Samstag, 9. November 2013

Fernsehpfarrer im Realitätscheck (II)

Andreas Tabarius ist wieder zurück. Auch in dieser Woche herrscht wieder große Aufregung in der Bonner Heilandkirche, weil der neue Vikar früher einmal im Gefängnis gesessen hat und natürlich der erste Verdächtige ist, als die Kollekte aus der Sakristei geklaut wird. Also wieder der übliche Stoff, aus dem Vorabendserien sind, zumal sich rechtzeitig vor Wetten dass?! alles in Wohlgefallen auflösen darf (der tatsächliche Täter wird jetzt und hier natürlich nicht verraten - wer es wissen will, kann sich die Folge in der Mediathek ansehen).

Auch in der zweiten Folge der "Herzensbrecher" fällt wieder auf: Drehbuchschreibende und Darstellende haben Vokabeln gelernt. Das Landeskirchenamt in Düsseldorf findet genauso Erwähnung wie die fünf Hauptdisziplinen, die beim Ersten Theologischen Examen abgeprüft werden. Kirchliches Flair, ob von den Serienmachern so gewollt oder nicht, verbreiten übrigens auch die Namen der Protagonisten - der Vikar Stefan Vieweger ist nachweislich nicht verwandt mit dem Wuppertaler Alttestamentler und Archäologen gleichen Nachnamens, die Gemeindesekretärin Frau Marquardt teilt ihren Namen mit einer alten brandenburgisch-rheinischen Theologenfamilie, und Namensvettern des Küsters (Kuckelkorn) begegnen einem im Rheinischen des Öfteren im Zusammenhang mit Beerdigungen.

Gottesdienstliches


Eine "Predigt" des Kollegen Tabarius, dieses Mal wenigstens im Talar, wenn auch mit komischem Kragen, bleibt der Gemeinde in den Kirchenbänken und vor den Fernsehschirmen auch dieses Mal nicht erspart - warum nicht der Vikar eine Antrittspredigt hält, bleibt verborgen. Auch dieses Mal weicht er ganz spontan von seinen eigentlichen Predigtplänen ab und spricht ein betroffenheitsschwangeres Wort "in eigener Sache" in Anlehnung an Joh 8,7 (oder, wie Tabarius es ausdrückt, "Johannes-Acht-Zwo-Elf"), aufgrunddessen sich natürlich alle von der moralischen Keule empfindlich Getroffenen bekehren und Buße tun. 

Wie realistisch das ist? Wie schon beim ersten Mal: Eigentlich gar nicht. Die Ankunft eines neuen Vikars beschäftigt seinen Mentor schon, vor allem, wenn der nicht umumstritten ist und gar des böswilligen Kollektenraubes verdächtigt wird - das fällt einem also nicht plötzlich auf der Kanzel ein. Aber das ist noch das geringste Problem: Das Ventilieren aktueller Krisen im Umfeld der Gemeinde ist schon riskant genug - schon allein deswegen, weil der oder die Predigende als einzige_r die eigene Sicht der Dinge, die aufgrund eigener Verstrickung in eine Personalangelegenheit noch subjektiver und noch beschränkter ist als sonst, von der Kanzel präsentieren kann, während alle anderen zum Zuhören verdammt sind. Fragwürdig außerdem, ob man Anwesende so einfach der Öffentlichkeit ausliefern darf - in diesem Fall besonders (wenn auch wohlmeinend) den Vikar und (wieder) die böse, böse Presbyteriumsvorsitzende. In einem erstaunlich hellsichtigen Moment fragt Tabarius die Gemeindesekretärin: "Fanden Sie meine Predigt nicht manipulativ?" Jo!
Spannender als liturgische und homiletische Fachfragen sind in der zweiten Folge allerdings Aspekte kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts, mit dem Pfarrer Tabarius ebenso nonchalant umgeht wie mit Predigtmanuskript und Perikopenordnung. 
 

Dienstrechtliches: Von Vikaren, Amtszimmern und Sitzungen


Pfarrer Tabarius bekommt einen Vikar ("Sowas ähnliches wie ein Referendar."). Der schneit relativ unvorbereitet rein, bekommt vom Gemeindepfarrer seinen Arbeitsvertrag ausgehändigt und lernt bald darauf die Presbyteriumsvorsitzende, die übrigen Hauptamtlichen und den Superintendenten kennen. Von denen keiner weiß, dass der Neue mal wegen Raubes im Knast war. Aufgrund der Verdächtigungen im Fall des Kollektenschwundes entscheidet Vikar Vieweger (als einer der wenigen Figuren mit offensichtlich klarem Kopf), dass es besser wäre, die Gemeinde zu verlassen. Nach einer rührseligen Abschiedsszene zieht es ihn mit Motorrad, Collarhemd und Boxhandschuhen nun in die Eifel, wo der Superintendent für ihn eine andere Gemeinde gefunden hat. 

Wie realistisch das ist? Das meiste ist absoluter Quark - von der Erklärung, was ein Vikar ist, mal abgesehen (so beschreiben die meisten Vikar_innen selbst ihre Rolle). Der Pastorenazubi (oder -geselle?) hat im Gefängnis sein "Fachabitur nachgeholt und sich für ein Theologiestudium entschieden" - so begrüßenswert die Entscheidung, so hinderlich ist die Tatsache, dass man mit Fachabi allein an keiner staatlichen Fakultät oder kirchlichen Hochschule Theologie studieren kann. 
Dass der Vikar am ersten Arbeitstag ein Collarhemd trägt (der Vorspann verrät: Der Mentor macht es vor) ist hoffentlich auch sehr unrealistisch, denn es würde doch arg prätenziös aussehen - mal ganz abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob evangelische Pfarrer_innen so etwas überhaupt brauchen. Das wäre mal einen eigenen Blogeintrag wert. 




