Donnerstag, 26. Februar 2015

Passion in Bildern (I): "Eine Tischgemeinschaft, die keiner so recht haben will"

Raoef Mamedov (1979), Last Supper. Quelle. postkiwi.com

Liebe Gemeinde, unsere Reihe von Passionsandachten wird heute mit einem Ensemble aus fünf Fotografien von Raoef Mamedov eröffnen. Der Künstler wurde 1956 in Aserbaidschan geboren, ist heute, nach entsprechendem Studium und Praxis Professor an der Hochschule für Film und Fernsehdirektor in Moskau. Vor seiner Karriere als Fotograf arbeitete er als Sozialarbeiter in der Psychiatrie. Aus den offiziellen Biografien geht nicht draus hervor, was genau das für Einrichtungen waren, aber es ist davon auszugehen, dass die Zustände in einer geschlossenen Anstalt in der Sowjetunion der späten Siebziger andere waren als wir sie heute gewohnt sind. Sein Bild heißt: „Das letzten Abendmahl“ und ist, wie Sie wahrscheinlich auch erst einmal von Ferne erkennen können, eine Nachstellung des berühmten Gemäldes von Leonardo Da Vinci. Da sind sie alle, Jesus, die Jünger. Aber der Reihe nach. 

Jesus sitzt in der Mitte. Mit hängenden Schultern blickt er auf einen unbestimmten Punkt irgendwo neben seinem Teller. Der Teller ist leer, das Brot, das werden wir später sehen, ist unter den Jüngern geteilt. Geteilt, oder zerbrochen, wer weiß das schon. An seiner rechten Hand eine Brille, das Symbol des Gelehrten, des Rabbiners. Jesus sitzt von allen anderen getrennt und vielleicht sind es innerhalb der Passionsgeschichte diese kleinen Momente, in denen sich schon abzeichnet, dass Er einen Weg zu gehen hat, den niemand seiner Jünger mitgehen kann. Gerade hat er die Worte gesprochen, die die Gemeinschaft der Jünger aufsprengen und sie vereinzeln: „Einer von euch wird mich ausliefern, einer, der mit mir isst.“ Das schafft Unruhe am Tisch. Einer fragt den anderen: „Doch nicht ich!“, so schreibt die Bibel. Und die Jünger reagieren ganz unterschiedlich, aber doch so ähnlich und so nachvollziehbar auf diese Ankündigung, auf das Wissen, dass für Einen von ihnen ihre Gemeinschaft mit Jesus, ihre Gemeinschaft miteinander nicht soviel bedeutet hat, oder eben doch zu viel. 

Geht man von den allgemeinen Annahmen zu Leonardo Davincis Bild aus, so ist es Thomas, der Jesus hier drohend den Zeigefinger entgegenstreckt, denselben Zeigefinger, den er später in seine Wunde legen wird. Er scheint wütend auf Jesus zu sein, wie wir so oft wütend auf den Überbringer schlechter Nachrichten sind, nicht auf die Verursacher selbst. Daneben Jakobus der Zebedaide, der Donnersohn, der mit seiner Geste und seinem abgelenkten Blick ins leere ganz klar macht: „Ich habe damit nichts zu tun!“ Philippus starrt Jesus ungläubig an, es ist nicht klar, ob er sich an die Brust fasst oder ob er sich sein Gewand enger um den Körper zieht, als wäre es plötzlich kalt geworden. 

Am einen Ende des Tisches, vermutlich sind es Matthäus, Thaddäus und Simon, herrscht Ratlosigkeit. Matthäus blickt seinen Nachbarn an, als erhoffte er sich von ihm ein erlösendes Lachen, eine Auflösung – war doch alles nur ein Scherz! Sein Nachbar Thaddäus zeigt ihm die kalte Schulter, er scheint sich zu Simon zu lehnen und misstrauisch ihn Richtung seines Nachbarn zu zeigen. Hier zeigt sich, dass die Frage: „Bin ich’s?“, wie sie in der Bibel noch als Erstreaktion der Jünger geschildert wird, auf lange Sicht wahrscheinlich für keinen Menschen auszuhalten ist und schnell zur Frage wird: „Meinst Du, der war’s?“ 
Simon der Zelot starrt mit hochgezogenen Augenbrauen vor sich hin, die Hände ausgebreitet, als zucke er die Schultern. „Wer versteht schon alles von dem, was Jesus so von sich gibt?“ 

