Dienstag, 29. Juli 2014

Anathema sit.

Es gab Zeiten, da waren wir als Studierende in Wuppertal fast ein bisschen genervt von den Altvorderen, die immer und immer wieder das unerschöpfliche Thema "Christen und Juden" hervorholten. Das sei doch längst alles kalter Kaffee, der Rheinische Synodalbeschluss Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden lag mittlerweile über zwanzig Jahre zurück, die Vorlesungen bei unserem großen Lehrer Bertold Klappert waren überfüllt von eifrigen Seniorstudierenden, die die christlich-jüdischen Arbeitskreise in ihren Heimatgemeinden mit theologischem Lese- und Denkstoff versorgten, und die Gemeinde der gerade eröffneten Synagoge in Barmen klagte mal scherzhaft, über die zig evangelischen Besucher_innen auf der Empore im Schabatgottesdienst, während sie selbst jeden Freitagabend aufs Neue bangen mussten, ob sie ihre Minjan vollkriegen würden. Wir alle kannten die Geschichte von Karl Immer, der  sich am Sonntag nach der Reichspogromnacht weigerte, in der Gemarker Kirche zu predigen, weil in der Nacht zuvor wenige Straßen weiter das Wort Gottes verbrannt worden sei. 

Dann zogen wir weiter. Kamen an Studienorte, an denen man Karl Barth, wenn man ihn denn überhaupt kannte, für kaum mehr als einen schreibgeilen Schweizer Sektierer hielt. Andere begegneten über Studierendenbibel- und -hauskreise Judenmissionaren oder  (man weiß nicht, was schlimmer ist) sogenannten "christlichen Zionisten", und mit der Zeit wurde deutlich: Wir sind noch längst nicht so weit, wie wir auf dem "Heiligen Berg" und in Rheinland-Westfalen-Lippe immer dachten. In den Jahren 2007 und 2008 musste die Kölner Melanchthonakademie ihr Nein zur Judenmission gegen heftige Angriffe verteidigen, im Januar 2008 bekräftigte die Evangelische Kirche im Rheinland ihre Absage an Begriff und Sache christlicher Judenmission. Noch immer liegt auf dem Server dieser Landeskirche die Homepage einer Selbsthilfegruppe reaktionärer Männer, die für judenmissionarische Aktivitäten wirbt. 

Gestern Nacht brannte es vor der Barmer Synagoge. In Detmold wurde der Gedenkstein für die alte Synagoge geschändet. Im Internet liest man antijüdische Hetze, die dem Stürmer in nichts nachsteht:

https://www.facebook.com/IsraelinGermany

Vielleicht wäre es mal Zeit für eine Sondersynode. Also eine, die sich mal ausnahmsweise nicht mit Struktur- und Personalfragen beschäftigt. Sondern bei der ernsthaft erörtert wird, ob wir uns angesichts der Gewalt von und gegen Christen, Juden und Muslime nicht gefährlich nahe am status confessionis bewegen. 

Um es nochmal ganz klar zu sagen: Es ist wichtig und notwendig, sich kritisch mit Israels Siedlungspolitik auseinanderzusetzen. Wer an fundierten, meinungsstarken und theologisch reflektierten Kommentaren zur Lage interessiert ist, kann mal auf Rainer Stuhlmanns Blog nachschauen. 

Um es noch klarer zu sagen: Wer Jüdinnen und Juden das Existenzrecht abspricht, hat kein Recht, Psalmen zu singen oder sich selbst als "Christ" zu bezeichnen. Zumindest solange nicht, bis er oder sie Buße getan und vom bösen Weg umgekehrt ist. Anathema sit. 

Sonntag, 27. Juli 2014

Trauer üben.


NICHT IHR HABT MICH ERWÄHLT, SONDERN ICH HABE EUCH ERWÄHLT (JOH 15,16)



Wir sitzen im Sommerhäuschen in Schweden. Die nächsten Nachbarn, ein paar hundert Meter weg, klopfen an und erzählen von herzzerreißendem Miauen von unter ihrem Haus. Da unten sitzt eine winzig kleine Katze, die die Augen noch nicht lange aufgehabt haben kann. Wir holen sie rein, füttern sie mit ein bisschen verdünnter Milch, lassen sie durchs Haus tapsen und sich vor dem Kamin ein wenig aufwärmen - es ist Anfang September, und in Schweden macht sich in kaltklaren Morgen und kürzeren Abenden der Herbst bemerkbar. Danach bringen wir sie zum Holzschuppen. Das muss ein guter Platz für kleine Katzen sein, die sich oft da aufhalten: Schutz vor Regen und Kälte, enge Spalte im windschiefen Holz, durch die kleine Katzen raus-, aber keine Füchse reinkönnen. Ein paar Handtücher, ein bisschen Milch, das muss reichen. Nach ein paar Stunden gehe ich gucken - das winzige Wesen sitzt immer noch in seinem Stoffnest. Wieder zurück, nestle ich am Gatter - und höre ein leises Miauen. Drehe mich um - zwei Meter hinter mir sitzt die Katze, die ich kurz darauf zum Kater erkläre und Måns nenne. Er ist mir hinterhergelaufen, guckt mich erwartungsvoll an und scheint zu sagen: Hier bin ich. Ich brauche dich. Ich will bei dir sein. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.