Ein Vikar bekommt in den meisten Fällen außerdem keinen Arbeitsvertrag ausgehändigt, denn: Auch der kirchliche Vorbereitungsdienst ist ein öffentlich-rechtliches, quasi beamtenanalog geregeltes Dienstverhältnis, das nicht durch eine beiderseitig ausgehandelte und in einem Arbeitsvertrag festgehaltene Übereinkunft bezüglich der vom Arbeitgeber gekauften Arbeitsleistung seine rechtliche Gestalt erhält, sondern durch Überreichung der Berufungsurkunde begründet wird. Die wiederum wird nicht vom Vikarsmentor überreicht (schon gar nicht im Boxclub), sondern vom direkten Dienstvorgesetzten, dem Superintendenten. Und am Landeskirchenamt vorbei funktioniert so etwas ohnehin nicht - das nämlich beruft nach bestandenem Ersten Theologischen Examen in den Vorbereitungsdienst. Und am Presbyterium vorbei eigentlich auch nicht, da würde man im richtigen Leben schon die unheilsschwere Frage stellen, ob hier ein gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Pfarrstelleninhaber_in und Presbyterium überhaupt noch möglich ist. Dass Vikar_innen aufgrund von Problemen mit Mentoren oder Gemeinden und damit aus guten Gründen die Vikariatsgemeinde wechseln, kommt indes vor. Auch der Stellenwechsel von Vikar Vieweger ist nicht ganz unmöglich - eine Heiland-Kirchengemeinde gibt es nämlich im Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel. Wiederum vollkommen unrealistisch ist der Gedanke, dass jemand, der vor gerade einer Woche eine Pfarrstelle übernommen hat, einen Vikar bekommt - das Einleben in einer neuen Gemeinde ist so zeit- und begegnungsintensiv, dass kaum Zeit bleiben dürfte, einen jungen Kollegen beim Einüben beruflicher Tätigkeiten und bei der Entwicklung einer eigenen pastoralen Identität zu begleiten. 
Unrealistisch ist übrigens auch, dass der Pfarrer auf dem Gemeindeamt residiert - wenn eine Dienstwohnung zur Verfügung steht, und vor allem dann, wenn es ein großes Pfarrhaus ist, dann ist das Amtszimmer in aller Regel dort untergebracht. Dann stürmt auch die Sekretärin nicht einfach so rein, und das noch durch eine Tür, die zu dünn ist, als dass sie den (auch akustischen) Schutz, den wir im Rahmen der seelsorglichen Schweigepflicht verprechen, bieten könnte.



Im Gespräch mit der Presbyteriumsvorsitzenden, die, wie nach der ersten Folge zu erwarten war, alles Schlechte in sich vereint und als kaltherzige, paragrafenreitende und pharisäerhafte Vertreterin der Institution den Negativcharakter spielt, gegenüber dem sich der pastorale Charismatiker profilieren kann, schlägt Tabarius vor, das Presbyterium solle sich nicht einmal im Monat treffen - das "kostet erst einmal enorm viel Zeit, und zweitens ist es sowieso nur das ständige Wiederholen von Themen und eigenes Gelaber. Einmal im Quartal würde völlig ausreichen." Frau Abels erkennt den Hintergedanken: "Am liebsten würden Sie uns alle doch hier aus allem raushalten und alles selbst entscheiden."

Wie realistisch das ist? Nun ja. Kirchliche Gremienarbeit kostet Zeit. Und viiiiel Geduld. Und manches (wenn nicht sogar vieles), was auf Presbyteriums- und anderen Sitzungen so alles ventiliert wird, ist ohne jeden Zweifel überflüssig, lästig, vielleicht mitunter sogar schädlich. Aber: Das Problem lässt sich nicht dadurch lösen, dass man weniger Sitzungen veranstaltet, sondern hängt damit zusammen, wie diese Sitzungen vorbereitet und durchgeführt werden und welche Schwerpunkte die Beteiligten setzen. Und einfach so auf einen Quartalsrhythmus umsteigen kann keine Gemeinde, da ist das Kirchenrecht vor: In der Kirchenordnung, die in einer Landeskirche Verfassungsrang einnimmt und somit in der juristischen Normenhierarchie ganz oben steht, heißt es in Art. 23, Abs. 1: "Die oder der Vorsitzende soll das Presbyterium in der Regel einmal im Monat einberufen." Und "soll" heißt in Rechtstexten bekanntlich: "Muss, wenn kann."

Kleine Lichtblicke...

... oder besser: Überraschend realistische Einblicke in den kirchlichen Alltag werden vor allem auf der zwischenmenschlichen Ebene geboten: Die neue Gemeindesekretäring fragt, wie das ausgewiesen kirchenferne Menschen durchaus des Öfteren tun: "Wie soll ich Sie denn jetzt anreden? Herr Pfarrer? Herr Tabarius?" Der jüngste Pfarrerssprössling schlägt eine pragmatische Lösung vor: "Er heißt Andreas!", woraufhin der Angesprochene überraschend distanziert und dabei professionell entgegnet: "Soweit sind wir noch nicht." Die komplizierte Frage nach dem Duzen in kirchlichen Kontexten ist ja auch hier schon einmal bewegt worden. Überhaupt, die Gemeindesekretärin und das putzige jüngste Pfarrerskind: In allen Gemeinden, die ich bislang erlebt habe und in denen Pfarrer_innen kleine Kinder hatten, lag im Gemeindebüro Schokolade für die Kleinsten bereit, die dort gerne mal nach dem Rechten sahen. Und dass auch Gemeindemenschen tratschen, voreingenommen und vorurteilsbeladen sind, dass, mit Kornelis Heiko Miskotte gesagt, oft genug "die 'Kirchlichen', wenn sie schlimm sind, schlimmer, zwiespältiger, unzuverlässiger, unedler, inhumaner sind als die gewöhnlichen Menschen" - Alas!, wer würde es bestreiten wollen...?

Das Fazit nach der zweiten Folge:

Natürlich ist "Herzensbrecher" in erster Linie eine Vorabendserie, die nach genreüblichen Gesetzmäßigkeiten strukturiert ist, und keine Dokumentation über kirchliches Leben. Die Figur des Andreas Tabarius ist mir bleibend unsympathisch. Nicht, weil kirchliche Rechte und Strukturen sakrosankt und unantastbar wären, sondern weil den Fernsehzuschauer_innen suggeriert wird, theologische Kompetenz würde sich durch das Absondern billigster moralischer Richtigkeiten erweisen und die Rolle der Bibel wäre es, liturgisch gewandeten Luftpumpen als Steinbruch und Stichwortgeberin für selbstgerechte Appelle zu dienen. Trotzdem, oder gerade deswegen bin ich natürlich schon nach der zweiten Folge süchtig, denn: Das Lästern über fiktive Kollegen ist ausdrücklich erlaubt und der eigenen Psychohygiene äußerst zuträglich - schließlich tut es immer gut, wenn man davon überzeugt sein kann, selbst alles richtig zu machen. Zumindest richtiger als "der da". Das gesagt, werde ich mich bußfertig mit dem oben zitierten Satz von Miskotte noch einmal zurückziehen und morgen auf der Kanzel um keinen Millimeter von meinem Manuskript abweichen!

