Dienstag, 8. März 2016

Hitlergrüße und Ratlosigkeit - Demonstrieren im Bergischen



Die Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz, dem auch der evangelische Kirchenkreis angehört, hatte zur Gegendemo vor dem Barmer Rathaus gerufen. Anlass war die angekündigte Kundgebung von Pro Deutschland, die sich gesamtbergisch aufstellte und, wohl mangels Masse, zunächst in Remscheid, dann in Wuppertal demonstrieren wollte. Wofür, wogegen – wer weiß das schon, oder besser: Wayne interessiert’s. Eine knappe Stunde vor dem geplanten Auftritt der braunen Brüder geben sich erste Vertreter beider Seiten ein Stelldichein bei strahlendem Frühlingswetter. An der Drogeriekasse vor mir ein Nazi, also so ein richtiger, wie in den guten alten Zeiten, als gewitztere Rechtsüberholer sich noch nicht anzogen wie die Antifa: Bomberjacke, kahler Schädel, Runentattoos auf dem Fingern. Er hält der Kassiererin einen Deoroller entgegen und nöhlt: „Hamse den auch in sensitiv? Ich hab so empfindliche Haut.“ Na, wenn das der Führer wüsste. Draußen auf dem Alten Markt wiederum versammelt sich die Autonome Linke oder wer auch immer, auf jeden Fall demonstrationswillige Jugendliche in ebenfalls traditioneller Montur. Man diskutiert aufgeregt durcheinander, gibt Schätzungen ab über die Teilnehmendenzahl der Rechten und dergleichen. Irgendwann fährt sich eine mit der Hand durch den türkisen Irokesenschnitt, stöhnt: „Ich brauch jetzt erstmal einen Latte Macchiato“, und stapft Richtung Bäckerei. Es ist nicht wie früher.


ES IST NICHT WIE FRÜHER



„Es ist nicht wie früher“, stellen wir auch fest, als wir, wackere Vertreter_innen der Gemeinde mit Anhang, uns brüder- und schwesterlich eine noch schnell eingekaufte Packung Ohropax teilen. Sagt mir, was ihr rumgebt, und ich sage euch, wie alt ihr euch fühlt. Es ist aber auch laut mit all den Trillerpfeifen, die ein netter Mensch kurz vorher gratis verteilt hat. Meine ist knallpink, und die Kolleg_innen sind neidisch. Laut ist sie auch. Also die Pfeife. Die Kolleg_innen nicht minder – gut so. Ohnehin ist es laut im Kreise der Demonstrierenden, es wird gepfiffen, was das Zeug hält, und zwischendurch geschrien. Das macht Stimmung, aber sie ist eine andere als zum Beispiel beiden großen Demos in Köln. „Also, in Köln war immer auch Musik“, quengele ich ein bisschen, auch auf Facebook. Ein Presbyter meint dazu lakonisch: „Wir in Wuppertal sind halt ein etwas pietistisch.“ Ist ja auch gut so. Die Fähigkeit, jede Gelegenheit in einen Karneval zu verzaubern, ist trotzdem nicht zu verachten. 


Plötzlich schwillt das Pfeifkonzert an. Über den Köpfen der vor mir stehenden sehe ich weiße spitze Hauben. Der Ku-Klux-Klan, schnellt es durch den Kopf, aber es sind nur die Spitzen eines Pavillons, der gerade von der selbsternannten Bürgerbewegung aufgebaut wird. Auch das erscheint mir typisch bergisch: Es gibt einen Infostand. Eine Mitdemonstrantin sagt ungläubig: „Bah…“, und macht dabei ein Gesicht, als habe sie etwas sehr Ekelhaftes gesehen. Hat sie auch, ProDingsbums hat soeben ein Plakat entrollt: „Rapefugees not welcome“. Bäh. 

BIZARRE BILDER MIT POLIZEILICHEM IMPRIMATUR



Die Botschafter aus braunen Tiefen bieten ein bizarres Bild. Da stehen die üblichen Verdächtigen, verlorene Gestalten in Klamotten, von denen Ottonormalverbraucher wahrscheinlich gar nicht weiß, wo man sie bekommt – Bomberjacken, Armeegedöns. Bierpullen in der Hand, und man sieht förmlich, wie sie riechen. Bemerkenswert viele (so man bei dem Häufchen überhaupt von „viel“ sprechen kann) Frauen sind dabei, unter anderem eine ältere, offensichtlich gut situierte Dame, die ihren Nerz spazieren führt, sich angeregt mit einem der Rädelsführer unterhält und irgendwann, und das ist einer der bizarrsten Momente des Tages, anfängt zu tanzen. Überraschend sind die Koalitionen, die hinter dem Antikrawallzaun zu sehen sind. Einträchtig stehen Anzugträger und Pelzdame neben all denen, von denen sie sich sonst tunlichst fernhalten. Wer Augen hat zum Sehen, der sehe! 




Nicht nur rein farblich sticht ein grobschlächtiger Mensch in orangefarbenem Kapuzenpulli hervor: Mehrfach hebt er die Hand zum „deutschen Gruß“, merkwürdig unbelästigt von den zwanzig, dreißig oder auch vierzig Ordnungshütern, die die großflächig abgesperrte Demonstrationsfläche säumen. 
Überhaupt macht die Polizei das Bild noch schräger, als es ohnehin schon ist: Direkt hinter den Demonstranten, am Durchgang zwischen Rathausplatz und Heubruch, stehen zwei Hundertschaftswagen. Ein, zwei Demonstranten lehnen sich lässig an die Einsatzfahrzeuge. In Köln durften die das nicht – die Stadt Wuppertal sollte sehr darauf achten, was für Bilder sie hier produziert. Von Weitem sieht das nämlich ganz so aus, als unterstütze die Polizei das, was hier passiert, wofür die braune Meute steht. Vor dem Rathaus, in dem Johannes Rau dereinst residierte.


Mit Ruhm bekleckert sich die Polizei auch nicht, als eine Mitdemonstrantin einen brandzwiebackpackungsgesichtigen Wachtmeister aufgeregt auf den gleich mehrfach gezeigten Hitlergruß aufmerksam macht. „Ich kann ja weder etwas sehen, noch etwas machen, solange Sie hier stehen und mich anschreien“, ist seine (sinngemäße) Antwort. Es muss erst ein weiterer Mitdemonstrant auf ihn einreden, und es muss es ihm erst gesagt werden, dass es sich bei diesem Mitdemonstranten um den Oberbürgermeister Andreas Mucke handelt, bis man tätig wird. Allerdings wird der Hitlergrüßende nicht verhaftet, wie die WZ noch am Nachmittag meldete; die Polizei beschränkt sich darauf, seine Personalien aufzunehmen. Die ganze bizarre Situation ist übrigens auch auf Video gebannt:



Irgendwann versinkt die ansonsten unpassend strahlende Nachmittagssonne hinterm Rathaus. Die Versammlungen lösen sich auf. Übrig bleibt Ratlosigkeit. Und ein ganz und gar nicht guter Gesamteindruck. Auf der Facebookseite der WZ schreibt eine Leserin: „In Wuppertal läuft gewaltig etwas schief.“ Und, wie wir spätestens seit der Hessenwahl wissen, in Deutschland überhaupt.

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