Sonntag, 16. Februar 2014

Der Preacher Slam!

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Eine Woche ist er schon her, der erste Düsseldorfer Preacher Slam, bei dem in der Neanderkirche in der Altstadt Pfarrer_innen und Slam Poets das Publikum ihre Texte unters Volk brachten. Jaja, der Erfahrungsbericht kommt ein bisschen spät, aber ich wollte warten, bis die Videos online waren - es gilt ja immer noch das gesprochen Wort. In einem Satz: Es hat ganz phänomenal viel Spaß gemacht! Der gesamte Parkettbereich der Kirche (deren Architektur mein reformiertes Herz pochen lässt!)  knallevoll mit knapp 300 Leuten, ein von der ersten Minute an ganz hinreißendes Publikum, das an die goldene Regel des Poetry Slam - Respect the Poets! - eigentlich gar nicht erinnert werden musste. Gutdraufige Moderatoren, die mir schon allein durch ihren beständigen Kampf mit den Grundrechenarten das gute Gefühl gaben: Die Welt zu Gast bei Freunden! Der Adrenalinpegel bei den Slammenden (zumindest bei mir) wurde durch das fortlaufende Auslosen der Reihenfolge auf angenehm hohem Niveau gehalten, aber schon mit dem Auftritt des Opferlamms wich das Lampenfieber einem Gefühl, das ich bis dato vor allem als Beschwichtigungsparole bei den Bundesjugendspielen kannte: "Dabeisein ist alles." Denn das stimmt echt! Es war einfach, mit den anderen mitzufiebern, zuzuhören, in Sprachbildern und Wortkaskaden zu baden, zutiefst gerührt (danke, Anke und Becci!) und vor Lachen geschüttelt zu werden. Und in sich die schönste aller Formen des Neides zu spüren, wenn man beim Hören eines Textes denkt, dass man den gerne selbst geschrieben hätte - und anzuerkennen, dass man das nicht gekonnt hätte und einfach nur froh ist, den hören zu dürfen.

In der ersten Runde trafen drei Slammer auf zwei Vertreter der Pastoralliga, in der zweiten Runde, nach einer dringend nötigen Pause ging es andersherum weiter. Tendenziell zeichnete sich ein höherer Punktedurchschnitt für die Profipoet_innen ab, was ich ihnen von Herzen gönne, aber gleichzeitig auch schade fand, weil ich die Texte der Kolleg_innen, die ja nun speziell für diesen Anlass geschrieben waren, ganz großartig fand. Und ich habe mir lange Gedanken gemacht, ob es nur die Slamerfahrung ist, die hier eine Rolle spielt - zu einer wirklichen Antwort bin ich nicht gekommen.

Die Spannung steigt: Runde Zwei.


Nachdem in der ersten Runde zwei Amtsgeschwister den Reigen eröffnen durften - mir war das ganz recht, denn ich habe ja gelernt, dass die Bewertungen zum Ende hin tendenziell ansteigen -, wurde es in der zweiten Runde ernst. Der erste Pfarrer wird ausgelost, die Spannung steigt - "ich bin's nicht." Dafür aber the best Vikarsmentor ever (das Zusammentreffen hatte ja schon im Vorhinein den Spaß fast bis ins Unendliche gesteigert), der mit einem grandiosen Text über das entjungferte Universum und dessen prüde Mutter nicht unbedigt die Punktzahl bekam, die er verdient hätte, der aber im Blick auf Satzlänge und Aufnahmebereitschaft des Publikums auch sehr hoch gepokert hatte. Direkt danach: El maestro und unser Coach, der Zymny, mit dem genialen Grundgedanken, wie wohl ein Kind die ihm nicht verständlichen Teile einer Predigt durch eigenes Wissen auffüllt. Und ich überlege fieberhaft, wie auch schon nach dem monumentalen Auftritt von Lasse Samström in der Runde vorher, ob mein Text nicht mehr dadaistische Elemente braucht, ob ich einfach ein paar Silben vertausche oder ein paar Vokalisen ins Mikro brülle. Der nächste Pfarrer - wieder geht der Kelch an mir vorüber. Der letzte Slammer, Sowaswiequasipotenziellerzukünftigerkollege Bleu Broode, singt zwischendrin, genau wie Sulaiman Masomi, und wie ja auch schon Julia Engelmann in dem Video da, und das Publikum rast. Ein Gedanke formt sich in meinem Kopf, dann bin ich auch schon dran, betrete die Bühne, entscheide kurz und schmerzlos - und eröffne mit ein paar Takten aus dem Soundtrack eines Films meiner späten Kindheit. Ob das Publikum Schweinchen Babe kennt, weiß ich nicht, aber: Et läuft!

