Montag, 7. April 2014

Der Esperanto-Stammtisch in der Moni ihrem Laden

Aus dem ungemütlichen Wintermatsch trete ich in ein Café, das irgendetwas mit "Laden" im Namen trägt und den Charme der friedensbewegten Achtzigerjahre atmet: Eine zusammengewürfelte Einrichtung, an den Wänden alte Protestplakate ("Wir sind bedroht durch Abgastod!"), aus knarzenden Lautsprechern stolpern wenig eingängige Weltmusikklänge und erinnern mich an meine eurozentrische Weltsicht. Über der Theke, auf den Tischen bieten mir Speise- und Getränkekarten, zum Teil handgeschrieben, zum Teil in vermeintlich peppigem Comic Sans Serif gedruckt und mit lustigen Smileys versehen, "Knobi-Brot :-)" und "Süße Fairsuchungen :-)" an. Ich werde freundlich begrüßt von einer hageren und mit selbstgebasteltem Schmuck verzierten Mittfünfzigerin in einer Art Sari, deren hennarot gefärbtes Haar über die Schultern wallt, ich nenne sie heimlich "die Moni". Zettel und Plakate leuchten an den Pinwänden in allen Farben des Regenbogens und informieren mich darüber, dass in der Sporthalle der GGS Lintzow montagsabends Kreistänze getanzt werden, dass Marlene Schmidt-Krusowski nicht nur Hilfe im Haushalt, sondern auch echte fernöstliche Massage anbietet und vorletzten Donnerstag in der Buchhandlung "Eulenspiegel" der österreichische Philosoph Dr. Alois Martin Brenner über die Lösung aller Weltprobleme durch organisch angebauten Hanf referiert hat. Ich lasse mich an einem Tisch nieder, die Moni bedauert, dass man aus politischen Gründen keine Cola im Hause habe, sie mir aber "totaaal leckere Süßholzbrause" empfehlen könne. Wi-Fi gibt es natürlich auch nicht, man wolle schließlich, dass die Menschen miteinander reden.

Aus einer Ecke im hinteren Teil des Raums dringt vielstimmiges Gemurmel. Um zwei aneinander geschobene Tische sitzen ein paar Menschen, die meisten von ihnen älteren Semesters. Lange silberweiße Haare glänzen im Kerzenschein, ein Großteil hat sich dem stammtischeigenen Dresscode angepasst und trägt Norwegerpulli oder Lehrercord mit Ärmelschonern. Die Menschen unterhalten sich einigermaßen schleppend, überdeutlich wie eine Sprachlernschallplatte artikulieren sie etwas, das klingt, als ob ein polnisches Kindergartenkind in einer sich irgendwie am Spanischen orientierenden Fantasiesprache vor sich hin brabbelt. In Monis Ladencafé trifft sich der örtliche Esperanto-Stammtisch, der weltverbesserliche Freundeskreis jener drolligen Plansprache, die nach dem Willen ihres mit nicht allzu viel Sprachgefühl belasteten Erfinders, einem Bialystocker Augenarzt, Ende des 19. Jahrhunderts die Menschen (oder, in der Sprache seiner Zeit, die "Völker") zusammenführen sollte.




Ich habe mich (in der Pubertät flirtet man ja mit so manchen Abstrusitäten) mal ein wenig mit Esperanto beschäftigt und kann durchaus ein bisschen rührselige Sympathie für die um internationale Verständigung bemühten Fans dieses Projekts aufbringen. Im Gesamturteil überwiegt aber meine grundlegende und überaus herzliche Abneigung: Ästhetische Maßstäbe sollte man weder an die Sprechenden, noch an die Sprache selbst anlegen, ein gruseliges Gemisch aus Signaturlauten europäischer Sprachen (vornehmlich Polnisch, Deutsch und Spanisch), dessen Phonetik an Scheußlichkeit nur noch durch sein krudes Schriftbild übertroffen wird. Die Plansprache ist durchzogen von logischen Fehlschlüssen und willkürlichen Bestimmungen, die behauptete Universalität wird durch die sich rein europäischer Vorbilder bedienende Wortschöpfungspraxis Lüge gestraft. Den an sich oft ganz furchtbar netten Anhänger_innen gefriert das treuherzig-weltoffene Lächeln, sobald es um spitzfindige Fragen der Sprachpraxis (soll man jetzt komputero oder komputilo sagen?) oder die großen Richtungsstreits der Bewegung (soll Esperanto weltweite offizielle Hilfssprache werden oder Kennzeichen und Kristallisationspunkt einer eigenen Kultur sein?) geht.