Ihnen genau gegenüber, am anderen Ende des Tisches, herrscht ähnlicher Aufruhr. Bartholomäus hat sich von seinem Stuhl erhoben, stützt sich auf dem Tisch ab. Daneben Jakobus der Jüngere. Entgeistert starrt er Jesus an, aus seiner Geste ist für mich nicht ersichtlich, ob er ihn festhalten oder ob er den Verdacht, den Gedanken, Jesus selbst wegstoßen will. Andreas, der Bruder des Petrus, scheint den Verdacht mit den Händen abzuwehren, wieder: „Ich war’s nicht!“ Stiller scheint es um die nächsten drei zu sein, Petrus, Judas und der Lieblingsjünger. Letzterer ist, unschwer zu erkennen, eine Frau, Mamedov hat das ewige Rätsel um die Figur in Davincis Bild für sich gelöst. Sie sitzt vom Bild her am nächsten bei Jesus, wie auch der Lieblingsjünger nach dem Johannesevangelium ihm oft am nächsten sitzt. Und vielleicht ist es diese Nähe, die es ihr möglich macht, zu akzeptieren. Sie faltet die Hände und senkt den Blick. Petrus sitzt da, einen Ellenbogen und eine Hand auf dem Tisch abgestützt, das Kinn hochgezogen, den Blick auf Jesus. Als warte er auf irgendeine Anweisung. Als meine er, irgendetwas tun zu können. 

Und dann Judas. Der mit ganz anderem beschäftigt scheint. Das Messer in der einen Hand, wendet er sich dem Lieblingsjünger zu und zumindest für mich sieht das nach eindeutiger Anmache aus. Ein doppelter Verrat an Jesus, sozusagen – zuerst liefere ich Dich aus, dann mache ich mich an die ran, die Du liebst. 

Liebe Gemeinde, eine Tischgemeinschaft, die keiner so recht will. So war diese Bildbetrachtung heute angekündigt. Und in der Tat möchte ich nicht an diesem Tisch sitzen, möchte ich so etwas nicht erleben - die Ankündigung, dass Einer die Gemeinschaft verraten wird, die gegenseitigen Anschuldigungen, das feige Flüstern der Einen und das unreflektierte Poltern der Anderen. Und noch etwas macht diese Tischgemeinschaft zu einer, die keiner so recht haben will. Sie haben es längst gesehen, die Darsteller auf dem Bild haben das Down Syndrom, eine Trisomie 21, früher in locker-rassistischem Zungenschlag als „Mongolismus“ bezeichnet. Die Schauspielgruppe, mit der Mamedov 1997 über einige Wochen intensiv gearbeitet und dann eine Fotoreihe gemacht hat, sind alle gut jenseits der Dreißig. Wollte er das Projekt in ein paar Jahren wiederholen, hätte er größere Mühe, genügend Leute zu finden. Denn zwischen siebzig und neunzig Prozent der Kinder, bei denen eine Nackenfaltenmessung die Ängste der Eltern bestätigt, werden in der westlichen Welt nicht geboren. 

Mamedovs Bild macht mir deutlich, dass die menschliche, zwischenmenschliche und übermenschliche Gemeinschaft, die Gott in Jesus Christus gesucht und geschaffen hat, weiter ist als unsere schiefen und so veränderlichen Maßstäbe dafür, was gelungenes und gutes Leben ist. Und zwar nicht nur im Blick auf Gesundheit, Unversehrtheit, Kraft. Sondern auch im Blick auf Schuld und Versagen. Es tröstet mich, dass sich diese Szenen menschlichen Versagens, die im Bild aufgefangen, eingefroren sind, VOR dem letzten Abendmahl abspielen. Jesus sitzt und isst mit seinen Jüngern, obwohl – und vielleicht: weil sie Brüdermörder, Drückeberger, Skeptiker, misstrauische Lästermäuler sind. Dann gilt die Gemeinschaft auch uns, mit all unseren Fehlern, all unseren Schwächen, all unserer Schuld. 

