Raoef Mamedov (1979), Last Supper. Quelle. postkiwi.com |
Liebe Gemeinde,
unsere Reihe von Passionsandachten wird heute mit einem Ensemble aus fünf Fotografien von Raoef Mamedov eröffnen. Der Künstler wurde 1956 in Aserbaidschan geboren, ist heute, nach entsprechendem Studium und Praxis Professor an der Hochschule für Film und Fernsehdirektor in Moskau. Vor seiner Karriere als Fotograf arbeitete er als Sozialarbeiter in der Psychiatrie. Aus den offiziellen Biografien geht nicht draus hervor, was genau das für Einrichtungen waren, aber es ist davon auszugehen, dass die Zustände in einer geschlossenen Anstalt in der Sowjetunion der späten Siebziger andere waren als wir sie heute gewohnt sind.
Sein Bild heißt: „Das letzten Abendmahl“ und ist, wie Sie wahrscheinlich auch erst einmal von Ferne erkennen können, eine Nachstellung des berühmten Gemäldes von Leonardo Da Vinci. Da sind sie alle, Jesus, die Jünger. Aber der Reihe nach.
Jesus sitzt in der Mitte. Mit hängenden Schultern blickt er auf einen unbestimmten Punkt irgendwo neben seinem Teller. Der Teller ist leer, das Brot, das werden wir später sehen, ist unter den Jüngern geteilt. Geteilt, oder zerbrochen, wer weiß das schon.
An seiner rechten Hand eine Brille, das Symbol des Gelehrten, des Rabbiners.
Jesus sitzt von allen anderen getrennt und vielleicht sind es innerhalb der Passionsgeschichte diese kleinen Momente, in denen sich schon abzeichnet, dass Er einen Weg zu gehen hat, den niemand seiner Jünger mitgehen kann.
Gerade hat er die Worte gesprochen, die die Gemeinschaft der Jünger aufsprengen und sie vereinzeln: „Einer von euch wird mich ausliefern, einer, der mit mir isst.“
Das schafft Unruhe am Tisch. Einer fragt den anderen: „Doch nicht ich!“, so schreibt die Bibel. Und die Jünger reagieren ganz unterschiedlich, aber doch so ähnlich und so nachvollziehbar auf diese Ankündigung, auf das Wissen, dass für Einen von ihnen ihre Gemeinschaft mit Jesus, ihre Gemeinschaft miteinander nicht soviel bedeutet hat, oder eben doch zu viel.
Geht man von den allgemeinen Annahmen zu Leonardo Davincis Bild aus, so ist es Thomas, der Jesus hier drohend den Zeigefinger entgegenstreckt, denselben Zeigefinger, den er später in seine Wunde legen wird. Er scheint wütend auf Jesus zu sein, wie wir so oft wütend auf den Überbringer schlechter Nachrichten sind, nicht auf die Verursacher selbst.
Daneben Jakobus der Zebedaide, der Donnersohn, der mit seiner Geste und seinem abgelenkten Blick ins leere ganz klar macht: „Ich habe damit nichts zu tun!“
Philippus starrt Jesus ungläubig an, es ist nicht klar, ob er sich an die Brust fasst oder ob er sich sein Gewand enger um den Körper zieht, als wäre es plötzlich kalt geworden.
Am einen Ende des Tisches, vermutlich sind es Matthäus, Thaddäus und Simon, herrscht Ratlosigkeit. Matthäus blickt seinen Nachbarn an, als erhoffte er sich von ihm ein erlösendes Lachen, eine Auflösung – war doch alles nur ein Scherz!
Sein Nachbar Thaddäus zeigt ihm die kalte Schulter, er scheint sich zu Simon zu lehnen und misstrauisch ihn Richtung seines Nachbarn zu zeigen. Hier zeigt sich, dass die Frage: „Bin ich’s?“, wie sie in der Bibel noch als Erstreaktion der Jünger geschildert wird, auf lange Sicht wahrscheinlich für keinen Menschen auszuhalten ist und schnell zur Frage wird: „Meinst Du, der war’s?“
Simon der Zelot starrt mit hochgezogenen Augenbrauen vor sich hin, die Hände ausgebreitet, als zucke er die Schultern. „Wer versteht schon alles von dem, was Jesus so von sich gibt?“
Ihnen genau gegenüber, am anderen Ende des Tisches, herrscht ähnlicher Aufruhr. Bartholomäus hat sich von seinem Stuhl erhoben, stützt sich auf dem Tisch ab.
