Samstag, 31. Januar 2015

Kirchliche Imagepflege?

Mit der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit ist es so eine Sache. "Steht doch im Gemeindebrief", lautet die Antwort in Gemeinen landauf und landab, wenn man danach fragt, wie bestimmte Angebote zielgruppengerecht bekannt gemacht werden können. "Wir hängen ein Plakat in den Schaukasten", "Wir kündigen es im Gottesdienst ab" oder, bestenfalls, "Das kommt auf die Homepage" - damit ist das Marketingarsenal weitgehend ausgeschöpft. Finde den Fehler? Richtig, es handelt sich fast gänzlich um Medien und Kommunikationsformen, die einzig und allein den Inner Circle erreichen. Das ist in vielen Fällen auch richtig so, weil sich eben viele Angebote genau an diese Gruppe richten. Gemeindliche Arbeit folgt, zumindest im statistischen Mittel und meist unbewusst, dem von Rainer Höfelschweiger und Markus Ambrosy bekannt gemachten Schlüssel 95:5 - 95% der Ressourcen werden für 5% der Mitglieder aufgewendet. Als ihre These vor einigen Jahren durch die Pfarrblätter ging, reagierten nicht wenige Kolleg_innen ausgesprochen ungehalten, was ebenso nachvollziehbar wie unangemessen ist, zeigt sie doch nicht mehr und nicht weniger, als dass wir de facto eben nicht "Kirche für Alle" sind, auch, wenn wir das immer wieder mit dem uns eigenen Pathos behaupten. 


ÖFFENTLICHKEITSARBEIT = WERBUNG = BETRUG?


Das ist in erster Linie eine Sache der Ressourcen: Personell, finanziell, materiell. Deren Knappheit wiederum spiegelt eine Einstellung der Kirche(n) wider, die Öffentlichkeitsarbeit einerseits vor allem mit Werbung assoziiert - und damit mit Lug und Trug, Menschenfängerei und leeren Versprechungen auf Hochglanzpapier. Davon will man sich abgrenzen - es geht schließlich "um die Sache", und "gute Arbeit setzt sich auch so durch". Das hat einen begrenzten Wahrheitsgehalt darin, dass die Bedeutung persönlicher Kontakte für das Gemeindeleben unübertroffen ist, wie auch die letzte EKD-Studie wieder einmal gezeigt hat. Darin spiegelt sich aber auch die Mentalität der Nachkriegskirche, die sich, wohl nicht zuletzt auch aufgrund der Erfahrungen mit den Deutschen Christen, in einer gewissen Herbheit, einer Überzeitlichkeit signalisierenden Abständigkeit durchaus gefiel - da wurde auch Rhetorik in der Predigt schonmal als "fremdes Feuer auf Gottes Altären bezeichnet". 


ÖFFENTLICHKEITSARBEIT = INFORMATION?


Wo Kirche die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit bejaht, verbindet sie damit in erster Linie Information - und dann gilt der strenge Grundsatz: Form follows function. Insbesondere auf der mittleren und oberen Ebene tritt die Kirche vor allem mit Texten an die Öffentlichkeit. Meist sehr langen Texten, man ist ja schließlich Kirche des Wortes. Das können hundertseitige Denkschriften sein, die durch lange synodale Beratungs- und Redaktionsprozesse so konsensfähig geworden sind, dass sie jede Kante und damit jedes Profil eingebüßt haben. Das können die oft so verquasten landeskirchlichen Kollektenabkündigungen, die eben so unendlich lang und langweilig sind, weil sie nicht zum Spenden animieren, sondern über den Kollektenzweck möglichst umfassend informieren wollen. Das gilt auch für kirchliche Internetauftritte, die Max Melzer kürzlich mit vollem Recht als "lieblos und altbacken" bezeichnet hat. Auch dort geht es vor allem um Information über innerkirchliche Vorgänge und Strukturen, kein Wunder also, dass die meisten landeskirchlichen Websites bestenfalls Behördencharme versprühen. Und das zieht sich bis in die Gestaltung von Plakaten für gemeindliche Veranstaltungen, die oft viel Information auf wenig Raum versammeln und selten mehr sind als etwas reduzierte Anschreiben auf A3, der Peppigkeit wegen auf gelbem Papier gedruckt und schlimmstenfalls mit einem verpixelten Internetbild oder gar WordArt-Objekten verschönert. 

Muster ohne Wert

Wenn sich Kirche an Bilder, gar an bewegte Bilder, herantraut und Imagekampagnen oder -filme produziert, dann wird es auch oft ärgerlich. Mein erster Berührungspunkt damit war die EKD-Öffentlichkeitsoffensive des Jahres 2002, bei der vor Himmelblau und Schäfchenwolken reichlich unspezifische Fragen gestellt, zum Teil abstruse Antwortmöglichkeiten vorgegeben und etwas onkelhaft dazu eingeladen wurde, gemeinsam Antworten zu finden. 