Also kommt er wieder zu uns, erklärt das Erdgeschoss kurzerhand zu seinem Reich und macht sich auf, auch den letzten Winkel zu erkunden. Wir, allesamt erklärte Katzennichtmöger und allerhöchstens Hundemenschen, seufzen, kichern, jaulen vor schierer Verzückung, machen Fotos, streicheln, rennen durcheinander, um ihm das Leben so angenehm wie möglich zu machen, lachen über uns selbst und schütteln den Kopf, wie schnurgerade solche kleinen Wesen den Weg ins Herz finden. Gegen Abend werden wir wieder erwachsen: Måns muss draußen schlafen, muss aus eigener Kraft die Nacht überstehen in seinen Handtüchern zwischen Gummistiefeln und Pilzkörben unter der Bank auf der kleinen Veranda. 

Ich liege abends wach, horche angestrengt in die Dunkelheit und grüble: Mittelfristig muss er alleine klarkommen - aber wer weiß, was jetzt gerade im Moment für ihn das Richtige ist? Wer weiß überhaupt jemals irgendwann, was gerade im Moment das Richtige ist? In meinem Tagebuch notiere ich: Vad behöver han just nu? Är det kroppsvärme, är det mer mjölk, är det sällskap..? Han jamar inte i alla fall, hoppas det är ett bra tecken. Hjärtskärande, det är vad det är! - Was braucht er jetzt gerade? Körperwärme, mehr Milch, einfach Gesellschaft? Herzzerreißend ist das, nichts anderes! Und ich denke an Mikael Wiehes Lied vom kleinen Mädchen mit dem verletzten Vogel im Arm - och hon springer med darrande lockar, hon springer på taniga ben... finns det liv, är det aldrig för sent! -  Gibt es Leben, ist es nie zu spät. Und in mir rast es vor Wut, als ich daran denke: Es Menschenkinder gibt, die verhungern, erfrieren, oder einfach an Einsamkeit sterben. 

SI TU M'APPRIVOISES, NOUS AURONS BESOIN L'UN DE L'AUTRE



Måns übersteht die Nacht, mehr noch: Wir machen ihn in den nächsten Tagen bekannt mit einer Patchworkkatzenfamilie, die ständig vor unserer Küchentür herumlungert - obwohl wir natürlich alle beteuern, uns strengstens an das von Muttern verhängte Katzenfütterverbot zu halten. Wahrscheinlich ist er mit allen über ein paar Ecken verwandt. Da ist eine, die noch Milch hat. Und eine, die etwas älter ist, aber selbst noch ziemlich klein. Måns schläft abends bei ihnen, und tagsüber entdeckt er mit seiner älteren Cousine die Welt: Ahmt ihre Bewegungen nach, läuft ihr hinterher, springt nach einem Tag wie sie vom Treppenabsatz herunter, lernt und wächst mit ihr im Takt. Wenn ich mich auf die Stufe vor der Küchentür setze, klettert Måns mein Hosenbein hoch, legt sich in meine Armbeuge und döst eine halbe Stunde vor sich hin. 


Irgendwann im Laufe der Tage sagt Mamma, nicht ohne Stolz: "Weißt du, ich glaube, wir haben dem richtig das Leben gerettet." Ja, denke ich, und irgendwie gibt man dabei so viel von sich selbst. Und mir kommt eine Passage aus dem kleinen Prinzen in den Sinn: 

"Nein", sagte der kleine Prinz, "ich suche Freunde. Was heißt 'zähmen'?" "Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache", sagte der Fuchs. "Es bedeutet, sich 'vertraut machen'." -
"Vertraut machen?" - "Gewiß", sagte der Fuchs. "Noch bist du für mich nichts als ein kleiner junge, der hunderttausend kleinen jungen völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebensowenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt... 
[...] Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast."


Die Tage gehen, die Abende werden kürzer. Die Kraniche brechen auf, die Wildgänse fliegen in V-förmigen Formationen in den Süden, und das Brennholz im Schuppen ist fast aufgebraucht. Der Sommer geht zu Ende. Der letzte Sauerteig wird verbraucht, die Boote saubergemacht und an Land gezogen, die Motoren bei den Verwandten im Geräteschuppen untergebracht. Bald geht es heimwärts. Das heißt auch: Abschied von Måns, und der Gedanke daran fällt schwer. Ab und zu blitzt die Idee auf: Kann man ihn nicht doch mitnehmen? Nein, kann man nicht!, sagt der Kopf, und hat natürlich recht. Aber!, sagt das Herz, und ich setze mich ein paar Mal mehr auf den Treppenabsatz vor der Küchentür in die Sonne und lasse Måns ein paar Minuten dösen.


WENN ES KEINE TRÄNEN GÄBE, WÜRDEN DIE RIPPEN VERBRENNEN 


Es war an meinem letzten Tag. Morgens durchs Esszimmerfenster die Katzen beim Spielen beobachten, sich für den Abschied am Abend wappnen. Dann: Großeinkauf, all die Dinge, die man in Deutschland nicht kriegt, aber dringend braucht. Mit prallvollen Tüten beladen kommen wir zurück, laufen rein und raus, stellen ab, reißen Türen und Fenster auf, holen noch mehr Tüten aus dem Kofferraum. Plötzlich ein lautes Knarzen, ein dumpfer Schlag. Jemand in der Küche ruft. Auf der Schwelle der Küchentür hockt Måns, schüttelt den Kopf, zuckt hin und her. Die Küchentür. Schwer, fällt von alleine zu, ist deswegen meistens mit einer Schnur an der Hauswand befestigt. Nur heute nicht. Er wollte schnell in die Küche - und war eine halbe Sekunde zu langsam. Einen Augenblick lang sieht es aus, als würde er sich nur den Schreck aus den Gliedern schütteln. Dann sinkt er zur Seite. Aus seinem Hinterteil tropft es. Das kenne ich aus dem Krankenhaus: Kontrollverlust des Schließmuskels. Nie gut. Als klar ist, dass das hier nicht wieder gut wird, setze ich mich auf den Treppenabsatz vor der Küchentür. Måns stirbt auf meinem Arm. 

