Sonntag, 7. April 2019

Zur Causa Jana

EIN ÜBERFÄLLIGES PROJEKT - UND EIN ERWARTBARER SKANDAL


Seit ziemlich genau einem Jahr gibt es das Projekt "Jana glaubt", ein von EKD, GEP und aej erdachtes und von einer externen Medienfirma produziertes Video-Projekt, bei dem Jana Highholder, Medizinstudentin und Slam-Poetin, über ihren Glauben erzählt. Ein solches Projekt war längst überfällig, weil die verfassten Kirchen das Internet im Allgemeinen und youtube und Podcast-Plattformen im Besonderen gemeinhin den in dieser Hinsicht weitaus umtriebigeren Geschwistern von eher rechtsaußen überlassen. 

Die meisten Menschen, auch die meisten evangelischen Gemeindeglieder, werden davon wenig mitbekommen haben - bis vor einigen Wochen, als sie sich mit der Pfarrerin Hanna Jacobs ein kontroverses Streitgespräch über die Frage: "Müssen sich Frauen unterordnen?"  geliefert hat, noch dazu am Weltfrauentag. 

Schon der Titel der Folge scheint aus der Zeit gefallen. "Müssen sich Frauen unterordnen?" (gemeint ist natürlich: unter Männer) ist eine Frage, die seitens der evangelischen Kirche in aller entschiedenen Breite Gott sei Dank seit Jahren mit einem klaren "Nein!" beantwortet wird - auch, wenn Alltagsdiskriminierung in der Kirche kaum weniger selten sein dürfte als im Rest der Gesellschaft. Es ist aber auch eine Frage, wie sie in evangelikalen Kreisen in aller Regelmäßigkeit gestellt wird, ähnlich wie "Ist es eine Sünde, wenn ich mich in der Sauna nackt zeige?" oder "Darf ich als Christ in ein chinesisches Restaurant gehen, wenn da eine Buddha-Statue steht?" Also eine Frage, die für den allergrößten Teil der Menschen in Deutschland nicht nur keine Rolle spielt, sondern vollkommen abwegig erscheint. Nun ist dieses evangelikale Milieu die geistliche Heimat von Jana Highholder - Till-Reimer Stoldt hat in der WELT schon vor drei Monaten auf diesen potenziellen Interessenskonflikt hingewiesen: 

"Gleichwohl wirkte das Votum der EKD wie eins gegen den eigenen Klub [...]. Daher meidet [Jana] manches Thema, das Evangelikalen am Herzen, liberalen Protestanten aber bleischwer im Magen liegt – etwa die Frage, ob Christen vor der Ehe enthaltsam leben sollen (was Jana bejaht, in EKD-Kreisen aber eher verpönt ist). Einen Bogen schlägt sie auch um Themen wie die Unfehlbarkeit der Bibel (für Evangelikale unbestreitbar, für die EKD falsch) oder um die Frage, ob alle Menschen in den Himmel kommen (für Evangelikale fast ausgeschlossen, für die meisten Mitglieder der EKD sehr wahrscheinlich)."

Die EKD ist also ein kalkulierbares Risiko eingegangen. Seit einigen Wochen schlagen die Wochen hoch, Hanna Jacobs zum Beispiel hat im (an dieser Stelle wärmstens empfohlenen) WORTKOLLEKTIV-Podcast ihre Eindrücke vom Gespräch noch einmal geschildert und auch in einem Artikelkompendium von Christ und Welt neben anderen medialen Schwergewichten der kirchlichen Szene Stellung bezogen. 

Ich bin noch ein bisschen unentschieden, wie ich die ganze Sache finde. Auf der einen Seite ärgern mich Janas Aussagen: Ich finde sie theologisch falsch und gesellschaftlich verheerend, und ich bin ein großer Anhänger vom Bild der Kirche als safe space, also als einem Raum, an dem Menschen vor diskriminierenden Äußerungen sicher sein können (dankbar bin ich trotzdem dem Evangelischen Zentrum für Männer und Frauen, für das Ruth Heß unlängst in einem Facebook-Post um ein differenziertes Verständnis von Janas Aussagen geworben hat). Auf der anderen Seite frage ich mich manchmal, ob safe spaces in medialen Kontexten überhaupt realisierbar sind, und ob sie nich an manchen Stellen ein etwas hübscherer Ausdruck für "Wagenburgmentalität" oder zumindest "Echokammer" sind. Ich würde mir wünschen, dass die Frage nach der Stellung der Frau ausdiskutiert ist. Wie andere Fragen auch. Aber der öffentliche Diskurs der letzten Jahre legt doch nahe, dass das alles andere als erledigt ist, und dass gesellschaftliche und theologische Errungenschaften keinen Ewigkeitscharakter haben, sondern immer wieder neu erkämpft werden müssen. Und dass die theologische und milieumäßige Vielfalt, die die EKD unter ihrem Dach beheimatet, solche ständigen Diskurse braucht.