Sonntag, 3. November 2013

Fernsehpfarrer im Realitätscheck (I)

Ob dem deutschen Fernsehen wieder eine "Geistlichenschwemme" bevorsteht? So nennt das Fernsehlexikon das Phänomen des gehäuften Vorkommens evangelischer Pfarrer_innen und ihrer Familien in den 1980erjahren, angestoßen von Robert Atzorns stil- und genrebildender Performance. Den möglichen Grund für den Erfolg fasst Heike Huppertz in  der FAZ ganz treffend zusammen:
Das Pfarrhaus aber war und ist ein dankbarer Ort für Familienserien. Ein Ort, an dem Werte ventiliert werden (können), das Familienleben ein Muster für das Gemeindeleben abgibt und kleine und große Konflikte des Zusammenlebens auf gemeinschaftsstiftende Art zu verhandeln sind.
Am Samstag war es Zeit für einen neuen und von immerhin 14% der Zuschauerinnen begleiteten Anlauf auf den familienfreundlichen Tatort Dienstwohnung; mit der Neuproduktion "Herzensbrecher" wird das ZDF zumindest an den nächsten neun Samstagen also Bilder pastoraler Qualitätsarbeit ins Land senden, die dem einen oder der anderen von uns irgendwie, irgendwo, irgendwann wieder begegnen werden, weil sie für viele Menschen die einzige Informationsquelle über den doch recht exotischen Beruf darstellen. 



Bei Ärzteserien ist der Faktencheck gang und gäbe, deswegen halte ich mich gar nicht lang beim Inhalt auf (den hat Heike Huppertz ganz treffend zusammengefasst: "[...] im Positiven wie im Negativen nichts Überraschendes").
Stattdessen soll es darum gehen, wie realistisch der Berufsalltag eines Pfarrers im Rheinland (laut Senderinformationen spielt das Ganze in Bonn) und das Leben in einer evangelisch-landeskirchlichen Gemeinde dargestellt werden. Viel Spaß also beim Fernsehpfarrer im Realitätscheck! Die ganze Folge gibt es übrigens in der ZDF-Mediathek zu sehen.

Exposition, oder: Was macht ein Pfarrer eigentlich vor dem Gottesdienst?


Was Kolleg_innen am Morgen vor dem Gottesdienst machen, ist sehr verschieden. Manche stehen um 5 Uhr auf, um ihre Predigt fertig zu schreiben, andere gehen nochmal joggen oder machen Atemübungen, wieder andere, so wie ich, frühstücken ein bisschen schneller als sonst, weil sie noch ein ungeknicktes Beffchen suchen müssen. Bei Pfarrer Tabarius (der latinisierte Name signalisiert alte Bildungselite) ist das anders: Dessen Wecker klingelt, und in dem Moment, in dem er ihn ausstellt und sich im Bett nochmal umdreht und man die Umzugskartons im Hintergrund sieht, weiß man: Das geht schief. Die jüngsten Söhne kommen zum Toben, bis der älteste Sprössling fertig angezogen die Familie zur Eile mahnt. Der Pfarrer findet seine schwarzen Schuhe nicht und trägt deshalb zu Stola und Albe Jeans und Sneakers (diese wenigstens farblich passend zur Albe, dazu später mehr).
Der zweite Teil der Exposition spielt in der "Heilandkirche", wo sich die skeptische Presbyteriumsvorsitzende (man ahnt die Hauptantagonistin der Serie) und der eigens angereiste Superintendent über den Verbleib des neuen Kollegen wundern, der doch wohl hoffentlich nicht seinen "Einführungsgottesdienst" verschlafen haben wird..?

Wie realistisch das ist? Nicht sehr. Natürlich kommt es vor, dass Pfarrer_innen sonntags verschlafen. Vielleicht eine handvoll Mal in vierzig Dienstjahren, und dann bestimmt nicht zur Antrittspredigt. Die findet nämlich an diesem Morgen statt, und kein "Einführungsgottesdienst". Der hat einen ganz eigenen Ablauf und ist für Außenstehende vor allem an der beliebten Pinguinparade erkennbar - weil Superintendent und Kolleg_innen allesamt in Amtstracht aufmarschieren. Immerhin: Schauspieler und Scriptschreiberinnen haben Vokabeln gelernt und verwenden kirchliches Spezialvokabular. Eine Kleinigkeit noch: Tabarius wechselt von Plettenberg nach Bonn. Wer nordrhein-westfälische Kirchengeografie kennt, weiß, dass auch das nicht so einfach ist. Denn Plettenberg liegt im Sauerland, das bekanntlich zur Evangelischen Kirche von Westfalen gehört, während man sich in Bonn landeskirchlich wie mentalitätsmäßig unzweifelhaft im Rheinland befindet. Und so ein Wechsel geht nicht von heute auf morgen. Aber das nur am Rande.

Der Gottesdienst


Nachdem der Pfarrer endlich eingetroffen ist und auf den Kommentar des Superintendenten zu seiner Beschuhung mit einem geschickt gewählten Bibelzitat (1Sam 16,7) gekontert hat, kann der Gottesdienst beginnen, und zwar in der Mitte: Pfarrer Tabarius tut so, als läse er von der Kanzel Johannes 14 (schon die zweite Jahreslosung innerhalb weniger Minuten) aus der Lutherbibel vor, pfuscht allerdings in die 1984er Revision ein paar archaische grammatische Formen ("glaubet") rein, damit die Zuschauer_innen auch akustisch registrieren: Hier wird aus der Bibel vorgelesen. Dann klappt er die Bibel zu, verlässt die Kanzel und erzählt ein bisschen von sich: Dass er in Albe und Stola (wieder: die Vokabeln sitzen!) vor die Gemeinde trete, weil er ja Dinge gerne anders mache und sich nicht verstellen werde, dass "dieses Gotteshaus und damit mein Ohr" ab jetzt für jeden offen stünde und er zu spät zum Gottesdienst gekommen sei, weil Familienorganisation eben nicht einfach ist. 