Ein Satz, der in Schweden manchmal in Todesanzeigen von Kindern steht, taucht auf. Lille Måns, som till oss kom, blott hälsade, och vände om. - Kleiner Måns, der zu uns kam, nur kurz grüßte, und wieder umkehrte. Ja, es ist nicht dasselbe, klar. Ein Kind ist etwas anderes als ein Katzenjunges. Aber - ach Scheiße. Es fühlt sich an, als ob wir einem Vertrauen, das in uns gesetzt, einer Aufgabe, die uns übertragen wurde, nicht gerecht geworden sind. Du bist verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast...

Wir begraben ihn unter dem Kirschbaum vor dem Küchenfenster. Heben eine kleine Grube aus, gehen runter zum See, sammeln Steine, damit nicht der erstbeste Fuchs ihn ausgräbt. Als ich ihn in der Hand halte, um ihn in sein Handtuch einzuwickeln, wirkt er ein bisschen größer als sonst. Und das fühlt sich wichtig an, irgendwie bekräftigt der Tod so, dass selbst die paar Wochen ein ganzes, gültiges Leben waren. 

Ein kleiner Teil in mir schaltet um auf "professionell". Der große andere Rest ist wütend und traurig und wütend und traurig. Aber der Pfarrer kann nicht anders, als einen Trauerprozess im Kleinen, wie im Schnelldurchlauf, zu beobachten, und registriert: Es tut gut, das Grab auszuheben, mit Löffeln und Händen, weil der Spaten schon weggepackt ist, einen Teil der Gefühle in physische Arbeit umzuwandeln. Es ist gut, den kleinen Körper zu halten und zu spüren, wie er kälter wird. Das hilft, das Unabänderliche zu begreifen, buchstäblich. Den Körper ablegen, ein letztes Mal wie zur Ruhe betten. Das eigentliche Begraben, das auf unseren Friedhöfen meist pietätsvoll erst dann geschieht, wenn die Angehörigen die Grabstätte verlassen haben, entfaltet seine ganze schmerzhafte Brachialität - av jord är du kommen, jord skall du åter bli. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Aber jede Handvoll Erde ist ein Einverständnis mit dem, ein Annehmen dessen, "was an der menschlichen Existenz im Wesentlichen unannehmbar ist" (Milan Kundera). Aufs Ganze gesehen skandalös, ja. Aber im Einzelfall immer lebensnotwendig. Der Steinhaufen tut mehr, als nur vor Raubtieren zu schützen: Er bleibt als Denkmal für ein Leben, das von außen so unwesentlich, so kurz, so leicht zu übersehen ist, das aber für einige wenige "einzig in der Welt" geworden ist. Als wir fertig sind, legen sich die Katzen um den Steinhaufen und bleiben den ganzen Tag dort liegen. 


(c) Roberto Kemter / pixelio.de

Im Morgengrauen, nach einer durchwachten Nacht, breche ich auf. Ein letzter Gang zum Grab, ein Satz aus der reformierten Grablegungsliturgie streift durch den Nebel: Haben wir ihn geliebt, so wollen wir ihm diese Liebe über den Tod hinaus bewahren. Haben wir einmal zu wenig geliebt, und sind ihm im Leben etwas schuldig geblieben, so bitten wir Gott um Vergebung unserer Schuld. Ich fahre Richtung Westen, an der Küste biege ich nach links. Als ich auf dem Hallandsås bin, geht die Sonne auf. Ein Zwischenstopp in Lund, ein bisschen Zeichenmaterial kaufen. Fahre durch Straßen, auf denen ich während des Studiums unzählige Male unterwegs gewesen bin, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Jetzt mit  dem Auto. Komisch. Siehst du, sagt der Kopf, das Leben geht weiter. Ich weiß, sagt das Herz, aber das dauert, könnten wir mal ...? "Wenn es keine Tränen gäbe, würden die Rippen verbrennen", sagen beide gleichzeitig. Und ich fahre erstmal rechts ran.


Samstag, 26. Juli 2014

Luthergedenken

So lange nicht gepostet - man könnte fast meinen, es wäre Sommerloch! Gründe für die Blogabstinenz gab es genug, Gottesdienste noch und nöcher, Berufungsverfahren an der Hochschule, Semesterabschlussprüfungen und (Trommelwirbel bitte!) die nächste Woche hoffentlich abgeschlossene Fertigstellung des zweiten Kapitels meiner Doktorarbeit. 

Ende Juni waren wir von der Hochschule aus "auf Luthers Spuren" unterwegs: Eisleben, Mansfeld, Erfurt, Wittenberg, das ganze (und recht volle) Programm. Mich hat besonders interessiert, wie dort das Luthergedenken gestaltet wird, an welchen Luther man sich zu welchem Zweck erinnert - das ist die déformation professionelle, die nicht ausbleibt, wenn man sich schwerpunktmäßig mit Rezeptions- und Mentalitätsgeschichte beschäftigt und außerdem im laufenden Semester ein entsprechendes Proseminar anbietet. 

Meine Lieblingsfunde:


Sonntag, 13. Juli 2014

Faust öffnen, loslassen, frei werden - zu Röm 12,17-21

Irgendwie hat sich die Predigt auf der Kanzel dermaßen verändert, dass es nur schwer möglich ist, sie hier einzustellen. Aber schön, wenn zwischendurch immer wieder deutlich wird, dass Predigt ein dialogisches Geschehen ist. Deswegen hier nur mein "Aufhänger" (es ging allerdings eher um das Thema "Loslassen und Freiwerden" als um die Suche nach Wasser...) und der Predigttext.



