In
meiner Familie gibt es nichts großes Altes.
Außer
meiner Großtante Erna, die den Erzählungen nach noch mit 92 einsachtzig ohne Schuhe
maß, aber sie ist schon zehn Jahre vor meiner Geburt verstorben.
Es gibt
keine alten Möbel.
Die
mussten bleiben, damals,
als die
Generationen vor mir sich aufmachten.
Vielleicht
steht irgendwo in Schlesien noch ein wuchtiger Bauernschrank, in der meine
Urgroßeltern ihre Kleidung „für gut“ aufbewahrten.
Vielleicht
steht irgendwo in Schweden noch ein Holzofen in Kleinwagengröße.
Das
mannshohe Küchenbüffet mit dem großen Bonbonglas im obersten Regal
ist
verbrannt beim Angriff auf Barmen,
als die
Bomber über Ronsdorf kamen und niemand sie kommen sah.
Eine
uralte oder zumindest alte oder zumindest so aussehende Familienbibel ist
verschwunden,
als
meine Oma mit ihrer Schwester damals das Erbe aufteilte.
Du
kriegst was, ich kriege was.
Am Ende
waren die Bibel und zwei WMF-Töpfe übrig,
und Oma
durfte zuerst wählen.
Als
keine Bomber mehr flogen,
als
meine Großeltern das Wirtschaftswunder wahr werden sahen,
als die
Hamstertouren ein Ende hatten
und sie
mit eigenen Händen ein eigenes Haus bauten,
auf
eigenen Füßen standen in den eigenen vier Wänden,
verschwanden
die letzten alten Möbel.
Es
musste Neues her
um den
vielen Platz zu füllen
und zu
zeigen, sich selbst und anderen: Wir haben es geschafft.
Möbel,
die nach massiver Eiche aussahen, aber viel leichter waren. Und preiswerter.
Die
Platz boten für Farbfernseher, Barfach,
für
Wunderapparate, die ein einfacheres Leben versprachen
und
dieses Versprechen auch hielten.
Waschmaschine,
Spülmaschine, Tiefkühltruhe.
Und die
alte Bettwäsche aus der Aussteuerkiste ging ans Rote Kreuz
oder
gleich an die Verwandten
drüben
in der kalten Heimat,
weil
sie ohnehin nicht in die Waschmaschine durfte,
und die
Bleikristallgläser,
die
nicht in die Spülmaschine konnten
und in
die keine Kullerpfirsiche reinpassten,
wanderten
zum Sperrmüll,
so wie
die Einweckgläser und der Wäschezuber.
Als ich
in meine erste eigene Wohnung zog,
hatte
ich nur ein paar Möbel aus dem großen blaugelben Möbelhaus.
Und
weil die Möbel billig waren.
Und
leicht zu transportieren
beim
nächsten Umzug und nächsten und übernächsten.
Praktisch.
Und ein bisschen schade,
weil
die glatten Oberflächen keine Geschichten erzählten,
weil
der vom ersten HiWi-Lohn gekaufte Schreibtisch
mich
mit niemandem verband, der früher daran gesessen hatte.
Und
weil die Möbel sich sehr schnell abnutzten.
Mein
erstes altes Möbelstück war ein Küchenbüffet vom Sperrmüll.
Mit
vereinten Kräften abends durch die halbe Stadt getragen.
In den
Semesterferien abgeschleift und geölt
und mit
neuen Griffen.
Beim
Umzug ziemlich schwer.
Mittlerweile
sind Regale aus alten Weinkisten dazugekommen.
Und ein
Gewürzregal vom Flohmarkt in Schweden.
Und ein
paar alte Blechdosen, Knäckebrot, Hustenpastillen,
aus den
20ern.
Die
halten immer noch.
Und so
langsam kaufe und sammle ich mir Geschichte zusammen.
Dinge,
die vorher anderen Leuten gehört haben.
Die mir
ihre Geschichten erzählen.
Und die
vielleicht nach mir noch jemandem gehören,
der
seine Geschichte zu meiner dazulegt.
Ich
habe auch wieder Einweckgläser. Neue und ein paar alte.
Früher
haben Oma und Opa Marmelade gemacht, weil es so viele Kirschen gab.
Jetzt
kaufe ich Kirschen, um Marmelade zu kochen.
Auch,
wenn die Arbeitsabläufe sich umkehren,
auf dem
Brötchen schmeckt es gleich.
Nach
Sommer und Rot und Sonne und Grün und barfuß im Gras und knarrenden Leitern,
auf deren Stufen schon längst die Farbe abgeplatzt ist.
In
meiner Familie gab es auch nichts Religiöses von früher.
Keine
Tischgebete,
keine
gefalteten Hände,
kein
Kreuz,
keinen
Herrgottswinkel,
keine
Lieder mit alten, knorrigen Wörtern.
