Seit einigen Tagen macht ein Brief von "Oma Marie" die Runde, in dem sie ihren Austritt aus der evangelischen Kirche erklärt und diesen mit Äußerungen des norddeutschen Pfarrers Gero Cochlovius im Fernsehen begründet. Cochlovius, der, wie ein Blick auf die Internetseite seiner Gemeinde verrät, nicht zu denen gehört, die sich allzu große Sorgen um das machen, was sie in Medien von sich geben, hatte im Interview mit dem Journalisten Christian Deker für die NDR-Reportage "Die Schwulenheiler 2) in einem Gespräch, das sich aufgrund der Sprechmuster nicht ganz vom Eindruck des zumindest teilweise Geskriptetseins freimachen kann, gesagt (es ging um das seelsorgliche Angebot von "Heilung"):
"Jo, na gut, das ist schon ne Weile HER (.) Aber (.) ich finde, dass man dieses ANgebot durchaus machen sollte. Denn ich weiß, es GIBT (.) Einzelne=hm (-) ähm (.), die auch an ihrer Situation LEIden (--) UND die tatsächlich auch (.) eine Veränderung sich WÜNschen. [Einwurf Interviewer: Gegen wissenschaftlichen Konsens] Was sagen Sie denn 'die Wissenschaft', da gibt es' es gibt SO! viele Studien und es=s gibt auch wissenschaftliche Studien, die in=ne andre Richtung gehn (--). Also da ist da=da ist die Forschung noch NICHT am Ende angekommen. [Erwiderung Interviewer: Cochlovius predige auch, dass Homosexualität Sünde sei] (---) ((Lufteinziehen)) Es gibt VIELe Sündn (.) und (-) nach der BIbel (.) isses also schon so, dass PRAKtiZIErte (.) ausgelebte Homosexualität NICH dem Willen Gottes entSPRICHT(-) und=ähm (.) und von daher denke ich, is es (.) schon RICHtig, von der Bibel her dann auch den Begriff der SÜNde (-) ähm-ne (.) bei praktizierter Homosexualität zu verwenden'?"
Die ansteigende Tonhöhe am Ende zeigt, dass das Interview hier abgeschnitten wurde - wir wissen also nicht, was Cochlovius sonst noch gesagt hat. Der Verdacht drängt sich in der Tat auf, dass das nicht besonders substantiell ist, wie ja auch seine Aussagen zur vermeintlichen Unentschiedenheit der Wissenschaft generalisierender Quatsch sind.
Ich kann Oma Marie irgendwie verstehen. Ich finde auch, dass Amtsbruder Cochlovius hier dummes und potenziell gefährliches Zeug redet. Trotzdem hoffe ich nicht, dass es zu dem von ihr gewünschten #Aufschrei! kommt, der ja doch nur eine etwas vornehmere Bezeichnung für einen Shitstorm ist. Solche Aufschreie hat es etwa im Nachgang zu der unsäglichen Predigt des unsympathischen Bremer Kollegen Olaf Latzel gegeben, und längst nicht alle Wortbeiträge in diesem Kontext waren theologisch wertvoll. Ich hoffe inständig, dass die Kirche es schafft, die Empörungskultur in den eigenen Reihen vergleichsweise gering zu halten - was wir brauchen, ist eine fundierte, sachliche Auseinandersetzung und die daraus folgenden Konsequenzen, keine oberflächlichen Indignationsgesten.
Und ich bin mir auch nicht sicher, ob und inwieweit theologische Streitigkeiten durch dienstrechtliche Maßnahmen beizulegen sind. So etwas fordert Oma Marie ja implizit, und auch Christian Deker ruft immer wieder nach "Konsequenzen" seitens der EKD. Nur: Die hat in den allermeisten von ihm aufgebotenen Fällen (zum Glück) nichts zu sagen, denn die Anberaumung eines dienstrechtlichen oder eines Lehrbeanstandungsverfahrens ist nicht Sache der EKD, sondern ihrer Gliedkirchen. Und die Kirchen haben als Dienstherrinnen auch eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Amtsinhaber_innen - selbst, wenn diese dummes Zeug reden, ist es durchaus im Sinne Jesu, solche Dinge erst einmal intern zu klären und ihnen bei einem drohenden Shitstorm schützend zur Seite zu stehen.
Und das ist es, was mich an der Reportage (und auch schon an ihrer Vorgängerin) stört, was zumindest einen schalen Geschmack hinterlässt: Deker hat lange gesucht, und er hat natürlich Menschen gefunden, die in sein Konzept passen. Er zeigt Menschen, die Widerliches von sich geben, wie die Schwäbin mit den bösen Augen, die auf einer Anti-Regenbogen-Demonstration mit unverhohlener voyeuristischer Genugtuung kreischt, sich küssende Männer seien "äkälärrägänd". Oder den schon seit Jahren umstrittenen Diabetologen Arne Elsen, der in extremcharismatischen Kontexten zuhause ist und mit der EKD oder ihren Gliedkirchen meines Wissens wenig zu schaffen hat. Oder seine Kollegin aus der Kinderheilkunde, die unheimliche Christl Vonholdt, Mutter Oberin der nicht minder umstrittenen Kommunität Offensive Junger Christen, die zwar Teil des Diakonischen Werkes der EKD ist (warum eigentlich...?), sich aber im Großen und Ganzen am rechten Rand der Aufmerksamkeit und ansonsten, wie der SPIEGEL einst so treffend schrieb, in "christlich-fundamentalistischen Dunstkreisen" tummelt.
Natürlich hat die evangelische Kirche Einiges aufzuarbeiten und nachzuholen. Die jetzt von allen Seiten aber lautstark geforderte "Distanzierung" würde die schrägen Dummheiten dieser Randgestalten aber auf eine Art und Weise adeln und ihnen eine Aufmerksamkeit bescheren, die sie nicht verdienen. Die in dem Film dargestellten Personen sind nicht repräsentativ für die entschiedene Mehrheit der Kirchenleitungen und der Pfarrerschaft im evangelischen Deutschland. Gott sei Dank.
Natürlich hat die evangelische Kirche Einiges aufzuarbeiten und nachzuholen. Die jetzt von allen Seiten aber lautstark geforderte "Distanzierung" würde die schrägen Dummheiten dieser Randgestalten aber auf eine Art und Weise adeln und ihnen eine Aufmerksamkeit bescheren, die sie nicht verdienen. Die in dem Film dargestellten Personen sind nicht repräsentativ für die entschiedene Mehrheit der Kirchenleitungen und der Pfarrerschaft im evangelischen Deutschland. Gott sei Dank.
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