Dienstag, 10. Juni 2014

Mitgliederwerbung bei Kirchens?

Das Drollige am Cartoonszeichnen ist ja, dass die Wirklichkeit einen manchmal rechts und links überholt. So wie neulich: Da sitze ich so da und überlege, schon seit längerer Zeit, an irgendwelchen Ideen zum Thema "Mitgliedschaft", "Finanzen", "Verwaltungsstrukturreform" und dergleichen herum. Und dann kommt sowas:


Die evangelische Kirchengemeinde Lechenich im beschaulichen Erftstadt verspricht denjenigen Mitgliedern Prämien, die ihrerseits Mitglieder werben. Drauf gestoßen hat mich ein Radiofeature (mp3 hier), das ich zunächst für eine gar nicht mal so schlechte Satire hielt. Wirft man einen Blick auf die Website der Gemeinde, dann stellt man fest: Die machen das echt! Und die ADACesque Aufmachung ist alles andere als Zufall, denn, so erklärt der zuständige Kollege:
Wir sind Kirche Jesu Christi und leben aus dem Glauben, sagen Sie? Wir sind doch nicht beim ADAC, entrüsten Sie sich? Aber warum nicht von dem Automobilclub lernen? Schließlich hat der mit seinen ‚gelben Engeln' auch erst einmal eine Anleihe im Religiösen aufgenommen. Und ist damit ziemlich erfolgreich! Auch ich zahle meinen Mitgliedsbeitrag beim Club. Nicht weil ich in allem der unbedingten und umweltschädigenden Mobilität huldige, und auch nicht weil ich überzeugter Automobilist bin. Sondern ich will die Serviceangebote des Clubs nutzen. So verschieden sind Club und Kirche gar nicht. Beide stellen ihren Mitgliedern viele Angebote zur Verfügung. Beide sind dazu auf Mitgliedsbeiträge angewiesen. Beide sind zur Stelle, wenn's mal nicht richtig läuft. Beide beanspruchen öffentliches Interesse für ihre Anliegen. Beide wollen eine Solidargemeinschaft bilden.
Hm-hm. Ich finde es ja mehr als mutig, nach den ganzen Skandälchen der letzten Monate überhaupt irgendetwas vom Stapel zu lassen, das irgendwie an den ADAC erinnern könnte. Zumal ich diese Idee mit den "gelben Engeln" seit jeher bescheuert finde. Aber, vielleicht ist das in Lechenich anders und die Leute stehen auf solche Vergleiche, who knows? Hoffentlich die Verantwortlichen!

Die abzugreifenden Prämien sind mit Fantasie und Liebe ausgesucht und mit Verslein aus der Bibel und der Kirchengeschichte garniert, ein paar davon würde ich sogar selbst nehmen. Bis auf die Espresso-Kaffeemaschine. Erstens mag ich keinen Kaffee, zweitens finde ich die Kapselautomaten aus umweltethischer Sicht bedenklich (von wegen Aluminium und Plastik und so). Vielleicht unbewusst gelingt der Gemeinde auch ein gekonnter Rekurs auf die Geschichte im Jubiläumsjahr des Weltkriegsausbruchs: Das vermeintliche Lutherzitat ("Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen") stammt nicht von Luther persönlich, sondern wurde im Ersten Weltkrieg, möglicherweise um das kriegs- und krisengebeutelte Lutherjahr 1917 herum, als patriotische Durchhalteparole kolportiert und Luther untergeschoben. Aber wer wird denn da kleinlich sein.

Im Radiointerview (nochmal: hier) erklärt der zuständige Pfarrer den erwarteten gemeindepädagogischen Mehrwert, denn "wer ein neues Mitglied werben will, muss argumentieren und Vorteile benennen können", schließlich musste sich, so der Reporter, die Gemeinde erst selber über gute Gründe für eine Kirchenmitgliedschaft im Klaren werden.
"Diese sieben Gründe für eine Mitgliedschaft in einer Sprache auszudrücken, die Menschen nicht abschreckt, sondern die kurz und präzise auf den Punkt bringt, worauf es uns ankommt... das haben wir so in den Vorgaben im Internet und in kirchlichen Verlautbarungen nirgends gefunden."
So eine Ansage macht natürlich neugierig auf das, was am Ende rausgekommen ist. Die sieben Gründe, die sich die Kollegen da aus den Rippen geschnitten haben, stehen dankenswerter Weise auch gleich auf dem Flyer mit drauf:


