Am Anfang waren drei ein klein bisschen verrückte Menschen, in unserem Fall zwei Pfarrer und eine Kantorin, die gerne "irgendetwas mit Harry Potter" machen wollten. Und sich dann entschlossen, wirklich was zu machen. Heraus kam etwas, das gar nicht so leicht anzukündigen war, weil es auf die von vielen Leuten gestellte Frage: "Was macht Ihr denn da genau...?!" keine allzu einfache Antwort gab. Wir nannten es "eine theologisch-literarisch-musikalische Reise", das war es definitiv auch, aber es war doch eine ganze Menge mehr. Wir können es zur Nachahmung herzlich empfehlen, deswegen gibt es hier mehr als nur ein bisschen Nachlese.
Was wir jetzt genau gemacht haben
Hauptbestandteil des Abends war eine mehr oder weniger szenische Lesung ausgewählter Passagen aus den sieben Harry-Potter-Bänden, die die Story natürlich nicht komplett erzählen konnten, aber in weiten Bögen wichtige und unterhaltsame Szenen in einer abendfüllenden Aktion verbanden. "Szenisch" heißt dabei: Die einzelnen Passagen haben wir in Dialoge umgeschrieben, die dann mit verteilten Rollen vorgelesen wurden. For the sheer pleasure of it und um des britischen Lokalkolorits der Reihe Willen gab es auch einzelne Einwürfe auf Englisch. Aufgelockert wurde das Ganze durch kurze Filmsequenzen, musikalische Einlagen und Interaktives (dazu später mehr), eine Pause gab es natürlich auch.
Szenenabfolge
- Prolog (englisch) (I)- Hagrid bei den Dursleys (I)
- Der Troll auf dem Mädchenklo (I)
- Der Fuchsbau und der fliegende Ford (II)
- Pflanzenkunde (II)
- Wahrsageunterricht (III)
- Filmsequenz: Dementoren im Hogwarts-Express (III)
- Quidditch-Weltmeisterschaft (IV) (englischer Matchkommentar, Schlagzeilen)
- Tanzstunde (IV) (Lesung und Filmsequenz)
- Das Voldemort-Projekt (IV)
- Die Prophezeiung (V)
- Liebes- und andere Tränke (I + VI)
- Filmsequenz: Die Höhle am Meer (VI)
- Der Friedhof von Godric's Hollow (VII)
- Filmsequenz: Pietotor Locomortum
- Der Wald ("Ich öffne mich am Schluss") (VII)
- King's Cross (VII)
Mit unserer Auswahl kamen wir, trotz vieler Streichungen und Kürzungen, auf ein beachtliches Figurenensemble: Harry, Ron und Hermine, Molly und Arthur Weasley, Dumbledore, McGonagall, Slughorn, Snape, Sprout, Lockhart, Trelawney, Vernon und Petunia Dursley, Neville Longbottom, Cedric Diggory, Lupin, Lily und James Potter, Wurmschwanz, Voldemort, Quidditch-Kommentator - und ein Erzähler, der nicht nur die Szenen untereinander verbindet, sondern auch durch längere narrative Passagen den literarischen Charakter stärkt.
Dabei können Doppelrollen übernommen werden, in unserem Fall waren das etwa Sprout/Mrs. Weasley, Mr. Dursley/Wormtail, Mrs. Dursley/Daily Prophet und (aufgrund eines Ausfalls) Dumbledore/Lockhart/Quidditchkommentar. Wichtig und empfehlenswert erschien uns die Grundregel, dass Schüler_innen auch von Jugendlichen gelesen wurden.
Als Bühne diente uns ein langer Tisch, ständig dort waren nur die drei Hauptfiguren sowie der Erzähler, die anderen wechselten je nach Bedarf und gaben sich durch Namensschilder und einzelne Accessoires zu erkennen.
Der Bühnenraum war ein bisschen dekoriert: Neben dem Tisch stand ein Regal mit alten Büchern, vielen kleinen und großen Fläschchen, künstlichen Spinnweben und (Trommelwirbel!) einer ausgestopften Schneeeule (eine freundliche Leihgabe des hiesigen Jagdvereins), an die Wand hinter dem Tisch wurden außerdem wechselnde Hintergrundbilder projiziert, die die Stimmung der jeweiligen Szene aufnehmen und verstärkten sollten. Das konnten Fotos vom Filmset sein, aber auch ganz "normale" Landschaftsbilder. Im Raum verteilt waren noch Banner mit den Wappen der Häuser, zwischen denen zwei fast lebensgroße Dementoren herumgeisterten.