Und der Friede Gottes…

Donnerstag, 19. Februar 2015

Neue Reihe: Moderne Passionsdarstellungen

In den nächsten Wochen sind hier, jeweils donnerstags, kleinere Andachten zu neueren Passionsdarstellungen zu lesen. Sie stammen noch aus dem Vikariat, sind nur behutsam geändert worden - manches würde ich heute anders oder vielleicht sogar gar nicht mehr sagen. Aber die Bilder sind es allemal wert. 

Sonntag, 15. Februar 2015

Prädig em Fastelovend övver dr Stammbaum, Joh 17 un Ps 31

Jo, dr Idee un e Deil vun dä Jrafik han ich beim Fesskomitee affjekläut, de Kirch es vun uns Homepage, ävver zesammejefrickelt han ich et sellevs un ohn' jet draan ze verdeene.


Leev Jeckinne und Jecke, 
leeven Fessgemeinde, 

Mr schriev et Johr 2015. 
„Social Jeck, kunterbunt vernetz“, su heiß die Övverschriff övverm Fastelovend. 
Die Hüsjer bunt om Aldermaht 
sin Zeuge kölscher Eijenaat, 
et süht jrad us em Dunkele 
als wören se am Schunkele, 
un irjendswu em Minschejewöhl 
ston e Prinzessje em rusa Töllwöbche 
met Jold un Spetz, 
en jroße Aap, 
janz en Schwatz, med krölligem Pelz, 
e Kölsch en dr Hand, 
e Feigling en dr Täsch. 
Einer fählt: 
E Lappeclown es spät draan, 
hä drängelt sech am Heumaat us dr Bahn, 
schrömp dr Platz laans, 
et Händy am Ohr: 
„Wo sit er dann?!“ 
„He!“ 
„Wo dann?!“ 
„Links vum Jan vun Werth.“ 
„Do, op dr Sick wo dat Bödche es?“ 
„Nä, et andere links!“ 
Un am Engk finge se zesamme, 
e Jruppefoto weed jemaht 
un durch de Welt jescheck: 

Am andere Engk vun dr Stadt, 
en Worringen, Godorf ov en Heumar 
treck de Jroß si neue Smartphone us dr Täsch 
un zeigt dr Nohbarin janz stolz: 
Dat es mi Enkeldoochter, 
dat es en Selfie, 
un de Nohbarin säht: 
Ich daacht, dat wör et Uschi?! 

Un bei Facebook 
mäht dr Ühm in Spanien dr Duume huh 
un schriev: „Jröß mr dr Dom!“ 

Social jeck, kunterbunt vernetz, 
zwesche Heumar un Godorf, Kölle un Spanien - 
„Do stells minge Fööß op wigge Raum“, 
un och wann et jet spack weedt om Alder Maat, 
nemp mr sech en dr Ärm und däht schunkele, 
dr Platz es knapp, ävver dat Hätz weedt wick 
un us dausend Strösse klingk et: 
Su simmer all heehin jekumme“, 

un Jesus säht: Här, loß se all eins sin.

Mr schriev et Johr 1925. 
E Karnevalsmotto jit et nit, 
et Rheinland es besatz, 
ävver zom eetste Mol noh’m eetste Weltkrieg 
fängk mr ald widder an, 
janz leis un hinger verschlosse Döör, 
dr Fasteleer ze fiere. 
Dr Rusemoondaachszoch steiht zwar parat, 
de Funke schlofe en dr Uniform, 
ävver dis Johr jitt et noh kein Marschbefähl, 
dr Fastelovend unger freiem Hemmel bliev verbodde. 

Em Aujust 1925 treffe sich zem eetste Mol 
in Stockholm Kirche us aller Welt
600 Minsche us 37 Länder. 
Em Minschejewöhl 
sitz dr deutsche Delegeete em Lutherrock. 
Donevven en Bischoff us Afrika en janz bunger Klädasch, 
met Jold un Spetz, 
un nevve däm e Pastur us Russland, 
janz en schwatz, met krölligem Baat, 
e Krütz en dr Hand, 
e Bibel en dr Täsch 
Schunkele don se nit, 
 ävver se don zesamme bedde un singe, 
un jevve sech e Motto: 
„De Liehr trennt, dr Deens vereint“: 
wo mr uns dr Köppe enschlage künnte övver theologische Ähzezählerei, 
do kumme mr zesamme, wo mr uns för et Johde en dr Welt 
un bei uns en dr Nohbarschaff ensetze. 