Wie realistisch das ist? So halb und halb. Ein paar Sachen stimmen nicht, das verrät der ersten Blick in den Kirchraum: Das Durchschnittsalter der versammelten Gottesdienstgemeinde dürfte bei etwa Ende Dreißig liegen - für einen Sonntagmorgen ist das überaus ungewöhnlich. Außerdem sitzt der Küster meistens hinten. Dass die liturgischen Farben wild durcheinander gehen, ist zwar streng praktisch-theologisch gesehen falsch, aber keine Seltenheit. Was das Gerede angeht, bin ich mir nicht so sicher. Natürlich ist es unrealistisch, dass jemand bei seiner Antrittspredigt spontan die Eingebung hat, irgendetwas über sich zu erzählen. Das denkt man sich schon vorher und baut es in die Predigt ein. Die programmatische Grundsatzerklärung, ein "Pfarrer zum Anfassen" sein zu
wollen, ist wiederum so klischeebeladen und phrasenschwer ("auch und gerade!"), dass man fast befürchten könnte, die Drehbuchautoren seien regelmäßige Kirchgänger und würden aus Erfahrung schreiben. Immerhin: Der Kollege entschuldigt sich für und begründet sein Zuspätkommen. Das ist auch im wirklichen Leben guter Stil. Dass Menschen nach einer Predigt klatschen, kommt vor - das sind aber in den seltensten Fällen ausgerechnet die Pfarrerskinder, die in der Kirchenbank sozialisiert werden. Ein angemessener Kommentar zur "Predigt" kommt von der schmallippigen Prebyteriumsvorsitzenden ("Bisschen viel "Ich" in der Predigt!"), wird aber natürlich von einem engagierten Gemeindeglied (die großartige Schwester Sabine aus Doctor's Diary) sofort zurückgewiesen.

Das Leben im Pfarrhaus


Der Männerhaushalt in der Tabariusschen Dienstwohnung ist, natürlich, eine sympathische Mischung aus ganz doller Liebe und babylonischem Urchaos. Und natürlich haben seine allesamt nach biblischen Vorbildern benannten Söhne mit altersspezifischen Problemen zu kämpfen: Der 20jährige Lukas, Medizinstudent, würde gern ins Studierendenwohnheim ziehen, muss aber natürlich zuhause die Stellung halten. Thomas, 17, ist ein stilles Wasser und hat es laut Programminfo "als ruhigerer Mensch gar nicht so leicht, sich zu behaupten." Johannes ist 13 und rebelliert pubertätshormongesteuert gegen zu viel Nähe im Pfarrhaus und besteht auf der Exklusivität seiner Zahnbürste. Und der sechsjährige Jakob ist, wie alle Sechsjährigen im Vorabendfernsehen, furchtbar niedlich und tut mit seinem Kindermund/ manch unerwünschte Wahrheit kund. Natürlich sind alle mit der neuen Situation überfordert, aber das ist nicht nur normal, sondern auch gewollt. Als Pfarrer Tabarius während einer psychotischen Episode seiner epiphanös daherkommenden verstorbenen Ehefrau sein Leid klagt ("Ich gehe so vollkommen in meinem Beruf auf... Ständig kümmere ich mich um andere, nur nicht um..."), beruhigt sie ihn: "Das ist dein Beruf. Und das wissen die Jungs auch."


Wie realistisch das ist? Nun ja. Das älteste Kind, nach dem Tod eines Elternteils zur Übernahme altersuntypischer Verantwortung gedrängt, das pubertäre Aufbegehren gegen Verletzungen der Intimsphäre, all das sind ja keine Phänomene, die man nicht schon gesehen hätte. In einer hübschen Szene, die beim Kirchkaffee spielt, kommt eine gut im Futter stehende  Stütze der Gemeinde auf die beiden jüngsten Kinder zu und wuschelt dem Kleineren ungefragt durch die Haare. Die beiden wissen sich zu verteidigen ("Hey, anfassen verboten!" - "Füttern aber erlaubt!"), aber die kleine Szene erinnert mit der nicht selten ungenierten Übergriffigkeit der Gemeinde gegenüber den Pfarrerskindern doch an ein ernstes Thema. Auch die quasi-religiöse Legitimierung (in dem Fall durch den Geist der Ehefrau) solcher Grenzüberschreitungen ist nichts Unbekanntes. Und dass "Beten" irgendwo zwischen Selbstgespräch und der Zwiesprache mit Verstorbenen anzusiedeln ist, ist zwar nicht unbedingt durch evangelische Dogmatik gedeckt - aber machen Sie mal eine Passantenbefragung zu dem Thema...

Arbeitsstil und Gemeindeleben


Neue Besen kehren gut, sagt sich der Herr Pfarrer. Stellt auf eigene Faust eine Gemeindesekretärin ein und gerät darüber natürlich mit der Presbyteriumsvorsitzenden aneinander, die dem alten Pfarrer hinterhertrauert und gern die Ehrenamtlichkeit ihrer Tätigkeit betont. Pastor Tabarius hält mit prophetischem Tremolo in der Stimme dagegen, dass zum Glauben auch Handeln gehört, und begegnet dem nicht ganz aus der Luft gegriffenen Vorwurf der Selbstherrlichkeit, indem er seiner Vorsitzenden unterstellt, sie sei frigide, und drohend hinzufügt, dass er nicht so immer so nett sei, wie er wirke. Auf jeden Fall wird den Zuschauenden deutlich: Die beiden werden bestimmt noch öfter in die Haare kriegen.

Wie realistisch das ist? Auch so halb und halb, würde ich fast sagen. Pfarrer Tabarius und seine Vorsitzende Frau Abels inszenieren letztlich einen Konflikt, der lange Zeit ein Deutungsmuster der Kirchengeschichte gewesen ist: Den Antagonismus zwischen Amt/Institution und Charisma. Ob und inwieweit der seine Berechtigung hat, sei mal dahingestellt. Natürlich geraten Pfarrer und Vorsitzende mal aneinander, und oft geht es dabei um Geld oder Verwaltung. Und sicherlich gibt es auch Mitarbeitende, die ihr unentgeltliches Engagement wie einen Bauchladen vor sich hertragen. Ebenso wie Pfarrer, die im Alleingang umwälzende Entscheidungen treffen. Aber: Kein Pfarrer kann auf eigene Faust eine Stelle, die noch nicht einmal beschlossen ist, besetzen. Zum Glück nicht. Und diakonische Arbeit ist immer noch eine der wichtigsten Motivationen für Menschen, sich zur Kirche zu halten - das gilt auch für Aspiranten auf einen Sitz im Presbyterium, sogar für Vorsitzende.

Unterm Strich?

