Montag, 12. Mai 2014

Von Amsterdam nach Athen und weiter nach Köln - Predigt über Apg 17,18-32

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Liebe Gemeinde, 
Vor fast einem Jahr war ich in Amsterdam. Mit einer Gruppe Pfarrerinnen und Pfarrern haben wir uns dort ermutigende Beispiele für kirchliche Arbeit angeguckt, Gemeinden, die neue Wege gegangen und eine Heimat für Menschen geworden sind, die mit Kirche nie etwas anfangen konnten. Wir haben viele tolle Projekte gesehen, große, blühende Gemeinden - aber die Gemeinde, die mich, wenn ich mit etwas Abstand zurückblicke, am Meisten berührt hat, war eine winzige Gemeinde, die in einem kleinen, etwas heruntergekommenen Ladenlokal ihre Räume hatte, die sie sich außerdem noch mit der Volkshochschule teilen musste. Für uns, Pfarrerinnen und Pfarrer aus Rheinland und Westfalen, waren das Zustände, die wir nicht gewohnt sind, und unter denen wir uns kaum vorstellen können, wie man da sinnvolle, gute Gemeindearbeit machen konnte. Aber wir alle hatten so eine Ahnung, dass es auch bei uns irgendwann einmal so sein könnte wie in den Niederlanden: Dass wir Kirchen verkaufen müssen, Mitarbeiter entlassen, dass wir an Orte kommen, an denen die Formen von Gemeindearbeit, die wir kennen und lieben, keine Chance haben. Das war die Erkenntnis, die die dortige Pfarrerin zu Beginn ihrer Arbeit hatte. Ihr Name ist Margrieta Reinders. Nett, sympathisch, ein bisschen verhuscht – und unglaublich neugierig auf die Menschen, die ihr begegnen. Sie erzählte, dass man in ihrer Gemeinde besonders gerne und besonders aufmerksam die Briefe von Paulus liest, sie sagt: Paulus hat an kleine, gefährdete, unsichere Gemeinden, an Gemeinschaften voller Pioniere geschrieben – und wir sind eine kleine, gefährdete, unsichere Gemeinde, und wir sind vielleicht in unserem Umfeld auch so etwas wie kleine Pioniere. 

Ich möchte das heute mit Ihnen und Euch heute auch tun, nachlesen: Was hat Paulus gesagt und getan? Und was können wir sagen und tun in einer Zeit, in der es für Menschen nicht mehr selbstverständlich ist, zur Kirche zu gehören? Der Predigttext aus der Apostelgeschichte, der für heute vorgeschlagen ist, ist in dieser Hinsicht echt interessant; es geht um Paulus, der mittlerweile in Europa angekommen ist. Wer das zuhause noch einmal nachlesen will – die Geschichte steht in Apg 17; es ist ein langer Text, und wir werden ihn gleich noch Stück für Stück durchgehen. 

