Die Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz, dem
auch der evangelische Kirchenkreis angehört, hatte zur Gegendemo vor dem Barmer
Rathaus gerufen. Anlass war die angekündigte Kundgebung von Pro Deutschland,
die sich gesamtbergisch aufstellte und, wohl mangels Masse, zunächst in
Remscheid, dann in Wuppertal demonstrieren wollte. Wofür, wogegen – wer weiß
das schon, oder besser: Wayne interessiert’s. Eine knappe Stunde vor dem
geplanten Auftritt der braunen Brüder geben sich erste Vertreter beider Seiten
ein Stelldichein bei strahlendem Frühlingswetter. An der Drogeriekasse vor mir
ein Nazi, also so ein richtiger, wie in den guten alten Zeiten, als gewitztere
Rechtsüberholer sich noch nicht anzogen wie die Antifa: Bomberjacke, kahler
Schädel, Runentattoos auf dem Fingern. Er hält der Kassiererin einen Deoroller
entgegen und nöhlt: „Hamse den auch in sensitiv? Ich hab so empfindliche Haut.“
Na, wenn das der Führer wüsste. Draußen auf dem Alten Markt wiederum versammelt
sich die Autonome Linke oder wer auch immer, auf jeden Fall
demonstrationswillige Jugendliche in ebenfalls traditioneller Montur. Man
diskutiert aufgeregt durcheinander, gibt Schätzungen ab über die
Teilnehmendenzahl der Rechten und dergleichen. Irgendwann fährt sich eine mit
der Hand durch den türkisen Irokesenschnitt, stöhnt: „Ich brauch jetzt erstmal
einen Latte Macchiato“, und stapft Richtung Bäckerei. Es ist nicht wie früher.
ES IST NICHT WIE FRÜHER
„Es ist nicht wie früher“, stellen wir auch fest, als wir, wackere
Vertreter_innen der Gemeinde mit Anhang, uns brüder- und schwesterlich eine
noch schnell eingekaufte Packung Ohropax teilen. Sagt mir, was ihr rumgebt, und
ich sage euch, wie alt ihr euch fühlt. Es ist aber auch laut mit all den
Trillerpfeifen, die ein netter Mensch kurz vorher gratis verteilt hat. Meine
ist knallpink, und die Kolleg_innen sind neidisch. Laut ist sie auch. Also die
Pfeife. Die Kolleg_innen nicht minder – gut so. Ohnehin ist es laut im Kreise
der Demonstrierenden, es wird gepfiffen, was das Zeug hält, und zwischendurch
geschrien. Das macht Stimmung, aber sie ist eine andere als zum Beispiel beiden großen Demos in Köln. „Also, in Köln war immer auch Musik“, quengele ich ein
bisschen, auch auf Facebook. Ein Presbyter meint dazu lakonisch: „Wir in
Wuppertal sind halt ein etwas pietistisch.“ Ist ja auch gut so. Die Fähigkeit,
jede Gelegenheit in einen Karneval zu verzaubern, ist trotzdem nicht zu
verachten.
Plötzlich schwillt das Pfeifkonzert an. Über den Köpfen der
vor mir stehenden sehe ich weiße spitze Hauben. Der Ku-Klux-Klan, schnellt es
durch den Kopf, aber es sind nur die Spitzen eines Pavillons, der gerade von
der selbsternannten Bürgerbewegung aufgebaut wird. Auch das erscheint mir
typisch bergisch: Es gibt einen Infostand. Eine Mitdemonstrantin sagt
ungläubig: „Bah…“, und macht dabei ein Gesicht, als habe sie etwas sehr
Ekelhaftes gesehen. Hat sie auch, ProDingsbums hat soeben ein Plakat entrollt: „Rapefugees
not welcome“. Bäh.
BIZARRE BILDER MIT POLIZEILICHEM IMPRIMATUR
Die Botschafter aus braunen Tiefen bieten ein bizarres Bild.
Da stehen die üblichen Verdächtigen, verlorene Gestalten in Klamotten, von
denen Ottonormalverbraucher wahrscheinlich gar nicht weiß, wo man sie bekommt –
Bomberjacken, Armeegedöns. Bierpullen in der Hand, und man sieht förmlich, wie
sie riechen. Bemerkenswert viele (so man bei dem Häufchen überhaupt von „viel“
sprechen kann) Frauen sind dabei, unter anderem eine ältere, offensichtlich gut
situierte Dame, die ihren Nerz spazieren führt, sich angeregt mit einem der
Rädelsführer unterhält und irgendwann, und das ist einer der bizarrsten Momente
des Tages, anfängt zu tanzen. Überraschend sind die Koalitionen, die hinter dem
Antikrawallzaun zu sehen sind. Einträchtig stehen Anzugträger und Pelzdame
neben all denen, von denen sie sich sonst tunlichst fernhalten. Wer Augen hat
zum Sehen, der sehe!
Nicht nur rein farblich sticht ein grobschlächtiger Mensch
in orangefarbenem Kapuzenpulli hervor: Mehrfach hebt er die Hand zum „deutschen
Gruß“, merkwürdig unbelästigt von den zwanzig, dreißig oder auch vierzig
Ordnungshütern, die die großflächig abgesperrte Demonstrationsfläche säumen.
Überhaupt macht die Polizei das Bild noch schräger, als es ohnehin schon ist:
Direkt hinter den Demonstranten, am Durchgang zwischen Rathausplatz und
Heubruch, stehen zwei Hundertschaftswagen. Ein, zwei Demonstranten lehnen sich
lässig an die Einsatzfahrzeuge. In Köln durften die das nicht – die Stadt
Wuppertal sollte sehr darauf achten, was für Bilder sie hier produziert. Von
Weitem sieht das nämlich ganz so aus, als unterstütze die Polizei das, was hier
passiert, wofür die braune Meute steht. Vor dem Rathaus, in dem Johannes Rau dereinst residierte.
Mit Ruhm bekleckert sich die Polizei auch nicht, als eine
Mitdemonstrantin einen brandzwiebackpackungsgesichtigen Wachtmeister aufgeregt
auf den gleich mehrfach gezeigten Hitlergruß aufmerksam macht. „Ich kann ja
weder etwas sehen, noch etwas machen, solange Sie hier stehen und mich
anschreien“, ist seine (sinngemäße) Antwort. Es muss erst ein weiterer
Mitdemonstrant auf ihn einreden, und es muss es ihm erst gesagt werden, dass es
sich bei diesem Mitdemonstranten um den Oberbürgermeister Andreas Mucke
handelt, bis man tätig wird. Allerdings wird der Hitlergrüßende nicht
verhaftet, wie die WZ noch am Nachmittag meldete; die Polizei beschränkt sich
darauf, seine Personalien aufzunehmen. Die ganze bizarre Situation ist übrigens auch auf Video gebannt:
Irgendwann versinkt die ansonsten unpassend strahlende Nachmittagssonne hinterm Rathaus. Die Versammlungen lösen sich auf. Übrig bleibt Ratlosigkeit. Und ein ganz und gar nicht guter Gesamteindruck. Auf der Facebookseite der WZ schreibt eine Leserin: „In Wuppertal läuft gewaltig etwas schief.“ Und, wie wir spätestens seit der Hessenwahl wissen, in Deutschland überhaupt.
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