Samstag, 22. November 2014

Fernsehpfarrer: Fast ein bisschen Fernsehgeschichte

Man fällt förmlich von der Fernsehcouch vor lauter Aktualität in der neuen Folge der Herzensbrecher (hier zu sehen): Letzte Woche hat nun auch die westfälische Landessynode festgehalten, dass Winkelmessen vorreformatorischer Schnickschnack und "päbstische Grewel" und Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im Gottesdienst erlaubt sind. Und auch in der Heilandkirche geht es diese Woche kaum um etwas anderes, nebenbei wird fast ein bisschen Fernsehgeschichte geschrieben. 

DIE DIENSTLICHE EBENE


Schon letzte Woche hatte sich Sohn Nummer II in privatim geoutet, nun auch vor der ganzen Familie. Und auch dienstlich bekommt der Fernsehpfarrer es mit dem Thema zu tun: Ein schwules Paar möchte sich kirchlich trauen lassen und wendet sich dafür an den jungen Nachwuchspastor Wenkstern. Der jedoch entpuppt sich als erzkonservativer Knochen und weigert sich. Die beiden Amtsbrüder streiten sich lauthals darüber und führen die üblichen Argumente beider Seiten ins Feld; sogar das EKD-Familienpapier und der es verantwortende Ratsvorsitzende finden Erwähnung, das Drehbuch zeigt hier fast schon ans Schlüsselromanhafte grenzende Qualitäten. 

Dadurch, dass die beiden Talarträger sich vor der gesamten Belegschaft streiten, haben alle anderen auch Gelegenheit, ihre persönliche Meinung zum Thema abzusondern; das Spektrum dürfte so ziemlich alles abdecken, was auch in Gemeinden kursiert, besonders positiv fällt dabei wieder einmal die in letzter Zeit ohnehin aus dramaturgischen Gründen ganz stark menschelnde Presbyteriumsvorsitzende auf.



Wie realistisch das ist? Nun ja. Der theologische Nachwuchs steht im Moment gerade bei älteren Kolleg_innen unter einer Art Generalverdacht, engstirnig, rückwärtsgewandt, konservativ zu sein. Ich bezweifle das, zumal in der Postmodernen die Zugehörigkeit zu einem bestimmten konfessionellen Milieu nicht mehr automatisch an bestimmte theologisch-ethische Grundsätze geknüpft sind - eine Studentin sagte einmal: "Ich kann doch Lobpreislieder mögen und gleichzeitig für die Homo-Ehe sein!" Sicherlich gibt es Generationskonflikte (die allerdings selten ausgefochten werden, weil auf den Pfarrkonventen die Pfarrer_innen U40 in der absoluten Minderzahl sind, wenn sie denn überhaupt vorkommen), die auch mit Prägungen und Vorstellungen von Wesen und Auftrag der Kirche zu tun haben. Das hängt aber m. E. damit zusammen, dass heutige Studierende sich aus bestimmten Gründen sehr bewusst für ein Theologiestudium und für den Pfarrberuf entscheiden - heutzutage studiert niemand mehr Theologie, weil der NC für Sozialpädagogik zu hoch ist.
Von daher ventiliert die Serie an der Stelle durchaus Stereotypen, die in mancherlei Köpfen genauso existieren. 

Aber damit ist der dienstliche Teil der Affäre noch nicht beendet: Nachdem Pfarrer Tabarius die Kasualie übernommen hat, kommt es zum Konflikt mit besagtem Paar, als er ihnen eröffnet, dass er sie mitnichten "trauen", sondern nur "segnen" könne. Das entspricht geltendem Kirchenrecht im Rheinland (nur handeln die Artikel 16 und 17, die Tabarius in dem Zusammenhang nennt, von den Aufgaben des Presbyteriums) - und es ist auch in der Hinsicht realistisch, dass der Unterschied zwischen Trauung und Segnung Außenstehenden (und denkenden Menschen im Allgemeinen) nur schwer zu vermitteln ist. Einer der beiden Trauwilligen macht daraufhin einen Rückzieher, im entsprechenden Gespräch finden auch durchaus aktuelle Toleranzdiskurse ihren Niederschlag (btw.: Das Wort wurde nachweislich zum ersten Mal von Martin Luther im Deutschen verwendet und war bei ihm, wie es sich auch noch bei Goethe andeutet, explizit negativ besetzt). Pfarrer Tabarius kann sie natürlich doch überreden, weist auf den demonstrativen Charakter einer öffentlichen gottesdienstlichen Handlung hin, und so wird wenig später in der Bonner Heilandkirche aus vollem Männerherzen (und mit farblich falscher Stola) gesegnet. 