Keine
Bibel, dafür WMF-Töpfe.
Es gab
ein altes Soldatengesangbuch.
In das
legte Opa jeden Heiligabend einen Geldschein
und
eine Schuppe vom Karpfen.
Warum
auch immer.
In den
Raunächten wanderte er in meine Spardose.
Der
Geldschein also.
Als ich
anfing zu studieren,
hatte
ich wenig Religiöses an der Hand.
Ein
bisschen Lobpreis und Sacro-Pop,
ein
paar irische Segenswünsche
aus dem
Jugendgottesdienst.
Selbst
zusammengesucht, leicht zu handhaben.
Herr,
deine Liebe ist wie Gras und Ufer…
Ins
Wasser fällt ein Stein…
May the road rise to meet you…
Ich
habe sie noch.
Meinen
Schreibtisch von IKEA übrigens auch.
Sie
sind praktisch.
Und sie
sind Teil meiner Geschichte.
Aber
wenn ich jetzt einen neuen Schreibtisch brauchte,
würde
ich wahrscheinlich woanders hingehen.
Auf den
Flohmarkt, zu ebay-Kleinanzeigen,
zum
Schreiner im Uellendahl,
der
auch Entrümpelungen macht
und in
seiner Schreinerei hinten eine kleine Schatzkammer hat,
von der
nur wenige wissen, obwohl jeder rein darf,
mit
alten Sachen, die es schon lange gibt und noch lange halten.
Wenn
ich jetzt Worte für mein Herz brauche,
bleiben
Feiert Jesus und Lebenslieder plus im Schrank.
Und ich
greife daneben
zu
Rilke
und
Claudius
und
Klepper
und
Gerhardt
und
Lobwasser.
Ich
schau nach jenen Bergen gern,
ist
Gott für mich, so trete gleich alles wider mich…
Noch
manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und –schuld…
Du,
Nachbar Gott, wenn ich dich manches Mal in langer Nacht mit hartem Klopfen
störe, so ist’s, weil ich dich selten atmen höre…
… und
unsern kranken Nachbarn auch…
Die
Oberflächen sind weniger glatt.
Manche
Sachen stehen in Schatzkammern hinter den eigentlichen Geschäften,
in die
jeder rein darf, aber von denen kaum jemand weiß.
Die
Sachen sind schwer,
nicht
so einfach von einem Ort zum nächsten zu tragen.
Manchmal
kommen neue Griffe dran,
mancher
Sinn muss mir erst erklärt werden.
Aber
sie halten länger.
Tragen
Geschichten in sich,
verbinden
mich mit den Menschen, die die Lieder gesungen haben
und
noch nach mir singen werden.
Manchmal
kehren sich die Abläufe um.
Ich
habe erst lange Yoga gemacht,
jetzt
nimmt das Herzensgebet auf der Matte Platz.
Ich
habe Distler und Ligeti und Wolf gehört
und
dahinter das Echo der Gregorianik.
Ich
musste erst mit Marie Kondo fragen,
was
mich glücklich macht,
bevor
ich die Benediktsregel lesen und verstehen konnte.
Ich
habe Kimchi in Industriemengen verputzt,
bevor
in meinem Keller eine Ecke für das Sauerkrautfass frei wurde.
Ich
habe mit Slow-Food-Produzenten gesprochen
und
handgeformten Büffelmozzarella gegessen
und tagelang
gegangenes Sauerteigbrot aus dem Steinofen
und
Wein beim Winzer zuhause getrunken,
und
manches Brot mit Tränen gegessen,
bevor
mir der Dank davor und danach über die Lippen kam.
Nicht
als Tischrap.
Zwei
Dinge, Herr, sind Not, die gib nach deiner Huld,
gib uns
unser täglich Brot, vergib uns unsere Schuld.
In
meiner Familie gibt es nichts altes Religiöses.
Außer
meiner Großtante Erna, die den Erzählungen nach das Gesangbuch auswendig
konnte.
Aber
die ist, wie gesagt, schon Anfang der Siebziger gestorben
und mit
ihr so manches.
Aber
neben meiner biologischen Familie
gibt es
die logische,
theologische,
christologische.
In die
ich nicht hineingeboren wurde,
sondern
hineingetauft.
Die
genauso verschroben ist wie meine Tschelotka daheim mit Onkel Karl und Oma
Margot und Tante Lena und allen anderen,
und
genauso liebenswert.
Und
diese Familie hat Großes und Altes.
Im
Hause unseres Papas sind viele Wohnungen.
In
manchen stöbere ich herum.
Streichle
mit der Hand über einen alten Bauernschrank,
fluche,
als ich mir einen Splitter in den Finger haue,
aber
finde das Ganze wunderbar.
Ahne,
dass nicht alles bei mir Platz findet.
Sehe,
dass mir nicht alles gefällt.
Aber
komme jedes Mal voller Geschichten raus.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen