil in der Antike (und zwar nachweislich) körperliche Ertüchtigung mit religiösem Überbau betrieben werden konnte? Ich hoffe nicht. 

"Wir sind evangelisch und feiern Reformationstag"


In sozialen Medien machen dieser Tage wieder Memes mit einer sehr eigenen Ästhetik die Runde: "Wir sind evangelisch, wir feiern kein Halloween." Oder: "Wir sind evangelisch, wir feiern Reformationstag." 

Im ersten Fall wird ein Kausalzusammenhang behauptet, der alles andere als selbstverständlich ist. Ich habe nachgegeguckt: In keiner reformatorischen oder modernen Bekenntnisschrift ist von Halloween die Rede. "Ich bin evangelisch. Ich feiere kein Halloween" bewegt sich auf einer Linie mit Sätzen wie: "Ich habe keine Mikrowelle. Ich bin 1,75 m groß" oder "Ich lese keine Liebesromane. Ich wohne im dritten Stock." Beide Sätze können jeweils für sich genommen durchaus wahr sein - aber das eine muss mit dem anderen nicht zwingend etwas zu tun haben.

Im zweiten Fall wird schlimmstenfalls schlichtweg gelogen. Der Statistik nach feiern nämlich nur sehr wenige Menschen in Deutschland den Reformationstag in der einzigen Form, die sich bislang durchgesetzt hat: Indem sie einen Gottesdienst besuchen. Und damit hängt zusammen, dass Halloween überhaupt keine Konkurrenz dazu sein kann: Es ist bislang, von den Zentenarien abgesehen, nicht gelungen (und vielleicht hat es auch niemand versucht), dem Reformationstag einen Volksfestcharakter zu geben. Wir hätten als Kinder nicht quengelnd vor dem Fernseher gesessen und nach geschnitzten Kürbissen verlangt, wenn es kindgerechte und spaßige Formen gegeben hätte, den Reformationstag zu begehen. Wenn zum Beispiel Martin Luther in die Häuser gekommen wäre und den Kindern, die brav das Vaterunser aufsagen konnten, Geschenke gegeben oder in die bereitgestellten Stiefel gelegt hätte. Oder wenn wir im Garten Thesen gesucht hätten. Oder so, you know what I mean. 

Natürlich ist Halloween auch ein Triumph des Kommerzes und ein Beispiel für die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Aber man kann ihm nun wirklich nicht anlasten, dass die evangelischen Kirchen es nie richtig hinbekommen haben, Reformationsparty zu feiern.

Lasst mir meine Kürbisse.


Natürlich bin ich befangen. Als Kölner stürze ich mich selbstverständlich auf jede Gelegenheit, mich schon vor dem 11.11. zu verkleiden. Vielleicht dieses Jahr als Johann Tetzel. Und Nachbarskinder, die mir "Süßes oder Saures" entgegenblaffen, werde ich freundlich ermahnen, ein bisschen höflicher zu sein, dann gibt's auch was, um sich die Zähne zu ruinieren. Und bestimmt werde ich vorher pflichtschuldig in irgendeine Veranstaltung zum Reformationstag gehen. Wahrscheinlich wird mir ein Kollege oder eine Kollegin erzählen, wie wichtig die Reformation ist, "gerade in der heutigen Zeit". Wahrscheinlich wird man sentimental daran erinnern, wie voll die Reformationstagsfeiern letztes Jahr gewesen sind. Wahrscheinlich werde ich "Ein feste Burg" singen und mir wünschen, es klänge ein bisschen mehr nach Fangesang aus der Südkurve. Wahrscheinlich werde ich das dumpfe Gefühl haben, dass es irgendwie "richtig" ist, wenig Spaß bei so einer Veranstaltung zu haben, weil "kein Spaß" eben so gut evangelisch und die angemessene Haltung gegenüber so bedeutenden Phänomenen wie der Reformation ist.