Wie realistisch das ist, darüber ließe sich streiten, denn: Es dürfte nicht selten vorkommen, dass Pfarrer_innen (in Absprache mit dem Presbyterium und mit guten theologischen Argumenten) über die noch bestehenden Regelungen hinweggehen und regelrechte "Traugottesdienste" auch mit schwullesbischen Paaren feiern. In der Praxis führt das nur zu dem Problem, dass die bestehenden Regelungen, die in allem "Interimslösung" atmen, nicht angetastet werden, weil niemand die Notwendigkeit sieht. Das ZDF jedenfalls schreibt damit fast Fernsehgeschichte, denn es zeigt m. W. die zweite gottesdienstliche Begleitung eines schwulen Paares im deutschen Fernsehen - die ersten waren 2010 die Kollegen von der ARD, als Dirk Bach die (nicht mehr) Verbotene Liebe von "Chrolli" öffentlich segnete (hier gibt es sogar eine Radioandacht dazu). Und ich finde es durchaus festhaltenswert (auch im Blick auf die legendäre Lindenstraßenfolge von 1990), dass ethisch motivierte und notwendige Tabubrüche auch heute noch vor allem bei den Öffentlich-Rechtlichen stattfinden, während die Privaten sich oft auf das Durchbrechen von Geschmacksgrenzen beschränken.

(c) express.de

Nun hat aber das Thema Homosexualität nicht nur eine dienstliche Dimension; wie bereits gesagt, beschäftigt die Familie Tabarius das Coming-Out des Zweitältesten. 

DIE PRIVATE EBENE


In der Familie geht es hoch her: "Tom" outet sich mit einigem Getöse beim brüderlichen Fernsehabend, und jeder geht so nach seiner Facon damit um: Tabarius demonstriert Akzeptanz und Vaterliebe, neigt aber ein bisschen zu großen Gesten, was dem Sohn negativ aufstößt. Auch der älteste Sohn zeigt uneingeschränkte Solidarität bei gleichzeitigem Rückfall in pathologisches Vokabular. Der Zweitjüngste findet's schlimm und ekelig, was er bei Tisch in Knittelversen unmissverständlich kundtut, wird aber gegen Ende der Folge zur Räson gerufen. Der Jüngste betet bei Tisch: "Mach, dass Tom doch nicht schwul ist, damit er nicht so viele Probleme bekommt..." - eine nette gebetstheologische Reminiszenz an die alte von Praunheim'sche Erkenntnis: Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (besagter Film wurde 1970 übrigens im Auftrag des WDR gedreht). 

Die Serie wagt dabei ein offenes Ende: Während sich Pfarrhaus, Kirche und gottesdienstliche Gemeinde als Schutzräume erweisen, erfährt "Tom" bei der Rückkehr in die Schule unverhohlene Diskriminierung. Das ist selten für das Vorabendfernsehen und bei allen Cliffhangerfunktionen zu würdigen. 



A propos Cliffhanger: Man darf gespannt sein, wie es weitergeht. Der Zweitälteste muss sich mindestens mit seinem besten Freund noch versöhnen (man munkelt, dass die Frauenhilfen in den Gemeinden bereits um Kuchen wetten, ob sie sich nicht vielleicht doch am Ende kriegen). Und in der Gemeinde hängt nach dem dramatischen Streit der Pfarrer und dem energischen Auftritt der Sekretärin der Haussegen mehr als schief. 

Sie ist es auch, die, vom pastoralen Konsensfähigkeitsdiktat ihres Vorgesetzten befreit, deutlich macht: Nach zwanzig Jahren der Diskussion auf allen kirchlichen Ebenen ist die Frage nach dem Umgang mit Homosexualität in erster Linie keine Frage der Theologie mehr. Sondern des Charakters.



Übrigens: Im Nachgang der Folge unternehmen die Herzensbrecher wieder einmal den Durchbruch durch die vierte Wand: Kurz nach Ausstrahlung der Folge meldet sich auf der FB-Page der Serie Wenkstern-Darsteller Lee Rychter per Video zu Wort und lädt zur Debatte ein: "Mich würde sehr interessieren, wie ihr das seht, inwieweit man dazu heutzutage überhaupt noch die Bibel zitieren kann und sich darauf berufen kann, inwiefern das alles überhaupt noch so funktioniert und ob das alles nicht längst schon überholt ist. Und inwiefern das überhaupt mit der Institution Kirche zu vereinbaren ist. Deswegen könnt Ihr hier fleißig kommentieren, liken, sharen, bzw. teilen... Sharing is Caring, "Geben ist seliger denn Nehmen", hab' ich gelernt, Apostelgeschichte 20,35."

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