Aaaand the winner is...



... haha, me! Interessanter Weise wiederholt sich etwas, das auch schon beim Kirche²-Slam in Hannover passiert ist: Die Profipoeten liegen weit vorn, der Slam scheint beschlossene Sache, dann betritt als allerletztes ein_e Theolog_in (in Hannover war es ja Christina Brudereck) die Bühne und räumt ab. Ich freue mich wie ein Schneekönig (auch darüber, dass die Siegertrophäe richtiger Schnaps ist und kein Killepitsch), fühle mich aber auch ein bisschen nach Schummeln - denn richtig poetisch war mein Text eigentlich nicht, trotz mancher Knittelverse, eher ein Stück Stand-Up und sehr klar auf punchlines hin geschrieben. Aber freuen tu' ich mich trotzdem, auch und vor allem über die Stimmung am Ende. Eine Zugabe habe ich natürlich nicht, aber, was soll's, Musik läuft ja erwiesener Maßen ganz gut, und warum hat man sonst vor Jahren mal fast oder sogar ein bisschen Gesang studiert. Der Abend klingt in gemütlicher Runde in den niegelnagelneuen Räumen der Jugendkirche aus, und ich bin voll Siegestaumel und diebischer Freude, dass ich den Pokal von Düsseldorf nach Köln (ha!) hole. 

Was ich mitnehme?


Falls jemand es noch nicht gemerkt haben sollte: Ich reflektiere ja für mein Leben gern - die déformation professionelle des postmodernen Theologen! Und das Ganze stand ja durchaus auch unter erklärtem Forschungsinteresse. Was also nehme ich aus dem Ganzen mit, im Blick auf das Predigen, aber auch darüber hinaus? Mal abgesehen von den Auslosungstischtennisbällen, die fürderhin meinen Schreibtisch zieren sollen?


Fangen wir mit dem Letzten an. Was mich sehr überrascht und extremst gefreut hat, war die Kollegialität - nicht nur hinter (in der Neanderkirche eher neben) der Bühne, sondern schon beim Workshop: Die Neugier auf die Texte der Kolleg_innen, der Spaß miteinander und das gute Gefühl, gemeinsame Sache zu machen. Dieses schöne Gefühl umgibt das Projekt "Predigt und Poetry Slam" insgesamt, übers Internet waren schon vorher Reaktionen von Pfarrer_innen gekommen, auf die bisherigen lyrischen Versuche auf der Kanzel und die Reflexion darüber, die von großer Lust aufs Ausprobieren und aufs Predigen allgemein erzählten - schönere Rückmeldungen habe ich eigentlich noch nie bekommen, und wenn das der Effekt ist, dann, bitte, Leute: Probiert aus, tobt euch aus - und teilt es mit anderen! Vielleicht ist diese Freude über die gemeinsame Arbeit an Sprache und Wörtern übers Internet und mit der damit verbundenen räumlichen Distanz einfacher als auf Pfarrkonventen - aber ich glaube, dass inspirierender Austausch über das eigene Predigen auch dort möglich ist, und wünsche mir, dass ich so etwas noch oft erleben darf! 

