Montag, 1. Dezember 2014

Von "Jahresendflügelfiguren" und der schweren Suche nach neuen Adventsliedern

Sonntag, erster Advent. Ich sitze inmitten einer wuselnden Schar von kleineren und größeren Kindern und Jugendlichen. Schön ist es, aber das muss es auch sein, am ersten Advent erwarten die Leute was, und so wird aufgeboten, wer nicht bei drei auf dem Tannenbaum ist und noch dazu ein paar Eltern und Geschwister in den Gottesdienst lockt. Begrüßung, Singen, nochmal Singen, Psalmumdichtung, wieder Singen, Jesus auf Esel (haha, komischer König, so isser halt, der Jesus), Singen, Kinderchor verläuft sich auf dem Weg zum Altar, sehr süß, wieder Singen, irgendwas mit Tieren, Advent ist nicht nur Kommerz, aber trotzdem schön. Singen, Viertelstunde Fürbitten, Vaterunser, Singen, Segen. Fertig. Plätzchen.

Die wirklich noch sehr jungen Kinderchorkinder singen das, was halt so verfügbar und musikalisch wie textlich zu bewältigen ist: Zünde ein Lichtlein an, Weihnacht wird es dann. Sei auch du dabei, dass es wirklich Wahrheit sei... und so weiter. Da die Kinder das Lied gleich mehrfach hintereinander singen, ist Zeit und Muße für genaues Zuhören und Nachlesen. Ich fände es äußerst interessant, mal ein bisschen der theologischen Semantik neuerer Advents- und Weihnachtstexte nachzugehen, zu fragen, was so ein bedeutungsschwanger deklamiertes "es wird Weihnachten" eigentlich bedeutet, oder wofür genau "Betlehem" alles ein Chiffre ist. Wahrscheinlich wird man einer postmodernen Gesetzlichkeit auf die Spur kommen, die das "Werden" von Weihnachten an menschlichen Kerzenaktionismus bindet. Theologisch nicht ganz unproblematisch - aber irgendwie auch nicht überraschend. Ein Freund und Kollege ächzte letztens über das auch immer wieder gern gesungene "Möge die Straße...", eine Vertonung eines irischen Reisesegens, und fragte, ob nicht ein Vers wie "...doch drücke seine [=Gottes] Faust dich nicht zu fest" Ausdruck eines potenziell pathologischen Gottesbildes sei. 

Aber nun. Da das Lied kurz ist, singen wir es ein paar Mal hintereinander, langsam fällt die Gemeinde ein (immerhin sind ja Noten abgedruckt), aber doch mit genug Anstand, die Kinder nicht zu übertönen, die im Altarraum mit großem Ernst, aber doch erkennbarem Spaß am Vornestehen ihr Lied intonieren. Hinter mir klicken Handy- und Digitalkameras, und, ach, ich kann es den Eltern gar nicht verdenken - stünden meine da vorne, ich würde es genauso machen. Und ich bin froh, dass bei uns die Kinder zum Singen animiert werden und kann kaum ermessen, wie bedeutsam solche Arbeit als Kinder- und Jugendarbeit ist.

Beim dritten oder vierten Durchgang festigt sich ein zunächst vages Gefühl von déjà-vu (oder -entendu) - irgendwas an dem Lied ist bekannt. Natürlich kenne ich das Lied, das ist es nicht. Aber die Melodieführung, der Text... Mir fällt ein Adventskaffeetrinken vor ein paar Jahren ein. Es gab Dresdner Stollen, richtigen sogar, denn die Verwandten kommen aus der ehemaligen DDR. Im Hintergrund lief eine alte Eterna-Schallplatte, Bald nun ist Weihnachtszeit, und der Kinderchor des real existierenden sozialistischen Rundfunks sang: "Vorfreude, schönste Freude, Freude im Advent."