Als die Moni mir noch eine Süßholzbrause bringen will, lehne ich dankend ab und zahle. Beim Rausgehen fällt mein Blick noch einmal auf die immer noch lebhaft diskutierenden Senioren am Esperantotisch. Eigentlich sehen sie ganz nett aus, wirken engagiert. Wenn da nicht dieses absolut bekloppte Hobby wäre... Und in dem Moment fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren: Endlich weiß ich mal, wie Kirche von Außenstehenden wahrgenommen wird!

18 Kommentare:

  1. Wow! Derart holzend habe ich Dich ja noch nie erlebt. Über Geschmacksfragen braucht man nicht streiten. Esperanto ist wie Oliven, man mag sie oder mag man sie nicht. Und ich gebe Dir recht, dass auch das Video keine wirkliche Werbung für Esperanto ist. Ich hätte auch keine Lust, mich regelmäßig mit anderen Deutschen in einer ollen Kneipe zusammenzusetzen, nur um Esperanto zu sprechen, am besten noch über Esperanto.

    Aber ich habe schon Respekt für die Menschen, die das tun, die das Esperanto-Projekt am Laufen halten, entgegen der anscheinend unabänderlichen Tatsache, dass Weltsprachen praktisch nur ausgewählt werden als Folge von militärischer und wirtschaftlicher Macht ihrer Mutterländer (Latein, Französisch, Spanisch, Englisch, Russisch usw.).

    Ich habe mir selbst mal einen Esperanto-Wochenendkurs gegönnt, samt Familie, um die Sprache und die Leute kennenzulernen. Der Altersdurchschnitt war hoch, wie erwartet. Sektierer gab es kaum, anders als erwartet, dafür viele beim zweiten Hinsehen und –hören interessante Leute, die meisten ohnehin mehrsprachig mit hohem Anteil romanischer Sprachen, viele mit christlicher und/oder sozialistischer Grundierung. Ein Wochenende reicht völlig als Einstieg, seitdem betreibe ich das auf kleiner Flamme international und internetbasiert weiter und warte auf den wirklichen Durchbruch, bevor ich mein Engagement ausweite.

    Ein einziges Mal habe ich mir wirklich gewünscht, Esperanto hätte es geschafft. Das war bei einem großen internationalen Meeting mit Managern aus Deutschland, USA, Schweden, Brasilien, Italien, Spanien und China. Soviel katastrophales Englisch an einem Tag habe ich noch nie gehört, die Aussprache war z. T. nur zu erschließen durch Grundkenntnisse in der jeweiligen Muttersprache, Vokabular ärmlich, Grammatik oft krass falsch. Die einzige Rettung waren häufig die an die Wand projizierten Zahlen und Fakten. Das müsste nicht sein.

    Deinen Vergleich mit der Außenwahrnehmung von Christen finde ich interessant. Da ist etwas dran.

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    1. Ich wollte auch mal holzen :). Und ich gucke sicherlich als von Hause aus polyglotter Mensch aus einer sehr privilegierten Situation heraus auf die sprachliche Disparität in internationalen Zusammenhängen, weswegen ich bestimmte Anliegen möglicher Weise gar nicht nachvollziehen kann. Aber gerade deswegen finde ich eben das Anliegen von Plansprachen im Kern nicht nur drollig, sondern irgendwie auch problematisch... Mir ist durchaus bewusst, dass es nicht darum geht, eine Spracheinheit herzustellen. Und es ist sicherlich etwas dran, wenn Du darauf hinweist, dass Weltsprachen eben oft mit kultureller, militärischer und ökonomischer Hegemonie einher gehen. Aber ich finde eben, dass eine Plansprache immer etwas Steriles hat und die (wie ich finde) eigentliche und für echtes Verstehen des Fremden grundlegende Erfahrung, in eine andere Art zu denken und Wirklichkeit zu versprachlichen, nur in einem sehr begrenzten Maß bietet...

      Auf was für einen "wirklichen Durchbruch" wartest Du denn?

