Mit der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit ist es so eine Sache. "Steht doch im Gemeindebrief", lautet die Antwort in Gemeinen landauf und landab, wenn man danach fragt, wie bestimmte Angebote zielgruppengerecht bekannt gemacht werden können. "Wir hängen ein Plakat in den Schaukasten", "Wir kündigen es im Gottesdienst ab" oder, bestenfalls, "Das kommt auf die Homepage" - damit ist das Marketingarsenal weitgehend ausgeschöpft. Finde den Fehler? Richtig, es handelt sich fast gänzlich um Medien und Kommunikationsformen, die einzig und allein den Inner Circle erreichen. Das ist in vielen Fällen auch richtig so, weil sich eben viele Angebote genau an diese Gruppe richten. Gemeindliche Arbeit folgt, zumindest im statistischen Mittel und meist unbewusst, dem von Rainer Höfelschweiger und Markus Ambrosy bekannt gemachten Schlüssel 95:5 - 95% der Ressourcen werden für 5% der Mitglieder aufgewendet. Als ihre These vor einigen Jahren durch die Pfarrblätter ging, reagierten nicht wenige Kolleg_innen ausgesprochen ungehalten, was ebenso nachvollziehbar wie unangemessen ist, zeigt sie doch nicht mehr und nicht weniger, als dass wir de facto eben nicht "Kirche für Alle" sind, auch, wenn wir das immer wieder mit dem uns eigenen Pathos behaupten.
ÖFFENTLICHKEITSARBEIT = WERBUNG = BETRUG?
Das ist in erster Linie eine Sache der Ressourcen: Personell, finanziell, materiell. Deren Knappheit wiederum spiegelt eine Einstellung der Kirche(n) wider, die Öffentlichkeitsarbeit einerseits vor allem mit Werbung assoziiert - und damit mit Lug und Trug, Menschenfängerei und leeren Versprechungen auf Hochglanzpapier. Davon will man sich abgrenzen - es geht schließlich "um die Sache", und "gute Arbeit setzt sich auch so durch". Das hat einen begrenzten Wahrheitsgehalt darin, dass die Bedeutung persönlicher Kontakte für das Gemeindeleben unübertroffen ist, wie auch die letzte EKD-Studie wieder einmal gezeigt hat. Darin spiegelt sich aber auch die Mentalität der Nachkriegskirche, die sich, wohl nicht zuletzt auch aufgrund der Erfahrungen mit den Deutschen Christen, in einer gewissen Herbheit, einer Überzeitlichkeit signalisierenden Abständigkeit durchaus gefiel - da wurde auch Rhetorik in der Predigt schonmal als "fremdes Feuer auf Gottes Altären bezeichnet".
ÖFFENTLICHKEITSARBEIT = INFORMATION?
Wo Kirche die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit bejaht, verbindet sie damit in erster Linie Information - und dann gilt der strenge Grundsatz: Form follows function. Insbesondere auf der mittleren und oberen Ebene tritt die Kirche vor allem mit Texten an die Öffentlichkeit. Meist sehr langen Texten, man ist ja schließlich Kirche des Wortes. Das können hundertseitige Denkschriften sein, die durch lange synodale Beratungs- und Redaktionsprozesse so konsensfähig geworden sind, dass sie jede Kante und damit jedes Profil eingebüßt haben. Das können die oft so verquasten landeskirchlichen Kollektenabkündigungen, die eben so unendlich lang und langweilig sind, weil sie nicht zum Spenden animieren, sondern über den Kollektenzweck möglichst umfassend informieren wollen. Das gilt auch für kirchliche Internetauftritte, die Max Melzer kürzlich mit vollem Recht als "lieblos und altbacken" bezeichnet hat. Auch dort geht es vor allem um Information über innerkirchliche Vorgänge und Strukturen, kein Wunder also, dass die meisten landeskirchlichen Websites bestenfalls Behördencharme versprühen. Und das zieht sich bis in die Gestaltung von Plakaten für gemeindliche Veranstaltungen, die oft viel Information auf wenig Raum versammeln und selten mehr sind als etwas reduzierte Anschreiben auf A3, der Peppigkeit wegen auf gelbem Papier gedruckt und schlimmstenfalls mit einem verpixelten Internetbild oder gar WordArt-Objekten verschönert.
