Montag, 17. Februar 2014

Sola Gratia

Es ist später Abend. Beißend kalter Wind schneidet durch Luft, Kleider und Glieder, schießt nadelspitze Regentropfen in jeden Winkel. Autos rasen vorbei, ein Lichtkegel, quietschende Reifen, eine Pfütze springt mir entgegen, klammert sich an mir fest, läuft mir langsam die Beine hinunter. Ein schwarzer Spalt zwischen zwei Häusern, eine kleine Gasse, ohne Namen, ohne Straßenlaternen. Ein kurzes Zögern, den Kragen hochgeschlagen, dann ein paar schnelle Schritte. Um die scharfkantige Ecke, um abgeblätterten Putz und verwaschenes Graffiti herum, hinein in das Dunkel der Gasse. Dann, endlich, das Haus. Unscheinbar, abgeklebte Fensterscheiben, weißblau flackernde Leuchtschrift, elektrisches Summen in unruhigen Intervallen. H… bsss… I… bss… M… und aus. Zwischen umgestürzten Mülltonnen eine Treppe, ein paar Stufen hoch. Glitschig, schwarzer Asphalt, steil. Mein Atem ein paar Stöße weißer Wolken. Eine schwere Eisentür, einen schwarze, glatte Wand. Der Wind sticht in den Augen. Wo ist die Klingel? Ich hebe den nassschweren Arm, poche leise, noch einmal, härter. Steif gefrorene Fingerknöchel zerspringen am kalten Metall, rutschen ab, noch einmal. Nichts. „Ähm“, mache ich. Nichts. „Meine Freunde sind schon drin“, versuche ich, etwas lauter, etwas schneller, damit der Wind meine Worte nicht auf halbem Weg packen und wegreißen kann. Nichts. „Verstehen Sie mich? Do you understand me? Ich muss da rein.“ Nichts. Ich mache kurz die Augen zu, atme tief ein, hinter der Tür höre ich leise Musik und Lachen. Ich will rein. Baue mich auf, ziehe mich hoch, mache meine Stimme tief und erwachsen: „Ich kenne den Chef. Ihr lasst mich besser rein.“ Zücke mein Handy und halte es hoch, falls mich irgendjemand durch eine Kamera beobachtet. „Ich kann auch anrufen“, drohe ich, „dann wird es ungemütlich!“ Nichts. Stecke das Handy in die Tasche, hole einen Schein raus. „Okay“, lenke ich ein. „Wieviel?“ Nichts. Gebe mich loyal. „Da kann man doch irgendwas machen. Hey, komm, ich bin wer weiß wie lange durch den Regen gelaufen… Ich will einfach nur rein, ein bisschen Spaß haben, ich mach bestimmt keinen Ärger.“ Nichts. Lautes Lachen von drinnen, Musik, dann wieder von der Straße quietschende Reifen. Ich schlage mit den Armen aus, lache gekünstelt. „Sesam, öffne dich“, rufe ich halb im Scherz, halb verzweifelt. „Komm jetzt, ich unterschreibe auch Eure Mitgliedskarte oder was auch immer ich tun muss.“ Nichts. Regen fällt mir auf den Kopf, macht ihn schwer, tropft runter auf meine Schultern, zieht sie nach unten, nimmt mich mit. Ich lasse mich auf die Stufe fallen, kalter, harter Beton. Über meine Schulter hinweg gucke ich zur Tür. „Ist egal, was ich tue, oder?“ frage ich leise vor mich hin. „Ich kann Männchen machen, soviel ich will, das bringt mich nicht rein, oder?“ Drehe mich weg, stehe langsam auf, mein Fuß tastet nach der nächst tieferen Treppenstufe. „Nein.“, sagt eine Stimme hinter mir. Eigentlich gar nicht unsympathisch, aber das ist jetzt auch egal. Mein Fuß sackt auf die nächste Stufe. Eine Hand berührt mich an der Schulter. Langsam drehe ich mich um. Eine Gestalt ist aus der Tür herausgetreten, steht mit mir im Regen, im Wind, in der Kälte. Hinter ihm, der Türrahmen und was dahinter ist, ein leuchtendes, goldenes Viereck, Wärme flutet ins Nasse, streichelt mir ins Gesicht, Lachen, Musik, Gesprächsfetzen flattern aus der Tür und tanzen um meinen Kopf. „Die Tür geht nur von innen auf“, erklärt er, fast entschuldigend. „Aber ist jetzt auch egal. Kommst du?“ Er hält mir die Hand hin. Für einen kurzen Moment zögere ich, sehe ich einen Fleck in seiner Handfläche, wie eine Narbe, dann legt sich meine Hand in seine. Seite an Seite gehen wir zur Tür, ich bleibe kurz stehen, sehe Gestalten innen drin, fröhlich, sauber, edel, strahlend und gucke meine nassen Jeans hinunter auf meine matschigen Schuhe. „Handtücher gibt’s drinnen“, sagt er und nickt mir zu: „Wenn einer fragt, sag einfach, du gehörst zu mir“, sagt er und zieht mich über die Schwelle rein ins Warme. 

(c) Andrea Damm / pixelio.de

1 Kommentar:

  1. Sola Gratia, die nur von innen zu öffnende Stahltür. Ein gutes Bild, und atmosphärisch gut vorbereitet und eingebettet mit einem spannenden Kurzfilm im Kopfkino.

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