      Aber im Kern lief es eben auf die Pointe mit dem Außenstehendenvergleich hinaus.. Und da hat mir meine herzliche Abneigung gegenüber der Sprache eigentlich nur zum Erkenntniszuwachs verholfen... ;-)

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    2. Von einem wirklichen Durchbruch würde ich z. B. dann sprechen, wenn es als EU-Sprache zugelassen oder an Schulen im gleichen Ausmaß wie Latein unterrichtet würde. Ich rechne nicht damit, dass das in den nächsten 50 Jahren passiert, es sei denn, Latein stirbt aus. ;-)

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    3. Naaaaaaja... ;-) Aber im Ernst: Ich finde, an dem Beispiel lässt einiges deutlich machen: Denn während Latein ja einerseits wie eine Eintrittskarte in historische Sprach- und Gedankenwelten ist, ist die Ausbeute bei Esperanto da eher schmal. Eine genuine Kultur ist da relativ überschaubar und auf einen sehr kleinen Ausschnitt der jüngeren Geschichte begrenzt. Und ich werde nicht in der gleichen Weise wie in einer Nicht-Plan-Sprache mit dieser Gedankenwelt konfrontiert, weil es eben (von den drei, vier Männekes abgesehen) keine Muttersprachler gibt. Und zum anderen spielt ja Latein doch eine nicht zu unterschätzende Rolle beim Verständnis oder zumindest beim späteren Erlernen romanischer Sprachen. Ich will gar nicht groß Latein als Schulfach erlernen, bleibe aber dabei: Jede Sprache ist besser als eine Plansprache! :-P

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    4. Das ist nichts anderes als ein Vorurteil. Esperanto war und ist für mich die Eintrittskarte in neue Gedanken- und Erlebniswelten. Mehr als jede andere Fremdsprache die ich spreche, und ich spreche noch ein paar weitere.

      Menschen, die sich in der Esperantoszene zusammenfinden haben so vielfältige kulturelle und mentale Hintergründe. Eine solche Vielfalt und Unterschiedlichkeit habe ich sonst nirgendwo erlebt.

      Ich habe Latein in der Schule gelernt und später Esperanto. Die Ausbeute durch Esperanto war um viele Größenordnungen größer las die von Latein. Die historischen Sprach- und Gedankenwelten sind ein akademisches Zückerchen, während der Gewinn, den ich durch Esperanto habe ein wichtiger Bestandteil meiner Identität ist und mein Leben bereichert hat, wie wenig anderes.

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    5. Das eingebettete Video ist natürlich nicht besonders einladend. Um mal dem Vorurteil, dass Esperanto eine Alte-Herrschaften-Sache (wie Kirchen :)) ist, hier mal ein paar andere Videos (weiß nicht, ob das mit dem Verlinken hier klappt)

      http://www.youtube.com/watch?v=AGLvYxGFiA0
      http://www.youtube.com/watch?v=eX7DYeiNyzY

      Und noch ein bisschen musikalische subtile Selbstironie von Esperanto:
      http://www.youtube.com/watch?v=qJUYODkEr-o

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  2. "... Und in dem Moment fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren: Endlich weiß ich mal, wie Kirche von Außenstehenden wahrgenommen wird!"

    Sie wollen also sagen, daß Kirche von außen falsch wahrgenommen wird? Aha, so wie Sie demnach zugegebenermaßen Esperanto von außen falsch wahrnehmen?

    Prima, dann kann ich Ihrem mit Schmunzeln gelesenen Bericht nur zustimmen:

    Wer Kirche von innen kennt - wer Ahnung hat, wovon er redet - der weiß, wie großartig unser Glaube ist. Mit Gewißheit trifft dasselbe auf Esperanto zu. Man muß halt wissen, worum es geht, wovon man redet.