2003 lief im Fernsehen ein Werbespot, der schon was von Imagefilm hatte. Zu sehen waren Menschen an verschiedenen Orten, tanzend, feiernd und knutschend, im Hintergrund immer und überall: Ein Kreuz. Auf den letzten Sekunden dann der Slogan - "ein + verbindet". Naiv, wie wir damals waren, hielten wir es für eine durchaus gelungene Werbeaktion des 2003 erstmalig stattfindenden Ökumenischen Kirchentags, bis uns klar wurde, dass es sich um einen Reklamefilm des damaligen Mobilfunkanbieters eplus handelte. 




2008 versuchte sich die EKiR an einem "Filmporträt". Die Pressemitteilung sagt eigentlich schon das Meiste: "In knapp 20 Minuten vermittelt der Film einen kompakten Überblick über Auftrag und Dienst der rheinischen Kirche. Die DVD ist u.a. für den Einsatz in Gemeindegruppen, im kirchlichen Unterricht, in der Schule und beispielsweise bei Präsentationen außerhalb der Kirche gedacht." Auf der Landessynode war er damals zu bestaunen, eine ellenlange Videocollage in wachsmalbunter Lokalfernsehensästhetik des ausgehenden Jahrtausends, unterlegt mit Fahrstuhlmusik, der man es nicht unbedingt anhörte, dass sie eine (wahrscheinlich nicht billige) Auftragskomposition war. Vom dem Film hat man seitdem nichts mehr gesehen, und das ist auch gut so.

Die lutherische Landeskirche Hannovers versuchte sich in den folgenden Jahren mit bunten, "peppigen" Kurzvideos zu theologischen oder kirchlichen Themen unter dem Label "e wie evangelisch" - auch hier war die Ästhetik ausgesprochen öffentlich-rechtlich und erinnerte an das Jugendprogramm des ZDF. Das meistbeworbene Video aus der Reihe beschäftigte sich mit dem Thema Rechtfertigung. Angeklickt haben es nicht wirklich viele Leute in den letzten Jahren - neben der Frage, ob sich ein komplexes soteriologisches Konzept auf drei Minuten und die Formel "Gott hat alle lieb" runterdampfen lässt, stellt sich damit auch die Frage, ob das Format sich wirklich lohnt. Auch hier geht es wieder um Information - und die z. T. unangenehm saloppe Sprache ("Mönchlein", "Gnade, die wie ein Kuhfladen vom Himmel fällt") ist auch nicht der Wiedergewinn von sprachlich-emotionaler Radikalität, die Erik Flügge vor einiger Zeit eingefordert hat.




2010er: Kirche entdeckt den Imagefilm


In den letzten ein-zwei Jahren hat die Kirche den "echten" Imagefilm für sich entdeckt, und immer mehr Landeskirchen und kirchliche Einrichtungen ziehen mittlerweile nach und präsentieren sich in mehr oder weniger kurzen Videos. In dazugehörigen Konzeptpapieren wird häufig ein ähnlicher Auftrag benannt: Es gehe darum, "Menschen" zu zeigen und die "Vielfalt kirchlicher Angebote". 

Vor drei Monaten etwa hat die EKBO ihren Imagefilm ins Netz gestellt. Das Video soll "symbolisch" zeigen, "wo kirchliche Begleitung im Leben und an den Wendepunkten des Lebens angeboten wird." Als Titel hat die Kirche wortverspielt das mehrdeutige "Paternoster" gewählt, das einerseits den nicht mehr gebauten und vor allem in Behördengebäuden (ha!) anzutreffenden Personenaufzügen im ständigen Umlaufbetrieb meint, andererseits auch die lateinische Variante von "Vaterunser" ist. Weil das nicht jeder weiß, wird es am Anfang kurz eingeblendet. 





Ein weiteres recht junges Imagevideo stammt von der Diakonie Deutschland und zeigt vor allem alte Menschen bei der Maniküre - Martin Horstmann hat diesbezüglich seinem berechtigten Ärger schon Luft gemacht; seine Gedanken, das Video und die Reaktion eines Verantwortlichen sind auf seinem Blog zu finden. 

Brandneu ist schließlich der Imagefilm des Deutschen Evangelischen Kirchentags, der vor ein paar Tagen online gegangen ist:






Das Video (hat eigentlich jemand geklärt, ob man einfach so die Hintergrundmusik von FarmVille Heroes Saga klauen darf, oder klingt es nur so bestechend ähnlich?) spielt mit Klischees aus dem Ländle - Kässpätzle, Kehrwoche, Kreuz und Chorknaben. Viel Stuttgart (im Sinne von "Großstadt") entdecke ich da nicht, was "Kirchentag" ist, bleibt mir auch ein Rätsel, und wenn mir 's Pfärdle und 's Äffle mit Holzschild drohen: "Stuttgart freut sich", dann weiß ich spontan nicht, ob das auf Gegenseitigkeit beruht. 



