Montag, 15. Juli 2013

Dreimal: Nein. - Predigt über Lk 14,25-34

Liebe Gemeinde,

wer zum Judentum konvertieren, also Jüdin oder Jude werden will, muss zum Rabbiner gehen und mit ihm über die Gründe sprechen. Beim ersten Mal wird der Rabbiner sagen: Nein. Irgendwann wird es vielleicht, bei wirklichem Interesse, ein zweites Gespräch geben. Auch dann lautet die Antwort: Nein. Vielleicht wagt der Mensch einen dritten Versuch. Geht noch einmal zum Rabbi, erklärt sich ein drittes Mal – und der Rabbi wird sagen: Nein.
(c) Dieter Schütz / pixelio.de
Der Grund für dieses dreimalige Nein ist offensichtlich: Wer ein viertes Mal kommt, meint es wirklich ernst. Und wer nach dem dritten „Nein“ noch einmal zum Rabbi geht, der bekommt dann als Antwort: Vielleicht. Und dann beginnt ein langer Weg, mit theoretischem Lernen aus vielen Büchern, und dem praktischen Lernen durch die Teilnahme am Leben in jüdischen Gemeinden und Familien. Erst dann kann die Entscheidung getroffen werden.
Liebe Gemeinde, ich erzähle Ihnen das nicht, um Ihnen religiöse Bildung zu vermitteln. Sondern weil mir diese Tradition des Judentums hilft, den heutigen Predigttext besser zu verstehen. Dreimal sagt der Rabbiner: „Nein“, und erinnert damit daran, dass der Glaube nichts ist, was man wechselt wie seine Kleidung, dass es um eine Lebensentscheidung geht.
Ich lese aus dem Lukasevangelium, Kapitel 14:


Es zogen aber viele Leute mit ihm. Und er wandte sich um und sagte zu ihnen: Wer zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern und dazu auch sein eigenes Leben hasst, kann nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und in meine Nachfolge tritt, kann nicht mein Jünger sein. Wer von euch wird sich, wenn er einen Turm bauen will, nicht zuerst hinsetzen und die Kosten berechnen, ob er auch genug habe zur Ausführung. Es könnten sonst, wenn er das Fundament gelegt, den Bau aber nicht fertig gestellt hat, alle, die es sehen, sich über ihn lustig machen: Dieser Mensch hat zu bauen angefangen und war nicht in der Lage, es fertig zu stellen. Oder welcher König wird sich, wenn er auszieht, um mit einem anderen König Krieg zu führen, nicht zuerst hinsetzen und überlegen, ob er imstande ist, mit zehntausend Mann dem entgegenzutreten, der mit zwanzigtausend Mann gegen ihn anrückt? Andernfalls schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch weit weg ist, und bittet um Frieden. So kann denn keiner von euch, der sich nicht von allem lossagt, was er hat, mein Jünger sein. Salz ist etwas Gutes. Wenn aber auch das Salz fade wird, womit soll es wieder salzig gemacht werden? Es ist weder für den Acker noch für den Misthaufen zu gebrauchen; man wirft es fort. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Liebe Gemeinde, was Jesus hier sagt, klingt womöglich ungewohnt hart in unseren Ohren, kalt und verrechnend, Kosten und Nutzen abwägend. Und es soll und kann in dieser Predigt nicht darum gehen, mit einem Weichzeichner über diese Worte zu fahren, die Kanten abzuschleifen und den ganzen Text auf einen einzigen griffigen Satz zu bringen, den wir mit nach Hause nehmen und widerstandslos in unseren Alltag übertragen können, auf dass möglichst alles so bleibt, wie es ist.

Dreimal sagt der Rabbiner, wenn jemand zum Judentum konvertieren will: Nein. Dreimal sagt Jesus, wer nicht sein Jünger, seine Jüngerin sein kann:

Wer zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern und dazu auch sein eigenes Leben hasst, kann nicht mein Jünger sein.