Vergeltet niemandem Böses mit Bösem, seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht! Wenn möglich, soweit es in eurer Macht steht: Haltet Frieden mit allen Menschen! Übt nicht selber Rache, meine Geliebten, sondern gebt dem Zorn Gottes Raum! Denn es steht geschrieben: Mein ist die Rache, ich werde Vergeltung üben, spricht der Herr. Vielmehr: Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen; wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Denn wenn du dies tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich vom Bösen nicht besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.


Samstag, 12. Juli 2014

Blumen. Gießen. Tränen - Preacher-Slam auf der Landesgartenschau

"Bergsommer" (by Nussjeck / pixelio.de)
(c) Nussjeck / pixelio.de


Wenn sommerzeits die Blumen sprießen,
geht es auf zur Riesen-
Party auf die Wiesen.

Unter Sonnenstrahlen, 
die seit den frühen
Morgenstunden vorglühen
klatscht der Mohn
den Beat im Beet
das Espenlaub zittert
und zuckt im Takt
und wippt mit einem Beifuß,
die Blumen, denen schon die Puste
ausgegangen ist, verziehen sich
an die Bar,
da lehnt seit einem Weilchen
der Enzian,
er ist so blau, blau, blau
wie ein Veilchen,
aber nur die harten
kommen in den Garten.
Und die schönen!
kichert die Kamille
mit der Vanille,
sie lästern über das zu enge Outfit
von Fettkraut und Butterblume,
aber denen ist das egal,
sie wollen keine Mauerblümchen mehr sein,
nicht als Trockenblumen enden
lieber verblühn als verwelken,
schmeißen sich einem Typ an den Stängel,
der sich aufführt wie der Waldmeister
und gerade an einem steilen Löwenzahn rumgräbt,
will ihn zu einem schattigen Plätzchen locken
wo die ganzen Bestäubungswilligen hocken,
wo die Löwenmäulchen züngeln,
die Rosen sich kosen,
und die Wicken… ach, die wollen immer nur reden,
sie rufen den Mimosen
schüchtern zu: Vergissmeinnicht,
und raunzen eine Klette an:
Kräutchen, rühr mich nicht an!
In dunklen Ecken auf langen Stielen
stehen und dealen
das Hanf, das Gras, die Engelstrompete
und all die anderen Nachtschattengewächse,
vor denen das Mutterkraut Euch immer gewarnt hat.

Doch hier, von oben
sieht man nur ein Meer aus Blüten
im Sommerwind wogen,
Flower Power, Love Parade,
und ich will durch die Wiese toben,
zwischen den Pflanzen tanzen
in Blumenerde wühlen,
mich frei und als kleiner Teil
vom großen Ganzen fühlen.
mich im grünen Gras rollen,
durch die Landschaft tollen –

wären da nicht
die beschissenen Pollen!

Ja, ich habe Heuschnupfen
und würde am Liebsten das ganze Zeug ausrupfen,
und denen, die sagen:
Sommer ist, was in deinem Kopf passiert,
denen kann ich gerne mal fest vor denselben schlagen
und dann scheinheilig fragen,
wie sich das für sie so anfühlt,
mit triefender Nase und dicken Augen,

die kaum noch zum Gucken, nur noch zum Tränen taugen.

Und wie ich so steh'
und auf die Natur glotze,
mein Gesicht ganz nass
von Tränen, Schleim und Rotze,
denk' ich:
Ey, ist das gemein,
muss das immer so sein,
gibt's keine Liebe ohne Zorn,
keine Rose ohne Dorn?!
Warum kann man nur siegen
wenn andere verliern,
und warum gibt's Schokolade
nur mit ganz viel Kalorien?!
Und ich schrei' in den Himmel:
"Gott, was soll die Scheiße?!" -
und ich hör seine Stimme, er
sagt: "Jetzt mal leise!
Gefährlich ist immer, aber
ganz ehrlich: Viel schlimmer
wär langweilig.
Und richtig perfekt wird es sowieso selten
in dieser der besten aller schlechtesten Welten.
Und Ambivalenztoleranz
ist nur ein Anagramm für
Das Leben ist ein Ponyhof.
Du kannst es machen
wie die Feigen und Zarten
und dein Leben lang auf die perfekte Welle warten,
die vielleicht niemals kommt.
Aber die Harten,
die gehn in den Garten.
Also los!"

Dienstag, 8. Juli 2014

Kirchenschwedisch - ein bisschen Fachvokabular für Interessierte

(c) kirchengeschichten.blogspot.de - Tack mamma för den fina bilden ;-).