Die ganze CD ist aus kulturgeschichtlicher Sicht ungemein interessant, weil sie auf eindrucksvolle Weise das Bestreben dokumentiert, aus politischen Gründen Traditionen umzuformen, der Advents- und Weihnachtszeit ihre religiöse Dimension zu nehmen und dies, unter Rückgriff auf eine entsprechende musikalische und bildliche Formensprache, als ursprünglich und traditionell auszugeben. Diejenigen Lieder, die speziell für diese Aufnahme geschrieben wurden, beschwören nostalgische Gefühle, bemühen eine diffuse Lichtmetaphorik und lassen Weihnachten als Selbstzweck am Ende einer emotional aufgeladenen Warte- und Vorbereitungszeit erscheinen. 

25 Jahre nach der Wiedervereinigung erweist sich dieses Konzept als überaus langlebig und erfolgreich. Anfang und Mitte der Neunziger wurde in Karneval, Feuilleton und Kabarett noch ausgiebig gekichert und gekalauert über echte oder vermeintliche Begriffe aus dem offiziellen Sprachgebrauch, als grotesk-repräsentatives Beispiel für die DDR-Nomenklatur galt der Ausdruck "Jahresendflügelfigur" (statt "Weihnachtsengel"). Ob es diesen Begriff offiziell tatsächlich gegeben hat, scheint fraglich (den bisherigen Forschungsstand hat Bodo Mrozek vor einigen Jahren im SPIEGEL zusammengefasst). 
Aber wie so oft im Leben wird die Satire rechts und links von der Wirklichkeit wiederholt: Alle Jahre wieder häufen sich die Berichte über Kindertagesstätten oder Eingaben linkesparteiischer Politiker, die im Bemühen um weltanschauliche Neutralität und im typisch humanistisch-fundamentalistischen Irrglauben, man könne ideologisch sterile Räume schaffen, Sankt Martin zum Laternen- oder Sonne-, Mond- und Sternefest erklären. Wie engstirnig und pädagogisch fragwürdig solche Unternehmen sind, braucht nicht extra betont zu werden.

Mich wurmt, dass wir im kirchlichen Rahmen solche Entwicklungen stillschweigend und manchmal auch lautstark unterstützen. Die bestürzend inhaltsleere Begleitbroschüre "Alles hat seine Zeit" zur überaus nervigen Advent ist im Dezember-Kampagne der EKD tut im Grunde nichts anderes, wenn in weitgehend konsequentem Verzicht auf eine theologische Qualifikation das diffuse "Warten" auf etwas nicht näher Benanntes gehypet und mit unerträglich platter Naturlyrik und gutbürgerlich-säkularen Traditionen unterfüttert wird. Besagte Kampagne ist auch ein deutliches Zeichen dafür, wie schwer es uns als Kirche fällt, deutlich zu machen, was genau die immer wieder betonte Bedeutung unserer Fest- und Fastenzeiten eigentlich ausmacht. 




Lieder schreiben ist schwierig, klar. Und kindgerechte allemal. Und kaum ein Musiksektor ist derart konservativ wie der Markt der Advents- und Weihnachtslieder, auf dem sich Neues kaum oder nur sehr verzögert durchsetzt. Aber es muss doch auch Adventslieder geben, die sich nicht in Lebkuchenduft und diffuser Lichtmetaphorik erschöpfen, die den Reichtum theologischer Deutungsmöglichkeiten aufnehmen, ohne vorschnell in werkgerechte Affekte zu verfallen. Tipps und Liedvorschläge werden in den Kommentaren gern entgegen genommen - und vielleicht müsste man von kirchlicher Seite einen Anreiz schaffen. Wettbewerbe zu Tauf- und Passionsliedern gab es in den letzten Jahren, einer zum Reformationsjubiläum läuft soeben an. Warum nicht mal was zu Advent und Weihnachten? 


1 Kommentar:

  1. Vorschläge für gute Adventslieder:
    Seht, die gute Zeit ist nah (gut singbarer Kanon)
    Maria durch ein' Dornwald ging (kath. angehaucht, aber bildhaft und von Kindern singbar)
    Die Nacht ist vorgedrungen (textlich sehr gut, für kleine Kinder eher schwierig zu singen)

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