Dienstag, 13. Mai 2014

"Nur" spielen? Von wegen! Ein nicht wenig neidischer Blick nach Schweden

(c) Sveriges radio

"Ich will doch nur spiel'n, uuhuuu", sang Annett Louisan im Jahr 2004. So charmant das Lied ist - mich stört das Wort "nur", das bemerkenswert oft im Zusammenhang mit Spielen verwendet wird und etwa zum Standardbeschwichtigungsrepertoire der Herrchen und Frauchen besonders kontaktfreudiger Hunde gehört. Auch in der Pädagogik fristet das Spiel mitunter noch ein verlegenes Schattendasein. Obwohl es seit geraumer Zeit verheißungsvolle Ansätze zu seiner Aufwertung gibt, rufen manchmal nach dem Konfirmandenunterricht noch empörte Eltern an, wenn sie den Erzählungen ihrer Sprösslinge entnehmen, man habe wieder einmal "nur gespielt".

Dass Kinder spielend lernen, ist altbekannt: Im bewährten Vatermutterkind werden tradierte Rollenmuster angeeignet und reflektiert und ein eigener Umgang damit erprobt. Ich weiß nicht, inwieweit moderne Patchworktfamilienstrukturen ihren Niederschlag im Kinderspiel finden, kann mich aber daran erinnern, dass mich meine Sandkastenliebe schon vor 25 Jahren ständig zum "Barbie lässt sich scheiden und bekommt das Haus und Ken muss zahlen"-Spielen genötigt hat. Möglich ist das also.

In der Religionspädagogik erfreut sich das Konzept des Godly play seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit, bei dem biblische Geschichten (unter durchaus beträchtlichem Materialaufwand) nachgespielt und angeeignet werden. Einige kritische Anfragen an Godly play, die sich abseits der üblichen Unkenrufe, die bei ganzheitlichen Methoden oft laut werden, bewegen, hat Horst Klaus Berg gestellt.  

In Schweden hat sich in den letzten Jahren eine andere Form Montessori-inspirierter religiöser Spielepädagogik etabliert, die mein Herz höher schlagen lässt: Über das Land verteilt bauen Gemeinden lekkyrkor, also "Spielkirchen" - kleine, aber voll ausgerüstete Kirchen in Gartenhäuschengröße, in denen Kinder spielerisch kirchliches Leben nachahmen und einüben können. Dazu gehören aufwändig gestaltete Messgewänder in Kindergröße, kniehohe Altäre und suppentellergroße Taufschalen. Die Kirchen werden, in der Regel unter großen Medienaufgebot, formell eingeweiht, meist ist sogar der zuständige Bischof oder die zukünftige Bischöfin zugegen, auf jeden Fall aber eine Miniaturausgabe - hier betreten die Spielkirchen historischen Boden, denn der Brauch des Kinderbischofs stammt aus der frühen Neuzeit und wird heute gelegentlich unter religionspädagogischen oder kinderemanzipatorischen Gesichtspunkten neu gepflegt. Auch die Idee der Spielkirchen ist nicht so neu, wie man meinen könnte; Maria Montessori selbst baute eine kindgerechte Kapelle in Barcelona 1915, Beschreibungen davon finden sich in ihren Büchern (z.B. in The Child in the Church). 


https://www.facebook.com/Lekkyrka/info
(c) St:a Katarina lekkyrka, Malmö

Eine etwas kleinere Variante halten manche Gemeinden in Form eines "Kinderaltarschrankes" (barnens altarskåp) bereit, in dem passende Messgewänder und gottesdienstliche Geräte darauf warten, in Gebrauch genommen zu werden. Das Spiel in und mit der Kirche wird dabei nicht komplett sich selbst überlassen, sondern religionspädagogisch begleitet - "Die Kirche steht nicht immer offen. Wenn man in die Spielkirche geht, zieht man die Schuhe aus und spielt ein Spiel oder liest aus der Kinderbibel. Ein bestimmtes Maß an Respekt vor dem Kirchenraum soll da sein", erklärt Gemeindepädagogin Annie Svensson anlässlich der Einweihung der Spielkirche in Växjö. Auf der Facebook-Seite der Spielkirche St:a Katarina in Malmö fasst man die Ziele der Einrichtung ebenso prägnant wie anregend zusammen:
A play church exists to let children play worship. It is a holy space on their terms, beautiful and dignified. An altar will be placed there, and a baptismal font, child sized, and liturgical vestments and things will be available. Everything to provide children with the tools to themselves draw close to God through our common liturgy.

Unterm Strich: Ich find's toll! Und würde solche Spielkirchen gerne auch in Deutschland sehen. Als ganzheitliche Würdigungen von Kindertheologie, aber auch als eine Möglichkeit, bei Planung und Bau einer Spielkirche viele Menschen aus dem Umfeld der Gemeinde mit einzubeziehen.

Wer sich weiter damit beschäftigen will - eine erste wissenschaftliche Untersuchung hat Elise Svensson 2012 in ihrer Examensarbeit an der Uni Uppsala vorgenommen, die online verfügbar ist, allerdings nur auf schwedisch. Kurse zum Spielkirchenbau wurden eine Zeitlang von Kastlösa stiftsgård auf Öland angeboten, wo auch 2003 die erste schwedische Spielkirche eröffnet wurde; leider wird diese Arbeit dort nicht mehr fortgesetzt. Wer ohnehin im Norden Urlaub macht, kann sich das gleich vor Ort angucken. Leider gibt es (noch) keine offizielle Liste mit allen Spielkirchen, die folgende Liste ist daher wahrscheinlich unvollständig:


Skåne, Blekinge:
Malmö (Slottsstaden/S:t Andreas): St:a Katarina lekkyrka
Mjällby (Mjällby församling): Lekkyrkan

Småland:
Traryd (Hinneryds församling)
Växjö (Växjö stads- och domkyrkoförsamling): Teleborgskyrkan und Skogslyckans lekkyrka

Öland (Borgholms församling)

Westküste:
Göteborg (Masthuggs församling): Masthuggskyrkans lekkyrka
Orust (Morlanda församling): http://www.svenskakyrkan.se/orust/lekkyrka

Norrland:
Umeå (Umeå landsförsamling): Grisbackakyrkan

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