Ich muss sagen: Diesen ekklesiologischen Sommerschlussverkauf finde ich das eigentlich Bestürzende an der Aktion, oder, etwas sachlicher gesagt: Es ist aus theologischer Sicht nicht unproblematisch, wenn Kirche für sich selbst wirbt - noch dazu und gerade unter Verzicht auf alle theologischen oder christologischen Kategorien. Denn Kirche ist nun mal kein Selbstzweck, auch wenn wir selbst immer wieder gern so tun. Mein atheistischer Nachbar fragte nach probeweiser Lektüre des Flyers erstaunt: "Warum schreiben die denn nichts von Gott? Das ganze Andere kriege ich doch in allen Vereinen auch?" Ich kann dem nichts hinzufügen, geschweige denn entgegnen. Und so arg innovativ sind die Begründungen auch nicht, immer mal wieder kommen vorzugsweise Landeskirchen auf die Idee, kurz und bündig und peppig und griffig und sonstwie die Vorteile einer Kirchenmitgliedschaft (oder des Christseins? Who f*** knows...?) zusammen zu fassen, ob es jetzt sieben Merksätze sind oder zehn (Württemberg) oder gar zwölf (EKD). Solche Versuche bewegen sich meist anmutig tänzelnd zwischen Originalität, bodenständiger Nachvollziehbarkeit, pausbäckiger Banalität, ranwanzender Übergriffigkeit und schierer Dämlichkeit hin und her, aber meist scheint es ja doch um Klärungsprozesse nach Innen zu gehen. Von daher - wenn's der Wahrheitsfindung dient...

Nun denn, unterm Strich? Ich finde die Aktion nicht ganz so verwerflich wie vielleicht so manch Anderer. Ich finde die Umsetzung problematisch - aber ich freue mich über eine Gemeinde, die sich von der demografischen Entwicklung nicht einschüchtern lässt wie das Kaninchen von der Schlange. Und ich warte auch auf Antworten auf die Frage, die der Lechenicher Kollege seinen Kritikern entgegen hält:
Vielleicht haben Sie dann andere Ideen, wie wir dem Schwund unserer Gemeinde entgegenwirken können.
Ich bezweifle stark, dass das mit der ADAC-Masche funktioniert. Aber ich finde den Versuch charmant, traditionell pietistisch-evangelikale Gemeindeaufbaustrategien (Volksmission und so) in andere Bilderwelten zu überführen. 

Was sagt Ihr?

3 Kommentare:

  1. Vielleicht sollten sie mal Gemeinden besuchen, bei denen Menschen kommen und nicht gehen und sich fragen, ob nicht genau solche völlig belanglosen und nichts-sagenden Flyer dazu führen, dass sich die Menschen entweder vor den Kopf hauen und weinen oder laut lachen, aber bestimmt nicht die Kirche ernst nehmen. Ich finde ein typisches Zeichen von "Speerspitze der Säkularisierung" sein, wie es in den 60ern mal aufkam. Manchmal frag ich mich ernsthaft, ob seitdem theologisch nichts mehr in der Kirche angekommen ist. Wir verkaufen, was sowieso schon alle kennen und ich auch im Fußballverein mit meinen Jungs nach dem Spiel mit nem Bier klären kann. Am Besten finde ich dann aber immer, das man bloß nicht von Mission reden darf, obwohl genau das hier doch so ein Versuch ist. Nur eben mit Verzicht auf das, was Gemeinschaft der Glaubenden im Kern ausmacht. Gibt es denn sonst nichts, von dem wir zu erzählen haben?

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    1. Na ja, man kann wenigstens zu Gute halten, dass es auffällt, dass die Menschen nicht kommen und man sich fragt, was man da machen kann, man sich offenbar Gemeinde anders wünscht. Das ist immerhin ein Anfang.

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  2. Mitglieder werben Mitglieder. Das sollte ich mal dem Vorstand vom Deutschen Esperanto Bund vorschlagen.

    Primäre Frage ist für mich: Warum will die Kirche überhaupt mehr Mitglieder haben?

    Ist das

    * die ADAC-Begründung? Jedes Mitglied ist eine stimme auf die wir uns berufen können, somit mehr Mitglieder = mehr politischer Einfluss.

    * der biblische Auftrag der Missionierung?

    * oder einfach scharf auf das Kirchensteueraufkommen?


    Es ist ein allgemeiner Trend, dass Vereine unter Mitgliederschwund leiden. Nicht nur aufgrund der Demografie, sondern auch aufgrunddessen, dass man heutzutage nicht mehr unbedingt einen Verein braucht, um sich zu vernetzen. Die Hauptdienstleistung der Vereine, nämlich eine Plattform zu bieten, auf der man Gleichgesinnte trifft, wird in Zeiten sozialer Netzwerke und Suchmaschinen immer unwichtiger.

    Was Kirche angeht, so habe ich immer öfter den Impuls endlich mal auszutreten. Ich habe zwar jahrelang in einer Kirchenband gespielt und an humanitären Hilfstransporten einer Kirchengemeinde teilgenommen und war öfters mal auf Kirchentagen unterwegs. Mittlerweile bemerke ich die Existenz von Kirche eigentlich nur noch dadurch, dass ab und zu mal ein Papier der lokalen Kirchengemeinde in meinem Briefkasten liegt. Natürlich nicht ohne Überweisungsformular für Spenden.

    Wäre doch eigentlich ein cooler Akt auszutreten, den gesparten Kirchensteuerbetrag etwas aufzurunden und Vereinen und Institutionen zu spenden, deren Ziele ich wirklich unterstützenswert finde. Momentan bin ich nur noch Mitglied in der Kirche, weil ich mich bislang nicht aufgerafft habe, auszutreten.

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