Liebe Gemeinde, ich habe vorhin gesagt, es geht nicht darum, mit einem Weichzeichner über den Text zu fahren und den Anspruch kleinzureden, den Jesus an die stellt, die mit ihm durchs Leben gehen wollen. Aber in diesem Abschnitt geht es doch vielleicht darum, ein Missverständnis aufzuklären: Wenn in der Bibel von „hassen“ die Rede ist, dann ist das nicht das Gefühl totaler Abneigung, das wir heutzutage meinen. Mit Lieben ist es übrigens genauso: Unser schönes Wort Nächstenliebe heißt ja auch nicht, dass wir anderen Menschen gegenüber ein warmes Gefühl haben, sondern dass wir ihnen tatkräftige Unterstützung zukommen lassen, ihnen zu ihrem Recht verhelfen – ganz unabhängig von persönlicher Sympathie. Vater und Mutter, die ganze Familie, sogar sein eigenes Leben hassen – das meint in diesem Sinne: Ansprüche zurückstellen und sich befreien von dem Netz aus Traditionen, alten Angewohnheiten und Erwartungen, die, auch, wenn sie von der Familie kommen, nicht immer gerechtfertigt sind.
Ohne die Kanten abschleifen zu wollen, möchte ich Ihnen einen jüdischen Witz erzählen:

Drei ältere Damen unterhalten sich darüber, wessen Sohn seine Mutter am meisten liebt.
Die erste erzählt stolz: „Mein Sohn hat zu meinem Achtzigsten eine Kreuzfahrt mit mir gemacht! Zwei Wochen Erster Klasse durch die Karibik – 8.000 Dollar hat ihn das pro Person gekostet!“
„Das ist noch gar nichts“, unterbricht die zweite, „mein Sohn hat zu meinem Achtzigsten für ein ganzes Wochenende ein Hotel gemietet, die ganze Familie, sogar die Verwandten aus Israel eingeflogen, für insgesamt 25.000 Dollar!“
„Ach“, winkt die dritte ab, „das ist doch überhaupt nichts. Mein Sohn ist seit fünf Jahren in Psychotherapie, zweimal die Woche trifft er sich mit seinem Therapeuten, zahlt jedes Mal 80 Dollar für eine Stunde – und worüber reden sie, die ganze Stunde lang? Über mich!“
Es gibt also durchaus familiäre Bindungen, aus denen wir uns lösen müssen, meist geht das ganz von selbst, bis auf ein paar Rangeleien in der Pubertät – manchmal ist dieser Schritt aber auch für beide Seiten anstrengender, wenn die Erwartungen überzogen sind. Wer sich hier nicht löst, wird kein freier Mensch sein, auch in seinem Glauben nicht. 

Und so höre ich aus diesem Satz Jesu zweierlei heraus:
Einerseits die Frage zum Nachdenken: Wo halten dich die Erwartungen deiner Familie oder deiner Umgebung zurück? Wo tust du nicht das, was du für richtig hältst, weil du Angst hast vor den Reaktionen deiner Verwandten oder deiner Freunde?
Und andererseits die Einladung: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid – mit ungeklärten Verhältnissen und brüchigen Beziehungen, mit Euren Eigenheiten und Geschichten, die es euch schwer machen, euch selbst zu mögen. Niemand muss eine Bilderbuchfamilie vorweisen, und niemand muss restlos von sich selbst überzeugt sein.

Ein zweites „Nein“ hören wir von Jesus:
Wer nicht sein Kreuz trägt und in meine Nachfolge tritt, kann nicht mein Jünger sein.

Liebe Gemeinde, als Jesus das sagt, ist er auf dem Weg nach Jerusalem, kurz davor, sein eigenes Kreuz aufzunehmen und zu tragen. Wer ein paar Kapitel weiterblättert, wird Zeuge eines anstrengenden Zwiegesprächs im Garten Gethsemane, in dem deutlich wird: Der Weg, den Jesus geht, ist nicht einfach, führt mitten durch die nackte Angst ums Überleben, bringt ihn zu dem, was er am Meisten fürchtet. Dadurch, dass Jesus diese Angst ausspricht und vor Gott ablegt, wird der Weg frei, der Weg zum Kreuz und darüber hinaus, der Weg vom Tod in das Leben, für ihn und für uns.
„Jeder hat sein Kreuz zu tragen“, seufzen wir manchmal. Dahinter steckt das ganz banale und doch so schwer zu akzeptierende Wissen, dass das Leben nie perfekt ist. Und es geht noch ein bisschen tiefer:

In der Psychologie spricht man Kernverletzungen, also von Wunden an der Seele, von Ängsten oder Erfahrungen, die ganz tief sitzen und unser Verhalten prägen. Der Ostberliner Rapper Sido hat das in einem Lied sehr plastisch ausgedrückt, er beschreibt schwere Erfahrungen seines Lebend und singt: „In einem schwarzen Fotoalbum mit nem silbernen Knopf/ bewahr‘ ich alle diese Bilder im Kopf.

