Montag, 18. Mai 2015

Mit alles, aber ohne... Schaf? scharf? Who knows...

Letzte Woche war mal wieder Workshop im tollen Predigtzentrum in Wittenberg und anschließender Predigtslam im ebenso tollen CLACK-Theater! 


„Mit alles, sagt der Typ vor mir im Dönerladen,
doch noch bevor der Dönermann
den schönen Fladen
mit allem, was er hat, beladen
kann, wird er gestoppt:
Nicht doch, ach nein,
Moment, halt ein,
ruft in letzter Sekunde
der Typ vor mir, der König Kunde,
mit alles, wiederholt er brav,
mit alles – aber ohne scharf!

Is kein Problem, sagt Dönermann,
ist Hähnchendöner, is kein Lamm,
(jetzt lass ich das mit dem Reimen auch sein)
und hobelt an seinem Spieß herum
und unter seinem Messer
perlen Fleischspäne hervor
und segeln fettglänzend hinab
wie Herbstlaub auf den Bürgersteig.
Ist Hähnchendöner, ist kein Lamm,
als ob jemand, der Döner ohne scharf bestellt,
freiwillig Lammfleisch essen würde,
das schmeckt viel zu sehr nach Streichelzoo,
viel zu viel Charakter.

Mit alles, aber ohne scharf.
Und ich denke mir so:
Was für ein Bild für unsre Welt.
Mit alles.
Aber nichts, was den Gaumen irritieren,
die Kehle kitzeln,
bis in die Fingerspitzen
wärmen
oder vielleicht sogar zu Tränen rühren
könnte.

Und draußen auf der Straße geht ein Paar
in den vermeintlich besten Jahren,
wie man sagt,
zu alt für durchgehende Erotik
und zu jung,
um sie nicht mehr zu vermissen.
Nennen wir sie Gisela und Kurt.
Gisela möchte mehr Schärfe im Leben,
deswegen machen sie einen Tangokurs bei Rudolfo.
Aber da gibt es keine Schärfe,
denn Rudolfo heißt natürlich nicht so,
sondern Rudi,
und seine latinotiefe Bräune kommt
nicht von einer kubanischen Muttern,
sondern vom Solarium in Schkeuditz,
wo er immer gelebt hat und immer leben wird.
Nach einer Dreiviertelstunde ungelenker Bewegungen
wird Gisela eine Träne vergießen,
nicht weil Günther beim Tanzen immer nach anderen Frauen schielt,
nicht weil er schon wieder vergessen hat,
dass gestern ihr Hochzeitstag war,
nicht gemerkt hat, dass sie eine neue Frisur,
ein neues Parfüm und drei Kilo abgenommen hat.
Sondern weil er ihr zum sechsten Mal auf den Fuß getreten ist
und die hochhakigen Schuhe sowieso scheuern und schaben und weh tun.
Aber Schärfe ist bekanntlich kein Geschmack,
sondern ein Schmerz,
ein Reiz an Rezeptoren,
die Hitze registrieren.

Mit alles, aber ohne scharf,
so wie ein Schlager von Helene Fischer,
mit vollem Orchester und ohne Ecken und Kanten,
so wie die Predigt vom letzten Sonntag,
mit gelehrten Exkursen
und vielen „Ein Stück weit“s und „Irgendwie“s,
und nichts,
was die Ohren irritieren,
die Nerven kitzeln,
bis in die Fingerspitzen
wärmen und vielleicht
zu Tränen rühren könnte.
Und ich denke:
Hat euch denn keiner gesagt,
dass stumpfe Messer gefährlicher sind als scharfe?

Aber Schärfe ist kein Geschmack,
sondern ein Schmerz,
mit alles, aber ohne scharf,
ist der Wunsch nach einem Leben
mit ohne,
ohne
Scherben, Steine, Schrott und Schroffes,
Schwarzes und Schattiges,
Schluchzen, Schocks und Stolperfallen,
Schrilles und Schwieriges,
Schrecken und Schwere,
Schatten und Schaden,
Schwielen und Schwellen,
Schürfwunden, Schleudertrauma, Stauchungen und Schleifspuren,
Schluchten und Steilhänge,
ein Leben ohne Scheiße,
ohne Schuld
und Sterben.

Mit alles, sagt der Typ vor mir im Dönerladen,
doch noch bevor der Dönermann den schönen Fladen
mit allem, was er hat beladen
kann, wird er gestoppt:
Mit alles, aber ohne scharf.
Und in meinem Kopf
legt der Dönermann sein Messer hin
und dreht sich um
und beugt sich über die Theke
und zieht den Typ zu sich heran,
ganz nah, bis er den Schrecken
in seinen Augen sehen kann,

und sagt ihm leise ins Gesicht:
Sorry, sowas gibt’s hier nicht. 

3 Kommentare:

  1. Gestern deinen Text gehört und abends im Dönerladen - fast - den gleichen Dialog geführt :-) Also freu ich mich nun erst recht, hier den Text nochmal nachlesen zu können.
    Danke für diese guten Gedanken!

    AntwortenLöschen
  2. Annegret Kröger19. Mai 2015 um 14:27

    Toller Text! Der trifft eine Lebensweise, die ich an mir und vielen anderen beobachte, sehr genau. Immer alles wollen, aber ohne Ecken und Kanten. Ich würde daraus gern eine Pfingstpredigt machen. Mal sehen...

    AntwortenLöschen
  3. Heute hat unser Pfarrer diesen Text auszugsweise am Ende der Predigt zitiert. Immer wieder gut!

    AntwortenLöschen