Mittwoch, 25. Mai 2016

Trinitatis-Fragment

„Ist gut jetzt!“ rief Gott und schlug mit der Faust auf seinen Schreibtisch, dass es nur so dröhnte und sein Teeglas einen klirrenden Sprung machte und heißer, süßer Pfefferminztee auf die gläserne Tischplatte schwappte. Unten in der Welt hörte man entferntes Donnergrollen. 
Auf dem Schreibtisch stand ein riesiger Flachbildschirm, über die in nicht enden wollenden Reihen die Meldungen rasten, wie der Börsenticker bei den Nachrichten. Nur, dass es keine Börsenmeldungen waren. Nichts und niemand blieb unbemerkt. Auf einem blauen Band flackerten die Geburten vorbei. Auf einem schwarzen die Todesfälle. Und auf einem roten Band die unnötigen, die vorzeitigen Todesfälle: Verhungernde Kinder, Mordopfer, Verkehrstote. Und das rote Band lief heute für Gottes Geschmack wieder einmal viel zu schnell. 

„Es ist gut jetzt“, schnaubte der Allmächtige noch einmal und blickte dann auf ein Bild, das in seinem Büro an der Wand hing. Ein furchtbar kitschiges Bild, das eine bergige, sattgrün bewaldete Landschaft zeigte, durch die sich ein knallblauer Wasserlauf zog. Das Wasser schien sich zu bewegen, was an den blinkenden Lämpchen hinter der Leinwand lag. Im pastellfarbenen Himmel zogen Schwalben ihre Kreise, vorne im Bild galoppierten wilde Pferde mit fliegender Mähne. Furchtbar kitschig, ja, aber Gott hatte einen Hang zum Kitsch. Deswegen hatte er sich beim Schaffen der Welt mit Sonnenauf- und Sonnenuntergängen, malerischen Blumenwiesen und imposanten Gebirgspanoramen besonders viel Mühe gegeben, ja, er war im Kern mehr Künstler als Handwerker. Der Blick auf das Bild beruhigte ihn immer. Und ließ ihn leicht sentimental werden, wenn er daran dachte, wie alles angefangen hatte. 

Am Anfang das Chaos. Wie bei Moses unterm Sofa. Das ganze Universum hatte rum- und durcheinandergelegen, aber: Es war ein kreatives Chaos gewesen, das Gott nach und nach in Sinn verwandelt hatte. Er sah es alles noch vor sich, als wäre es gestern gewesen: Grüne, gichtbekronte Meere, klarblaue Flüsse und Seen, leuchtende Wiesen, wogende Wälder, zwitschernde Vögel. Schön war es gewesen. Und dann war er auf die Idee gekommen, den Menschen da rein zu setzen… 

Ein kurzer Gong riss Gott aus seiner Nostalgie. Zeit für das informelle Vorstandsgespräch. Daran hielt man eisern fest, eine Stunde für Teambuilding und kurzwegige Kommunikation. Gott machte sich auf zur himmelseigenen Chill-Out-Lounge, die mit Tüchern an Decken und Wänden und bunten Kissen nicht nur zufällig an ein Beduinenzelt erinnerte – die Besinnung auf die nomadischen Ursprünge war für die Corporate Identity seit ehedem wichtig. 