(c) lichtkunst.73 / pixelio.de
Ich glaube, jeder von uns hat so ein schwarzes Fotoalbum mit düsteren Bildern, die uns belasten, die uns schwerfallen, zu betrachten, die Geheimnisse, die wir mit uns tragen: Traumatische Erinnerungen, Eigenschaften, die wir uns und anderen gegenüber nicht eingestehen wollen, oder tief sitzende Ängste. Sein Kreuz zu tragen heißt dann: Das schwarze Fotoalbum nicht in den hintersten Ecken des Unterbewusstseins zu verstecken und weiter so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Das klappt nie so richtig, die Bilder holen uns ein – und ein Glaube, der diese Abgründe zu verdecken versucht, bleibt oberflächlich und banal, weil er immer wieder Untiefen ausweichen und Tabuthemen vermeiden muss. Sein Kreuz tragen heißt, sich mit der Hand Jesu auf der Schulter den eigenen Kernverletzungen zu stellen – und dann kann etwas Erschreckendes und Wunderbares zugleich passieren: Kernverletzungen und Kernkompetenzen (oder Kernberufungen) liegen oft nah beieinander. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Schattenseiten und Abgründen macht sensibel im Umgang mit anderen. Das ist nicht einfach, denn das heißt oft, sich von Bildern, die man sich von sich selbst macht, von Vorstellungen eines gelungenen Lebens zu verabschieden. Und das geht vielleicht nur aus dem Vertrauen heraus, dass ich vor Gott meine Schattenseiten nicht verstecken kann – und auch nicht muss.

Liebe Gemeinde, das alles führt zum dritten „Nein“ Jesu:
So kann denn keiner von euch, der sich nicht von allem lossagt, was er hat, mein Jünger sein.

In der Kirchengeschichte haben immer wieder Menschen das als Aufforderung verstanden, in Armut und Anspruchslosigkeit zu leben, und dieses Verständnis hat seine Berechtigung, wenn wir darüber nachdenken, wie sehr wir dann doch an materiellen Sicherheiten und Statussymbolen hängen und uns davon blockieren lassen. Und in vielen Ländern dieser Welt, wo Christen ihren Glauben nur heimlich ausleben dürfen, bedeutet etwa ihre Taufe wirklich einen Bruch mit dem bisher dagewesenen Leben, weil ihnen Karrieremöglichkeiten verschlossen bleiben,  weil sich Familienmitglieder von ihnen abwenden, weil sie, wie in Nordkorea, ins Visier des Geheimdienstes geraten. 

Wir leben Gott sei Dank in anderen Verhältnissen, aber auch für uns bedeutet der Glaube doch den Abschied von Selbstverständlichkeiten: Allein die Einsicht, dass jeder Mensch, dem wir begegnen, ein Bruder oder eine Schwester Jesu, ein Kind Gottes ist, verändert doch eine ganze Menge, wird einige Schranken und Schubladen in unseren Köpfen durcheinander bringen und unser Verhalten ihnen gegenüber ändern. Das wird das Leben nicht einfacher machen, und das wird Widerspruch auslösen – denn uns liegt doch sehr viel an unseren überschaubaren Einteilungen in „wir“ und „die“. Und Jesu nachzufolgen, heißt letztlich ja auch, dass ich mich von Illusionen über mich selbst verabschiede, von der Vorstellung, ich könnte selbst durch das, was ich leiste und was ich besitze, meinem Leben Sinn geben und mein Dasein rechtfertigen.

Liebe Gemeinde, dreimal sagt der Rabbi „Nein“.
Drei Gründe, warum man sich gut überlegen sollte, ob man sich auf dieses Abenteuer einlassen will.
Drei Erinnerungen daran, dass unser Glaube mehr ist als eine Weltanschauung oder ein irgendwie-gut-Finden.
Drei Spitzen, die, glaube ich, auch jetzt noch nicht abgeschliffen sind und womöglich an der einen oder anderen Stelle bohren, und das ist nicht der schlechteste Dienst, den Jesus uns mit diesen Worten erweist:
Drei Anlässe, sich selbst darüber Rechenschaft abzulegen, warum wir eigentlich sagen: „Trotzdem“.
Drei Fragen, was dieser Glaube für unser Leben zwischen Montag und Samstag eigentlich bedeutet.
Dreimal „Nein“, die aber eine Sache voraussetzen: Gott sagt ja.

Amen.

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