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    1. Hallo Epikurano!
      Ich finde, das ist doch gerade die spannende Frage - wie viel davon ist äußerer Eindruck, wie viel davon ist fundierte Meinung? Genauso, wie es kirchenkritische Menschen gibt, die dies nicht aus Ignoranz sind, sondern die sich sehr ausführlich mit den Grundlagen und Ausdrucksformen des christlichen Glaubens beschäftigt haben. Mal ganz Butter bei die Fische getan: Wie würden Sie versuchen, mich zu überzeugen (und vor allem von was?), wenn ich sage:
      1. Ich halte das Grundanliegen von Plansprachen für falsch. Eine eine am Reißbrett konstruierte Sprache kann nie die Ausdrucksbandbreite einer über Jahrhunderte gewachsenen Umgangssprache erreichen - das führt (je nachdem, wo man linguistisch herkommt) fast zwangsläufig auch zu einer gedanklichen Verarmung, zumindest schränkt es die Multidimensionalität sprachlicher Kommunikation extrem ein. Das wäre mein linguistischer, kognitiver, wie auch immer genannter Einwand, der sich eher auf die Sachebene bezieht.
      2. Ich finde, Esperanto ist keine schöne Sprache. Wie alles andere auch, so spielt Ästhetik auch bei der Sprachwahl irgendwo eine Rolle - es gibt auch andere Sprachen, die ich nicht schön finde und deswegen nicht lernen würde, wenn ich es nicht unbedingt müsste. Und meine ästhetischen Wahrnehmungen beziehen sich dabei auf phonetische Phänomene (die Häufung von Diphthongen wie [ai] und [oi], die das Klangbild sehr eintönig machen, von (post-)alveolaren Affrikaten wie [tʃ] und [ts] sowie das Fehlen einer eindeutigen Ausspracheregelung - gegen einen "massiven deutschen Akzent" z,B. lässt sich doch kaum etwas sagen?), aber auch auf eine Reihe von Konstruktionsaspekten.

      Das sind Eindrücke, bei denen ich mich schon frage, wie ich diese durch ein "Kennen von innen" beseitigen könnte?

      Und dann ist die für mich noch spannendere Frage: Lässt sich das auch wieder auf die Kirche übertragen?

      LG

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    2. Zu 1: Die These, dass eine Plansprache wie Esperanto nie die Ausdrucksbandbreite einer Ethnosprache erreichen kann, ist Spekulation Ihrerseits. Viele Esperantosprecher weltweit, darunter ich, widerlegen diese These tagtäglich.

      Das ist natürlich schwierig zu diskutieren, wenn einer der Diskussionspartner das diskutierte Thema allenfalls marginal kennt.


      Zu 2: Ich finde, Esperanto ist eine schöne Sprache. Liegt vielleicht auch daran, das ich sie aus der täglichen Anwendung kenne, im Gegensatz zu Ihnen.

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    3. Vorweg: Ich will niemanden überzeugen. Ich bin kein Missionar.

      Zu 1: Ihre These, dass die Ausdrucksbandbreite einer Plansprache wie Esperanto nicht an die von Ethnosprachen heranreichen kann, ist ein Vorurteil, das von tausenden Esperantosprechern, die Esperanto als Alltagssprache anwenden, Tag für Tag widerlegt wird. Wie wollen Sie das als jemand, der kein Esperanto sprechen kann, beurteilen?

      Zu 2: Ich finde Esperanto ist eine schöne Sprache. Ist vielleicht subjektiv, bei Ihnen aber auch. Bei Ihnen vielleicht etwas mehr, weil Sie Esperanto ja nur marginal kennen.

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  3. Ihre Äußerungen über das Aussehen und den Geisteszustand der betreffenden Personen laden nicht gerade zur Diskussion ein.

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    1. Hallo Anonym.
      Was den "Geisteszustand" angeht - da lesen Sie offensichtlich mehr, als ich geschrieben habe? Und: Es sind Figuren, keine Personen!

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  4. Wenn ich so in dem Kirchengeschichtler und Pfarrer seinem Blog lese, werde ich das Gefühl nicht los, diese Tätigkeiten hinterließen doch viel Frustration, die irgendwo rausmüsse...

    Und ich hab weiterhin den Eindruck, Kennedy hatte völlig recht mit seiner Bemerkung, 10 Prozent seien gegen alles. Und einen dieser zehn Prozent in Sachen Esperanto erleben wir hier bei der Verarbeitung seiner Gefühle...

