Dienstag, 11. April 2017

Triduum Sacrum | Drei Tage mit alles.

jetzt ist sie da. die intensivste zeit des jahres. zerbrechliche gemeinschaft. abschied, tränen, tod. und neues leben. sich verlieren. gehalten werden. für alle, die sowieso dabei sind. und für die, die sich noch fragen: soll ich..? ja.


Montag, 10. April 2017

Die Stunde der mutigen Frauen | Palmsonntag | Mk 14,3-9



Predigttext steht hier.

In Jerusalem verdichtet sich die Handlung, laufen die Fäden zusammen. In Jerusalem, am Tiefpunkt der Passionszeit, schlägt die Stunde der mutigen Frauen. Die dorthin gehen, wo keiner sonst hingehen will, die das tun, was dran ist, egal, was andere denken. So wie heute. Eine Frau, deren Namen die Geschichte vergessen hat, aber nicht ihren Mut, ihre verschwenderische Liebe. 

Sie muss mutig gewesen sein, als sie auf den Marktplatz in Jerusalem geht. Vorbei an Gemüseständen und Hühnerställen, vorbei an den Teppichhändlern und Töpfern, immer geradeaus zu dem großen, luxuriös ausgestatteten Zelt eines Gewürzhändlers, der keine großen Stände, keine einladende Auslagen hat, sondern nur kleine Mengen vom Teuersten, das es gibt. Es braucht Mut, in die aromaschwere Luft des Zeltes einzutreten, an den Wächtern vorbei, alles Ersparte und noch einiges mehr auf die Theke zu legen für eine kleine Flasche mit dickflüssigem Nardenöl. Ein Parfüm, ein Beruhigungsmittel, das sich eigentlich nur die Reichsten leisten können. Indische Narde wächst, in der Antike wie heute, nur auf dem Himalaya. 300 Dinar, zwanzigtausend Euro wären das heute. Es braucht Mut, mit einer so teuren Substanz in einem so zerbrechlichen Gefäß durch die Straßen der Stadt zu gehen. 

Sie muss mutig sein, um dieses eine Haus am Rand der Stadt zu betreten. Das Haus eines Aussätzigen, eines Menschen, der durch seine chronische Hautkrankheit, gezeichnet ist, der sich damit nicht verstecken kann und für den die Gesellschaft nur einen Platz am äußersten Rand übrig hat. Wer in dieses Haus einkehrt, stellt sich mit an den Rand, gesellt sich mitten unter die Ausgestoßenen und Heimatlosen. Es braucht Mut, Jesus dort zu suchen. Aber da ist er. Da, wo keiner freiwillig hingeht. 



Sie muss mutig sein, um einfach so in die Männerrunde einzubrechen, in den engsten Kreis der Tafelrunde einzutreten, wo noch alle Plätze besetzt sind. Die Blicke auszuhalten, das leise Flüstern. Um den Tisch herum zu gehen, hin zu dem, dem kurz zuvor noch die ganze Stadt zugejubelt hat. Ihm so ganz nahe zu kommen, seinen Kopf zu berühren, in einer Geste, die so intim ist, so unerhört, die so sehr an das erinnert, was er sonst macht: Die Hände auflegen und segnen. Aber das ist das, was Menschen in der Bibel tun: Sie segnen Gott. Für Luther war das unverständlich, bis heute steht bei uns in den Übersetzungen „Gott loben“ statt „Gott segnen“, im Judentum ist es seit jeher Gang und Gäbe. Menschen segnen Gott über dem, was sie empfangen, ob es das Essen auf dem Tisch oder das Geschenk des nackten Lebens ist. Gott segnen heißt, sich tastend an seine Nähe zu wagen, Gemeinschaft zu suchen, den Segen, den er austeilt, zu ihm zurückfließen zu lassen. 