Do stellst ming Fööß op wiggem Raum, 
un Jesus säht: Här, loss se all eins sin

Mr schriev et Johr 2015, 
em Janewar, koot vüür Dreikünninge. 
Junge un ahle han sich opjemaht 
öm sech däm brunge Jeraffels von Kögida 
en dr Wääch ze stelle. 
E paar vun üch sin ja dobei jewese: 
Vürm LVR-Toon e Minschejewöhl, 
do steiht en ahl Möh 
nevven em Jröne, 
en Imam nevven einem vun dr Jewerkschaff, 
un dozwesche Lück wie do und ich, 
e Transparent en dr Hand, 
manche och en Kölsch, 
manche maachen Selfies 
un schecken se öm dr Welt, för ze zeige: 
 He en Kölle soll dä Raum und die Hätze wick blieve, 
he freue mr uns op all die Minsche, 
die vun fähn un noh kumme 
un unse Stammbaum bunger maache. 
Op dr Bühn e Band, die spillt: 
Su simmer all heehin jekumme, 
 mr spreche hück all dieselve Sproch…, 
un et föhlt sech e beßje aan wie Fastelovend, 
un Jesus säht: Loss se all eins sin



Sozial un jeck dobei, 
un kunterbungk vernetz. 
Jlich stommer all em Kreis he vürren öm dr Desch eröm, 
deile Brut un Wing, 
e Huusfrou me’m Lehrer, 
dr Konfirmand met dr Ätztin, 
e Hamburger met enem Schlesier, 
kein Minschejewöhl, su vill simmer hück nit, 
ävver kunterbungk jenoch, 
un vernetz: 
ungerenein, mr ston zesamme wie eine Jott un Pott – 
un vernetz och met däm, dä saht: 
Wann och nur e paar von üch en mingem Nome zesammekumme, 
do ben ich meddemang dobei. 

Denn als unse Vatter do bovve de Welt jemaht 
un för sich selvs jesaht 
hät: “Loss mer Minsche maache, die uns jlich sin”, 
do hät hä quasi vun sich e Selfie jemaht, 
in jeddem vun uns e Stück vun sich selvs jelaht, 
op dat mr klingele, pütze, singe un fiere, 
un en all däm dr Härjott, uns Welt un dr Nöhste in Ihre halde. 
Do stellst ming Fööss op wiggen Raum
un Jesus säht: “Loss se all eins sin.” 
Sozial un jeck un joht vernetz, 
met Hängk, Schnüss, Siel un Hätz. 
 Amen

Sonntag, 8. Februar 2015

Für eine gute Sache: Luther braucht eine Wartburg!



Letzte Woche kam heraus, dass die Deutsche Tourismuszentrale mit Playmobil-Luthern Werbung für Deutschland im Reformationsjubiläumsjahr machen will. Yippie! Der "Luther" sieht zwar verdächtig nach Georg Spalatin aus, aber die Reformation wurde ja von vielen Schultern getragen.

Weil das aber vielen nicht reicht, gibt es seit heute eine Facebook-Seite, die für eine Petition an Playmobil wirbt, das Reformationsfigurenspektrum deutlich zu erweitern: Luther braucht eine Wartburg! Also fleißig liken und mitpetitieren!

Mittwoch, 4. Februar 2015

"Hassprediger" ist kein gutes Wort

Dem Bremer Kollegen Olaf Latzel, dessen Gemeinde es schon öfter zielgenau in die Schlagzeilen geschafft hat, wird seit der Kontroverse um seine Gideonspredigt vom 18. Januar eine zweifelhafte Auszeichnung zuteil: In der Tages- und Wochenpresse, in Blogs und Tweets nennt man ihn "Hassprediger". Damit kann er sich in illustre Gesellschaft einreihen, in der homiletischen Hall of Shame trifft man unter anderem auf Ayatollah Khomeini,  Metin Kaplan, den mittlerweile verstorbenen Baptistensychopathen Fred Phelps, Kardinal Meisner, das Autorenkollektiv rund um kath.net und andere (kann man alles auch bei wikipedia nachlesen). Dabei wird der Begriff von so unterschiedlich tickenden Zeitgenossen wie Matthias Mattussek und Volker Beck benutzt - allein deswegen lohnt es sich ja schon, sich diesem Titel etwas näher zuzuwenden.

