Montag, 22. Dezember 2014

Der Sieg des Unwahrscheinlichen - Predigt über Lk 1,46-55

Im Zentrum der Predigt steht ein Siegeslied. Man kann sich zu Recht fragen, ob Siegeslieder auf die Kanzel und in den Gottesdienst gehören. Zu den Höhepunkten musikalischen Schaffens gehören sie in der Regel nicht – das gröhlende Geheule der Überlegenen, das nur zu bestätigen scheint, was wir alle ahnen: Der Stärkere gewinnt doch. 

Warum dieses Siegerlied heute für Kanzel und Gottesdienst mehr als nur ein bisschen geeignet ist, das hängt unter anderem damit zusammen, dass hier niemand die eigene Stärke besingt. Und das hängt auch damit zusammen, wer dieses Lied anstimmt. Wir haben gerade in der Lesung gehört, um wen es geht. 

Krippe St. Bruno, Köln-Klettenberg, gemeinden.erzbistum-koeln.de


Elisabeth und Maria. Zwei Verwandte treffen sich. Beide sind schwanger. Grund zur Freude, sowieso, zwei Kinder im gleichen Alter, da kann man Kleidung und Erziehungstipps tauschen und gegenseitig babysitten. Normalerweise. Normal ist allerdings wenig bei diesen beiden schwangeren Frauen, denn bei beiden ist es nicht der blaue Streifen auf dem Schwangerschaftstest, nicht die morgendliche Übelkeit, sondern ein Engel, der über die „anderen Umstände“ im wahrsten Sinne des Wortes informiert. 

Elisabeth. 
Eine alte Frau. Kinderlos, das heißt mit ungesicherter Zukunft, weil niemand sich im Alter kümmern kann. Das heißt auch: Behaftet mit dem Stigma der Unfruchtbarkeit, im Volksglauben ein untrügliches Zeichen dafür, dass Gott sich abgewandt hat. 

Sie wird schwanger im hohen Alter. 
Unwahrscheinlich, sagen Medizin und Statistik. 
Unglaublich!, denkt sich vielleicht Zacharias, ihr Mann – und sagt erst einmal lange Zeit nichts. Unnatürlich, zischen die Nachbarn – vielleicht hält sich Elisabeth deswegen erst einmal fünf Monate lang versteckt. 
Unvermeidlich, sagt der Engel, und gibt dem ungeborenen Kind nicht nur einen Namen – Johannes, das heißt „Gott ist gnädig“ –, sondern auch eine ganze Liste mit Erwartungen mit auf den Weg, die selbst den ehrgeizigsten werdenden Eltern kaum einfallen wird: „Denn er wird groß sein vor dem Herrn; Wein und starkes Getränk wird er nicht trinken und wird schon von Mutterleib an erfüllt werden mit dem Heiligen Geist. Und er wird vom Volk Israel viele zu dem Herrn, ihrem Gott, bekehren. Und er wird vor ihm hergehen im Geist und in der Kraft Elias, zu bekehren die Herzen der Väter zu den Kindern und die Ungehorsamen zu der Klugheit der Gerechten, zuzurichten dem Herrn ein Volk, das wohl vorbereitet ist.“ 

Maria. 
Eine junge Frau, unverheiratet, nur verlobt, und das heißt, zumal dann, wenn der Verlobte ein gottesfürchtiger Mann ist, Jungfrau. 
Sie wird schwanger, ohne mit einem Mann geschlafen zu haben. 
Unwahrscheinlich, sagen die Taktvolleren. 
Unehelich, sagt Josef – und will sie heimlich verlassen. 
Unglaublich und unmöglich, sagen die meisten anderen. 
Unverzichtbar!, sagt die Kirche lange Zeit. 
Unwesentlich, sagen wir heute meistens. 
Unbeschreiblich und unerklärlich, sagt sogar der Engel. 
Unwahrscheinlich schön, sagt Maria, und fängt an zu singen: 

Mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; 
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. 
Denn er hat große Dinge an mir getan, 
der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. 

Und in ihrem Lied schwingt ein Echo mit, stimmt sie ein in den Gesang vieler Frauen vor ihr. Frauen wie sie, die Unwahrscheinliches erlebt haben: 
Sarah, die im hohen Alter noch ein Kind bekommt und erst einmal laut loslacht. 
Miriam, die die Flucht aus Ägypten vor der Streitmacht des Pharao und den unglaublichen Durchzug durch das Schilfmeer überlebt hat. Auch sie singt von der Größe Gottes, der Ross und Reiter ins Meer wirft und den Mächtigen Einhalt gebietet. 
Hanna, auch sie die Frau eines Priesters, auch sie unfruchtbar, auch sie eine späte Mutter, die davon singt, wie Gott die Niedrigen erhöht und die Mächtigen in ihre Schranken weist. 

Lieder, die einen Sieg der besonderen Art besingen und uns auf Weihnachten einstimmen: Den Sieg des Unwahrscheinlichen. 

Ein kleines Volk, das durch alle Verwerfungen der Geschichte hindurch überlebt. Kinderlose ältere Frauen, die späten Kindersegen erfahren. 
Eine Jungfrau, die schwanger wird mit einem Kind, das seinen Platz im Stammbaum Davids einnimmt, eines Königs, der ebenfalls mit einen unwahrscheinlichen Sieg gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner bekannt wird. 

Solche Siegeslieder gehören auf die Kanzel, in den Gottesdienst. Am vierten Advent und darüber hinaus. Sie halten die Hoffnung wach. Sie bewahren davor, sich mit dem scheinbar Unabänderlichen abzufinden. Sie singen buchstäblich von „anderen Umständen“ als denen, die unser Leben beherrschen. Sie stiften an zur Klage, zur Freude, zur Spurensuche im eigenen Leben. 

(c) flow-grow.de


Das Unwahrscheinliche siegt. 
Die unscheinbare junge Frau aus dem Vorderen Orient 
wird zu Hoffnungsträgerin der ganzen Welt. 
Lahme stehen auf. Blinde sehen. 
Niedergeschlagene werden aufgerichtet. 
Glaube hält stand gegen den Augenschein. 
Liebe überwindet Gleichgültigkeit. 
Hoffnung wird stärker als Angst. 
David gewinnt gegen Goliath, 
das Leben gegen den Tod. 
Auf der Fensterbank blüht mitten im Winter ein Kirschzweig, 
ein Grashalm durchbricht den Asphalt. 
Und die Welt ändert ihren Lauf. 

Unvernünftig, sagen die Realisten. 
Unwahrscheinlich, sagt die Statistik. 
Unglaublich, sagen die Zweifler. 
Unmöglich, sagt der Verstand. 
Ungünstig, sagen die Mächtigen. 
Unnötig, sagt der Zufriedene. 
Und Maria singt. 

Meine Seele erhebt den Herrn, 
und mein Geist freut sich Gottes, 
meines Heilandes; 
denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. 
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. 
Denn er hat große Dinge an mir getan, 
der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. 
Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht 
bei denen, die ihn fürchten. 
Er übt Gewalt mit seinem Arm 
und zerstreut, die hoffärtig sind 
in ihres Herzens Sinn. 
Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. 
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. 
Er gedenkt der Barmherzigkeit 
und hilft seinem Diener Israel auf, 
wie er geredet hat zu unseren Vätern, 
Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Amen.

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