VERSUCH EINER DEUTUNG

Öffentlichkeitskampagnen von Kirche und Diakonie werden oft gescholten, und das nicht selten auch zu Recht. Meist wird eine Harm- und Zahnlosigkeit bemängelt, die mittlerweile schon fast zum Markenkern zu gehören scheint. Erklären lässt sich das, glaube ich, zum Teil mit den schon oben angedeuteten langwierigen Entscheidungs- und Redaktionsprozessen, die wenig Raum für Kreativität lassen und vor allem auf Erwartbarkeit und Planbarkeit setzen. 

Ein weiterer Faktor scheint mir der Umschmeichelungsversuch einer ungreifbaren, vielleicht sogar uninteressierten Zielgruppe zu sein. Fast krampfhaft wird jede inhaltliche Stellungnahme vermieden, entweder um möglichst offen zu scheinen oder (was ich durchaus nachvollziehen kann) um sich von den "Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben"-Plakaten der Missionsgesellschaften oder solchen Aktionen wie der selten dämlichen "Gott statt Schrott"-Kampagne von BibelTV abzugrenzen. Stattdessen bemüht man sich um die Darstellung der Vielfalt kirchlicher Angebote, in denen sich Kirche bewährt paternalistisch als Versorgungskirche präsentiert, die "für jede_n (irgend-)etwas" anzubieten hat. Dass die gezeigten Alltags- und Sonntagsszenen, wie die Kirchentagskampagne eindrücklich zeigt, alles andere als repräsentativ für die reale Vielfalt menschlicher Lebensentwürfe sind, zeigt nur einmal mehr, wie exklusiv Kirche dann doch wieder ist. Die inoffizielle Intention kirchlicher Imagekampagnen scheint es fast zu sein, die große Masse indifferenter Noch-Mitglieder, die gar nicht so recht wissen, warum sie noch in der Kirche sind und vor denen wir aufgrund ihrer Unberechenbarkeit irgendwie auch Angst haben, nicht zu vergraulen. Die schon erwähnte neue EKD-Studie zeigt aber, dass diese Gruppe sich ohnehin verkleinert - und es stellt sich die Frage, ob es dann wirklich gerechtfertigt und angemessen ist, nur biedere Betulichkeit zu präsentieren.


Dinge, von denen man sich besser abgrenzt...
(Quellen: bibeltv.de, c-plakat.de, kirchengemeinde-eidelstedt.de)

Ein weiteres Problem ist grundsätzlicherer Natur. Mit der Rückbesinnung auf Bilder, einem neuen Willen zur Öffentlichkeit könnte die Kirche tatsächlich an kirchengeschichtliche Vorbilder anknüpfen - die Reformation wäre anders verlaufen, wenn man nicht auf probate Mittel der Popularisierung und Inszenierung der evangelischen Botschaft zurückgegriffen hätte. Dazu gehörte die Flugschriftenschwemme ebenso wie die reformatorischen Kampfspiele auf eidgenössischen Marktplätzen. Der zentrale Unterschied ist aber, dass die Reformatoren nicht für sich selbst Werbung gemacht haben, oder gar für die evangelische Kirche - die gab es ja noch nicht. Sondern für das aus ihrer Sicht richtige und lebensnotwendige Verständnis der biblischen Botschaft. 

Unterm Strich bleibt die Einsicht, dass die Fragen nach kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit keine einfache ist - das sei auch nochmal im Blick auf die hier kritisierten Kampagnen gesagt: Ich hätte spontan nicht gewusst, wie man es hätte besser machen können. Aber die Debatte muss breiter geführt werden.

Samstag, 10. Januar 2015

Warum ich Charlie bin und trotzdem keine Mohammed-Karikaturen brauche

Je suis Charlie - ich bin Charlie. Mit diesem Hashtag dokumentieren Menschen aus aller Welt in den letzten Tagen ihre Solidarität mit den Opfern des widerlichen Attentats auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo, bei dem bislang zwölf Menschen starben. Anlass waren Mohammedkarikaturen, die das Magazin mit einiger Regelmäßigkeit immer mal wieder veröffentlichte, der Grund für die Anschläge ist der pathologische Hass einiger weniger Verblendeter, die der transnational und -kulturell verbreiteten, eklektischen Synthesereligion des Fundamentalismus anhängen. 

Je ne suis pas Charlie - ich bin nicht Charlie, das beeilten sich denn auch einige Leute zu betonen, meist unter Hinweis auf Karikaturen, die ihrer Ansicht nach Anstands- oder Geschmacksgrenzen zu schwer verletzen. Ob man jede künstlerische Grenzüberschreitung nach dem Attentat adeln muss, und ob das darüber entscheiden muss, ob man Charlie ist oder nicht - darum soll es im Folgenden gehen. Und ich bin selber noch am Suchen.