Früher habe ich mich als erklärter Krankenhausserienfan über befreundete Mediziner gewundert, wenn sie sich, zum Mitgucken gezwungen, unter Stöhnen auf der Fernsehcouch wanden. Ein bisschen kann ich sie jetzt verstehen, auch wenn der Pastorenalltag des "Herzensbrechers" nicht mehr und nicht weniger mit Klischees beladen ist als alle anderen Fernsehspiele aus dem Vorabendprogramm. Der adrette neue Herr Pfarrer wird an den Samstagabenden die Herzen so mancher Zuschauerinnen und Zuschauer bewegen, und auch wir werden uns Andreas Tabarius nicht ganz vom Hals halten können: Kai Witzel hat in seiner Dissertation die Auswirkungen von Arztserien auf die Erwartungshaltungen von Patienten untersucht. Im Interview mit der Pharmazeutischen Zeitung erklärt er: "Je häufiger Patienten diese Serien im Fernsehen sahen, desto eher gingen sie davon aus, dass der Arzt bei der Visite Händchen hält und hübsche Krankenschwestern dazu noch Kaffee servieren. Die heile Bilderwelt aus dem Fernsehen führe bei nicht wenigen Patienten zu einer Enttäuschung über den wirklichen Krankenhausbetrieb." Wer weiß, welche Erwartungen hier geschürt und im wirklichen Leben enttäuscht werden? Dass sie geschürt werden, darüber sollten wir uns keine Illusionen machen - auf einer Facebook-Fanpage des Hauptdarstellers kann man lesen:




Trotzdem: Als Kollege wäre der neue Fernsehpfarrer eine absolute Pest.

Ey, isch schwöre! - Laber nich!



Liebe Gemeinde,


„ey, isch schwöre!“ ruft die Teenagerin in der dicken Daunenjacke an der Haltestelle Vischeringstraße. Ihre Gesprächspartnerin presst die Lippen zusammen und schüttelt den Kopf. „Ich schwöre bei Gott“ ruft die erste wieder, als auch das nicht den gewünschten Erfolg bringt, greift sie zur letzten Instanz: „Ich schwöre bei meiner Oma!“ Ihre Gesprächspartnerin schüttelt den Kopf, greift ihre Handtasche, reißt sich von ihrer Freundin los, die sie am Arm festhalten will. „Laber nicht“, faucht sie sie an, dann huscht sie in die Bahn, die gerade angekommen ist. 
 


(c) ksta.de
Auch eine ältere Frau, die die Szene beobachtet hat, steigt ein. Am Mülheimer Bahnhof steigt sie um, vom S-Bahn-Gleis sieht sie den Anfang der Frankfurter Straße. Früher sind sie oft dahin gefahren zum Einkaufen, damals konnte man das da noch gut, kleine, gut sortierte Fachgeschäfte mit freundlicher Bedienung. Heute ist das ja alles anders, als sie das letzte Mal vor einigen Jahren da war, hat sie die Straße kaum wiedererkannt, und ihre Freundin, die am Wiener Platz wohnt, erzählt ihr, dass fast monatlich ein Geschäft zumacht und ein anderes geöffnet wird. Ihr geht das alles zu schnell, sie kommt nicht mehr mit und fragt sich, auf was eigentlich noch Verlass ist. Sie dreht sich um, blickt vom Bahnsteig Richtung Kaufland und sieht dahinter den dunkelbraunen Kirchturm von Sankt Mauritius in Buchheim. Auch denen traut sie nicht mehr so richtig, spätestens seitdem sie gelesen hat, dass dieser junge Bischof in Limburg vor Gericht muss, weil er wohl in allen schönen Worten gelogen hat. Sie steigt in die S-Bahn, ist unterwegs zu ihrer Tochter. Die braucht Unterstützung, jetzt, wo ihr Mann sie verlassen hat, nur wenige Jahre nach einer glanzvollen, in ihren Augen eigentlich viel zu aufwendigen Hochzeit, bei der die beiden sich in großen Worten ewige Liebe und Treue geschworen haben.



Liebe Gemeinde, ein paar Alltagssituationen, von denen der eine oder die andere von uns vielleicht etwas wiedererkennen. Alltagssituationen, die etwas zu tun haben mit dem kurzen Absatz aus der Bergpredigt, der heute als Predigttext vorgeschlagen ist:


Jesus sagt: Weiter habt ihr gehört, dass zu den Alten gesagt wurde: Du sollst keinen Meineid schwören, sondern dem Herrn deine Eide einlösen. Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören. Nicht beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, nicht bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füsse, nicht bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des grossen Königs, und auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören, denn es steht nicht in deiner Macht, auch nur ein einziges Haar weiss oder schwarz werden zu lassen. Eure Rede sei Ja, Ja und Nein, Nein. Alles andere ist von Übel.

Liebe Gemeinde, in diesem größeren Abschnitt der Bergpredigt geht es darum, was Menschen tun sollen, wenn es ihnen ernst ist mit dem Glauben, darum, wie man bewährten Verhaltensweisen und überlieferten Ratschlägen umgeht. Vielleicht kommt einem beim ersten Hören der Gedanke, dass gerade dieses Stück mit uns nicht allzu viel zu tun hat, zumindest ging es mir so beim ersten Blick in den Predigtplan letzte Woche. Wir sind nicht so schnell mit dem Schwören wie man das im antiken Mittelmeerraum offensichtlich war, oder wie das auch Jugendliche heutzutage sein können. Wir stehen auch nicht an der Stelle der Theologen der Bekennenden Kirche, die in der Nazizeit den Amtseid auf Führer und Reich verweigerten und damit ihrer öffentlichen Karriere effektiv ein Ende setzten.


Aber auch wir kommen in Situationen, in denen wir erleben: Unser eigenes Wort reicht plötzlich nicht aus. Ich sage etwas, und man glaubt mir nicht. Vielleicht, weil irgendwelche Umstände gegen mich sprechen, vielleicht, weil ich mich durch irgendetwas selbst unglaubwürdig gemacht habe, warum auch immer.


Wenn dieser Fall eintritt, dann wird es meistens laut und wortreich. Dann fangen wir an zu beteuern, Ehrenworte abzugeben, vielleicht auch: auf ganz eigene Art dann doch zu schwören und alle möglichen Zeugen für unsere eigene Glaubwürdigkeit aufzurufen. Aber wer andere für sich in Anspruch nimmt, riskiert, dass er sich irgendwann vor ihnen verantworten muss. Das ist dem Bischof von Limburg passiert, mit seiner eidesstattlichen Versicherung: Da ruft man die Staatsmacht als Zeugen auf – und die meldet sich in dem Fall zurück und behaftet ihn bei dem, was er gesagt hat.