Daneben Jakobus der Jüngere. Entgeistert starrt er Jesus an, aus seiner Geste ist für mich nicht ersichtlich, ob er ihn festhalten oder ob er den Verdacht, den Gedanken, Jesus selbst wegstoßen will.
Andreas, der Bruder des Petrus, scheint den Verdacht mit den Händen abzuwehren, wieder: „Ich war’s nicht!“
Stiller scheint es um die nächsten drei zu sein, Petrus, Judas und der Lieblingsjünger. Letzterer ist, unschwer zu erkennen, eine Frau, Mamedov hat das ewige Rätsel um die Figur in Davincis Bild für sich gelöst. Sie sitzt vom Bild her am nächsten bei Jesus, wie auch der Lieblingsjünger nach dem Johannesevangelium ihm oft am nächsten sitzt. Und vielleicht ist es diese Nähe, die es ihr möglich macht, zu akzeptieren. Sie faltet die Hände und senkt den Blick.
Petrus sitzt da, einen Ellenbogen und eine Hand auf dem Tisch abgestützt, das Kinn hochgezogen, den Blick auf Jesus. Als warte er auf irgendeine Anweisung. Als meine er, irgendetwas tun zu können.
Und dann Judas. Der mit ganz anderem beschäftigt scheint. Das Messer in der einen Hand, wendet er sich dem Lieblingsjünger zu und zumindest für mich sieht das nach eindeutiger Anmache aus. Ein doppelter Verrat an Jesus, sozusagen – zuerst liefere ich Dich aus, dann mache ich mich an die ran, die Du liebst.
Liebe Gemeinde, eine Tischgemeinschaft, die keiner so recht will. So war diese Bildbetrachtung heute angekündigt. Und in der Tat möchte ich nicht an diesem Tisch sitzen, möchte ich so etwas nicht erleben - die Ankündigung, dass Einer die Gemeinschaft verraten wird, die gegenseitigen Anschuldigungen, das feige Flüstern der Einen und das unreflektierte Poltern der Anderen.
Und noch etwas macht diese Tischgemeinschaft zu einer, die keiner so recht haben will. Sie haben es längst gesehen, die Darsteller auf dem Bild haben das Down Syndrom, eine Trisomie 21, früher in locker-rassistischem Zungenschlag als „Mongolismus“ bezeichnet. Die Schauspielgruppe, mit der Mamedov 1997 über einige Wochen intensiv gearbeitet und dann eine Fotoreihe gemacht hat, sind alle gut jenseits der Dreißig. Wollte er das Projekt in ein paar Jahren wiederholen, hätte er größere Mühe, genügend Leute zu finden. Denn zwischen siebzig und neunzig Prozent der Kinder, bei denen eine Nackenfaltenmessung die Ängste der Eltern bestätigt, werden in der westlichen Welt nicht geboren.
Mamedovs Bild macht mir deutlich, dass die menschliche, zwischenmenschliche und übermenschliche Gemeinschaft, die Gott in Jesus Christus gesucht und geschaffen hat, weiter ist als unsere schiefen und so veränderlichen Maßstäbe dafür, was gelungenes und gutes Leben ist. Und zwar nicht nur im Blick auf Gesundheit, Unversehrtheit, Kraft.
Sondern auch im Blick auf Schuld und Versagen. Es tröstet mich, dass sich diese Szenen menschlichen Versagens, die im Bild aufgefangen, eingefroren sind, VOR dem letzten Abendmahl abspielen. Jesus sitzt und isst mit seinen Jüngern, obwohl – und vielleicht: weil sie Brüdermörder, Drückeberger, Skeptiker, misstrauische Lästermäuler sind.
Dann gilt die Gemeinschaft auch uns, mit all unseren Fehlern, all unseren Schwächen, all unserer Schuld.
Und der Friede Gottes…
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