Ich bin Pfarrer. Und ein bisschen auch Zeichner. Ich zeichne Cartoons, die sich (meistens) mit dem kirchlichen Alltag beschäftigen, also ein recht enges Themenspektrum und eine kleine Klientel zum Thema und zum Ziel haben. Ein naheliegendes Motivfeld bediene ich bewusst nicht: Ich zeichne keine Cartoons, in denen Jesus oder Gott oder, meinetwegen, andere Religionsstifter direkt und als Figuren vorkommen. Das hat mehrerlei Gründe. Einer davon ist sicherlich, dass mir das Bilderverbot, das in evangelisch-reformierten Kreisen besonders hoch geachtet wird, in den Knochen hängt. Die anderen Gründe sind eher empirisch-pragmatischer Art: Ich finde den allergrößten Teil der mir bekannten Jesus- und Gott-Cartoons langweilig, uninspiriert und blöd. Es sind immer dieselben Motive, meist recht müde Witze, die zeichnerisch aufgearbeitet werden. Akzeptieren kann ich sie dennoch, weil ich in den meisten Fällen ein Spiel mit Gottesbildern erkenne - und die können sich, wie wir wissen, deutlich vom Original unterscheiden. Einen bemerkenswerten Unterschied machen hier in der Regel Cartoonisten aus christlichen Kontexten, meist aus den USA, bei denen Jesus-Cartoons oft dazu dienen, auf Missstände der kirchlichen Realität hinzuweisen. Und damit hängt auch ein weiterer Grund zusammen, warum ich lieber Kirchen- als Jesus-Cartoons zeichne: Der Stift, aus dem eine gute Karikatur fließt, ist nach zwei Seiten hin angespitzt, sticht den Zeichner und sein Milieu selbst ein bisschen. Gestalterisch geht das nicht immer, so be it, und manchmal, wenn es um Satire geht, greift man auch (und mit allem im Grundgesetz garantierten Recht) Positionen an, die der eigenen diametral gegenüber stehen. Das ist oft notwendig. 

Trotzdem wünsche ich mir, dass bei aller zu Recht beschworenen Meinungs- und Pressefreiheit im Kielwasser des Charlie-Hebdo-Attentats eine qualitative Auseinandersetzung mit dem Gezeigten möglich bleibt. Ich kann erschrocken sein über die Reaktionen, die Dieter Nuhr vor einiger Zeit auf seine Salafistenwitze bekam, ich bin und bleibe felsenfest davon überzeugt, dass er das darf, und dass sein Recht darauf verteidigt werden muss. Ich kann aber gleichzeitig finden, dass die entsprechenden Witze ziemlich flach waren und viele Pointen auf Kosten von Schwächeren gingen, wie den in islamistisch beherrschten Länder lebenden Frauen (was bezeichnender Weise auch die EMMA in ihrer unangenehm kriecherischen Huldigung Nuhrs nicht weiter gestört hat). Ähnliches gilt für die Mohammed-Karikaturen von Lars Vilks aus dem Jahr 2006. Ich finde es unerträglich und inakzeptabel, dass ihr Urheber deswegen um sein Leben fürchten musste und muss - und halte Vilks gleichzeitig weiterhin für einen recht mittelmäßig arbeitenden Künstler und für einen kurzsichtig argumentierenden Kunsttheoretiker, der ein Maß an Popularität erreicht hat, das in keinem Verhältnis zur inhaltlichen Qualität seiner Aussagen steht. Und es muss auch in Zukunft möglich bleiben, bei der Rezeption von Karikaturen zum Beispiel aus dem Hause Charlie Hebdo mit u. a. Jacob Canfield darauf hinzuweisen: 
Here’s what’s difficult to parse in the face of tragedy: yes, Charlie Hebdo is a French satirical newspaper. Its staff is white. Its cartoons often represent a certain, virulently racist brand of French xenophobia. While they generously claim to ‘attack everyone equally,’ the cartoons they publish are intentionally anti-Islam, and frequently sexist and homophobic. 

Nach dem Charlie-Hebdo-Attentat gab es von vielen Seiten die Forderung nach einer eindeutigen Stellungnahme durch muslimische Verbände. Die kamen auch sehr bald, wahrscheinlich wären sie auch ohne die paternalistische Anmahnung gekommen, wahrscheinlich waren sie irgendwie politisch notwendig - inhaltlich kann ich eine solche Forderung nur sehr bedingt nachvollziehen. Ulrich Kasparick schrieb in diesem Kontext Bedenkenswertes:
übrigens hat da grad ein Krankenpfleger gestanden, 30 Menschen ermordet zu haben. Verlangt da jetzt eigentlich jemand eine deutliche Distanzierung der Ärzte-Verbände oder der Verbände der Krankenpfleger für diese Schreckenstat? Ich finde die in diversen Zeitungen kursierenden Distanzierungswünsche an muslimische Verbände nach dem Anschlag in Paris jedenfalls seltsam. Die christlichen Kirchen mussten sich auch nicht für den Anschlag vom Breivik entschuldigen oder "Stellung nehmen", obwohl der sich auf "christliche Werte" berief.
Geburt Mohammeds - Illustration aus dem Siyer-i-Nebi (Bild: commons.wikipedia.org)