Da trat Paulus vor die Ratsmitglieder und alle anderen, die zusammengekommen waren, und begann: »Bürger von Athen! Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid. Als ich nämlich durch die Straßen eurer Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, stieß ich auf einen Altar mit der Inschrift: ›Für einen unbekannten Gott‹. Ihr verehrt also ein göttliches Wesen, ohne es zu kennen. Nun, gerade diese euch unbekannte Gottheit verkünde ich euch. Meine Botschaft handelt von dem Gott, der die ganze Welt mit allem, was darin ist, geschaffen hat. Er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschen erbaut wurden. Er ist auch nicht darauf angewiesen, dass wir Menschen ihm dienen. Nicht er ist von uns abhängig, sondern wir von ihm. Er ist es, der uns allen das Leben und die Luft zum Atmen gibt und uns mit allem versorgt, was wir zum Leben brauchen. Aus einem einzigen Menschen hat er alle Völker hervorgehen lassen. Er hat bestimmt, dass sich die Menschen über die ganze Erde ausbreiten, und hat festgelegt, wie lange jedes Volk bestehen und in welchem Gebiet es leben soll. Mit allem, was er tat, wollte er die Menschen dazu bringen, nach ihm zu fragen; er wollte, dass sie – wenn irgend möglich – in Kontakt mit ihm kommen und ihn finden. Er ist ja für keinen von uns in unerreichbarer Ferne. Denn in ihm, dessen Gegenwart alles durchdringt, leben wir, bestehen wir und sind wir. Oder, wie es einige eurer eigenen Dichter ausgedrückt haben: ›Er ist es, von dem wir abstammen.‹ Wenn wir nun aber von Gott abstammen, dürfen wir nicht meinen, die Gottheit gleiche jenen Statuen aus Gold, Silber oder Stein, die das Produkt menschlicher Erfindungskraft und Kunstfertigkeit sind. In der Vergangenheit hat Gott gnädig über die Verfehlungen hinweggesehen, die die Menschen in ihrer Unwissenheit begangen haben. Doch jetzt fordert er alle Menschen an allen Orten zur Umkehr auf. Er hat nämlich einen Tag festgesetzt, an dem er durch einen von ihm bestimmten Mann über die ganze Menschheit Gericht halten und über alle ein gerechtes Urteil sprechen wird. Diesen Mann hat er vor aller Welt als den künftigen Richter bestätigt, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.« Als Paulus von der Auferstehung der Toten sprach, brach ein Teil der Zuhörer in Gelächter aus, und andere sagten: »Über dieses Thema wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt mehr von dir erfahren.« Damit endete die Anhörung, und Paulus verließ die Ratsversammlung. Doch einige Leute schlossen sich ihm an und kamen zum Glauben, so zum Beispiel Dionysios, ein Mitglied des Stadtrats, und eine Frau namens Damaris; und es gab noch andere, die zusammen mit diesen beiden an Jesus glaubten. I. Da trat Paulus vor die Ratsmitglieder und alle anderen, die zusammengekommen waren. 

Liebe Gemeinde, Paulus ist nicht ganz freiwillig vor den Rat getreten, das Ganze hat eine Vorgeschichte: Paulus ist schon einige Zeit in Athen, und er redet in den Synagogen mit den Leuten, aber ein paar Verse vorher steht auch: Auf dem Marktplatz unterhielt er sich Tag für Tag mit denen, die er dort antraf. Diese kleine Notiz finde ich unglaublich wichtig, und sie fordert mich gleichzeitig heraus, denn ich muss mich fragen: Wo bin ich eigentlich unterwegs, um mit den Menschen über den Glauben zu sprechen? Paulus geht dahin, wo die Menschen sind, wo Menschen unterwegs sind mit ihren Fragen, ihren Sehnsüchten, aber auch ihren Alltagsgeschäften. Und ich frage mich: Wo könnte das hier in Dellbrück sein? Und ein paar Leute wundern sich, und in der Stadt geht das Gerücht um, dass da jemand ist, der versucht, eine fremde Religion unter die Leute zu bringen. Und so bringt man Paulus auf den Areopag, ein großer Hügel mitten in Athen, auf dem der Stadtrat tagt. Und dort fragt man ihn: Was sind das eigentlich für komische Sachen, die Du da erzählst? Und alle Gespräche verstummen, und alle Augen richten sich auf ihn. 

Vielleicht haben Sie, habt Ihr das auch schon mal erlebt. Manchmal passiert das ja, weil es in unserer Gesellschaft immer weniger selbstverständlich wird, Mitglied einer Kirche zu sein – oder zumindest aktiv am Gemeindeleben teilzunehmen. Da kommt es vor, dass man auf einer Geburtstagsfeier oder im Kollegenkreis sitzt und nebenbei erwähnt: Am Sonntag gehe ich in die Kirche. Oder: Ich singe im Kirchenchor. Oder: Dienstags habe ich Konfirmandenunterricht. Und Menschen sind ganz erstaunt, und fragen vielleicht: Warum denn das? 