Jesus sagt und tut nichts. Auch das braucht Mut – eine Berührung zu wagen, ohne zu wissen, ob das gewollt oder okay ist. Die Hand für einen Wimpernschlag länger zu halten als nötig. Einen Menschen in den Arm zu nehmen, bei dem man das sonst nicht tut, bei dem man aber ahnt, dass er es gerade gebrauchen kann. Jesus sagt und tut erstmal nichts. 



Umso mehr die anderen am Tisch, aus den anderen Schilderungen dieser Geschichte ist anzunehmen, dass es die Jünger sind. Die, die meinen, dass sie so gut Bescheid wissen, über das, was Jesus umtreibt. Sie ärgern sich. So eine Verschwendung! Was hätte man nicht alles mit diesem Geld anfangen können. Was hätte man nicht alles Gutes für die Armen tun können. Hätte, hätte… sagen die, die gerade am gedeckten Tisch sitzen. Es braucht Mut, das zu tun, was gerade dran ist, auch wenn alles dagegen spricht, auch, wenn die Vernunft anderes sagt, auch wenn es tausend andere Dinge gäbe. Es braucht Mut, geschäftliche Termine abzusagen, um zum Fußballspiel der Tochter oder zum Cellovorspiel des Sohnes zu gehen. Es braucht Mut, Liebe zu geben, verschwenderisch mit sich selbst umzugehen, wenn alles dagegen spricht, wenn bedeutende Stimmen wichtige Argumente vorbringen. So wie die Jünger. 

Aber als sie anfangen zu lamentieren, spricht Jesus zum ersten Mal in dieser Geschichte. „Lasst sie.“ Denn sie hat es begriffen. Sie tut das, was Jesus in seinem ganzen kurzen Leben und in seinem kurz bevorstehenden Sterben getan hat: Geben, ohne etwas zurückzuhalten. Lieben, ohne eine Hintertür offen zu lassen. Nähe wagen, ohne sprungbereit zu bleiben. „Sie hat getan, was sie konnte“ – mehr braucht es dabei nicht, von niemandem von uns. 
Und noch etwas hat sie getan: „Sie hat meinen Leib im Voraus für mein Begräbnis gesalbt.“ Da ist es wieder, das Thema, von dem Jesus die ganze Zeit spricht, dem auch wir uns in der Passionszeit und in der Karwoche besonders zuwenden, auch, wenn es weh tut: Es geht um Tod und Sterben, um das Ende, um Verlust, um Schmerz und Trauer. Es braucht Mut, das auszuhalten. Mut, die in der Leidensgeschichte Jesu vor allem die Frauen aufbringen, deren Stunde in Jerusalem schlägt, wenn die Fäden zusammenlaufen und der Himmel sich verdunkelt: Sie bleiben am Kreuz stehen, wenn alle anderen fliehen. Sie werden am Ostermorgen als erste zum Grab gehen, um seinen Leichnam zu salben, zu berühren, zu begreifen, was kaum zu verstehen ist. Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat. Und Jesus hat recht behalten. 

Den Namen der Frau hat die Geschichte vergessen. Vielleicht ist das nichts Ungewöhnliches bei einer Geschichte, die von Männern aufgeschrieben wurde. Vielleicht ist das aber auch genauso gewollt: Wir wissen nichts über ihre Vorgeschichte. Nirgendwo vorher taucht sie auf und tut oder erlebt irgendwas, das uns sagen lässt: Gut, verständlich, dass sie das jetzt macht. Und vielleicht bedeutet das, dass man niemand Besonderes sein muss, um das zu tun, was gerade dran ist. 
Dahin gehen, wo sonst keiner hingeht – und dort Jesus finden. 
Gott segnen. 
Eine Berührung wagen. 
Einem Sterbenden nahe sein. 
Das, was man hat, in einem zerbrechlichen Gefäß durch die ganze Stadt tragen. 
Unfreundliche Blicke und abschätzende Kommentare ertragen 
und nicht so wichtig nehmen. 
Verschwenderisch sein, nicht immer und überall, 
aber da, wo Rechnen nicht angebracht ist. 
Und ihn hören: 
Du hast ein gutes Werk an mir getan. 
Danke dafür. 
Amen.