In Sachen Mohammed-Karikaturen bekommt diese Dynamik noch eine besondere Dramatik, denn auch liberale Muslime kommen so in eine Situation, dass sie aus politischen Gründen etwas verteidigen sollen, das sie ungerechter Weise ebenso trifft wie die Fundamentalisten: Da das Bilderverbot im Islam weitaus strenger und umfassender verstanden wurde als im Christentum, ist der potenzielle Kollateralschaden bei Mohammed-Karikaturen um ein Vielfaches höher als bei Jesus-Cartoons. Zumal in letzterem Fall die schmerzhaftesten zeichnerischen Häresien ohnehin immer aus der Feder von Christen stammen und bierernst gemeint sind. Ich habe Respekt vor dieser heiligen Bilderscheu des Islam - auch, weil sie inmitten einer bislang ungekannten Bilderflut das Geheimnis des Abgebildeten bewahrt. 
Die Schweizer Satirezeitschrift Nebelspalter schreibt auf ihrer Internetseite sehr richtig Folgendes:
Hier liegt das Kernproblem der Mohammed-Karikaturen: Sie sind für das eigene Publikum schlicht irrelevant und langweilig. Sie stellen per se innerhalb unseres eigenen Wertesystems keinen erkennbaren Regelverstoss dar. 
Und darüber darf nicht vergessen werden, dass das Attentat von Paris das Werk von Personen und Kreisen war, die nicht den Islam, sondern den Fundamentalismus repräsentieren, der eben auch christliche und jüdische Spielarten hat und den mit den entsprechenden Mutterreligionen allenfalls der Umstand verbindet, dass zumindest die "großen Buchreligionen" durch die Bank und durch die Geschichte zu einer gewissen Humorlosigkeit neigen. In allen Religionen gibt es die Tendenz, die Verletzung der eigenen religiösen Gefühle mit Gotteslästerung zu verwechseln. Und gerade in Deutschland haben gewisse Teile des katholischen und evangelikalen Milieus lange Erfahrung damit, Humoristen und Magazine zu verklagen - die Stunksitzung oder die Titanic wissen ein Lied davon zu singen.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Welt mehr Mohammedkarikaturen braucht. Ich weiß auch nicht, ob jede Provokation, die um ihrer selbst Willen geschieht, pauschal nach dem 7.1. zu adeln ist, nur weil sich Leute und Gruppierungen darüber aufregen, deren Protest in der Regel ein Zeichen dafür ist, dass man selbst auf der richtigen Seite steht. Ich kann dabei auch nicht die Aktion der rechtspopulistischen Rotte ProNRW vergessen, die im letzten Jahr hier einen Wettbewerb mit Mohammedkarikaturen ausrief, um unter dem Deckmantel der Rede- und Kunstfreiheit Gewalttaten zu provozieren. 



Und dennoch solidarisiere ich mich in diesen Tagen mit Charlie. Nicht, weil ich auch ein bisschen Zeichner bin. Nicht, weil ich alles, was Charlie Hebdo jemals publiziert hat, für veröffentlichenswert halte, oder weil ich der Meinung bin, dass einseitige Karikaturen aus Mittel- und Westeuropa besonders geeignet wären, dringend notwendige Veränderungs- und Verstehensprozesse in der Welt in Gang zu bringen. Sondern weil Menschen mit Zeichenstiften in der Hand einen Vertrauensvorschuss gegenüber jenen genießen, die Waffen tragen und nicht zögern, sie zu benutzen. Weil ich die Freiheit der Presse, der Meinungsäußerung und der Kunst für wichtiger halte als meine persönlichen Geschmacksgrenzen. Weil das Attentat vom 7.1. kein Beitrag zum Diskurs über die Mohammedkarikaturen war, sondern ein Anschlag auf gesellschaftliche und menschliche Freiheit und auf diejenigen, die zu ihr stehen. Je suis Charlie. Toujours.



Interessantes (und nicht unbedingt Kompatibles) zum Weiterlesen:

http://erikfluegge.de/religionswitze-sind-ein-geschenk-gottes-nicht-sein-todesurteil/

http://talkingpointsmemo.com/cafe/media-dont-glorify-charlie-hebdo-racism-support-cartoonists-exploiting

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/charlie-hebdo-georg-diez-ueber-religionen-kolumne-a-1012113.html

http://www.stefan-niggemeier.de/blog/20077/zeitungsverleger-instrumentalisieren-charlie-hebdo-anschlag-fuer-kampf-gegen-pegida/

http://www.nebelspalter.ch/Warum+wir+keine+Mohammed+Karikaturen+bringen/557842/detail.htm

https://politifon.wordpress.com/2015/01/08/vi-ar-inte-charlie-hebdo/

Mittwoch, 7. Januar 2015

Der im Himmel thront, spottet über sie. #JeSuisCharlie



An einer Stelle der Bibel steht, 
dass Gott lacht.
Es ist kein gütiges Lachen,
kein mildes Lächeln,
sondern beißender Spott,
geboren aus Wut
über die,
die sich anmaßen,
über Leben und Tod zu entscheiden.