Wie in der Wikipedia richtig bemerkt, ist ein erstes gehäuftes Aufkommen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert zu beobachten, das heißt in der Zeit des Kulturkampfes, jener Epoche, in der Befürworter von König- und Kaiserreich mit ultramontanen, d. h. mit Rom loyalen, Katholiken um die Deutungshoheit im Lande kämpften. Dieser Kampf wurde vor allem publizistisch geführt, der ursprüngliche Sitz im Leben des Begriffs liegt also in der Polemik. 

Karl Christian Friedrich Krause 1890 (Bild von books.google.com)

Davon büßte er nichts ein, als er knapp hundert Jahre später wieder salon- und irgendwann auch feuilletonfähig wurde; ein früher Beleg, der sich eben auf o. g. Ayatollah bezieht, ist ein Leserbrief an den SPIEGEL Ende 1979. Und diese Quelle reicht eigentlich schon aus, um sich darüber klar zu werden, in welchen Kontext der Begriff "Hassprediger" gehört, und in welchem er auch bleiben sollte: Von Hasspredigern schreibt man in Leserbriefen, in Forenbeiträgen und Kommentaren, der Begriff gedeiht in den moderigen Ecken der Informationsgesellschaft, im Schattenreich der Meinungsfreiheit, er ist letztlich in keiner Weise präziser, aussagekräftiger oder durchdachter als das meist aus anderer Ecke schwappende Gerede von der Lügenpresse. 

Dabei dienen derartige Kampfvokabeln nicht nur der Diskreditierung und Diffamierung der so Betitelten, sondern auch der emotionalen Entlastung derer, die ihn benutzen: Ich rufe laut "Hassprediger" - und fühle mich danach erstmal besser, weil ich meiner (vielleicht ja sogar berechtigten) Entrüstung Ausdruck verschafft habe. Das Perfide ist aber, dass dadurch der Eindruck entsteht, es sei alles gesagt, zumal, wenn sich der Begriff in einer Debatte erstmal etabliert ist, diese meist nur noch darum kreist, ob man ihn benutzen darf oder nicht. 

Zu Latzels Predigt ist aber längst nicht alles gesagt, die Debatte wird auch dann nicht beendet werden können, wenn die Staatsanwaltschaft herausgefunden hat, ob der "Anfangsverdacht der Volksverhetzung" begründet ist oder nicht. Denn die Debatte darf nicht nur auf einer juristischen, sondern muss auch und vor allem auf einer theologischen Ebene geführt werden, und das nicht nur über Latzel oder mit ihm allein, sondern auch mit seiner Gemeinde - die hat ihn ja gewählt und scheint's ganz zufrieden. 

Natürlich ist die Predigt problematisch. Wer sie noch nicht kennt, kann sie unter anderem hier nachhören - ich empfehle allerdings, das nicht auf nüchternen oder allzu vollen Magen zu tun. Sie ist vor allem erst einmal schlecht, aus handwerklich-homiletischer Perspektive, auch aus theologischer Sicht (vor allem im Blick auf die ungenierte Identifikation des spätmodernen Christentums mit dem Israel der Richterzeit). Und sie ist eben nicht nur platt und in historischer Hinsicht uninformiert: natürlich weckt Latzel mehr als nur ein ungutes Gefühl, wenn er mit hörbarem Genuss in Gewaltfantasien schwelgt ("Hackärrr! Hackärrr! Verbrennen! Ausreißen!"). 

Aber es hilft eben wenig, hier von "Hassprediger" zu sprechen, weil man sich damit letztlich auf Latzels Niveau hinunter begibt und das mitmacht, woran er willentlich oder unbewusst arbeitet: Die Vulgarisierung des interreligiös-theologischen Diskurses. Pilotprojekte wie das von ihm angesprochene House of One bedürfen der Begleitung durch fundierte theologische Reflexion, und diese wird erschwert, wenn sie auf markige Schwarz-Weiß-Positionen reduziert wird, so wie das unter anderem im Umfeld diverser sozialmedialer #JesuisOlaf-Initiativen geschieht. 

Klarheit, die ich Bremen und Sankt Martini wünsche...