Was ich auch mitnehme, ist neues Vertrauen in das gesprochene Wort. Klar ist das unser Metier, aber manchmal nagen sie doch, die Anfragen an das Genre der Predigt in Zeiten der Clipkultur. Dass sich beides nicht ausschließt, nehme ich aus den Reaktionen auf die Videos vom Preacher Slam mit, die in sozialen Netzwerken von den verschiedensten Leuten kommentiert und geteilt werden und damit dazu veranlassen können, die Mauer von Skepsis, die institutionelle Religiosität in der Postmodernen umgibt, zu durchbrechen. Ich nehme auch größere Freiheit mit im Blick auf das Experimentieren mit Sprachstilen, Genres, Färbungen, Tonfällen - neben allem anderen ist das, zumindest für mich, eine gute Übung, von einem salbungsvollen Kanzelton wegzukommen. Und mehr Mut zum Fragment. Denn es bleibt ja nicht aus, dass in poetischer Sprache bestimmte Dinge ungesagt, bestimmte Aspekte unbedacht bleiben - und sich gleichzeitig Räume öffnen, die die Zuhörenden im Idealfall zum eigenen Nachdenken und Nachspüren ermutigen, zu eigenen Begegnungen mit dem Wort und - jetzt fange ich an zu träumen - zum eigenen Formulieren, Dichten, Ausdruck. Christian Lehnert sagt dazu sehr schön: "Gedichte entstehen dort, wo die Sprache versagt, wo ich nichts mehr sagen und doch nicht schweigen kann." Eine nicht zu leugnende Erfahrung vom Preacher Slam ist auch, dass auch die Texte von Pfarrer_innen nach ihrem Unterhaltungswert gemessen werden. Ich glaube nicht, dass sich letzten Endes daran entscheidet, ob eine Predigt gut ist oder schlecht - sehr wohl aber, ob Menschen besser zuhören können oder nicht. Eindrücklich war auch die Erfahrung, ohne Kanzel und Talar, ohne architektonischen und textilen Schutz, für das, was man zu sagen hat, einzustehen und, damit verbunden, Subjektivität zu wagen. Ich glaube ja immer noch, dass es beim Predigen und im Gottesdienst auch etwas Objektives gibt, das von außerhalb unserer Verfügbarkeit und Erfahrung auf uns trifft, aber ich möchte auch ernst nehmen, was einige Gemeindeglieder neulich beim Predigtnachgespräch sagten: "Mich interessiert, was Dir der Text bedeutet - um mich dann auf meine eigene Weise davon ansprechen zu lassen." Die Überlegungen von Manfred Josuttis zum "Ich" auf der Kanzel sind gerade in dieser Hinsicht für mich noch einmal ganz neu interessant geworden. Schließlich nehme ich auch die Frage nach der Performance mit. Auch die Predigt will gestaltet sein, Andrea Bieler und Hans-Martin Gutmann schreiben (und bringen damit einen großen Teil meiner Gedanken ganz zielgerichtet und wunderbar auf den Punkt):
"Die Predigt existiert nur im Augenblick ihrer Performance. Sie kann auch nicht jenseits leiblicher Ausdrucksform erfasst werden. Als Text ist sie nur Manuskript. Predigen ist eine verbale, somatische Handlung, in der mittels der Modulierung der Stimme und der Bewegung des Körpers etwas gesagt wird. Im leblichen Sprechen werden Informationen vermittelt. Jedoch nicht nur Informationen, sondern auch Metaphern, Bilder, Poetisches, durch die wir Dinge über Gott und die Welt sagen, die nur so und nicht anders gesagt werden können. [...] Predigerinnen ringen in einer Welt, die in öffentlichen Diskursen dem instrumentellen Sprachraum die Vorherrschaft lässt, um den Raum medialer Sprache, sie formen Hoffnung auf das Kommen Gottes und die Auferstehung des Fleisches in konkrete Erzählungen; sie gießen das Vertrauen in die Rechtfertigung des "Überflüssigen" in narrative und poetische Formen; sie artikulieren die Klage über die unerlöste Kreatur und darin bringen sie auch die Welt der nackten Tatsachen zur Sprache."
(A. Bieler, H.M. Gutmann, Rechtfertigung des "Überflüssigen". Die Aufgabe der Predigt heute, Gütersloh 2008, 222f.)

Wie geht's weiter?

Jahaa, gute Frage. Für mich persönlich natürlich mit den oben gestellten Fragen und Weiterdenksportaufgaben, mit der wahrscheinlich nie endenden, sondern immer nur an Zwischenstationen ankommenden Suche nach Ausdrucksformen, die dem grundlegenden Paradox der Predigt (Karl Barth still rulez!) und den Anforderungen einer postmodernen Gottesdienstgemeinde gerecht werden. Und ich freue mich, in den nächsten Wochen mir ein paar Slams aus Publikumssicht anzugucken. Ende Mai geht es zum Predigt-Slam-Workshop ins Zentrum für evangelische Predigtkultur nach Wittenberg.

