Mittwoch, 8. Januar 2014

Der Winter, der Hitzlsperger, die Kosten, der Nutzen, das Schweigen der Lämmer

Es dauert ja noch einen Monat, aber ich habe schon entschieden: Ich werde die Olympischen Spiele in Sotschi boykottieren. Jawoll, basta aus! Der Fairness halber muss ich dazu sagen, dass das wahrscheinlich keine Nase interessiert, weil meine Einschaltquote ohnehin nicht gezählt wird. Und ich muss zugeben, dass mir das nicht sonderlich schwer fällt, denn ich wüsste nichts, was ich langweiliger fände als Wintersport im Fernsehen. Das Testbild vielleicht, aber das gibt es ja so gut wie gar nicht mehr. Wie gesagt, es kostet mich nicht viel, mich hier heroisch zu zeigen.

(c) brash.de

Unterm Strich wird es auch den ehemaligen Amtsbruder Joachim Gauck wenig kosten, ihm aber viel einbringen, dass er nicht nach Sotschi fährt - auch, wenn das ausdrücklich nicht als Boykott zu verstehen, sondern allein protokollarischen Gründen geschuldet sei. Laut einer Stern-Umfrage finden das trotzdem 65% der Befragten richtig super. Aber den eigenen Unmut über das, was auch immer der Putin da drüben in Russland wieder anstellt, öffentlich zu machen, dürfte wiederum einen Teil dieser Befragten weitaus weniger kosten, als etwa die Lebensgefährtin der eigenen Tochter so mir nichts, dir nichts zu akzeptieren. 


Kosten und Nutzen eben. Während diese Zeilen entstehen, poppt bei Facebook eine Meldung aus der ZEIT auf, von vier, fünf, sieben, zwölf, dreizehn Freunden in Windeseile geteilt: Thomas Hitzlsperger hat sich geoutet, vier Monate nach dem Ende seiner aktiven Karriere. Ich habe das ZEIT-Interview noch nicht gelesen, teile die Nachricht aber natürlich auch brav. Weil ich meine Solidarität zeigen möchte, jaja. Und: Weil ich ein paar Leuten in meinem Freundeskreis gerne eine lange Nase mache, denn: Was hab' ich gesagt?! Mal ehrlich: So mutig das Outing ist, so wenig überraschend ist es unterm Strich. Das, was man von Thomas Hitzlsperger so in den letzten Jahren zu hören und zu lesen bekam, hat sich immer allzu sehr von dem entschieden, was die allermeisten Fußballer sonst absondern. Nicht nur quantitativ, im Blick auf die Anzahl der Wörter pro Satz und dergleichen. Sondern auch qualitativ, weil Hitzlsperger immer ein Maß an Nachdenklichkeit an den Tag gelegt hat, über das nicht verfügt, wer nicht einmal einen komplizierteren biografischen Bruch verarbeiten musste. Das hätte natürlich auch eine lange Krankheits- oder Verletzungsgeschichte sein können, in dem Fall war es nunmal die Auseinandersetzung mit der eigenen sexuellen Identität in einem oft nicht nur latent homophoben Milieu. Hitzlspergers Entscheidung ist mutig, sie ist gut - sie kostet ihn dabei nicht ganz so viel wie seinerzeit Anton Hysén oder einen anderen Spieler, der auf dem Höhepunkt oder, noch schwieriger, am Anfang seiner Karriere steht. Aber immer noch genug - und ihr Nutzen wird, so Gott will und wir leben, relativ hoch sein, weil aktive Spieler, die vor derselben Entscheidung stehen, die vielen, vielen Solidaritätsbekundungen wahrnehmen: Die Sportschau, die das Interview kurz und knapp mit "Respekt!" verlinkt, die 7.500, denen das gefällt und die die wenigen Irren, die irgendwelche rassistischen oder einfach nur dummen, die Grenzen sind bekanntlich fließend, Sprüche ablassen, in die Schranken weisen. 

Kosten, Nutzen, da waren wir ja. Und bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi, die ich, wie alle Olympischen und sonstigen Winterspiele zuvor, boykottieren werde - nur eben dieses Jahr mit politischer Agenda, die ich auch theologisch begründe - ich könnte ja gar nicht anders: Weil Gott Gott ist, der Schöpfer allen Lebens und Bundespartner des Menschen, gehören menschliche Grundrechte zu den unaufgebbaren Voraussetzungen, die eine Gesellschaft erfüllen oder zumindest tatkräftig erstreben muss, wenn sie sich selbst als human bezeichnen und das ihr aufgetragene dominium terrae treu ausüben will. 

Im mittlerweile letztjährigen "Sommer ohne Loch" war Sotschi schon einmal Thema hier bei den Kirchengeschichten. In der Nachrichtenflaute, in der sich unter die üblichen Meldungen über Lieben und Leiden der C-Prominenz unter anderem auch die Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Russland mischten, fragte ich damals nach der Rolle der Sportbeautftragten der EKD und ihrer Gliedkirchen, die sich nun langsam aufmachen Richtung Sotschi, um den Athlet_innen seelsorglichen Beistand zu leisten. Das an sich ist sicher ein guter und wichtiger Dienst. Aber noch immer wartet man, bislang vergeblich, auf ein kirchenleitendes Wort zur Lage in Russland. Das extra zur Winterolympiade herausgegebene Begleitheft Mittendrin enthält ein paar geistliche Impulse, darunter auch ein paar sehr originelle und gut geschriebene Andachtstexte. 
Was man indes vergebens sucht, sind Stichworte wie "Menschenrechte", "Meinungsfreiheit", "Vielfalt". Offensichtlich will man die Athlet_innen in dieser angespannten Situation damit nicht belasten, was sicherlich gut gemeint, aber ein Irrweg ist: Denn die Kirche suggeriert damit, sie selbst sei unpolitisch - und versucht gleichzeitig, ob gewollt oder nicht gewollt, die Sportlerinnen und Sportler mit auf diese Ebene herunterzuziehen. Schade eigentlich, denn so drängt sich auch die Frage auf, ob das ganze Bohei um das Familienpapier im letzten Jahr doch nur ein Theaterdonner war, wenn es offensichtlich nur darum geht, die eigene Anschlussfähigkeit an den humanwissenschaftlichen Diskurs der letzten Jahre zur Schau zu stellen, ohne die sich dabei aufdrängenden Konsequenzen für die eigene institutionelle Lebenspraxis zu ziehen. Kostet nicht viel, sowas. Nützt aber auch nichts.

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