Sonntag, 2. September 2018

Gefährlicher Glaube | Predigt über Apg 9 und Mendelssohns "Paulus"

Gottesdienst unter Mitwirkung der Kantorei Dreiklang e. V., die Chorstücke und Choräle aus Mendelssohns Paulus sang. Das ganze Oratorium gibt es am 16. September zu hören! Außerdem wurde im Gottesdienst der Sohn zweier junger Leute aus Iran getauft, die wegen ihres Glaubens flüchten mussten und in unserer Gemeinde eine Heimat gefunden haben. Die Predigt wich in manchen Punkten vom Manuskript ab - es gilt halt das gesprochene Wort...

Drei Geschichten verschränken sich heute in diesem Gottesdienst. Drei Geschichten von Menschen, die Christinnen und Christen werden, die es nicht quasi von Geburt an sind, die nicht mehr oder weniger hineingeboren werden in eine Gemeinde, sondern für die sich irgendwann im Laufe ihres Lebens etwas verändert. Drei Geschichten – und eigentlich sind es noch mehr. 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/86/Niccol%C3%B2_dell%27_Abbate_002.jpg
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/86/Niccol%C3%B2_dell%27_Abbate_002.jpg

Da ist Saulus, der sprichwörtlich zum Paulus wird. Der seine Karriere beginnt als gnadenloser Verfolger der noch jungen christlichen Gemeinde und dann nach einem umwerfenden Erlebnis auf der Straße nach Damaskus zum Apostel wird, den seine Reisen bis an die Enden der damals bekannten Welt und darüber hinaus führen. 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/38/Felix_Mendelssohn_Bartholdy.jpg
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/38/Felix_Mendelssohn_Bartholdy.jpg

Da ist Felix, Sohn der bedeutenden und wohlhabenden jüdischen Familie Mendelssohn, Enkel des bedeutenden jüdischen Aufklärers Moses Mendelssohn. „Ein Judensohn, aber kein Jude“, so soll Goethe über ihn gesagt haben. Felix wird nicht jüdisch erzogen, sondern 1816, im Alter von sieben Jahren, getauft. Ab diesem Zeitpunkt nutzt die Familie den „christlichen“ zweiten Nachnamen Bartholdy. Mit Mitte Zwanzig beginnt Felix mit den Arbeiten am „Paulus“, einem großen Oratorium, das seinen Ruf als Erneuerer der evangelischen Kirchenmusik festigt. 

Da sind F. und N. Die, als Muslime aufgewachsen, auf verschiedenen Wegen schon in ihrer Heimat im Iran von Jesus Christus hören. Im Iran, wo das Christentum eigentlich eine längere Geschichte als der Islam hat, aber nur unter einem Prozent der Bevölkerung Christinnen und Christen sind, ist das keine ungefährliche Angelegenheit: Zwar werden ihnen einige Rechte zugesprochen, der Übertritt zum Christentum ist aber nur erlaubt, wenn die Eltern auch Christen sind. „In vielen Kirchen sind sonntags Polizisten in Zivil unterwegs, die sehr genau gucken, wer da alles den Gottesdienst besucht und getauft wird. Besteht ein Verdacht auf Mission, ist der Pastor sehr schnell im Gefängnis und die Kirche geschlossen“, das hast du, N., einmal für den Gemeindebrief erzählt. Auf verschlungenen Wegen lernen sie sich in Deutschland kennen und lieben, landen in Wuppertal und, darüber freuen wir uns sehr, in unserer Gemeinde. Und bekommen den kleinen P., der heute getauft wird. 

Drei Geschichten, die in diesem Gottesdienst ineinander fließen. Und viele mehr kommen dazu – wir alle haben unsere eigene Geschichte mit Gott, die wenigsten wahrscheinlich bruchlos und gerade. Vielleicht können die wenigsten von uns so einen klaren Punkt benennen, an dem man sagen könnte: Dann und dann war es soweit. Ich kann das nicht. Ich kann nicht diesen einen Punkt festmachen und sagen: Hier hat mein Glaube angefangen. Ich kann mich aber an Zeiten erinnern, in denen ich dachte: Das ist alles nichts. In denen ich das Gefühl hatte, allein zu sein unter einem weiten Himmel, der kein Geheimnis birgt hinter Sonne, Mond und Sternen außer der kalten Unendlichkeit des Alls oder in denen ich dachte: Wenn es Gott gibt, dann weiß ich gerade nicht, ob ich ihn mag. Oder brauche. Oder will. Und ich kann Punkte benennen, an denen wir uns wiedergefunden haben. Man wird nicht fertig mit dem Glauben. 