    Was die zehn Prozent anbetrifft, das fällt übrigens gut mit dem Modell von "Diffusion of Innovations" zusammen, Verbreitung von neuen Dingen. Da gibt es eine fünfte und letzte Gruppe, die von der Wählscheibe auf das Tastentelefon erst dann umsteigt, wenn es keine Wählscheibentelefone mehr zu kaufen gibt und das alte leider den Geist aufgab. Und irgendwie werde ich bei solchem Lamentieren gegen Esperanto auch an die Maschinenstürmer erinnert, die sich dem Neuen widersetzt haben und versucht haben, den Wandel der Welt durch Zerstören der Maschinen aufzuhalten. Bei Esperanto geht das nicht so leicht, da hilft man sich dann mit Schmäh-Artikeln... (Unter Stalin wurden auch die Esperantosprecher selbst umgebracht, das unterbleibt heute erfreulicherweise.)

    Ein bisschen denke ich auch mit leisem Lächeln an die treffende Bemerkung von Gandhi: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du." (Wobei die Reihenfolge nicht immer genau eingehalten wird.)

    Was das Weltverbessern angeht: Das nehme ich gerne an. So wie, glaubt man den Berichten, eine Figur oder Person vor 2000 Jahren den Zustand der Welt mit einer neuen Heilslehre verbessern wollte. Und bis heute gibt es Leute, die diese Lehren weitertragen, um ein wenig zu einem besseren Zustand der Welt beizutragen. Ein sicher sehr ehrenhaftes Bemühen! Egal, ob man die Grundthese von der Existenz eines höheren Wesens nun glaubt oder nicht.

    Allerdings muss man sich klar sein, dass der Anteil der Missionare und Weltverbesserer unter den Esperantosprechern wohl ein wenig abgenommen hat. Viele haben eingesehen, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg zum Heil finden wird oder eben nicht - und lassen die Leute, die vor lauter Vorurteilen kaum noch klare Gedanken fassen können, in Ruhe. ("Gönnen Sie der Frau Esperanto?" hat mich mein Esperanto-Lehrer mal gefragt, als ich ihm von einem frustrierenden Gespräch mit einer Bibliothekarin berichtete.) Esperanto ist halt auch schön, wenn man es einfach nur mit seinen Freunden und Bekannten spricht oder Musik hört oder Bücher liest - egal, ob andere es nun lernen und gut finden oder eben nicht.

    Dass der "Bialystocker Augenarzt" mit nicht allzu viel Sprachgefühl belastet war - naja, ich weiß nicht so recht. Die polnische Version ist übrigens Białystok. Ansonsten wird natürlich immer von dem Augenarzt geredet - allerdings war der Knabe Zamenhof schon mit 19 Jahren als Gymnasiast mit der ersten Version von Esperanto fertig, die er zur Feier seines Geburtstages am 17. Dezember 1878 einweihte. 1887 war er dann wirklich Augenarzt - allerdings nicht in Białystok.

    Dass er wenig Sprachgefühl gehabt haben soll... Also, allen Ernstes: Ein paar Millionen Menschen haben seine Sprache gelernt, ein paar hunderttausend sprechen sie regelmäßig, ein paar tausend Muttersprachler gibt es, ein paar Dutzend Bücher kommen jährlich heraus, ein Dutzend Musikalben (also über hunder neue Lieder) - so schlecht kann die Sprache nicht sein. Das sind doch Zahlen, die den Wirkungsbereich eines Pfarrers oder wissenschaftlichen Mitarbeiters ein wenig übersteigen...

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  5. Übrigens veröffentlicht die chinesische Regierung (werk)täglich Nachrichten auf Esperanto, http://esperanto.china.org.cn/ . Und die katholische Kirche hat Esperanto sogar als liturgische Sprache anerkannt. (Trotz Latein...) Diese Menschen, die die Sprache dieses angeblich Sprachgefühlsarmen sprechen, haben übrigens auch eine Wikipedia mit knapp 200.000 Artikeln zustande gebracht. (Das ist etwa so viel wie in der slowakischen oder der dänischen Wikipedia.) Und das Internetradio Muzaiko sendet rund um die Uhr, http://www.radionomy.com/en/radio/muzaikoinfo/listen . Und natürlich nutze ich jetzt gerade Mozilla Firefox in Esperanto. Und lasse mir von Google Translate Texte ins Esperanto übersetzen...