Vor diesem Hintergrund verstehe ich das, was Jesus sagt: Ihr sollt überhaupt nicht schwören, ihr seid zur Freiheit befreit und sollt Euch nicht plötzlich durch die Hintertür wieder abhängig machen von Euren Schwüren und von denen, die ihr auf die Bühne zerrt, damit sie Euren Kredit absichern.



(c) ecko / pixelio.de
Liebe Gemeinde, irgendwie wissen wir das alles ja selbst. Wir wissen, aus der einen oder anderen Perspektive, dass alles Schwören, alle Beteuerungen, alle Ehrenworte nichts bringen, wenn die eigene Glaubwürdigkeit angekratzt ist. Manche von uns zucken vielleicht zusammen, wenn wir Gespräche wie solche an der Vischeringstraße hören, wenn jemand sagt „ich schwöre bei Gott“, weil wir vielleicht ahnen, dass man sich damit übernimmt, dass Gott eine Nummer zu groß für unser Alltagsgeschäft ist, und weil wir davon ausgehen können, dass Gottes Name das so ziemlich am meisten missbrauchte Wort der Weltgeschichte ist und immer wieder für alles und jeden in Anspruch genommen und in den Ring gezerrt wird. Jesus sagt: Lasst es, das braucht es gar nicht, und für mich steckt tatsächlich auch eine Ermutigung in diesem Verbot, bei Gott und dem Himmel und der Erde und allem möglichen zu schwören. Jesus sagt damit nämlich auch all denjenigen, die ihn auf dem Berg hören: Ich traue Euch zu, selbst für euer Wort und eure Glaubwürdigkeit einzustehen. Und wer sich selbst glaubt, braucht nicht sich und andere durch noch so schwülstige Schwüre und Eide überzeugen.


Sondern kann das tun, was Jesus uns am Ende rät: Eure Rede soll ja, ja und nein, nein sein. Mehr nicht. Alles andere ist von Übel. Punkt. Ich glaube, dass man die Reihe erlaubter Antworten noch erweitern kann, ich glaube zum Beispiel, dass man auch ehrlich sagen darf: „Ich weiß es nicht“. Aber ich möchte das, was Jesus da sagt, ernst nehmen, weil ich es von mir selbst kenne und oft erlebe, dass Menschen sich oft genug davor drücken, klar „Ja“ oder „Nein“ zu sagen – und das dann auch zu meinen.


Das Phänomen können Sie in jeder Disko bestaunen. Da lernen sich ein junger Mann und eine junge Frau kennen, verbringen den Abend eng umschlungen auf der Tanzfläche, und einem von beiden ist diese Begegnung ein bisschen wichtiger als dem anderen. Und so steckt sie ihm am Ende des Abends einen Zettel mit ihrer Telefonnummer zu und fragt ganz leise: „Rufst du mich an?“ Und er macht „hmhm“, und beide ziehen ihrer Wege. Und natürlich ruft er nicht an, vielleicht schmeißt er den Zettel noch vor der Disko in den Müll, weil ihm der Abend nicht so wichtig war wie ihr. Und dann treffen sie sich Wochen später irgendwo beim Einkaufen wieder, und sie sagt leise, traurig: „Du wolltest doch anrufen!“ Und er könnte jetzt „Nein!“ sagen und die Sache ein für alle Mal klären, aber er tut es nicht, sondern entschuldigt sich wortreich, es wäre so viel zu tun gewesen, seine Mutter ist krank, das Auto kaputt, und außerdem hat er den Zettel verloren. Und dann bekommt er ihre Telefonnummer nochmal, sie verabschiedet sich ganz hoffnungsvoll: „Bis bald“, und er macht „hmhm“ und wird sie natürlich nicht anrufen. Und sie wird zuhause sitzen und warten und sich Hoffnungen machen und nicht wissen, woran sie ist. Eure Rede sei ja, ja, nein, nein. Alles andere ist von Übel.


Liebe Gemeinde, machen wir uns nichts vor, es ist nicht einfach, immer klare Ansagen zu machen. Helmut Schmidt hat einmal gesagt: Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen. Und vielleicht hat er (höchstens!) in diesem einen Punkt zumindest auf den ersten Blick Recht, denn ein Politiker, der sich Jesu Ratschläge zu eigen macht, muss wahrscheinlich um seine Wiederwahl fürchten, wenn er ernst macht und sich nicht in Ausflüchte und wolkige Erklärungen flüchtet und stattdessen sagt: Ja, ja, nein, nein, oder auch: Ich weiß es nicht.



Herr Finanzminister, wird die Eurorettung mehr kosten, als Sie bisher gesagt haben? – Ja.


Frau Bundeskanzlerin, finden Sie, dass Ihr Handy wichtiger ist als das der Unzähligen Ihrer Wählerinnen und Wähler, die auch abgehört wurden?  - Ja.


Herr Europaratsabgeordneter, tut die EU genug, um Flüchtlingskatastrophen wie die vor Lampedusa zu verhindern? – Nein. 

Herr Innenminister, wollen Sie und Ihre Partei etwas am Asylgesetz ändern, damit die Aufnahme von Flüchtlingen erleichtert wird? – Nein.


Mit solcher Offenheit würde jeder der Befragten seine Wiederwahl gefährden. Aber vielleicht würde so auf lange Sicht etwas von dem Vertrauen in unsere Politikerinnen und Politiker zurückkehren, das verloren gegangen ist.


Liebe Gemeinde, das alles ist nicht einfach. Der Predigttext von heute nicht, und eigentlich ist nichts von dem, was Jesus in der Bergpredigt oder anderswo von uns fordert, einfach, weil es so oft quer steht zu dem, was wir gewohnt sind. Weil wir natürlich befürchten müssen, und unbeliebt zu machen und Erwartungen zu enttäuschen, wenn wir klar sagen: Ja und nein und keine Ahnung. Oder weil man vielleicht lange schwelende Konflikte zum Ausbruch bringt, wenn jemand, der oder die sich immer nach anderen gerichtet hat, plötzlich sagt, was ihm oder ihr wichtig ist.
Aber Jesus legt auch den Grund, den festen Boden, auf dem man zu seinem eigenen Wort stehen und auch schwierige Konflikte austragen kann. Ganz am Anfang der Bergpredigt sagt er das, was kein Mensch sich selber sagen kann: Ihr seid das Licht der Welt. Ihr seid das Salz der Erde. Und wenn er das sagt, wird es wohl stimmen, auch, wenn es manchmal schwer fällt zu glauben. Denn Jesus ist für das eingestanden, was er gesagt hat, er hat das, was er gesagt hat, in die Tat umgesetzt, und er ist dafür bis ans Kreuz gegangen.