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In unserem Glaubenskurs, der jetzt schon fast zu Ende ist, gibt es einen festen Punkt, an dem viele Leute Spaß haben. Wir nennen das: Der heiße Stuhl. Den ganzen Abend über haben die Teilnehmer die Möglichkeit, jede Frage, die sie immer schon zum Thema Glauben oder Kirche oder Religion im Allgemeinen stellen wollten, auf einen Zettel zu schreiben und an die Pinwand zu heften. Und gegen Ende des Abends werden alle Zettel nach vorne geholt, und ein Pfarrer muss all diese Fragen innerhalb von zwei Minuten verständlich beantworten – das wird sogar mit Stoppuhr kontrolliert. Mir macht dieser Punkt auch Spaß, aber ich bin danach richtig kaputt – und ich weiß nicht, was am schwierigsten ist: Die Fragen an sich, denn alle Antworten habe ich auch nicht, oder die Zeitgrenze von zwei Minuten, oder die Aufgabe, die Frage verständlich zu erklären – Kürze und Klarheit sind ja nicht unbedingt die Tugenden, für die wir Pfarrer allgemein bekannt sind. 

Paulus wird auf den heißen Stuhl gesetzt, und er sagt: »Bürger von Athen! Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid. Als ich nämlich durch die Straßen eurer Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, stieß ich auf einen Altar mit der Inschrift: ›Für einen unbekannten Gott‹ 

Liebe Gemeinde, wir wissen nicht, ob es so einen Altar wirklich gegeben hat – bei allen Ausgrabungen in und um Athen hat man zumindest keinen gefunden. Aber ich glaube, zumindest im übertragenen Sinne trifft Paulus einen Nerv: Menschen sind auf der Suche, nach Sinn und Bedeutung, nach dem, was trägt, nach irgendetwas oder irgendjemandem, der ihnen sagt: Du bist gut - in den Straßen von Athen vor 2000 Jahren, und in Köln 2014. 

Bilder (c) blog.nn-online.de und sol.de/dpa


Mit dem Predigttext im Hinterkopf gehe ich über die Dellbrücker Hauptstraße. Einmal rauf, einmal runter. Gucke mir die Menschen an, die dort unterwegs sind. Am Postbank-Automaten an der Kemperwiese steht eine Schlange Menschen. Einer geht weg, blättert durch seine Kontoauszüge und lächelt zufrieden. Ein junge Frau, ein Kind auf dem Arm, eins im Kinderwagen, tippt hektisch ihre PIN-Nummer ein und wartet ungeduldig. Ihre Lippen bewegen sich leise, sie murmelt Unverständliches, während der Automat arbeitet, ihr Blick zuckt immer wieder nach oben, Richtung Decke. Oder dahinter. 

Im Buchladen ein ganzes Regal mit der Aufschrift: „Esoterik/Lebenshilfe“. Eine ganze Reihe Bücher, die meisten in bunten, hellen Farben: Erfolg und Ausdauer durch kosmische Energie – mit Übungsbuch und Gratis-Edelstein. // Astrologie für Gesundheitsbewusste – schlank und schön mit der Kraft der Sterne. // Wegbegleiter für jeden Tag – Engelkalender mit 52 Engelkarten. Dazwischen, passend, kleine Engels- oder Buddhastatuen. 

Ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass ihr außergewöhnlich religiöse Leute seid. Als ich nämlich durch die Straßen eurer Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, stieß ich auf einen Altar mit der Inschrift: ›Für einen unbekannten Gott‹. 

Liebe Gemeinde, mir fällt auf, dass Paulus diese Suche der Menschen nicht abwertet. Er sagt ihnen nicht: Das ist falsch. Auch, wenn er das bestimmt so sieht. Sondern er nimmt ihr Suchen, ihre Sehnsucht, ihre selbstgebastelten Antwortversuche ernst. Daran muss ich mich selbst erinnern. Ich gehe meistens sehr schnell und meist mit einem etwas geringschätzigen Blick an den Esoterikecken in den Buchläden vorbei, meistens riecht es da ja auch etwas penetrant nach Lavendel oder Patchuli. Aber ich mache mir selten Gedanken über die Menschen, die dort nach Antworten suchen. 