Felix Mendelssohn Bartholdy wird auch kaum fertig mit seinem Paulus. Er feilt über Jahre daran. Verändert die Struktur, verwirft bereits geschriebene Musikstücke, komponiert Neues, setzt die Teile anders zusammen. Streitet sich mit Zeitgenossen, die sagen: Über Paulus kann man kein Oratorium schreiben – wie soll die Musik, die so unwiderstehlich das Gefühl anspricht, diesen verkopften Denker beschreiben können? Sein Vater Abraham begleitet die Arbeit an der Partitur eng bis zu seinem Tod. In Briefen ermutigt er Felix zur Aufnahme traditioneller Elemente evangelischer Kirchenmusik, um seine protestantische Identität zu beweisen. Die Arbeit am Paulus wird so zur Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte. Wann immer Felix ein Musikstück nur mit seinem jüdischen Nachnamen Mendelssohn unterschreibt, ermahnt ihn sein Vater, doch lieber den christlichen Nachnamen Bartholdy zu benutzen, denn, so schreibt er mehrfach: „Es wird ebensowenig jemals einen christlichen Mendelssohn geben wie einen jüdischen Konfuzius.“ Wahrscheinlich treibt Abraham Mendelssohn Bartholdy die Ahnung oder die Erfahrung, dass seine Familie immer unter Verdacht stehen wird, immer beweisen muss, dass sie die besseren Christen sind. Dass sie es ernst meinen. So, wie viele Menschen, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, immer wieder beweisen müssen, dass sie die besseren Deutschen sind. Gerade in der Entstehungszeit des Paulus ist die Familie Mendelssohn Bartholdy antisemitischen Vorurteilen und Kampagnen ausgesetzt, einen Höhepunkt erreicht das mit der Schmähschrift Richard Wagners, Das Judenthum in der Musik, mit dem er Mendelssohns Ansehen nachhaltig beschädigt.  Felix wird das zum Glück nicht mehr selbst erleben. 

Wie es ist, wenn Leute sagen: „Du bist doch gar kein Christ“, das hast du auch erlebt, N. Wir haben beide mit deiner Anwältin und einem Gott sei Dank kompetenten Übersetzer im Anhörungszimmer gesessen und immer fassungsloser den immer abstruseren Fragen der Sachbearbeiterin zugehört, mit der sie prüfen wollte, ob Du denn wirklich Christ bist. Ich möchte sie hier nicht wiederholen, aber ich zitiere ein paar Fragen und Aussagen von Mitarbeitenden des Bundesamtes für Migration, die in einigen Zeitungen veröffentlicht worden sind – Sie können ja überlegen, ob Ihnen eine Antwort eingefallen wäre: 

„Was ist die weltliche Hauptstadt des christlichen Glaubens?" 
„Sie kennen doch bestimmt das Gleichnis vom verlorenen Sohn – wie hießen die beiden Söhne?“ 
„Warum haben Sie die Bibel nicht vollständig gelesen?“ 
„Warum tragen Sie kein Kreuz?“ Oder, als Variante: „Warum tragen Sie ein Kreuz, wenn Sie evangelisch sind?“ 
„Martin Luther ist eine wichtige Person im Evangelium. Wie ist er gestorben?“ 

Immer wieder werden Anträge abgelehnt mit der Begründung: Es zwingt Sie doch niemand, Ihren Glauben öffentlich zu bekennen, Sie sind ja selber schuld! N., du hast selbst einmal gesagt: „Ich hatte ein gutes Leben im Iran. Mehrere Leute haben mir geraten, nach außen als Moslem zu leben und mein Christentum für mich zu behalten, aber das wäre nicht gegangen. Ich kann doch nicht über das schweigen, was mich so fasziniert und bewegt – Jesus hat auch gesagt, dass wir unser Licht nicht irgendwo verstecken sollen.“ 

Auch Paulus sieht sich in seiner Karriere als Apostel immer wieder Anfeindungen ausgesetzt – man wirft ihm seine Vergangenheit als Christenverfolger vor, man spricht ihm die Befähigung ab, über den Glauben zu sprechen, weil er Jesus nicht zu Lebzeiten gekannt hat. Paulus antwortet auf solche Anfeindungen, in dem er von seinem eigenen Leben erzählt, wie er selbst Gott am eigenen Leib erfahren hat, auch von seinen eigenen Zweifeln und Abgründen. Und vielleicht ist das auch bei uns so. Wir können und dürfen vielleicht sowieso nur von Gott reden, wenn wir zugleich bereit sind, auch von uns selbst zu reden, von unserem Leben, unserer Geschichte. 