Deswegen will ich ihm glauben, wenn er sagt: Eure Rede sei ja, ja, nein, nein, alles andere ist von Übel. Oder, in den Worten eines der beiden Mädels von der Vischeringstraße gesagt: Laber nicht.


Das nehme ich mit, und das nehme ich mir vor, möglichst heute schon: Klar und offen zu sein, und dadurch glaubwürdiger zu werden, sodass ich hoffentlich keine Schwüre, keine Beteuerungen, keine Wolke an Zeugen brauche. Ja, ja, und nein, nein. Und in den Situationen, in denen ich dafür ganz besonders mutig sein muss, spreche ich in Gedanken einen kleinen Zusatz mit, der wird hoffentlich erlaubt sein: Ja, ja, nein, nein – mit Gottes Hilfe.

Amen.

Freitag, 1. November 2013

Allerheiligen

...ein schönes Zitat zum Thema von Frederick Buechner


In seinem heiligen Flirt mit der Welt
lässt Gott ab und zu ein Taschentuch fallen.
Diese Taschentücher nennt man Heilige.


In his holy flirtation with the world 
God occasionally drops a handkerchief. 
 These handkerchiefs are called saints. 
 

(c) berwis / pixelio.de

Montag, 28. Oktober 2013

Reformationstag und Halloween - on the light side

Ja, ist denn scho' wieder Casual Friday?! Nein, ist es nicht, aber was soll's. Die allseitigen kasualtheologischen Überlegungen zu Halloween und Reformationstag laden ja förmlich dazu ein!




 

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Vom "Du" auf und unter der Kanzel

Während meines Studiums in Schweden habe ich an der Folkuniversitetet unterrichtet, und zwar Deutsch und Schwedisch (ein Hoch auf die Zweisprachigkeit!). In Anfängerkursen wurde jeweils dasselbe Thema lebhaft diskutiert, allerdings aus deutlich unterschiedlichen Perspektiven: Es ging um die Anrede. Im Deutschkurs war es den überwiegend schwedischen Teilnehmenden kaum begreiflich zu machen, welche Bedingungen in Deutschland an ein "Du" geknüpft sein können. Und im Schwedischkurs konnten gerade österreichischen, ungarischen, aber auch deutschen Studierende kaum nachvollziehen, dass das "Du" in Schweden nicht nur die voraussetzungslos gängige Anredeform ist, sondern dass außerdem der Versuch, seinem Gegenüber dadurch, dass man ihn oder sie siezt, besonderen Respekt entgegen zu bringen, geradezu kontraproduktiv sein und bei Angehörigen einer bestimmten Generation, die die Du-Reform noch selbst erlebt haben, zu geradezu ungehaltenen Reaktionen führen kann - weil das freundlich gemeinte "Sie" der Bankangestellten oder des Kellners als unhöfliche Distanzierung verstanden wird. 

(c) hejsweden.com
Hätte ich meinen Schülern gesagt, das fein gesponnene Netzwerk aus Regeln und Konventionen, das das vertrauliche "Du" im Deutschen umgibt, sei einfach zu durchdringen - es wäre glatt gelogen gewesen. Und gerade im Berufsalltag erlebe ich immer wieder Fallstricke, Unsicherheiten, Ungeklärtes.

"Der Herr segne Sie?" Och nööö...


Da gibt es einerseits das liturgische Du. Ist klar, die versammelte Gemeinde wird als Gemeinschaft aus Schwestern und Brüder angesprochen, und damit eben als "Ihr" oder (kollektiv) als "Du". Bei Traugesprächen weise ich das Brautpaar daraufhin, dass ich bei den Traufragen in diesen Sprachmodus wechsle. Mir ist aber aufgefallen, dass ich in der Predigt die Brautpaare, aber auch die gottesdienstliche Sonntagsgemeinde meistens (es sei denn, ich duze die Mehrzahl der Versammelten auch im persönlichen Umgang) sieze - vielleicht, weil Predigtsprache für mich keine liturgische Sprache ist. Letztere lebt zu einem nicht geringen Teil von einer gewissen Wiederholbarkeit, vielleicht sogar Formelhaftigkeit. Und so etwas versuche ich in der Predigt zu vermeiden, hier ist meine Alltagssprache prägender.

Im Konfirmandenunterricht lasse ich mich von den Jugendlichen duzen. Das hat mit dem Brauch in meiner Gemeinde zu tun, hinter dem ich aber voll und ganz stehe: Ich hege und pflege die vielleicht etwas pathetische Auffassung, dass a) der Konfirmanden- kein Schulunterricht und b) die Gemeinde eine Gemeinschaft von Glaubensgeschwistern ist, die sich den sie umgebenden gesellschaftlichen Konventionen zu einem gewissen Teil entzieht. Und wie viele andere, so mache auch ich hier die Erfahrung: Respekt und Autorität hängen nicht mit der Anrede zusammen. 

In diesen beiden Kontexten ist das relativ einfach zu regeln: Da bestimme ich, Punkt aus. Nur: Das ist ja leider/zum Glück nicht immer der Fall.

... wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen


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Schwieriger wird es nämlich einerseits im Umgang mit Kolleg_innen - bei Facebook wird es derzeit unter Pfarrerinnen und Pfarrern lebhaft diskutiert. Ich habe den Eindruck, dass sich (vor allem) Pfarrer oft automatisch, zumindest recht schnell duzen. Das mag in anderen Berufssparten auch der Fall sein und zum Teil daran liegen, dass ein Großteil der Kollegen zu den älteren Post-68ern gehört. Jedenfalls erlebe ich es oft, dass das im persönlichen Gespräch nach zwei-drei Sätzen kurz abgeklärt wird ("Äh, wir duzen uns, oder?"), oder dass ich als neuer (und noch meist jüngster) Kollege in diesen Sprachgebrauch automatisch inkludiert werde. Wogegen ich überhaupt nichts habe, ich duze mich grundsätzlich gern und bin, wie schon erwähnt, der Auffassung, dass Nähe und Distanz auch auf anderem Wege ihren sprachlichen Ausdruck finden können. 