Und, ganz aktuell und vielleicht das Spannendste: In unserer Gemeinde wollen wir die Verse schmieden, solange sie heiß sind. Und wagen ein Experiment am 23.3. um 18 Uhr in der Christuskirche in Köln-Dellbrück: Gottesdienst meets Poetry Slam oder, besser, Spoken Word (weil wegen Bewertung und so): Klavier und Schlagzeug statt Orgel, gestraffte und offenere Liturgie, und die Predigt besteht aus mehreren fünfminütigen Texten, die verschiedene Leute zu einem vorgegebenen Bibelvers (angepeilt ist: "Und Gott sah, dass es gut war.") geschrieben haben und performen. Wer dabei sein möchte, ist herzlich eingeladen - stay tuned, das wird nicht das Letzte gewesen sein, was hier zu dem Thema gesagt worden ist. Und wer sich selbst der Herausforderung stellen will, wende sich vertrauensvoll an mich!

Und zum guten Schluss - natürlich ein kleiner Eindruck für all diejenigen, die nicht dabei waren oder es gerne nochmal sehen wollen. Mit herzlicher Empfehlung auch der anderen tollen Texte und Menschen. Viel Spahaß!


4 Kommentare:

  1. Danke für den Bericht und den Link zu den Videos. Es war wirklich eine Super-Veranstaltung. Den bemerkenswertesten Einzelsatz des Abends hat für mich Jonas Marquardt gebracht, als er das Universum von IHM erzählen lässt: "Er hat mir Himmel und Erde versprochen; und seine Stimme - allein davon kriegt man Kinder."

    Nochmals Gratulation zum 1. Platz, und Deine gesungene Zugabe war auch sehr gekonnt. (Aha! Gesangsausbildung - Passt!)

    Herzliche Grüße

    Thomas

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    1. Nochmals Danke für die Glückwünsche - schön, dass Du dabei warst!

      Wenn Du mehr von Jonas Marquardt lesen willst (der ist vielleicht der Wortgewaltigste von uns allen) - auf der Homepage der Gemeinde veröffentlicht er seine Predigten: www.praktisch-glaube.de!

      LG

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  2. Hallo Holger, sehr unterhaltsam und gut anzusehen und zu -hören! Was mir auffällt ist die knisternde und gute Atmosphäre. Die wäre nochmal eine Überlegung wert. Vielleicht steckt in ihr das, was diese ganzen guten Worte hervorbringt - oder es begünstigt etc. Fühlt sich nach ¨Gemeinschaft der Heiligen¨ oder so an. Muss schon sehr schön gewesen sein mit den Leuten. Etwas fällt mir noch auf, je länger ich mir so Slam-Beiträge anschaue: sie sind meistens kabarettistisch. Das ist super und - wie gesagt - sehr unterhaltsam. Aber was ist mit den ernsteren Themen? Hat sich da mal jemand rangewagt? Wäre spannend. Freu' mich auf neue Impulse - und damit: alles Gute!

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    1. Hallo Martin! Vielen Dankfür die Blumen ;-).
      So wie ich das mitbekommen habe, stimmt Deine Wahrnehmung zum Teil, weil sie eine Entwicklung trefen, die auch manche Slam-Poeten wahrnehmen oder zumindest befürchten: Eine starke Orientierung an Comedy. Ich habe es aber auch bei Slams erlebt, dass da äußerst heikle (persönliche) Themen auf die Bühne kamen, oder auch sehr wütende Beiträge. Vielleicht als Beispiele von der SlamFabrik in Gera: www.youtube.com/watch?v=DZ1cTRmxrGA#t=60m20s (Sebastian Butte, wütend) und
      www.youtube.com/watch?v=DZ1cTRmxrGA#t=8m11s (Ben Bögelein, heikel). Auch bei unserem Preacher Slam waren ernste Texte/Themen dabei, zum Beispiel von Becci John und Anke Fuchs:
      http://www.youtube.com/watch?v=rb9z3i_mZig
      http://www.youtube.com/watch?v=6PfFFLUgAkk
      Ich weiß nicht, ob man da nicht auch genderspezifisch irgendwas sagen könnte. Auf jeden Fall fällt mir auf, dass auf den Veranstaltungen Raum ist für beides...

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