Das Drumherum und das Mittendrin
Am Eingang wurden die Besucher_innen mit heißem Butterbier empfangen (Rezept gibt es demnächst) - und vom Sprechenden Hut, der sie in die Häuser einteilte. Den Hut hatte uns eine unglaublich bastelbegabte und -freudige Dame aus der Gemeinde gestiftet (die auch lebensecht wirkende Alraunen herzustellen vermag!), ein etwas ummodellierter Hexenhut aus dem Karnevalsladen, in dem wir einen kleinen Bluetooth-Lautsprecher platzierten, über den dann das jeweilige Haus verkündet werden konnte (die entsprechenden MP3s hatten wir selbst aufgenommen und mithilfe von Freeware-Audioprogrammen ein bisschen aufgemotzt). Die Idee stammt übrigens von der Harry-Potter-Ausstellung, die natürlich rein zu Studienzwecken besucht werden musste. Beim Eintritt gab es einen entsprechenden Button, den eigentlichen Beginn der Veranstaltung markierte als Warming-Up das Umsetzen nach Häusern, die natürlich im Laufe des Abends auch gegeneinander antraten und Quizfragen beantworteten.
Zu Knabbern gab es Weingummischlangen, Schokoladenstäbchen, Lakritzstangen und natürlich Every Flavour Beans - wer hier noch kreativer sein will, wird im Internet unter Stichworten wie "Buffet Halloween" garantiert fündig.
Zu Knabbern gab es Weingummischlangen, Schokoladenstäbchen, Lakritzstangen und natürlich Every Flavour Beans - wer hier noch kreativer sein will, wird im Internet unter Stichworten wie "Buffet Halloween" garantiert fündig.
Zwischen den Szenen wurde Filmmusik live gespielt - auch hier konnten wir von dem unglaublichen Potenzial und Engagement vor der Haustür profitieren und durften "unserem" Stadtteilorchester, den Dellbrücker Symphonikern (für die an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich Werbung gemacht sei!), zuhören. Ohne Gemeindegesang geht es ja in einer evangelischen Kirche nicht, deswegen wurde das hübsche Stückchen "Double Trouble" (aus dem Film Der Gefangene von Azkaban, Noten finden sich relativ leicht im Internet) gemeinsam gesungen.
Daneben mussten die Zuschauer_innen gar nicht so einfache Quizfragen beantworten, an passenden Stellen konnte man anhand kurzer und prägnanter Vorträge in die etwas tieferen Deutungsschichten der Hogwarts-Heptalogie einsteigen, das ging von der Bedeutung ausgewählter Namen über, wie gesagt, die Frage nach der ethischen Einordnung von Liebestränken bis hin zu den starken theologisch-christologischen Motiven, die nicht nur den gesamten Plot durchziehen, sondern auch in Einzelszenen prägend wirken.
Von wegen Zielgruppe und so...
Für wen machen wir das eigentlich? Das wurden wir im Vorhinein nicht nur mehrfach gefragt, darüber mussten wir uns ja auch selbst Rechenschaft ablegen. Weil: "Für uns" wäre zwar eine ehrliche, aber dafür gemeindepädagogisch nicht ganz zufriedenstellende Antwort gewesen. Ach "für Jung und Alt" ist ja gemeindlich meist eine Chiffre für "wissen wir selbst nicht so genau", in unserem Fall hieß es "für alle, die auch nur annähernd so bekloppt sind wie wir." Dass das gar nicht so wenige waren, zeigte sich schon im Vorfeld, als so gut wie alle, die wir angefragt hatten, mit großer Begeisterung und einiger Selbstverständlichkeit ihre Bereitschaft zur Mitwirkung erklärten. Nebenbei: Ein Teil von dem großen Spaß, den wir bei der Vorbereitung hatten, bestand auch darin, uns die idealen Sprecher_innen für die verschiedenen Rollen vorzustellen...
Das Altersspektrum der Mitwirkenden rangierte so grob zwischen 15 und 65, bei den erfreulich zahlreichen Besucher_innen (die Kirche war gut voll) muss man die Statistik noch einmal deutlich nach unten korrigieren: Zu den aktivsten Mitgestaltenden des Abends gehörten eine ganze Reihe von Hardcore-Fans im Grundschul- bis Konfirmandenalter, die nicht nur auf jede (!) Quizfrage die richtige Antwort wussten, sondern auch während der Lesung lautstark mitdachten und sogar Plotschwächen und Widersprüche aufdeckten. Wir hatten vorher nicht mit so vielen jungen Zuschauenden gerechnet, und ihnen mit einer fast dreistündigen Lesung (Pause hin oder her) sicherlich auch einiges zugemutet. Die Erfahrung von gestern Abend zeigt aber: Es geht!