In NRW sind die Sommerferien gerade losgegangen, und so manche Ferienfreizeit führt nach Schweden. Woher die unleugbare Sympathie für dieses Land unter Kirchenmenschen kommt, harrt noch einer genaueren Untersuchung; meine Arbeitshypothese ist, dass Schweden seit den 1970ern ein beliebtes Reiseziel gerade für Familien aus einem bildungsbürgerlichen und/oder alternativen Milieu gewesen ist und viele Pfarrer_innen und andere Hauptamtliche dort als Kind gewesen sind. Aber das sind Vermutungen, um die es jetzt auch gar nicht geht. Jedenfalls: Manch Eine_r hat sich ja vielleicht im Vorhinein ein paar Sätze in der Landessprache reingepaukt. Den oft in Reiseführern zu lesenden Satz, dass „die Schweden sich sehr freuen, wenn man sich die Mühe macht, ihre Sprache zu sprechen“, möchte ich an dieser Stelle ein bisschen relativieren: Natürlich hat es etwas mit Höflichkeit zu tun, dass man nicht einfach auf Leute zuläuft und sie auf Deutsch vollquatscht. Von daher ist es sicherlich gut und richtig, wenigstens ein paar Standardphrasen dreschen zu können, allen voran richtig und oft „Danke“ (tack) zu sagen – das tun Schwed_innen nämlich gewohnheitsmäßig weitaus öfter als Deutsche oder andere Kontinentaleuropäer. Nur: Die meisten Einheimischen können besser Englisch als die meisten Deutschen, und wahrscheinlich auch besser Deutsch als sie Schwedisch. Von daher sollte man sich nicht täuschen lassen, selbst wenn das Gegenüber artig bekundet, dass man ja sehr gut Schwedisch könne, wartet er oder sie meist darauf, in eine Sprache zu wechseln, in der die Kommunikation flüssiger läuft. Aber für alle, die schon ein bisschen was können, denen aber das Vokabular fehlt, um aus der eigenen Berufs- und Lebenswelt zu erzählen, gibt es hier einen kleinen Ausflug ins Kirchenschwedische. Vielleicht wird das bei Bedarf und Interesse auch noch einmal ausgebaut, mal sehen. Ein bisschen was an Grundlagenwissen ist vorausgesetzt, d.h. ich erspare mir in den meisten Fällen Hinweise zu Aussprache und Grammatik. Jetzt aber los. 

Kirche und Gemeinde 

„Kirche“ kann im Deutschen ja so einiges meinen: Das Gebäude, die Institution, das theologische Konzept. Im Schwedischen ist es zum Glück genau so, und es gibt auch nur ein Wort: kyrka, auf Hinweisschildern und Landkarten oft als k:a abgekürzt. Wenn sie größer und Sitz eines Bischofs (biskop) und damit die Hauptkirche einer Diözese (stift) ist, dann domkyrka. Gerade in ländlichen Gebieten liegt um die Kirche herum der kyrkogård (wörtlich: „Kirchhof“), also der Friedhof. Ähnliches gilt für das Wort Gemeinde (församling), damit kann eine kleinere Verwaltungseinheit innerhalb einer Religionsgemeinschaft (samfund), aber auch die konkret versammelte Schar von Gottesdienstbesucher_innen gemeint sein. Im Gegensatz zum Deutschen ist damit aber nie die Kommunalgemeinde gemeint. Eine Gemeinde kann ihrerseits in mehrere Bezirke (distrikt) aufgeteilt sein, und ist Teil eines Kirchenkreises (kontrakt), der vom Superintendenten (kontraktsprost) geleitet wird.

Billdals kyrka am Rand von Göteborg - "meine" alte Kirche. Bild: stefanity@photobucket.com


Berufe und Personen 

In der Gemeinde leben und arbeiten eine Reihe von Menschen. Zum Beispiel Pfarrerinnen und Pfarrer, beide nennt man (weil in Schweden Berufsbezeichnungen grundsätzlich unisex sind) präst, also wörtlich „Priester“, und das ist in der Tat auch so gemeint, weil sie, ähnlich wie ihre anglikanischen Kolleg_innen, geweiht werden. Deswegen spricht man auch von prästvigning, nicht von „Ordination“. Das Wort pastor gibt es natürlich auch, klingt aber sehr nach Freikirche (frikyrka). 
Innerhalb der Priesterschaft wird je nach Aufgabe weiter differenziert: Der oder die kyrkoherde (wörtlich „Kirchenhirte“) ist so etwas wie ein hauptamtlicher Presbyteriumsvorsitzender; sie sitzt im Kirchenvorstand (kyrkoråd), der etwas anders gewählt wird als in Deutschland, und ist Chef oder Chefin der gesamten Gemeinde. Wenn es in einem Bezirk mehrere Pfarrer_innen gibt, ist eine den anderen übergeordnet und heisst dann distriktspräst, ansonsten spricht man von komminister (mit Betonung auf dem letzten „i“). In der Regel sind die Pfarrerinnen am Kollarhemd (frimärksskjorta) erkennbar, aber hier muss man auf die Farbe gucken: Ist das Hemd grün, handelt es sich um einen diakon, ist es in Rot- oder Lilatönen gehalten, hat man eine Bischöfin (biskop), vielleicht sogar die Erzbischöfin (ärkebiskop) vor sich sitzen. Die stammt allerdings aus dem westfälischen Herdecke und wird deutsch mit einem sprechen. 



Bevor man geweiht wird, studiert man Theologie (läsa teologi) und macht eine Ausbildung am Predigerseminar (pastoralinstitut), entweder in Lund oder Uppsala. Danach ist man Vikarin oder Pfarrer z.A. und arbeitet zunächst mit reduzierter Stundenzahl als pastorsadjunkt. Übrigens haben auch in Schweden die Assessmentcenter Einzug gehalten, jede_r angehende Theolog_in muss an einer uttagningskonferens teilnehmen.

Daneben gibt es natürlich eine Reihe anderer Berufsgruppen: Im Gemeindebüro (församlingsexpedition) sitzen Sekretäre (sekreterare), kamrer (Verwaltungsmitarbeiter), manchmal auch ein klockare, also ein „Glöckner“. Ursprünglich war das eine Art Küster oder Mesmer, gerade an der Westküste hat aber die traditionelle Aufgabe des Kollektenzählens Überhand genommen, sodass der Glöckner hier eine Art Schatzkirchmeister ist. Der Küster heißt schlicht vaktmästare, also „Hausmeister“. Auf dem Gemeindeamt haben aber auch andere Mitarbeitende ihr Büro, etwa die Organisten und/oder Kantoren (heißen genauso), also die Kirchenmusiker (kyrkomusiker). Daneben gibt es in der Regel auch Gemeindepädagogen (församlingspedagog), mit ähnlichen Aufgaben befasst sind die „Gemeindeassistenten“ (församlingsassistent). Oft gibt es einen Kindergarten (förskola) mit entsprechendem Personal (förskollärare). 