Die Könige der Erde erheben sich, 
und es verschwören sich die Fürsten 
gegen den HERRN und seinen Gesalbten: 
Lasst uns zerreissen ihre Stricke 
und von uns werfen ihre Fesseln! 
Der im Himmel thront, lacht, 
der Herr spottet über sie. 
Da fährt er sie an in seinem Zorn, 
und in seinem Grimm erschreckt er sie. 
[...] 
Darum, ihr Könige, kommt zur Einsicht, 
lasst euch warnen, 
ihr Herrscher der Erde!

Sie hassen das Lachen.
Sie sind beleidigt,
und denken, Gott sei es auch.
Die alte Verwechslung,
schnell geschehen,
wenn der Humor fehlt,
der Grenzwächter,
Botengänger,
Streitschlichter.
Sie kostete uns einst das Paradies
und heute zwölf Menschen
das Leben.

Sie schießen.
Treffen die, 
die Menschen zum Lachen bringen.
Maschinengewehre gegen Zeichenstifte,
Druckerschwärze färbt sich rot.
Sie rufen: Gott ist groß!

Doch der im Himmel wohnt, lacht,
der Herr spottet über sie. 

Sie fliehen.
Für einen kurzen Moment
gerinnt das Lachen auf der Erde
in Geschrei und Schweigen.

Doch der im Himmel wohnt, lacht,
der Herr spottet über sie.

Ich will meine Wut weg-
und die Wahnsinnigen kleinlachen.
Wer sein will wie Gott,
der mache es wie er
und nehme seinen heiligen Zorn
und stülpe ihn um,
stimme ein
in den himmlischen Spott
und schreibe und zeichne es 
an jede Wand:

Der im Himmel wohnt, lacht,
der Herr spottet über sie.

Je suis Charlie.

Dienstag, 6. Januar 2015

Erfolgreich quergestellt, oder: Als meine Generation das Demonstrieren lernte

Wir haben sie immer ein bisschen belächelt, die friedensbewegten Altvorderen, die runden Männer mit grauem Rauschebart und Strickpulli, die wettergegerbten Frauen mit Batikschal. Belächelt, ihnen manchmal sogar eine nicht geringe Mitschuld an den leeren Kirchen gegeben, die wir vorfanden, als wir zum ersten Mal auf die Kanzel kletterten. Wir warfen ihnen vor, "das Wesentliche" übersehen, geistliche Belange und theologische Argumente vernachlässigt zu haben, erklärten, nicht wenig altklug, die Welt sei nun einmal komplizierter als in den Sechzigern, Siebzigern und Achtzigern, und mit dem Abstand einiger Jahrzehnte könnten wir bei objektiver historischer Betrachtung nicht feststellen, was das Demonstrieren und Dagegensein eigentlich genau am Lauf der Welt geändert hätte.

Dann begannen wir zu frösteln, als ein eisiger Hauch durch Deutschland zog, ein Wind, der nach Bohnerwachs, Aftershave, Pommesfett und Scheiße roch. Es war im Winter 2014/15, als Pegida sich anschickte, rechte Parolen unter dem Deckmantel bürgerlicher Besorgtheit auf die Straße zu tragen und von dort aus in die Wohnzimmer und an die Stammtische. Und wir erkannten, dass die Öffentlichkeit ein umkämpfter Raum ist.

KÖLN STELLT SICH QUER


Montag, 5. Januar, später Nachmittag. In der S-Bahn Richtung Innenstadt ist alles ganz normal, der übliche Pendlerverkehr, keine Transparente, nichts, das darauf hinweist, dass Kögida zum "Montagsspaziergang" und eine Allianz aus so ziemlich allen Akteuren des öffentlichen Lebens zur Gegendemonstration gerufen haben. In der Tasche habe ich einen Skizzenblock, ein paar Stifte, Billigwasserfarben im Reiseset und Pinsel mit eingebautem Wasserreservoire. Ich will skizzieren, meine Eindrücke vom Geschehen festhalten - und ein bisschen das Zeichnen von Menschen und vor allem Menschenmassen üben. Meine bisherigen Urban-Sketching-Erfahrungen in Israel haben gezeigt, dass man darüber leicht und schnell mit Leuten ins Gespräch kommt, und ein bisschen ist auch das Ziel und Zweck der Übung: Ich möchte den Pegida-Befürwortern näher kommen, will wissen, was sie umtreibt. Und natürlich hoffe ich insgeheim, dass mir in dem Gespräch ein paar prophetisch-wohlartikulierte Sätze einfallen, die sie dazu bringen, ihren Irrtum einzusehen und ihren falschen Wegen abzuschwören.
Erst in der Deutzer Bahnhofshalle ist zu sehen, dass es sich nicht um einen normalen ersten Arbeitstag nach den Weihnachtsferien handelt. Überall Polizisten in Krawallausrüstung, mit grünen und dunkelblauen Overalls und Helmen. Das allein ist ein lohnendes Motiv, und so stelle ich mich an den Rand und beginne zu zeichnen.