    Was die Behauptungen über die Schönheit des Esperanto oder seiner Wörter anbetrifft - über Geschmack lässt sich nicht streiten. Bezüglich der Universalität kann man hingegen feststellen, dass die Wortschöpfungspraxis durchaus Parallelen zum Chinesischen hat. Genaueres hat Claude Piron in "Esperanto: ĉu eŭropa aŭ azia lingvo?" (Esperanto: eine europäische oder asiatische Sprache?) dargelegt (gibt es als Google book). Und wir können feststellen, dass Esperanto in Ländern wie Burundi, Nepal, Vietnam, China, Korea oder Japan von einer ganzen Reihe von Leuten gelernt wird. Die Struktur der Sprache ist halt so durchdacht und regelmäßig, dass auch Asiaten nur etwa ein Drittel der Zeit brauchen, die sie z.B. für dasselbe Sprachniveau im Englischen benötigen. Oder, anders ausgedrückt: Bei gleichem Zeitaufwand für beide Sprachen beherrschen sie Esperanto weit besser. (Das ist bei mir auch so. Französisch, Englisch, Spanisch, Niederländisch, Italienisch u.a. kann ich mehr oder weniger fließend, aber nur in Esperanto fühle ich mich wirklich sicher, da weiß ich, dass das, was ich sage, auch richtig ist. In anderen Sprachen weiß man ja nie, ob das, was einem passend erscheint, auch tatsächlich so gebraucht wird.)

    Natürlich kann man die Beschäftigung mit Esperanto als "Hobby" bezeichnen. Es mag auf den Außenstehenden so wirken, aber es gibt einen Unterschied: Menschliche Sprache ist unser ständiger Begleiter im Leben. Man kann von morgens bis abends über so ziemlich alles in Esperanto sprechen. Über das Essen und beim Essen, beim Gebet und in einer Predigt, beim Singen und bei Diskussionen, beim Spaziergang und man kann lesen in Esperanto. "Hobbys", die keine Sprachen sind, erlauben das nicht - der Münzsammler wird in der Regel Singen und Münzsammeln schwer verbinden können. Und wenn man über Politik diskutiert oder ein Buch über Gärtnern liest, ist die Religion vielleicht mal ausnahmsweise nicht der Kernpunkt.

    Und zum Abschluss: Ein durchschnittliches Alter von Esperantosprechern ist schwer zu bestimmen. Meine Tochter war gerade geboren, als ich anfing, zu ihr in Esperanto zu sprechen und bei ihren ersten Wörtern waren schon ein paar in Esperanto (naja, eine Kinderversion von Esperanto) dabei. Und bei Jugendtreffen ist das Durchschnittsalter auch geringer als bei Seniorentreffen. Etwas banal... In einer Facebook-Umfrage habe ich ermittelt, dass etwa die Hälfte der Antwortenden Esperanto zwischen 14 und 18 gelernt haben. Und die Mitglieder der Esperanto-Akademie haben Esperanto fast alle vor ihrem 32. Lebensjahr gelernt.

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    1. Hallo Ludoviko, und vielen Dank für Ihre(n) Kommentar(e), die ich in mehrfacher Hinsicht sehr aufschlussreich finde - gerade weil es mir im Kern ja um die Frage geht, wie viel und was Außenstehenden vermittelbar ist.
      Ihre Reaktionen finde ich deswegen interessant, weil sie ein ganzes Spektrum von Reaktionen abbilden, die man auch in kirchlichen oder christlichen Kreisen hören kann, wenn Anfragen oder Kritik "von außen" kommen: Da gibt es den Versuch einer Diskreditierung des Gesprächspartners in Form der Pathologisierung ("Wenn ich so [...] lese, dann werde ich das Gefühl nicht los [...] viel Frustration..." usw.) oder des Absprechens von hermeneutischer Kompetenz ("Das sind doch Zahlen, die den Wirkungsbereich eines Pfarrers oder wissenschaftlichen Mitarbeiters ein wenig übersteigen"). Da gibt es den rhetorischen Kniff der "Brunnenvergiftung" - der Hinweis auf Stalin (warum eigentlich nicht gleich Hitler, der war doch m.W. auch gegen Esperanto?) erinnert mich an manche Christ_innen bestimmter Milieus, die ihre eigene Situation gerne mit der der Christenverfolgungen in der Antike vergleichen, wenn sie ihrer Meinung nach zu Unrecht kritisiert werden. Da werden Zahlenkolonnen aufgeboten, die z.T. nachprüfbar sind (Wikipedia-Artikel), z.T. nicht (eigene Umfragen), aber in jedem Fall Objektivität und Massenwirksamkeit suggerieren - Zahlen haben ja eine ganz eigene, oft rein assoziative Wirkmacht, die man sich hervorragend zu nutze machen kann. Da werden Gewährsmänner angeführt (Gandhi und Kennedy - btw.: Ist Esperanto im 21. Jahrhundert wirklich noch so "innovativ"?), die eher emotional als argumentativ überzeugen. Und da gibt es auch manche Banalität ("Bei Jugendtreffen ist das Durchschnittsalter auch geringer als bei Seniorentreffen"). Ich will gar nicht verhehlen, dass ich das für recht problematische Argumentationen halte, finde es auch etwas seltsam, ausgerechnet Regierungserklärungen aus China da als Beispiel anzuführen oder von GoogleTranslate zu sprechen, wenn es um Natürlichkeit geht. Das pauschale "der hat ja keine Ahnung" entfährt mir, zumindest gedanklich, auch ab und an, wenn mir Menschen ihre gesammelte Kritik an Kirche und Religion und allen Drum und Dran entgegenhalten - und manches Mal bin ich doch überrascht, dass da mitunter mehr Erfahrung und Reflexion, auch mehr Wissen, dahinter steckt, als ich das zuerst gedacht hätte.