Jesus war schon da, fläzte sich auf den Kissen und zog blubbernd an einer Wasserpfeife. 
„Fehlt nur noch der Heilige Geist“, sagte Gott. 
„Ich bin schon da“, hauchte eine Stimme, die von überall und nirgends zu kommen schien. 
„Also dann“, sagte Gott und ließ sich ächzend auf ein Kissen sinken. 
„Ich fang an. Diese Menschen!“ stöhnte er. 
„Ey, vorsicht“, sagte Jesus. 
„Ich höre da bei dir raus, dass die Dir Kummer machen“, raunte der Heilige Geist. 
„Ja, genau“, sagte Gott, „manchmal wünsche ich mir, ich hätte sie nie erschaffen.“ 
„Du würdest Dir wünschen, Du hättest sie nie erschaffen“, spiegelte der Heilige Geist wieder. „Hm…“, sagte Jesus. „Machen wir doch mal ein kleines Gedankenexperiment: Stell Dir vor, Du könntest zaubern oder so ähnlich…“ 
„Ich kann zaubern, oder so ähnlich“, unterbrach ihn Gott ungehalten. 
„Und stell Dir vor“, sprach Jesus unbeirrt weiter, „Du könntest sie mit einem Fingerschnipsen verschwinden lassen…“ 
„Das könnte ich tatsächlich“, grummelte Gott, „ist gar nicht viel Aufwand: Ein kleiner Meteoriteneinschlag, ein paar Wochen Dauerregen…“ 
„Aber das wolltest du ja nicht mehr machen“, hauchte der Heilige Geist. 
Gott brummte. 
 „Jetzt lasst uns doch mal weiterdenken“, beharrte Jesus. „Stell dir vor, du würdest es machen. Wie würde die Welt dann aussehen?“ 



Und Gott schwärmte von knallblauem Wasser, von einem pastellfarbenen Himmel, über den Schwalben ihre Kreise zogen und von galoppierenden Wildpferden mit fliegender Mähne. Jesus und der Heilige Geist kannten das Bild aus seinem Büro und sagten nichts. 
„Und ungestört würden die Blumen blühen und die Bäume ausschlagen, und Frühling würde auf den Winter folgen und Regen auf Sonnenschein, und die Bienen würden surren… und…“ Er stockte. „Und?“, fragten Jesus und der Heilige Geist gleichzeitig. 
„Es wäre wie damals“, sagte Gott langsam. „Idyllisch. Wunderschön. Und… furchtbar langweilig.“ 

Und Gott erinnerte sich daran, dass er genau deswegen gegen alle Vernunft und gegen alle Voraussicht die Menschen geschaffen hatte, nicht weil er sie gebraucht hätte – sondern weil er sie wollte. 
Und Gott zog gedankenverloren an seiner Shisha. Dichter, weißer Rauch umwallte ihn, blieb wie ein weißer Rauschebart an seinem Kinn hängen und sank dann unendlich träge hinunter, immer weiter. Und die Menschen sahen dichte weiße Wolken am klarblauen Himmel. Nur wenn man ganz genau hinsah, konnte man sehen, dass sie sich bewegten. Am Besten geht das, wenn man sich auf einer Wiese auf den Rücken legt. Und Gott dachte, in Abwandlung einer verdammt guten Predigt, die sein Sohn einmal auf einem Berg gehalten hatte: Selig sind, die stehen bleiben und in den Himmel gucken. Denn sie ahnen, dass es gut war und wieder gut sein kann. 

„Bist du fertig“, fragte Jesus nach einer Weile. 
„Ja“, nickte Gott, doch dann dachte er wieder an das rote Band auf seinem Bildschirm, das immer schneller raste. „Obwohl… es ist doch wirklich gut jetzt, so kann das doch nicht bleiben“, sagte er noch einmal. 
„Ich kümmer‘ mich drum“, raunte der Heilige Geist und rauschte abwärts, kitzelte hier und dort ein paar Nasen, berührte ein paar Herzen und weckte hier und dort ein bisschen Lust an der Unendlichkeit. Bei einigen von denen, die träumerisch in den Himmel guckten, und auch bei ein paar anderen. 

Und Gott nickte, und sah, dass es ganz gut war.

1 Kommentar:

  1. Gefällt mir gut! Das Szenario erinnert mich, mit umgekehrten Vorzeichen, an Shalom Auslanders böse Story "Die schützende Hand ganz oben", wo Gott, der Tod und Luzifer ständig eingreifen müssen, weil Airbags, Seitenaufprallschutz und moderne Medizin die Sterbeplanung immer wieder in Verzug bringen.

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