Die meisten Polizisten machen einen entspannten Eindruck, einige kommen rüber, "wollen mal gucken" und finden es schön, gezeichnet zu werden. Nein, angespannt sei man in der Tat nicht, man rechne mit einem ruhigen Verlauf. Eine Polizistin sagt nachdenklich-lächelnd, es sei doch bemerkenswert, dass im Umfeld solcher Anlässe auch Schönes entstehen könne. Überhaupt sagen an diesem Abend viele Leute um mich herum viele weise Dinge. Irgendwann kapituliere ich vor den sich ärgerlicher Weise immer bewegenden Leuten und Dimensionen und Proportionen, die vor meinem Auge und in meinem Kopf immer anders aussehen als auf dem Papier, und ich beschließe, rauszugehen und mir die Pegida-Meute aus der Nähe anzusehen. Das ist aber nicht so ganz einfach, weil die Polizei den gesamten Ottoplatz mit Absperrzäunen und Hundertschaftswagen abgeriegelt hat. Die paar hundert Pegida-Anhänger (die Angaben schwanken, während die "gleichgeschalteten" Medien von 500 sprechen, gibt sich Kögida selbst auf seiner Facebook-Seite bescheiden und spricht von 250-300 Teilnehmenden) wirken ein bisschen verloren auf dem großen Platz.


Über den Demonstranten weht neben mehreren Deutschlandflaggen auch eine mit in schwarz gefasstem, weißem nordischen Kreuz auf rotem Grund, ein Spiel mit bevorzugten Farben und Symbolen rechtskonservativer bis -populistischer Bewegungen - wer noch Zweifel hegt, wes Geistes Kind die Bewegung ist, möge genau hinschauen. Nach einiger Zeit ist diese Flagge verschwunden. Um mich herum ein emsiges Kommen und Gehen, viele bleiben stehen und gucken beim Zeichnen zu, man unterhält sich über dies und das. Mit zwei jungen Männern komme ich ins Gespräch, sie sind nur zufällig vor Ort, aber gleichermaßen verwundert wie abgestoßen über die Redefetzen, die der Wind ab und an zu uns herüberträgt. Wie das für sie so ist, will ich wissen. "Scheiße", sagt der eine. Der überlegt ein bisschen und sagt dann: "Sie meinen mich. Sie lassen sich von mir an der Kasse bedienen, und wenn ich sie darauf ansprechen würde, würden sie sagen, dass sie mich persönlich natürlich nicht meinen. Aber sie treffen mich mit ihrem Rundumschlag." 

Gerade redet eine der Quotenfrauen, sie spricht deutlicher als ihr Vorredner. "Wir wollen nur...", so etwas sagt sie ziemlich oft, und dann erzählt sie, sie habe von einem Krankenhaus in London gehört, in dem viele Kinder Mohammed heißen. Das wolle sie nicht. Ein Polizist schüttelt ungläubig den Kopf, ein Passant murmelt: "So eine unerträgliche Scheiße." Zwischendurch rufen ein paar Leute "Nazis raus!". Ich zeichne weiter, es ist schwer, der jungen Frau zuzuhören, weil sie so dummes Zeug redet und sich dabei hörbar anständig vorkommt. Irgendwann redet wieder ein Mann, er ist schwerer zu verstehen, weil er ins Mikrofon röhrt. Immer wieder ist die Rede von "Fanatikern", er wolle keine "islamischen Fanatiker", und übrigens "auch keine christlichen". Hear ye, hear ye. Die gelben Straßenlaternen tauchen die Szenerie in weiches Licht, ansonsten ist es merkbar dunkel in der Innenstadt. Der Dom ist aus - mehr Symbolik geht nicht in Köln, alle anderen Kirchen auf der anderen Rheinseite liegen im Dunkeln, ebenso wie das Schokoladenmuseum, das Maritim und andere skylineprägende Gebäude. 

Irgendwann geht mir das Wasser aus, und ich gehe zum Bahnhofskiosk. Als ich an der Kasse stehe, riecht es schlecht, nach stockiger Kleidung und Alkohol. "E Kölsch för mich un en Cola för dat Frauche", röhrt ein grobschlächtiger Mann neben mir dem Kassierer ins Gesicht, dann wendet er sich wieder "däm Frauche" zu. "Mr kütt nit övver dr Bröck, die sin die am blockeere." "Ävver woröm hät de Pollizei die Bröck dann nit avjesperrt?" fragt sie, und er antwortet: "För Kopftücher hättense dat jemaht, för deutsch denkende Menschen nit." "So ein Quatsch", sage ich laut. Angesichts der Tatsache, dass er ungefähr anderthalb mal so groß und doppelt so schwer ist wie ich ist, ist das vielleicht keine gute Idee, aber die geballte Polizeipräsenz macht mutig. Er guckt mich glasig an, dann kauft er noch e paar Kippe. Als ich mich umdrehe, fällt mir die Flasche hin, als ich sie aufhebe, gucke ich seiner Frau ins Gesicht. Das Leben hat es nicht gut gemeint mit ihr. Aber sie lächelt mich an. Ich lächle zurück, und denke: Du bist nett. Warum bindest du dir so einen ans Bein, warum lässt du dich von den Rattenfänger einlullen? Sage es aber nicht. Projekt "Gespräch mit Pegida-Anhängern" gescheitert, mea culpa. 