Paulus nimmt diese selbstgebauten Heiligtümer ernst – aber er bleibt nicht dabei stehen, sondern er sagt ganz vollmundig: Ich erkläre euch diesen unbekannten Gott. Und dann erklärt er. Meine Botschaft handelt von dem Gott, der die ganze Welt mit allem, was darin ist, geschaffen hat. […] Mit allem, was er tat, wollte er die Menschen dazu bringen, nach ihm zu fragen; er wollte, dass sie – wenn irgend möglich – in Kontakt mit ihm kommen und ihn finden. Und eine ganze Menge anderes sagt er, wir brauchen das nicht alles zu wiederholen, Ihr könnt es ja zuhause nachlesen. Aber: Er benutzt dabei Ausdrücke und Bilder, die nicht direkt aus der Bibel stammen, sondern aus dem Sprachgebrauch der Philosophie seiner Zeit, benutzt also Begriffe, die die Leute kennen, aber er füllt sie mit neuem Inhalt. Und an ganz zentraler Stelle sagt er: Keinem von uns ist Gott fern. 

Er spricht auch von Jesus Christus, allerdings ohne ihn beim Namen zu nennen, er sagt von ihm nur: Diesen Mann hat er vor aller Welt als den künftigen Richter bestätigt, indem er ihn von den Toten auferweckt hat. 

Und an der Stelle passiert etwas: Seine Zuhörerschaft zerstreut sich. 

Als Paulus von der Auferstehung der Toten sprach, brach ein Teil der Zuhörer in Gelächter aus, und andere sagten: »Über dieses Thema wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt mehr von dir erfahren.« Damit endete die Anhörung, und Paulus verließ die Ratsversammlung. 

Das kenne ich aus meiner Arbeit. Solange wir irgendwas allgemeines reden, von einem Gott, den es irgendwie gibt, einem höheren Wesen, das irgendwie allen nah ist, nicken die Menschen. Aber wenn es konkret wird, regt sich Widerstand, und Leute sagen: Naja, zu religiös wollen wir bitte doch nicht werden. Und mir macht das Mut, dass das bei Paulus nicht viel anders war. Die meisten drehen sich weg und gehen. Alle, bis auf eine Handvoll; unsere Geschichte endet mit einer kleinen Notiz, die oft übersehen wird: Doch einige Leute schlossen sich ihm an und kamen zum Glauben, so zum Beispiel Dionysios, ein Mitglied des Stadtrats, und eine Frau namens Damaris; und es gab noch andere, die zusammen mit diesen beiden an Jesus glaubten. 



Als wir unseren Glaubenskurs vorbereitet haben, haben wir über tausend Karten verschickt, die meisten handgeschrieben, mit einem persönlichen Gruß und einer Einladung. Als der erste Abend näher rückte, hatten wir sogar einen Plan B in der Tasche, hatten die Kirche aufgeheizt und vorbereitet – falls mehr als die dreißig Leute kommen würden, für die wir im Gemeindehaus Stühle gestellt hatten. Und wir warteten. Um kurz vor sieben war eine Person da, kurz darauf kamen noch vier andere. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde: Ich war nicht enttäuscht, nach all der Arbeit, nach der ganzen intensiven Vorbereitung im Team. Aber am Ende des Abends standen wir zusammen und blickten zurück auf einen interessanten und intensiven Abend, mit vielen persönlichen Gesprächen und spannenden Diskussionen. Und das hat eigentlich jeden unserer bisherigen Abende geprägt. 

Liebe Gemeinde, die kleine Gemeinde in Amsterdam trägt den stolzen Namen Heilig Vuur, heiliges Feuer. Und das, was Margrietha Reinders von ihrer Arbeit erzählt hat, und das, was in der Apostelgeschichte über die Erfahrungen von Paulus in Athen schreibt, das alles macht mir nochmal klar: Das heilige Feuer muss kein Flächenbrand sein. Es kann auch die Flamme sein, die in den Herzen von einzelnen entzündet wird, und die im persönlichen Gespräch von Mensch zu Mensch weitergegeben wird. Und dieses Gespräch, das müssen wir suchen, stärker als bisher. Denn auch eine kleine Flamme wärmt. Und macht das Leben heller. Und wer weiß, was sich daran noch alles entzündet. Amen.

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