Muster ohne Wert |
Wenn sich Kirche an Bilder, gar an bewegte Bilder, herantraut und Imagekampagnen oder -filme produziert, dann wird es auch oft ärgerlich. Mein erster Berührungspunkt damit war die EKD-Öffentlichkeitsoffensive des Jahres 2002, bei der vor Himmelblau und Schäfchenwolken reichlich unspezifische Fragen gestellt, zum Teil abstruse Antwortmöglichkeiten vorgegeben und etwas onkelhaft dazu eingeladen wurde, gemeinsam Antworten zu finden.
2003 lief im Fernsehen ein Werbespot, der schon was von Imagefilm hatte. Zu sehen waren Menschen an verschiedenen Orten, tanzend, feiernd und knutschend, im Hintergrund immer und überall: Ein Kreuz. Auf den letzten Sekunden dann der Slogan - "ein + verbindet". Naiv, wie wir damals waren, hielten wir es für eine durchaus gelungene Werbeaktion des 2003 erstmalig stattfindenden Ökumenischen Kirchentags, bis uns klar wurde, dass es sich um einen Reklamefilm des damaligen Mobilfunkanbieters eplus handelte.
2008 versuchte sich die EKiR an einem "Filmporträt". Die Pressemitteilung sagt eigentlich schon das Meiste: "In knapp 20 Minuten vermittelt der Film einen kompakten Überblick über Auftrag und Dienst der rheinischen Kirche. Die DVD ist u.a. für den Einsatz in Gemeindegruppen, im kirchlichen Unterricht, in der Schule und beispielsweise bei Präsentationen außerhalb der Kirche gedacht." Auf der Landessynode war er damals zu bestaunen, eine ellenlange Videocollage in wachsmalbunter Lokalfernsehensästhetik des ausgehenden Jahrtausends, unterlegt mit Fahrstuhlmusik, der man es nicht unbedingt anhörte, dass sie eine (wahrscheinlich nicht billige) Auftragskomposition war. Vom dem Film hat man seitdem nichts mehr gesehen, und das ist auch gut so.
Die lutherische Landeskirche Hannovers versuchte sich in den folgenden Jahren mit bunten, "peppigen" Kurzvideos zu theologischen oder kirchlichen Themen unter dem Label "e wie evangelisch" - auch hier war die Ästhetik ausgesprochen öffentlich-rechtlich und erinnerte an das Jugendprogramm des ZDF. Das meistbeworbene Video aus der Reihe beschäftigte sich mit dem Thema Rechtfertigung. Angeklickt haben es nicht wirklich viele Leute in den letzten Jahren - neben der Frage, ob sich ein komplexes soteriologisches Konzept auf drei Minuten und die Formel "Gott hat alle lieb" runterdampfen lässt, stellt sich damit auch die Frage, ob das Format sich wirklich lohnt. Auch hier geht es wieder um Information - und die z. T. unangenehm saloppe Sprache ("Mönchlein", "Gnade, die wie ein Kuhfladen vom Himmel fällt") ist auch nicht der Wiedergewinn von sprachlich-emotionaler Radikalität, die Erik Flügge vor einiger Zeit eingefordert hat.
2010er: Kirche entdeckt den Imagefilm
In den letzten ein-zwei Jahren hat die Kirche den "echten" Imagefilm für sich entdeckt, und immer mehr Landeskirchen und kirchliche Einrichtungen ziehen mittlerweile nach und präsentieren sich in mehr oder weniger kurzen Videos. In dazugehörigen Konzeptpapieren wird häufig ein ähnlicher Auftrag benannt: Es gehe darum, "Menschen" zu zeigen und die "Vielfalt kirchlicher Angebote".
Vor drei Monaten etwa hat die EKBO ihren Imagefilm ins Netz gestellt. Das Video soll "symbolisch" zeigen, "wo kirchliche Begleitung im Leben und an den Wendepunkten des Lebens angeboten wird." Als Titel hat die Kirche wortverspielt das mehrdeutige "Paternoster" gewählt, das einerseits den nicht mehr gebauten und vor allem in Behördengebäuden (ha!) anzutreffenden Personenaufzügen im ständigen Umlaufbetrieb meint, andererseits auch die lateinische Variante von "Vaterunser" ist. Weil das nicht jeder weiß, wird es am Anfang kurz eingeblendet.
Paternoster from EKBO on Vimeo.