Freitag, 12. Oktober 2018

Wunderbar gemacht. | Ansprache zur Vernissage


Ansprache anlässlich der Eröffnung unserer Ausstellung Wunderbar gemacht im Gemeindezentrum Uellendahl.


Kehren wir zurück an den Anfang. Also ganz zurück.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und ganz viel dazwischen. Und bevor Gott noch den Sabbat schuf und ein wohlverdientes Nickerchen machte, lehnte er sich zurück und nickte zufrieden. Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe: Es war sehr gut.

Alles.
Sehr gut.
Alles.

(Mücken und Wespen und Lakritz kann es damals noch nicht gegeben haben, aber lassen wir das.)

Und Adam und Eva lustwandelten durch den Garten Eden, und sie waren beide nackt und schämten sich nicht, denn sie hatten es noch im Ohr: Und Gott sah alles an, was er geschaffen hatte, und siehe: Es war sehr gut.

„Gott, ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke…“

Und es hätte so wunderbar weitergehen können.
Wenn nicht die Schlange eines Tages leise den ersten Zweifel in die Welt gezischt hätte:
„Sollte Gott wirklich gesagt haben…?“

Und schon im Garten Eden fing damit die Diskussion an, was man denn nun essen darf und was nicht, und Adam und Eva beginnen eine Apfel-Diät oder Steinzeitkost oder was weiß ich, und sie erkennen, dass sie nackt sind. Und das Wissen, dass sie wunderbar gemacht sind, wird leise, aber unaufhaltsam übertönt von dem leisen Zischen: „Sollte Gott wirklich gesagt haben…?“

Und Adam und Eva fingen an, sich feige zu beblättern und ihre Körper zu verstecken.

Wir kennen die Stimme der Schlange.
Sie zischelt und schlängelt sich durch die Jahrhunderte, jetzt vielleicht lauter als je zuvor.
Eine amerikanische Kollegin (Nadia Bolz-Weber, ich weiß nur nicht mehr, wo) hat einmal gesagt: „Zeig mir irgendein Körperteil. Und ich zeige Dir eine Branche, die ihr Geld damit verdient, Menschen zu überreden, dass genau dieser Körperteil an ihnen falsch ist und korrigiert werden muss.“

Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe: Es war sehr gut.
Und wir stehen vor dem Spiegel und beäugen uns kritisch und sagen: Naja.
Es wächst sich halt raus…

Wir haben auf unser Projekt überwiegend und überschwänglich viele positive Rückmeldungen bekommen. Aber manchmal auch die Frage: Warum macht ihr das als Kirche?

Und die Antwort ist eigentlich sehr einfach: Weil es halt das ist, was wir als Kirche so machen.

Wir suchen und finden Schönheit dort, wo niemand sie vermutet.

Wir sehen im Tod des Einen die Grundlage neuen Lebens für alle. So wie wir auf Gräbern inmitten von Trauer und Tod von Auferstehung und Leben sprechen.

Wir suchen Gottes Spuren in der Welt und finden sie in den Gesichtern und Geschichten der Menschen. Wir blicken in ein von Sorgenfalten durchfurchtes Gesicht und sagen leise: Danke, Gott, dass Du diesen Menschen bis hierher getragen hast.

Wir sagen Menschen, die unter ihrer Schuld zu zerbrechen drohen: Dein Sünden sind dir vergeben – geh‘ hin im Frieden des Herrn.

Wir erheben unsere Stimme, um der Schlange zu widersprechen, wenn sie redegewandt und eindringlich und unheimlich überzeugend sagt: Du bist nicht wunderbar. Du bist zu alt, zu dick, zu dünn, zu dunkel, zu langsam, zu gezeichnet vom Leben, zu klein, zu groß, zu anders, zu männlich, zu weiblich oder zu wenig von beidem…

Nein! Und weil Bilder manchmal so viel lauter sprechen als Worte, tun wir es eben auch mit Fotos.

Warum wir das als Kirche machen?

Gucken Sie sich die Bilder an. Dann wissen sie’s.