Das ist nicht einfach, das wissen wir alle selbst. 

Die Geschichten, die hier heute zusammenfließen, erinnern uns daran, dass das auch gefährlich sein kann. Die Christenverfolgung der Antike, die Paulus wahrscheinlich in Rom das Leben gekostet hat, ist nicht ohne Parallelen in der Gegenwart. Fragen Sie unseren Pastor Favor Bancin, unter welchen Gefahren Christinnen und Christen mittlerweile in Teilen Indonesiens leben. Informieren Sie sich in den Nachrichten, wie christliche Gemeinden in der Türkei leben oder in China. Wie es in der DDR war. Oder fragen Sie Pfarrerinnen und Pfarrer in Ostdeutschland, die gegen die braune Hetze der AfD, Pegida, der Pro-Bewegung und anderer Nazis den Glauben an den dreieinen Gott bekennen, der der Schöpfer und Erhalter ALLER Menschen ist, egal welcher Herkunft, Hautfarbe oder Religion. 

Und wenn wir aus den Ereignissen in Chemnitz in diesen Tagen eins mitnehmen, dann doch das: Der Anfangschoral von Mendelssohn, den wir gerade gehört haben, gilt uns, hier, heute, jetzt, uns im Einzelnen, uns in Deutschland, in Europa, in der Welt: Wachet auf, ruft uns die Stimme! 

Als einige von unseren Chorsängerinnen und Chorsängern dankenswerter Weise hier vorbei gekommen sind, um den Gottesdienst mit vorzubereiten, da waren wir, als wir im Gespräch an diesem Punkt angelangt waren, für den Moment sprachlos, so irgendwie. Warum muss das sein? Warum muss das für Menschen gefährlich sein, wenn sie ihren Glauben bekennen? Wir haben geahnt, dass man die Schuld dafür nicht allein Gott in die Schuhe schieben kann – denn es sind immer Menschen, die andere Menschen quälen, foltern, mobben, töten. Aber warum muss das sein? Und wir haben das starke Gefühl gehabt, dass es dafür keine allgemeingültige Antwort geben kann. Nur den Protest. Und die Hoffnung, dass allerletzten Endes die Verfolger nicht das letzte Wort haben werden. Dass Gott mit den Rattenfängern und Volksverhetzern unserer Tage noch etwas anfangen kann, dass er mit ihnen das tun kann, was er mit Paulus getan hat: Dass er sie umwirft und auf den richtigen Weg bringt und dass sie mit seiner Hilfe sogar noch oder wieder Gutes tun können, wenn sie ihre bösen Wege verlassen. So wie Gott auch mit uns und unseren verdrehten, schrägen und manchmal schlimmen Lebensgeschichten etwas anfangen kann. 

In der Josefsgeschichte sagt Josef ja zu seinen Brüdern den wichtigen Satz: „Ihr hattet Böses im Sinn, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Und das erleben wir heute. Lieber N., liebe F., es ist schlimm, dass Ihr Eure Heimat verlassen musstet. Und gleichzeitig sind wir als Gemeinde unendlich dankbar, dass Ihr hier seid und dass Ihr ein Segen seid mitten unter uns! 

Und wir sind in der Vorbereitung gedanklich noch einen Schritt weitergegangen. Und haben geahnt, dass es noch eine Hoffnung gibt, einen Trost, wenn den Bösen nicht Einhalt geboten wird. Einen Trost, der nicht einfach so auf ein Kalenderblatt gedruckt oder in einem griffigen Satz zusammengefasst werden kann. Einen Trost, der die Grenzen unseres Denkens und unseres Lebens sprengt. Einen Trost, den nicht wir denen, die um ihres Glaubens Willen verfolgt werden, zusprechen, sondern sie uns. Einen Trost, den die Kantorei uns jetzt zusingt.


Siehe Wir preisen selig, die erduldet haben. Denn ob der Leib gleich stirbt, doch wird die Seele leben. 

Christus spricht: Ich bin bei euch, alle Tage, bis an der Welt Ende.

Wir stehen zu unserem Glauben. Wir sprechen gemeinsam das Bekenntnis, dass gefährlich sein kann. Und wir bekennen stellvertretend für die Menschen, die das nicht können:

Ich glaube an Gott, den Vater, ...
Amen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen