Freitag, 3. April 2015

Und doch. - Karfreitagspredigt über Joh 19,16-30


Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem. 
Seht, wir gehen hinaus aus Jerusalem. 
Hinaus aus der Stadt, auf den Berg, 
in die Peripherie, 
an den Rand der Gesellschaft, 
den Grenzstreifen des Lebens, 
wo so viele Wege enden und Geschichten offen bleiben. 
Es fällt nicht leicht, dort zu bleiben, 
die Luft ist schwer von Trauer und Wut, 
von zerstobenen Träumen und zerbrochener Hoffnung. 

Und doch. 
„Wo Trauer ist, da ist Heiliger Boden, 
manche Menschen lernen das eines Tages – 
sie werden nichts vom Leben wissen, 
bis sie es lernen“, 
sagt Oscar Wilde. 
Seht, wir gehen hinaus aus Jerusalem. 

Bild geklaut bei kirchenmusik-in-gevelsberg,de

Sie nahmen ihn aber und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. 

Leben enden in einer Randnotiz. 
Drei Sterbende, 
davon zwei Namen, 
die man nie gekannt, 
vergessen oder einfach weggelassen hat, 
weil sie nicht wichtig genug erschienen, 
keine Nachricht wert. 

Und doch. 
Jesus aber in der Mitte. 
Inmitten der Entfallenen, 
der Übersehenen und Verdrängten. 
Jesus aber in der Mitte, 
ihr Anker, 
dass niemand von diesen Kleinen verloren gehe 
im stillen Meer des Vergessens. 


Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. 

Was bleibt von einem Menschen nach dem Tod? 
An was werden die Menschen sich erinnern? 
Nach dem Willen der Römer nur an das Eine: 
Die Schuld, das Verbrechen, 
den Grund für die Kreuzigung. 
Was bleibt nach dem Tod 
eines 27jährigen Piloten aus Montabaur, 
einem Sohn, Freund, Neffen, Arbeitskollegen, 
Marathonläufer, Segelflieger? 
Allem Anschein nach nur das Eine: 
Die Krankheit, die Schuld, 
die Verantwortung für den Tod von 150 Menschen. 
Der Name, der einmal publiziert ist, 
das Etikett, das einmal geschrieben ist, 
bleibt haften, das Netzt vergisst nicht: 
Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. 

Und doch: 
Auf dem einen Kreuz, 
über dem sterbenden Körper 
eines als Verbrecher Verurteilten 
strahlt die Aufschrift wie eine Krone in die ganze Welt hinein. 
Knapp zweitausend Jahre trennen uns von dem Geschehen, 
knapp 4.000 km liegen zwischen der Christuskirche und Golgatha, 
aber trotzdem hören wir seine Geschichte,
Tag für Tag, Sonntag für Sonntag. 


Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt: »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten. 

Da ist einer noch nicht unter der Erde, 
noch nicht einmal kalt, 
noch nicht einmal tot, 
noch warm und leise atmend, 
und der Streit um das Erbe geht los. 
Man nimmt es von den Lebenden. 
Eigentum wird verspielt, 
bis auf das letzte Hemd, 
das keine Taschen hat, 
aber immerhin einen Materialwert. 
Der Tod kostet. 

Und doch. 
Es bleibt ein Randgeschehen. 
Das Äußere wird weniger wichtig, 
was man nicht mitnehmen kann, wird losgelassen. 


Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. 

Den eigenen Tod, den stirbt man nur – 
mit dem Tod der anderen muss man leben. 
Einsam und kalt ist der Tod. 
Die Nähe halten nur wenige aus. 
Von den Zwölfen, die ihm näher waren als die eigene Familie, 
von den Hunderten, die er geheilt hat, 
von den Vier- oder Fünftausend, die er satt gemacht hat, 
von den Unzähligen, die seine Worte berührt haben- 
wer bleibt übrig? 
Vier, fünf, vielleicht sechs Menschen. 
Dreimal Maria, eine davon am Sterbeort des eigenen Sohnes, 
dem tiefstmöglichen Punkt im Leben eines Menschen. 
Einsam und kalt ist der Tod. 

Und doch: 
Unter dem Kreuz, um das Sterben drumherum 
werden Beziehungen geknüpft. 
In den durchwachten Nächten, 
den ganz dunklen Stunden 
rücken Menschen zusammen, 
zeigen ihre Wunden und zehren von ihrer Stärke, 
finden sich Schultern zum Ausweinen, 
Hände zum Festhalten, 
treffen sich Blicke hinter Tränenschleiern, 
und es wird anders als zuvor. 

(c) caritas-salzburg.at

Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund. 

Manchmal in den letzten Stunden 
haben Menschen unerträglichen Durst. 
Kein Flüssigkeitsmangel, 
ein letzter Durst nach Leben, 
ein letztes Aufbäumen vor dem Unausweichlichen, 
ein letzter Reflex, wenn die Kräfte schwinden. 
Eine Sehnsucht, die sich nicht stillen lässt. 

Und doch. 
Eine helfende Hand lindert die Qualen, 
ein paar Tropfen benetzen die Lippen 
und lassen spüren: 
Du bist umsorgt, 
du bist nicht allein. 


Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte das Haupt und verschied. 

Es ist vollbracht. 
Das könnten seine Angehörigen sagen: 
Er hat es hinter sich. 
Als die Kraft zu Ende ging, 
wars kein Abschied, wars Erlösung. 

Es ist vollbracht. 
Das könnten die Römer sagen: 
Wir sind ihn los. 
Ein Aufrührer weniger, 
eine Protestbewegung erstickt, 
eine Gefahr weniger für den Staat. 

Es ist vollbracht. 
Das könnten die religiösen Führer sagen: 
Wir haben es geschafft. 
Gottes Recht ist aufgerichtet, 
die Ordnung wiederhergestellt. 

Keiner von ihnen. 
Jesus selbst sagt es, 
behält auch das Ende in der Hand. 
Es ist vollbracht, 
und wie im Schnelldurchlauf 
ziehen die Szenen noch einmal vorbei 
und ergeben einen Sinn: 
Die Dornenkrone und der Purpurmantel, 
der Ehrenplatz auf dem Kreuzeshügel, 
die Inschrift auf dem Kreuz, 
die Soldaten, die einen Plan erfüllen, 
den sie nicht kennen, 
und der doch alles durchwebt und zusammenfügt: 
Rühmet den Herrn, 
die ihr ihn fürchtet; 
denn er hat nicht verachtet noch verschmäht das Elend des Armen 
und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen; 
und als er zu ihm schrie, hörte er’s. 
Die Elenden sollen essen, 
dass sie satt werden; 
und die nach dem Herrn fragen, 
werden ihn preisen; 
euer Herz soll ewiglich leben. 
Es werden gedenken und sich zum Herrn bekehren aller Welt Enden 
und vor ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden. 
Denn des Herrn ist das Reich. 

Es ist vollbracht, 
das sagt der, der keine Angst mehr hat: 
In der Welt habt ihr Angst, 
aber seit getrost, 
ich habe die Welt überwunden, 
und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, 
und der Tod wird nicht mehr sein, 
noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.

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