      Da gibt es aber auch das andere: Hinweise auf die eigene Biografie, darauf, was einen persönlich bewegt, welche Rolle es im eigenen Leben spielt. Ich ahne, je länger, je mehr, dass das gerade in der Postmodernen auch im Blick auf die Frage nach dem Kontakt zwischen kirchennahen und kirchenfernen Menschen ungemein relevant ist. Und ich stelle fest: Mich persönlich überzeugt das mehr als das ganze Andere.

      Herzliche Grüße von den
      Kirchengeschichten

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    2. Das ist so die typische Trollmethodik. Man diskreditiert eine Gruppe mit irgendwelchem haltlosen Unsinn gewürzt mit einem Schuss Provokation und wenn dann jemand sagt, dass das Unsinn ist, sagt man: "Ha, wiedermal ganz typisch der Versuch der Pathologisierung." Wer etwas erfahren ist mit Netzdiskussionen hat das schon zig-mal erlebt.

      Die Parallele zwischen Kirche und Esperanto ist gar nicht schlecht. Als erfahrener Esperantosprecher habe ich öfters mal Leute erlebt, die versucht haben andere Leute von Esperanto zu überzeugen mit Methoden, die ich eher aus Kirchenkreisen erwarten würde.

      Mir geht es aber nicht darum, Menschen von Esperanto zu überzeugen. Mir geht es darum, Vorurteilen, die über Esperanto verbreitet werden, Erfahrungen aus erster Hand entgegenzusetzen. Es passiert eben oft, dass Menschen über Esperanto diskutieren und Meinungen über Esperanto austauschen, die völlig frei von eigenen Erfahrungen mit Esperanto sind.

      Zum Beispiel hier. Du schreibst hier etwas über Vor- und Nachteile von Esperanto, warum du Esperanto nicht magst, obwohl du Null eigene Erfahrung mit Esperanto hast, nie auf einem richtigen Esperantotreffen warst. Nein, dein Moni-Stammtisch zählt da nicht. Mit Esperantotreffen meine ich etwas wie IJK, SES, IJF, IJS, FESTO, UK, KKPS, JES. Das sind so Esperantotreffen, auf denen man richtig Esperantokultur Musik, Theater, Poesie u.ä. erleben kann.

      Wenn du mal von deinem Schreibtischstuhl etwas schnuppern willst: http://muzaiko.info Das ist ein esperantosprachiges Webradio, das von einer Community von weltweit verstreuten jungen Leuten gestaltet wird.

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    3. Ich muss ehrlich sagen, dass ich wenig Lust auf Diskussionen habe, wenn ich mich auf meinem eigenen Blog als "Troll" beschimpfen lassen muss. Aber, gut, sind wir mal nicht so dünnhäutig.