Manchmal wird das explizit gemacht; als ich anfing, Fortbildungen zu besuchen, habe ich das mir neue Konzept des Kurs-Du kennen gelernt - man duzt sich im Rahmen der Fortbildung, ohne sich für die Zeit danach darauf zu verpflichten. Es geht auch andersherum: Ab und an sind mir Menschen, mit denen ich mich duze, in Prüfungszusammenhängen begegnet. Da sind wir nach kurzer Regieanweisung zum Prüfungs-Sie übergegangen. Differenziert denkende Menschen dürften damit kein Problem haben.

Oft findet das aber geradezu im Vorbeigehen statt, und hier erlebt man ab und zu, dass Vorgesetzte uneindeutig sind. Da rutscht plötzlich ein "Du" raus, wiederholt sich vielleicht - und ich stehe dumm da und weiß nicht: Wie soll ich die jetzt anreden? Nehme ich das (nicht ausdrücklich erwünschte) "Du" - und überspringe damit übergriffiger Weise an und für sich sinnvolle Grenzen? Oder sieze ich weiter - und riskiere damit, irgendetwas zu markieren, das ich gar nicht will? 

Ich bin grundsätzlich immer dafür, solche Irritationen anzusprechen und zu klären - nur: Es gibt im Deutschen ja auch dahingehend Konventionen, wem es zusteht, solche metakommunikativen Diskurse vom Zaun zu brechen: Der Ältere bietet es dem Jüngeren an, die hierarchisch höher Gestellte derjenigen auf niedrigerer Gehaltsstufe, die Frau dem Mann (letzteres halte ich für im Kern sexistisch, auch, wenn das sicherlich im Einzelfall nicht so beabsichtig ist. Aber ich meine ja auch, dass Standardtanz mit dem ganzen "Führen" und "Geführt Werden" ins Neandertal gehört - skandinavische Sozialisation halt!). 

Grüß Gott, Herr Pfarrer..!


Ach ja, diese Regeln - das macht es auch mit dem Rest der Gemeinde nicht einfacher. Ich habe gelernt: Im Deutschen bietet der Ältere dem Jüngeren das "Du" an. Also warte ich geduldig, denn aufgrund der kirchenpolitischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte bin ich in der Kirche jenseits von Kinder- und Jugendarbeit als 31jähriger immer der Jüngere. Mittlerweile stelle ich aber fest: Es gibt noch andere Kriterien, an denen sich so etwas entscheiden kann. Und in einer bürgerlichen Hierarchie, die vielerorts zumindes in den Köpfen noch eine Rolle spielt, stehe ich als Pfarrer qua Amt relativ weit oben - bin also derjenige, von dem hier die Initiative erwartet wird. Was wiegt denn nun schwerer? 
Und: Sind mit der Frage nach dem Du und dem Sie nicht auch Aspekte tangiert, die über den rein privaten Sprachgebrauch hinausgehen? Im Kreise hauptamtlich Mitarbeitender habe ich mehrfach den Eindruck gehabt, dass es da Abstufungen gibt: Die Pfarrer_innen duzen einander quasi automatisch und andere Mitarbeitende mit Hochschulbildung (den Kantor oder die Gemeindepädagogin) recht schnell, Küster oder Gemeindesekretärinnen eher selten und höchstens nach vielen Jahren gemeinsamen Dienstes, während Kirchenmusikerinnen und Jugendleiter mit der Küsterin öfter per Du sind. Ist es Zufall, dass diese Abstufungen mit den Gehaltsstufen korrelieren? Ich glaube ja nicht, und ich kann verstehen, dass einer der Haupteinwände gegen die Differenzierung zwischen Du und Sie lautet, dass sie Hierarchien sprachlich und damit gedanklich verfestigt. Und ist das irgendwo unangebrachter als in einer Gemeinde, in der, wie wir aus Galater 3 wissen, "weltliche" Statussymbole und -elemente doch keine Bedeuung haben (sollten)?

Dritte Wege


Es gibt ja eine ganze Reihe von Möglichkeiten, den mit der Anrede verbundenen Schwierigkeiten auszuweichen. Gerade in Fällen, in denen man sich nicht sicher ist, kann man oft ganz jovial von einem "wir" oder scheinbar neutral von einem "man" sprechen. Wenn man ein Du anstrebt, aber nicht derjenige sein will, der die Gretchenfrage stellt, kann man mit karikierenden Übertreibungen darauf hinwirken ("Frau Kantorin, ...?!"). 

Mir fällt auf, dass ich in wenigen Fällen einen dritten Weg beschreite und manche Menschen in der zweiten Person Plural anspreche ("Ihr"). Das ist der Fall bei manchen Russlanddeutschen, die eine solche Anrede gewohnt sind. Oder bei älteren Urgesteinen der Gemeinde, mit denen ich Kölsch spreche, also in ihrer Mutter- und meiner Zweitsprache ("Frau Schmitz, wie isset üch dann hück?").

(c) Ich und Du / pixelio.de


Fragen über Fragen also. Wie haltet Ihr es mit dem Du und dem Sie? Ach so, im Internet gilt das "Du" als gängigste Anrede, das "Sie" mitunter fast als Beleidigung. Von daher...

Und immer wieder gut: Loriots Kosakenzipfel!


Dienstag, 15. Oktober 2013

Wir sind Erzbischöfin!

Wir sind ja lange kein Papst mehr, aber das ist gar nicht schlimm, denn: Wir sind Erzbischöfin! Die Schwedische Kirche hat gewählt und die gebürtige Herdeckerin und Alumna (u.a.) der KiHo Bethel Antje Jackelén zu ihrer Erzbischöfin gemacht. Die 59jährige ist derzeit noch Bischöfin von Lund, vorher war sie Professorin für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt "Theologie und Naturwissenschaften", zuerst an der Lutheran School of Theology at Chicago, dann Rektorin des Zygon Center for Religion and Science ebendort. Und davor wiederum Gemeindepfarrerin in verschiedenen Gemeinden in Stockholm und Lund. 

(c) svenskakyrkan.se/Jan Norén
Antje Jackelén ist die erste Frau in dieser Position, und wird als solche sicherlich für einigen Zündstoff im Gespräch mit denjenigen lutherischen Kirchen der Borgå-Gemeinschaft sorgen, in denen die Männer an der Spitze gern Bärte tragen und unter sich bleiben.

Kleiner fun fact zum Schluss: Das Schwedisch der designierten Erzbischöfin ist weitaus (wirklich weitaus) besser als das der Königin...

Die Originalpressemeldung der Schwedischen Kirche ist hier zu finden.