Im Gottesdienst 

Gottesdienst (gudstjänst, mit kurzem „u“) wird meist mehrfach wöchentlich gefeiert, allerdings differenziert man hier ähnlich wie in der katholischen Kirche: Streng genommen meint gudstjänst den Wortgottesdienst, ansonsten spricht man auch hier von Messe (mässa), und da von Wochenmesse (veckomässa), wenn sie alltags, von Hochamt (högmässa), wenn sie sonntags stattfindet. Den Anfang macht meist ein Lektor (kyrkvärd), der die Anwesenden begrüßt und zu Gebet und Stille einlädt („Nu stillar vi oss inför gudstjänsten“). Dann ziehen unter stehendem Gemeindegesang die Hauptbeteiligten ein, meist geht ein Jugendlicher mit Tragekreuz voraus, dann folgen die Übrigen, am Ende der/die Liturg/in mit dem Abendmahlsgeschirr. Man verneigt sich vor dem Altar (altare), dann geht jeder an seinen Platz. Gebete werden in der Regel mit dem Rücken zur Gemeinde gesprochen, Lesungen und Predigt (predikan) von Ambo (heißt auch so) oder, falls vorhanden, von der Kanzel (predikstol) aus. Zum Abendmahl (nattvard) begibt man sich zum Altarring (altarring), meist wird die Kommunion kniend empfangen, in Kombination mit Wandelkommunion: Wer fertig ist, steht auf und macht Platz für den Nächsten, der dann Brot und Wein (bröd och vin) empfängt. In Schweden werden fast durchgehend glutenfreie Oblaten gereicht und starker Wein bevorzugt, etwa Marsalla). 

Am Schluss spricht der Liturg den aaronitischen Segen (välsignelse), mit trinitarischem Schluss und Kreuzzeichen (korstecken), danach ziehen alle wieder aus. Die Kinder sind während des Großteils des Gottesdienstes meist im Kindergottesdienst (söndagsskola). Das Vaterunser (Herrens bön) existiert momentan in zwei Varianten, einer älteren (Fader vår) und einer jüngeren (Vår fader), wobei letztere nach einer längeren Übergangszeit auch in den Auslandsgemeinden nun eingeführt wird. Wer sich mal einen schwedischen Gottesdienst angucken möchte, kann das entweder in den vier Auslandsgemeinden in Deutschland (Berlin, Frankfurt, Hamburg, München) tun, oder sich einen Fernsehgottesdienst im Internet angucken - www.svt.se/gudstjanst/.

(c) Arne Hyckenberg / dagen.se

Ein absolutes Muss ist das Kirchenkaffee hinterher (kyrkkaffe), bei dem es meistens mehr zu essen gibt als die in Deutschland üblichen Kuchen und Plätzchen (kakor); meist steht Brot, Butter, Käse und Marmelade auch bereit. Gesungen wird natürlich auch, das Gemeindelied heißt psalm und steht im psalmbok; wenn man die biblischen Psalmen betet, spricht man vom psaltarpsalm (das „p“ wird in beiden Fällen nicht gesprochen).

Die liturgische Gewandung in Schweden entspricht weitestgehend der in der anglikanischen Kirche: Zum Gottesdienst trägt man alba und stola, vor dem Abendmahl wird eine Kasel (mässhake) übergestreift. Es gibt auch Talar (kaftan) und Beffchen (elva), diese finden aber höchstens noch bei Beerdigungen (begravning, jordfästning) Verwendung. In Wortgottesdiensten wird auch oft Rochette (röcklin) mit Stola getragen. Zu besonderen Alltagssituationen haben die Kolleg_innen neben dem Kollarhemd noch eine andere Option: In Schweden ist es noch vielerorts üblich, bei Einladungen einen Dresscode (klädkod) auszugeben. Bei hohen diplomatischen oder akademischen Feiern, manchmal auch bei Hochzeiten, wird hier högtidsdräkt gefordert, also noch eine Stufe über der Abendkleidung. Konkret heißt das: Frack und Ballkleid, oder aber Gesellschaftsuniform, Volkstracht – und bei Pfarrerinnen und Pfarren, sofern vorhanden, Lutherrock (prästrock).

Andere Aktivitäten 

Auf jeden Fall gibt es Konfirmandenunterricht (konfirmandundervisning), wenn man in diesem Rahmen auf Freizeit fährt, nennt man das (konfirmand-)läger. Und mitunter gibt es auch Sommerfreizeiten, die nennt man entsprechend sommarläger. Oft sind hier jugendliche Teamer beteiligt, so genannte konfirmand- oder hjälpledare. Interessanter Weise gibt es im Schwedischen kein direktes Wort für „ehrenamtlich“, deswegen spricht man meist von frivillig, freiwillig. In einer singenden Nation wie Schweden gibt es natürlich den einen oder anderen Chor (kör), zum Beispiel einen Kinder- oder Jugendchor (barnkör, ungdomskör). Auch in Schweden gibt es natürlich die eine oder andere Sitzung (möte). 


Soweit erstmal. Wie gesagt, bei Interesse demnächst mal mehr!

