Donnerstag, 8. August 2013

Der Sommer ohne Loch

Der Sommer 2013. Ein Sommer ohne Loch, irgendwie. Natürlich gibt es die jahreszeitenüblichen Meldungen über Rosenkriege der C-Prominenz, entlaufene Heimtiere und dergleichen, aber immer drängt etwas nach, das die Urlaubszeit stört: Ägypten. NSA. Und jetzt Olympia. Genauer gesagt: Die geplanten Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi am Schwarzen Meer. 

Auslöser der Kontroverse ist die jüngst verschärfte Anti-LGBT-Gesetzgebung in Russland, die "Homosexuellen-Propaganda" und damit etwa die Vermittlung wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse über sexuelle Identitäten im Schulunterricht verbietet. Eine kulturell bedingte und nun leider auch juristisch verfestigte Manifestation eines Feinrippunterhemdenmachísmo, der sich der auch der theologischen Unterstützung der Nationalkirche sicher sein kann. 

Der olympische Gedanke verleitet manchmal zu sympathischen, aber utopisch anmutenden Träumereien: So glaubte man doch für kurze Zeit, Sotschi könnte zumindest für die Dauer der Spiele ein Hort der Toleranz sein. Dass dem nicht so sein wird, dürfte zwar betrüben, aber kaum überraschen.

Kurzer Szenenwechsel: Im Rahmen der diesjährigen Jugendfreizeit unserer Gemeinde nach Spanien, von der hier noch das eine oder andere zu lesen sein wird, haben wir eine Tour nach Barcelona gemacht. Am dortigen Estadi Olímpic de Montjuïc, dem Austragungsort der Sommerspiele 1992, brachte uns der Fremdenführer eine weitgehend vergessene Episode der Sportgeschichte in Erinnerung: Zur Weltausstellung 1929 erbaut, sollte das Stadion 1936 auch die Hauptarena der geplanten Volksolympiade werden, einer Gegenveranstaltung zu den Sommerspielen in Nazi-Deutschland, die durch den Militärputsch ein jähes Ende fand. 

Die Parallele zwischen Berlin 1936 und Sotschi 2014 hat gestern Stephen Fry in einem offenen Brief an David Cameron und das IOC gezogen, und sicherlich ist das Schwingen der Nazikeule argumentativ unfair und historisch zweifelhaft, es ist aber kaum weniger sachlich als Schröders legendäres Gefasel vom lupenreinen Demokraten. Wobei: Undemokratisch ist gerade das Anti-Propaganda-Gesetz nicht; laut einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts WZIOM unterstützen 88 Prozent der Befragten das Gesetz.

Vielleicht ist es wieder einmal Zeit für einen Boykott. Das an sich ist in der Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit nichts Unbekanntes, und auch im Blick auf Sotschi sind prominente Stimmen laut geworden, die von einer deutschen Teilnahme abraten. Gerade vor dem Hintergrund der erst vor wenigen Wochen unterzeichneten Berliner Erklärung, in der sich hochrangige Sportfunktionäre "für ein aktives Vorgehen gegen Homophobie auf allen Ebenen des Sports" aussprechen, bekommt die Frage Brisanz als Prüfstein, wie ernst es mit solchen vollmundigen Erklärungen dann de facto ist. 

Warum jetzt das Ganze bei den Kirchengeschichten? Ganz einfach: Ich würde gern ein Statement der Kirche dazu hören. Spätestens seit dem EKD-Familienpapier dürfte auch dem Letzten klar sein, dass auch wir aus russischer oder ähnlicher Sicht zu jener regenbogenfarbenen Achse des Bösen gehören, die "nicht-traditionelle sexuelle Orientierungen" nicht nur akzeptiert, sondern geradezu "propagiert".

Immerhin unterhalten EKD und Gliedkirchen offizielle Sportbeauftragte, deren Aufgabe nicht nur darin besteht, die x-te Andacht zu 1. Korinther 9,24-27 oder anderen Bibelstellen, in denen Menschen rennen, springen oder etwas werfen, zu halten. In einer Pressemitteilung vom 5. März dieses Jahres heißt es: 
Die Toleranz findet ihre Grenze in Kirche und Sport dort, wo das Leben und die Würde anderer Menschen missachtet und gefährdet werden. Die so genannte „Null-Toleranz-Politik“ muss es geben u. a. bei sexueller und körperlicher Gewalt, Doping und Diskriminierung. Hier ist es Aufgabe der Kirche und des Sports, die Stimme zu erheben und die Verletzung der Würde und den Missbrauch der Freiheit zu verurteilen.
Kirche und Sport verwirklichen bereits in vielen Bereichen eine inklusive und integrative Gemeinschaft im Sinne der bunten Gnade Gottes. Dies auszubauen und zu intensivieren ist ein vorrangiges Ziel, das sich Kirche und Sport gesetzt haben. Auf diese Weise entwickeln sie eine Haltung gegenüber Anderen und Fremden, die Toleranz im Sinne einer Kultur der Anerkennung lebt und vorlebt.
Jetzt ist die Zeit, dafür einzutreten. Und zum Beispiel mit der Russisch-Orthodoxen Kirche einen ernsten Dialog über das Verhältnis von Kirche und Staat oder über Galater 3,26-28 oder 1. Korinther 12,22-24 zu führen. Und die hemmungslose Ökonomisierung, die "menschenrechtsverachtende Geschäftemacherei" (Cicero) des Profisports durch FIFA, IOC und andere Großverbände anzuklagen. Und betroffenen Athletinnen und Athleten bei ihrem Entscheidungsprozess seelsorglich beizustehen. Und mit dem Vorurteil aufzuräumen, Religion habe, wie der Sport, nichts mit Politik zu tun.

Ein Sommer ohne Loch. In der Kirchengeschichte heißt so etwas status confessionis. Also ran.

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