DAS PROBLEM LIEGT WOANDERS


Ich kann Erik Flügge gut verstehen, wenn er (im besagten ZEIT/C&W-Artikelkompendium) sagt:
"Ein Grundproblem der kirchlichen Kommunikation ist, dass sich Formate ständig vor dem persönlichen Geschmack und dem persönlichen Glauben anderer rechtfertigen müssen. Schnell wird alles, was persönlich nicht gefällt, theologisch angegriffen. "Zu flach", "zu konservativ", "zu liberal" oder "zu undifferenziert" sind all die Dinge, die man persönlich einfach nicht schauen will."
Ich kann ihn auch verstehen, weil ich mich selbst getroffen fühle - ich gehöre schließlich auch zu denen, die gern den status confessionis ausrufen, wenn es um Fragen von Gender und sexueller Vielfalt geht. Wenn man statt Jana Highholder irgendjemanden in den Ring geschickt hätte, der oder die mit salbungsvoller Stimme sorgfältig gewählte und von einem paritätisch besetzten Gremium redigierte Sätze in die Kamera sagt, hätte man es auch lassen können, das gibt es bereits zur Genüge. Nur sind solche Formate medial wenig marktgängig - und, Hand aufs Herz, auch meistens nicht wirklich interessant. Wenn Stoldt in der WELT den Eindruck hat, es "gäbe es unter 21,5 Millionen EKD-Mitgliedern keinen geeigneten Kandidaten", dann trifft er, glaube ich, den Kern des Problems. 

Ich habe mich oft gefragt, warum ich zur eigenen Erbauung meistens US-amerikanische oder manchmal englische Podcasts oder youtube-Predigten höre. Zum Einen liegt das sicher daran, dass es, wegen der zitierten Übermacht evangelikal-fundamentalistischer Angebote, kaum etwas Deutschsprachiges gibt, das ich irgendwie interessant finde, geschweige denn relevant. Woanders werde ich da fündig und freue mich auf Neues von Barbara Brown-Taylor, Walter Brueggemann, Nadia Bolz-Weber, Anna Carter Florence, Anne Lamott oder Heidi Neumark. Ich frage mich seit längerem, warum das so ist, was mich bei ihnen anspricht, das ich anderswo vermisse. Und ich glaube, es liegt an der Sprache. Meinem Eindruck nach fehlt im Deutschen ein bestimmtes Sprachregister komplett, nämlich eins, das es möglich macht, alltagsnah, unaufgeregt, berührend und bewegend über den Glauben zu sprechen, ohne in theologische Floskeln, akademische Sprache, Poesie oder Betulichkeit zu verfallen.

Der gemeinsame Nenner von den hier zitierten Kolleg*innen ist, dass sie eine äußerst konkrete Sprache sprechen. Da Sprache vom Denken nicht zu trennen ist, hängt das natürlich auch mit der Theologie zusammen: Der deutschsprachige Mainstream-Protestantismus hat "Glauben" weitestgehend mit "Weltanschauung" übersetzt und damit Kategorien wie "Beziehung" und "Erfahrung" ausgeklammert. Vielleicht ist das die Voraussetzung dafür, eine schweigende und nur mehr oder weniger interessierte Mehrheit der Mitglieder bei der Stange zu halten und nicht zu verschrecken. Damit aber fallen derzeit relevante Kommunikationsstrategien wie Storytelling quasi automatisch weg oder werden zumindest zu einer extrem schweren Aufgabe. Konkrete Sprache fällt im protestantischen Mainstream sehr schnell unter den Verdacht der Freikirchlerei - kein Wunder, dass dieses Milieu so gut wie keine Menschen hervorbringt, die willens oder in der Lage sind, öffentlich über ihren Glauben zu sprechen. Insofern löst das Format "Jana glaubt" keine Probleme, aber es schafft auch keine neuen - sondern lässt nur bereits bestehende Probleme deutlich hervortreten. Wenn im Fahrwasser der jetzt gerade aufgebrandeten Diskussion mehr Menschen an die Öffentlichkeit treten, vielleicht sogar ein bisschen Offenheit, Einseitigkeit und Angreifbarkeit wagen, ist das nicht der schlechteste Dienst, den Jana Highholder der EKD erwiesen hat.

 




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