Montag, 7. Juli 2014

Gegen das Beklatschen des Toleranzpreises für die Hessen-Nassauische Kirche

Ausschnitt aus: Wilhelm Linnig d.J., Luther predigt auf der Kanzel (um 1880), (c) kunstkopie.de / kirchengeschichten.blogspot.de (Montage)

Manchmal ist es soweit: Da packt einen der heilige Zorn, und während alle anderen klatschen, möchte man selbst aufspringen und mit prophetenhaft bebender Stimme zur Buße rufen. 
So wie ich jetzt gerade. Am Wochenende war wieder Karneval in Köln, weil Sommer ist, nannte man das aber nicht so, sondern sprach vom Christopher-Street-Day. Am Rande dieses mehrtägigen Großevents fand im Gürzenich die Verleihung der "Kompassnadel" statt, eines undotierten Preises, mit dem das Schwule Netzwerk und die AIDS-Hilfe NRW besondere Verdienste um Toleranz auszeichnen. Preisträger in diesem Jahr war der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung, dessen Kirche im vergangenen Jahr als erste evangelische Landeskirche die gottesdienstliche Segnung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften quasi mit der kirchlichen Trauung gleichgestellt hat. Evangelisch.de jubelt heute: "Beim Verleih der 'Kompassnadel' treffen sich Kirche und CSD - mit Applaus". 

Soso. Die EKHN behandelt "Ehe" und "gleichgeschlechtliche Partnerschaften" gleich, die Aktivistenverbände honorieren das mit einem Preis, ein Innenstadtkollege hält die Laudatio, und alles klatscht und freut sich, auch und gerade das evangelische Köln. Und ich fasse mich an den Kopf und denke: Das kann doch nicht wahr sein!

Wer diesen Blog kennt und bis hierhin gelesen hat, wundert sich jetzt vielleicht. Und ich disclaime direkt: Keine Sorge, ich habe nicht die Seiten gewechselt und gröhle jetzt gemeinsam mit Christl Vornholt, Hartmut Steeb und allen anderen. 

Trotzdem ist für mich die Preisverleihung an den EKHN-Kirchenpräsidenten neben aller Freude auch ein Anlass zum Ärger. Und, ja, vielleicht bin ich da ein bisschen wie der Kölner Karnevalsfunktionär, der sich grämt, weil (ausgerechnet!) "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht" mehr Einschaltquoten erntet als die Prunksitzung des Festkomitees. 

Aber: Der Preis für die hessisch-nassauische Kirche ist auch eine Erinnerung daran, dass wir im Rheinland unsere Hausaufgaben (noch) nicht gemacht haben! Das bislang letzte Wort in dieser Sache ist der Beschluss Nr. 42 der Landessynode 2000, dort heißt es unter anderem:

"Gleichgeschlechtliche Paare in verbindlichen Lebensgemeinschaften werden wie alle Gemeindeglieder seelsorglich begleitet. Es kann für diese Paare auch eine gottesdienstliche Begleitung geben. Dabei handelt es sich nicht um eine Amtshandlung. [...] Die gottesdienstliche Begleitung ist in der liturgischen Gestaltung von der Trauung deutlich zu unterscheiden."

Es kann durchaus sein, dass die EKiR damit im Jahr 2000 vorbildlich agiert hat, I wouldn't know, ich war damals noch in der Schule, und natürlich kann man immer mit der Arroganz der Spätgeborenen nöhlen, die Altvorderen seien nicht konsequent genug gewesen. Aber: Seitdem sind 14 (in Worten: vierzehn!) Jahre vergangen, Zeit genug auch für pietistische oder reaktionäre Regionen und Gruppen, von denen es im Rheinland recht wenige gibt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Gottes Pläne mit den Menschen nicht immer mit unseren spießbürgerlichen Lebensentwürfen konform gehen. Langsam ist es doch an der Zeit, endlich unsere theologischen Grundlagen konsequent weiterzudenken. Damit meine ich nicht, dass Kirche  um jeden Preis "liberaler" oder "toleranter" werden muss, sondern: Es gibt keine kirchliche Trauung! "Die Ehe ist ein weltlich Ding", hat bekanntlich schon Luther gewusst, und aus diesem Grund werden in evangelischen Gottesdiensten keine Ehen geschlossen, sondern bestehende Ehen gesegnet, für sie gedankt und gebetet. Es gibt keinen theologisch zu verteidigenden Grund für die seltsame und gänzlich untheologische, da nur politisch motivierte Einschränkung: "Die gottesdienstliche Begleitung ist in der liturgischen Gestaltung von der Trauung deutlich zu unterscheiden." Auch, wenn es natürlich eine gewisse behördenkirchliche Tradition hat, schwierige theologische Fragen hinter Verwaltungsentscheidungen zu verstecken.

Die Entscheidung der EKHN macht dieses Versäumnis auf schmerzhafte und peinliche Art deutlich, und wer bei der Preisverleihung für Volker Jung geklatscht hat, sollte das Seine tun, dass dem abgeholfen wird. Das geht ganz schnell: Brief ans Presbyterium, die nächste Kreissynode möge an die nächste Landessynode den Antrag stellen, hier endlich Klarheit zu schaffen. Sogar in Westfalen (!) hat das schon ein Kirchenkreis geschafft.

In diesem Sinne - an die EKHN herzliche Glück- und Segenswünsche. Und an alle anderen: Ite, missa est!

Donnerstag, 3. Juli 2014

Wort zum Sonntag?