Ich umrunde den Ottoplatz und gehe zum LVR-Gebäude, wo die Gegendemonstration im vollen Gange ist. Es ist ungleich voller, man steht dicht an dicht. Es ist ein bisschen wie wenn in der Philharmonie das Weihnachtsoratorium oder die Matthäuspassion aufgeführt wird - ein Stelldichein des evangelischen Kölns. Gut so. Heimat. Auf einer kleinen Bühne spielt man Karnevalsmusik mit aktualisierten Texten, vor dem LVR-Turm hört man Samba, Leute tanzen. Die Kölner_innen machen aus dem Protest das, was sie am Besten können: Karneval. Das passt auch historisch, denn die Tage um Epiphanias herum sind die einzigen, an denen mit der Prinzenproklamation nur organisierter, jedoch kein Straßenkarneval stattfindet. Auch hier wehen Fahnen, Grüne, Piraten, Gay-Bären und andere zeigen Flagge, hier und da schweben handgemachte Schilder über der Menge, die ein Lob auf die kulturelle Vielfalt singen. Es wird deutlich, dass man nicht gegen jemanden demonstriert, sondern für etwas ein Zeichen setzt, und das wärmt an einem solchen Wintertag. 


Irgendwann machen die Pegida-Leute wieder über Lautsprecher von sich hören. Sebastian Nobile, Organisator und ehemaliges Mitglied der rechtsextremen German Defence League, faselt etwas, er habe seine Zuhörer_innen alle lieb und wolle nicht, dass jemand zu Schaden komme. Deswegen verzichte man auf den "Spaziergang". Jubel allerorten, die Party geht weiter - alors on danse. Gut so.

Über die Hohenzollernbrücke mache ich mich auf Richtung Innenstadt. Vor dem Reiterdenkmal Friedrich Wilhelms II. bleibe ich wie viele andere kurz stehen und gucke auf den dunklen Dom. Es war eine gute Entscheidung des Erzbistums, Pegida die malerische Kulisse zu verweigern, und ein deutliches Zeichen, dass an ihren Protesten und ihren diffusen Mischgefühlen aus Hass und Angst nichts Christliches ist. Danke, Erzbistum! 

Vor mir schreitet eine ältere Dame, über ihrer Schulter ein Schild mit Biblischem drauf: "Gott liebt die Fremden und gibt ihnen Kleidung und Nahrung. Auch ihr sollt die Fremden lieben. Dtn 10,18." Und ich bin dankbar über die friedensbewegten Altvorderen, die runden Männer mit grauem Rauschebart und Strickpulli, die wettergegerbten Frauen mit Batikschal, und wünsche mir mehr von ihrer Leidenschaft, ihrem heiligen Zorn, ihrem Durchhaltevermögen. Weil ich zu verstehen beginne, dass unsere zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften nicht selbstverständlich sind, dass die Öffentlichkeit ein umkämpfter Raum ist. Überall in Köln kehren jetzt Friedensbewegte ein, setzen sich im Lapidarium, in der Mumu oder in irgendeinem Stüffge an den Tresen, stellen ihre Schilder an die Wand, bestellen ein Kölsch und erzählen. Der Dom ist immer noch dunkel. In Dresden sind heute keine 300, sondern 18.000 Pegida-Anhänger aufmarschiert. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie dort keine Kirchen mehr haben, die das Licht ausmachen können.

Hinter der Brücke, Richtung Eigelstein, verabschieden sich ein älteres Paar und eine junge Frau voneinander. "Tschö Oma, tschö Opa", ruft sie, "war cool!" Dann schwingt sie sich auf ihr Fahrrad. Ihre Großeltern gucken ihr nach, dann dreht sich die Oma zu ihrem Mann. "Unsere Enkelin, auf ihrer ersten Demo. Hat sich gut geschlagen", stellt sie fest, und in ihrer Stimme klingt Wehmut und Stolz. Und sie sehen einander an, mit diesem Blick, den nur Menschen füreinander haben, die es lange miteinander ausgehalten haben und bei denen das "deswegen" immer wieder über das "trotz allem" siegt. So wie jetzt. Sie sehen einander noch einmal an, dann küssen sie sich. Und radeln davon. 

Es war im Winter 2014/2015, als meine Generation unter dem Hashtag #nopegida das Demonstrieren lernte. Als wir uns im eisigen Hauch sozialer Kälte aneinander wärmten, im Graubraun der ersten Tage im Jahr bunte Fahnen schwenkten und hofften, dass Frühling wird.


Sonntag, 4. Januar 2015

Köln stellt sich quer

Morgen zieht PegIdA/KögIdA vom Bahnhof Deutz zum Roncalliplatz - und die Kirchen machen das Licht aus. Die Demonstranten müssen auf die malerische und symbolträchtige Domkulisse verzichten und sehen mal, wie finster das "christliche Abendland" doch auch ist...