      An der Parallelität zwischen Kirche und Esperanto finde ich in der Tat, auch bei den Diskussionen hier, immer mehr Interessantes. Zum Beispiel das relativ häufig wiederkehrende: "Du hast ja keine Ahnung." Das ist eine Unterstellung - und zwar eine, die man bis ins Unendliche weiterführen kann. Vielleicht habe ich das in dem Posting oben nicht deutlich genug gemacht - ich finde, man muss es eigentlich auch nicht, aber gut: Meine "Beschäftigung" mit Esperanto in jungen Jahren hat damals in der Tat zu einem gewissen Level an Flüssigkeit geführt (das ist ja, das sei gar nicht in Abrede gestellt, in der Tat sehr schnell möglich). Ich war sogar bei irgendwelchen lokalen Esperantistentreffen - aber vielleicht waren das nicht "die richtigen"? Selbst, wenn sie "vom Schreibtischstuhl" weggeführt haben?
      Und all das hat nicht vermocht, etwas an meiner Grundkritik zu ändern - die sich z.T. erst in der Beschäftigung mit Esperanto herauskristallisiert hat: a) Ich finde die Sprache grotesk hässlich, vom Schrift- wie vom Lautbild her. Da kann ich nicht einmal etwas gegen tun - aber: Es überwiegt alle praktischen Vorteile, die eine am Reißbrett konstruierte Sprache unleugbar hat. (b) Ich halte den Ansatz für falsch. Meine Vision von Völkerverständigung ist eine andere - mir ist dabei dabei sehr bewusst, dass ich das aus einer extrem privilegierten Position als von Hause aus Mehrsprachiger so sehe.

      Interessant, gerade im Vergleich mit Kirche, finde ich den Positionswechsel: In der Kirche bin ich der Insider. Der reflexartig auch eine ganze Reihe der hier vertretenen Reaktionen von Esperantofreund_innen runterbeten kann: "Keine Ahnung", "nicht die richtigen Leute getroffen", "nicht tiefgehend genug damit beschäftigt", "aber ich finde es doch so schön." Und so weiter. Und manchmal muss ich einsehen, dass es Leute gibt, auf die all das nicht wirklich zutrifft - sondern auf die schlichtweg der Funke nicht übergesprungen ist, obwohl sie alle Argumente schon gehört, manche Erfahrung sogar selbst gemacht haben? Offensichtlich sind das die Fälle, die einen persönlich sehr treffen, vielleicht sogar kränken?

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  6. Aus meiner Erfahrung mit Esperanto kann ich dir sagen, dass lokale Esperantotreffen und große Internationale treffen zwei verschiedene Welten sind. Wenn ich hier im lokalen Esperantoclub, also dem Stuttgarte Äquivalent von Moni von meinen Esperanto-Reisen erzähle, dann ist das oft, wie wenn jemand von einem anderen Stern erzählt. Insofern wieder ein Hinweis auf "einfach keine richtige Erfahrung mit der Sache". Um richtig über Esperanto urteilen zu können sollte man finde ich in mehreren Ländern verschiedene internationale Treffen miterlebt haben. Parallele zur Kirche wäre, wenn ich von einer Gruppe Kuchen backender Rentnerinnen auf Veranstaltungen wie Kirchentag oder Taizé rückschließen wollte.

    Deine Kritikpunkte, die du hier nochmal aufgreifst, Schönheit und eigene Vision von Völkerverständigung, sind zwei vollkommen subjektive Punkte. Da kann keiner gegen argumentieren, du kannst sie aber auch nicht als objektive Kritikpunkte gegen Esperanto verwenden. Wenn du sagst, dass der Funke bei dir einfach nicht übergesprungen ist, ok, kein Thema, wie gesagt ich will dich nicht missionieren.

    Wenn du dich also aus rein persönlichen subjektiven Gründen entschieden hast, nichts mit Esperanto zu tun haben zu wollen, warum kritisierst du dann Esperanto und seine Sprecher mit Kritikpunkten, die vorgeben Objektiv zu sein, wie Aussagen über die Ausdrucksbandbreite des Esperanto, über den Altersdurchschnitt und die Mentalität der Esperantosprecher, über den Wert seiner Kultur? All das sind Punkte, bei denen ich immer noch sage "Der hat einfach keine Ahnung. Muss er ja auch nicht, seine Aussagen gehören aber richtiggestellt von jemandem der Ahnung hat."

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