Jaja, es ist ja noch kein casual friday, aber: Man muss ja die Bilder machen, wie sie kommen. Oder so. Übrigens: Das Wort zum Sonntag versucht sich gerade an einer Verjüngungskur und hat zu einem Wettbewerb aufgerufen. Die Nominierungsphase ist jetzt vorbei, ab sofort kann abgestimmt werden. Wenn man sich das bisherige Ranking anguckt, drängt sich der Verdacht auf, dass nicht unbedingt nur diejenigen viele Stimmen kriegen, die besonders gute Videos gemacht haben, sondern auch und vor allem die, die einen großen Verein und dementsprechend viele Groupies hinter sich haben. Ich finde ja, dass die Poetry-Slammerin auf einem unverdient abgeschlagenen Platz ist, aber guckt selber mal rein unter


Mittwoch, 2. Juli 2014

Wenn möglich, bitte wenden!


Als Einstimmung auf Sonntag (Ez 18) ein kleiner Text vom letzten Slam-Poetry-Gottesdienst. Ausgangspunkt war eine seit dem Hebräischkurs im ersten Semester schwelende Textidee - denn im Hebräischen heißt Prophet nav'i. Das schreit ja förmlich nach Bearbeitung! In Schriftform nicht ganz wiederzugeben ist der Mitmachcharakter - der Kehvers Wenn möglich, bitte wenden! wurde auf Handzeichen jedes Mal von der Gemeinde gesprochen. 

(c) Volker Derlach

WENN MÖGLICH, BITTE WENDEN!
Du fährst.
Der Fahrtwind krault dir das Haar,
die Sonne scheint dir auf den Arm,
alles ist super, alles ist wunderbar!
Und während du cool
durch die City cruist
mit dem Radio mitgroovst
und den Takt schlägst mit deinen Händen
hörst du eine Stimme, die sagt:
WENN MÖGLICH, BITTE WENDEN!
Diese Stimme.
Du kennst sie, du liebst sie,
du hörst ihr gern zu, sie
heißt Susi
und wohnt in dem kleinen Kasten
unter deiner Windschutzscheibe.
Wie oft hat sie dich auf langer Fahrt
auf den rechten Weg gebracht.
Und ob du schon fuhrest im finsteren Tal,
hast Du keine Angst, denn mehr als ein Mal
hat sie dich mit untrüglichem Gespür
sicher nach Hause geführt.
Und mit brüchiger, bebender Stimme
singst Du eine Lobeshymne
für Susi,
die Königin unter den Navigationsgeräten.
Und Du stellst dir vor, dein Leben hätte ein GPS,
und egal, wo du bist, es
würde dir zeigen, wo’s lang geht,
es wüsste alle Sackgassen
und Einbahnstraßen
alle Flucht-
und Um-
und Schleich-
und Rettungswege,
eine Stimme, die Dich warnt
und Dir vor dem bösen Ende sagt:
WENN MÖGLICH, BITTE WENDEN!
Und dann denkst Du an all die Situationen im Leben,
in denen es sowas geben
müsste, einen Kompass, ein Navi,
eine Stimme, die zur richtigen Zeit ruft:
WENN MÖGLICH, BITTE WENDEN!
Du denkst an diese Nacht / in deiner Kindheit / als du nicht schlafen konntest / und dich gewundert hast über die komischen geräusche / und du ganz mutig sein und nachgucken wolltest / und Du fragst dich / ob du dir deine Unschuld / die Unschuld deiner Augen / ein bisschen länger hättest bewahren können / wenn jemand im letzten Moment gesagt hätte: WENN MÖGLICH, BITTE WENDEN! / als Du die Klinke schon in der Hand hattest zum Schlafzimmer deiner Eltern…
Und du denkst an Boris aus eurer Klasse / der immer ein bisschen zu dick / ein bisschen zu langsam / ein bisschen zu unbeherrscht war / um wirklich beliebt zu sein / und du fragst dich / ob es nicht so weit gekommen wäre / er seinen Hund nicht ersäuft / das Asylantenheim nicht angezündet / das Gewehr im Schrank gelassen hätte / wenn damals, als ihr ihn über den Schulhof gejagt habt / jemand gesagt hätte: WENN MÖGLICH, BITTE WENDEN!
Und wieder hörst Du die Stimme,
ganz leise:
WENN MÖGLICH, BITTE WENDEN.
Und sie kommt nicht von dir,
sondern von Susi,
du hörst ihr zu, sie
klingt irgendwie müde,
vielleicht aber auch rüde,
oder auch resigniert,
und bevor du reagierst
wird der Bildschirm schwarz
und du bildest dir ein,
du hörst, aber das kann ja nicht sein,
ein leises: „Dann eben nicht.“
Dann siehst Du die Wand,
versuchst noch zu lenken,
schaffst gerade noch zu denken:
„Das ist alles nur in meinem Kopf!“
Und dann knallt er auf das Lenkrad
und alles ist still.
Du wachst auf.
Weißt nicht, wo du bist,
weiß bist du, steckst in Gips,
vom Kopf bis zum Zeh, und
aaaau, tut das weh,
kannst dich kaum bewegen,
bist wundgelegen
und in einer Ecke in deinem Zimmer
flimmern die Nachrichten
über den Fernseher:
Die AfD holt acht Prozent,
die ganze Ukraine brennt,
in einer Welt, die sich verrennt,
die Unrecht nicht beim Namen nennt,
wo keiner seinen Müll mehr trennt
und niemand mehr Heinz Erhardt kennt,
in einer Welt, die schier zerfällt
in Trümmer und Stücke und
- aaah, dein Rücken! –
und du tastest nach Fernbedienung
oder Schwesternknopf,
irgendwas, mit verbundenen Händen,
dein ganzer Körper ein einziger Satz:
WENN MÖGLICH, BITTE WENDEN!
WENN MÖGLICH, BITTE WENDEN!
WENN MÖGLICH, BITTE WENDEN!
Aber nichts passiert?!