Das Altersspektrum der Mitwirkenden rangierte so grob zwischen 15 und 65, bei den erfreulich zahlreichen Besucher_innen (die Kirche war gut voll) muss man die Statistik noch einmal deutlich nach unten korrigieren: Zu den aktivsten Mitgestaltenden des Abends gehörten eine ganze Reihe von Hardcore-Fans im Grundschul- bis Konfirmandenalter, die nicht nur auf jede (!) Quizfrage die richtige Antwort wussten, sondern auch während der Lesung lautstark mitdachten und sogar Plotschwächen und Widersprüche aufdeckten. Wir hatten vorher nicht mit so vielen jungen Zuschauenden gerechnet, und ihnen mit einer fast dreistündigen Lesung (Pause hin oder her) sicherlich auch einiges zugemutet. Die Erfahrung von gestern Abend zeigt aber: Es geht!
Lokalspezifisch war sicherlich die (erwartete) Einsicht, dass ein kirchliches Projekt zu Harry Potter im landeskirchlichen Großstadtkontext Kölns keinerlei Anstoß erregt. Angesichts der häufig von evangelikaler und/oder rechtsfrommer Sicht vorgetragenen Kritik an allem, was mit Zaubersprüchen und fliegendem Besen zu tun hat, ist das vielleicht nicht überall zu erwarten.
Der gemeindepädagogische und sonstige Ertrag
Wie bei so vielen Gemeindeveranstaltungen liegt der direkte gemeindepädagogische Ertrag vor allem auf der Seite der Mitwirkenden: Menschen haben etwas davon, dass sie sich ehrenamtlich engagieren, auch über die beglückende Erfahrung, an einem gelungenen Projekt teilgenommen zu haben, hinaus. In unserem Fall war das zum Einen die gemeinsame Vorbereitung: Aus allen möglichen Bereichen der Gemeinde haben Menschen verschiedener Altersgruppen gemeinsam etwas erarbeitet. Sie haben sich auf diesem Wege von einer anderen Seite kennen gelernt - so etwas prägt in der Regel auch den weiteren Kontakt und damit das Klima der Gemeinde.
Zum Anderen konnten die Mitwirkenden Gaben und Talente einsetzen und/oder an sich entdecken, die im Alltag (auch im Gemeindealltag) nicht so zum Einsatz kommen - in manchen schlummerte offensichtlich ein ungeahntes Schauspieltalent. Das hätte man durch theaterpädagogische Elemente verstärken können, gleichzeitig hätte das vielleicht auch die Hemmschwelle eher erhöht - so ging es ja "nur" darum, "etwas zu lesen".
Faszinierend und ermutigend war auch die Erfahrung, dass Literatur, deren Wahrnehmung in ganz hohem Maße von den Bilderwelten und Umsetzungen in Hollywood-Blockbustern geprägt ist, immer noch offen ist für andere Arten der Inszenierung und Aneignung. Das hat irgendwie etwas zutiefst Demokratisierendes, und es zeigt auch, dass das Genre der "Lesung" Menschen begeistert. Wie gesagt, mit einer fast dreistündigen und trotz aller Auflockerungsversuche doch sehr anspruchsvollen Lesung haben wir den vielfach sehr jungen Zuschauerinnen einiges zugemutet. Und trotzdem war bis zum Schluss, trotz mancher empfindlich störender Mikrofongeräusche, die Atmosphäre extrem dicht, auch und gerade in den Szenen, in denen es buchstäblich ans Eingemachte ging, konnte man eine Stecknadel fallen hören.
Dazu gehörte auch die Erfahrung der Hochwertigkeit von im besten Sinne "Handgemachtem": Die Dekorationen, die Musik (neben den Kammersymphonikern spielte in einer Szene auch die Kirchenorgel eine Rolle), all das hatte etwas zutiefst Lebendiges. Und damit Wertvolles.
Ressourcen für alle, die es selbst einmal probieren wollen...
Dekoration und Drumherum
Man muss im Internet nicht lange suchen, um fündig zu werden - es gibt eine unglaubliche Menge großartiger Ideen und noch tollerer Umsetzungen. Wir haben besonders viel von hier übernommen:
Auch bei Deviantart gibt es einen riesigen Fundus an tollen (und unter common license verwertbaren) Grafiken.
Theologisches
Auch hier gibt es eine ganze Menge zu entdecken und zu lernen. Vielleicht vor allem bei und von Danielle Tumminio, die an der Universität Yale einen Grundkurs Theologie anhand von Harry Potter angeboten hat, den es mittlerweile auch in Buchform gibt. Viele kluge Gedanken von ihr gibt es auch so online, so gastbloggt sie mitunter auf dem tollen Portal The Hog's Head.
In Deutschland ist der in Bochum wirkende Matthias Frohmann eine Instanz der theologischen Harry-Potter-Forschung.
Das klingt alles sehr spannend. Die Links muss ich mir mal in Ruhe ansehen.
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