Brandneu ist schließlich der Imagefilm des Deutschen Evangelischen Kirchentags, der vor ein paar Tagen online gegangen ist:
Stuttgart freut sich - Fernsehspot zum Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart 2015 from Kirchentag on Vimeo.
Das Video (hat eigentlich jemand geklärt, ob man einfach so die Hintergrundmusik von FarmVille Heroes Saga klauen darf, oder klingt es nur so bestechend ähnlich?) spielt mit Klischees aus dem Ländle - Kässpätzle, Kehrwoche, Kreuz und Chorknaben. Viel Stuttgart (im Sinne von "Großstadt") entdecke ich da nicht, was "Kirchentag" ist, bleibt mir auch ein Rätsel, und wenn mir 's Pfärdle und 's Äffle mit Holzschild drohen: "Stuttgart freut sich", dann weiß ich spontan nicht, ob das auf Gegenseitigkeit beruht.
VERSUCH EINER DEUTUNG
Öffentlichkeitskampagnen von Kirche und Diakonie werden oft gescholten, und das nicht selten auch zu Recht. Meist wird eine Harm- und Zahnlosigkeit bemängelt, die mittlerweile schon fast zum Markenkern zu gehören scheint. Erklären lässt sich das, glaube ich, zum Teil mit den schon oben angedeuteten langwierigen Entscheidungs- und Redaktionsprozessen, die wenig Raum für Kreativität lassen und vor allem auf Erwartbarkeit und Planbarkeit setzen.
Ein weiterer Faktor scheint mir der Umschmeichelungsversuch einer ungreifbaren, vielleicht sogar uninteressierten Zielgruppe zu sein. Fast krampfhaft wird jede inhaltliche Stellungnahme vermieden, entweder um möglichst offen zu scheinen oder (was ich durchaus nachvollziehen kann) um sich von den "Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben"-Plakaten der Missionsgesellschaften oder solchen Aktionen wie der selten dämlichen "Gott statt Schrott"-Kampagne von BibelTV abzugrenzen. Stattdessen bemüht man sich um die Darstellung der Vielfalt kirchlicher Angebote, in denen sich Kirche bewährt paternalistisch als Versorgungskirche präsentiert, die "für jede_n (irgend-)etwas" anzubieten hat. Dass die gezeigten Alltags- und Sonntagsszenen, wie die Kirchentagskampagne eindrücklich zeigt, alles andere als repräsentativ für die reale Vielfalt menschlicher Lebensentwürfe sind, zeigt nur einmal mehr, wie exklusiv Kirche dann doch wieder ist. Die inoffizielle Intention kirchlicher Imagekampagnen scheint es fast zu sein, die große Masse indifferenter Noch-Mitglieder, die gar nicht so recht wissen, warum sie noch in der Kirche sind und vor denen wir aufgrund ihrer Unberechenbarkeit irgendwie auch Angst haben, nicht zu vergraulen. Die schon erwähnte neue EKD-Studie zeigt aber, dass diese Gruppe sich ohnehin verkleinert - und es stellt sich die Frage, ob es dann wirklich gerechtfertigt und angemessen ist, nur biedere Betulichkeit zu präsentieren.
Dinge, von denen man sich besser abgrenzt... (Quellen: bibeltv.de, c-plakat.de, kirchengemeinde-eidelstedt.de) |
Ein weiteres Problem ist grundsätzlicherer Natur. Mit der Rückbesinnung auf Bilder, einem neuen Willen zur Öffentlichkeit könnte die Kirche tatsächlich an kirchengeschichtliche Vorbilder anknüpfen - die Reformation wäre anders verlaufen, wenn man nicht auf probate Mittel der Popularisierung und Inszenierung der evangelischen Botschaft zurückgegriffen hätte. Dazu gehörte die Flugschriftenschwemme ebenso wie die reformatorischen Kampfspiele auf eidgenössischen Marktplätzen. Der zentrale Unterschied ist aber, dass die Reformatoren nicht für sich selbst Werbung gemacht haben, oder gar für die evangelische Kirche - die gab es ja noch nicht. Sondern für das aus ihrer Sicht richtige und lebensnotwendige Verständnis der biblischen Botschaft.
Unterm Strich bleibt die Einsicht, dass die Fragen nach kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit keine einfache ist - das sei auch nochmal im Blick auf die hier kritisierten Kampagnen gesagt: Ich hätte spontan nicht gewusst, wie man es hätte besser machen können. Aber die Debatte muss breiter geführt werden.