Als predigender Mensch sollte man den Kontakt zu Leuten suchen, die sich auf hohem Niveau mit Sprache beschäftigen. Gestern war dazu mal wieder die Gelegenheit, und zwar im Rahmen eines Poetry-Slam-Workshops zusammen mit fünf Kolleg_innen aus Düsseldorf. Dabei ging es nicht nur um zweckfreies Fortbildungsinteresse, sondern war gleichzeitig ein Instant-Trainingslager für den ersten PreacherSlam in NRW (Infos siehe unten), bei dem wir in zwei Wochen dabei sind und unter dem Motto "Schöpfung und Evolution" gegen die deutsche Poetry-Slam-Oberliga antreten. Juhu. Ich bin ja seit einem überaus demütigenden Erlebnis mit prominentem Besuch bei uns im Judo-Verein anno 1993 zurückhaltend, was das Sparring mit deutschen oder sonstigen Meistern im größeren Stil anbelangt... Aber das vergessen wir ganz schnell wieder, und ich bin guter Hoffnung, dass wir eine reelle Chance haben. Immerhin haben manche von uns länger studiert als die meisten Profislammer alt sind - das muss sich doch irgendwie lohnen! In einer früheren Auflage dieses pastoral-laikalen Dichterwettstreits unter schöpfungstheologischen Vorzeichen Anfang des letzten Jahres in Hannover hat dann auch gleich eine Theologin gewonnen - das Video der großartigen Christina Brudereck lässt mich allerdings vor Neid erblassen und fragen, ob das wirklich so eine gute Idee war, bei diesem Slam mitzumachen. Aber ums Gewinnen geht es ohnehin nicht, belehrt mich unser Referent Jan-Philipp Zymny, seines Zeichens tatsächlich deutscher Meister, und wirkt dabei so entspannt, dass ich es ihm tatsächlich glaube. Fast. Doch, eigentlich schon. Aber nun denn - worum geht es eigentlich?
Slampoetry, Poetry Slam - weg vom Wasserglas und rein ins Zeitlimit!
Das Format Poetry Slam stammt aus den USA und ist dort, wie der Zymny erklärt, als Alternative zu den klassischen "Wasserglaslesungen" entstanden, bei denen junge und nicht mehr ganz so junge Literaten das Publikum mit ihren Texten beglücken. In Deutschland, wo man nunmehr nach dem Mutterland die weltweit zweitgrößte Poetry-Slam-Szene findet, hat man sich auf relativ fest umrissene Eckpunkte geeinigt: Vorgetragen werden ausschließlich selbstgeschriebene Texte im engen zeitlichen Rahmen von wahlweise fünf oder sechs Minuten. Requisiten sind nicht erlaubt, die Slammer_innen arbeiten nur mit dem eigenen Körper und vor allem der eigenen Stimme. Dabei wird recht schnell deutlich, dass es Grenzfälle gibt: Verkleidungen sind nicht gern gesehen, gesungen wird nur kurz, abschnitts- und zitatweise. Anmoderationen werden nicht zum eigentlichen Votrag gerechnet, sie sind aber wichtig, um eine Beziehung zum Publikum aufzubauen - außerdem soll es Untersuchungen geben, die besagen, dass Zuhörer_innen sich nie an die ersten paar Sätze eines Votrags unterhalten können, weswegen man nicht mit dem hart erarbeiteten Text anfängt. Die Wertung nimmt das Publikum vor: Für jeden Vortrag werden sieben Anwesende ausgesucht, die ihn mit Punkten von 0-10 bewerten. Um den Einfluss allzu parteiischer Wertungen möglichst gering zu halten, werden jeweils die höchste und die niedrigste Punktzahl außer Acht gelassen. Eine Regel gilt übrigens auch für das Publikum: Respect the poets - das bedeutet zum Beispiel, dass es immer einen Höflichkeitsapplaus gibt. Und dass die Zuhörer_innen nicht reinquatschen. All das kann man auch ausführlichst bei wikipedia nachlesen.
Wenn ich diese zunächst rein formalen Punkte mit unserer Predigtpraxis vergleiche, fallen mir, je länger ich darüber nachdenke, mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf. Ein Unterschied ist natürlich die Zeit - noch wird uns die gute Viertelstunde zugestanden. Und wir dürfen freier mit dem Material von Kolleg_innen umgehen - die Predigtideen anderer Leute zu übernehmen und damit auf die Kanzel zu gehen, ist ausdrücklich erlaubt. Der Wettbewerbscharakter, die formalen Regeln, all das scheint zunächst den Poetry-Slam von der Predigt zu unterscheiden. Der Unterschied liegt aber meiner Meinung nach höchstens darin, dass die Regeln im einen Fall ausgesprochen sind, im anderen Fall stillschweigend vorausgesetzt werden können: Natürlich vergleichen Gemeindeglieder die Predigten verschiedener Prediger_innen, und natürlich spielen dabei auch persönliche Sympathien eine Rolle. Bei einem Stichwort halte ich mich dann doch länger auf und komme ans Nachdenken: Respect the poets. Die Slammer_innen bekommen einen Höflichkeitsapplaus, allein aus dem einen Grund: Weil sie sich trauen, auf die Bühne zu gehen. Diese Haltung finde ich eigentlich auch im Gottesdienst angemessen - gebe aber auch zu, dass ich mich als Predigthörer selbst daran erinnern muss. Respect the poets lässt sich aber auch als Aufforderung an die Mitstreitenden verstehen. Auch das ist mir sympathisch.
Was mir auch noch durch den Kopf geht, ist die Frage nach den Anmoderationen. Als Pfarrer_innen haben wir es da leichter und schwerer zugleich, denn bei uns ist die Predigt nicht unsere erste Wortmeldung im Gottesdienst, und wir haben geprägte Formeln und Wendungen zur Verfügung. Ich frage mich allerdings, ob liturgische Grüße in einer tradierten Sprachform tatsächlich noch als Begrüßung verstanden werden - auch wenn eine captatio benevolentiae, mit der man sich des Wohlwollens seiner Hörerschaft versichert, seit der Antike in jeder Rede, jedem Brief buchstäblich zum guten Ton gehört, muss man ja nicht zwingend antike Formulierungen verwenden. Auf der anderen Seite kennt man natürlich das andere Extrem, das belanglose Geblubber, mit denen in Gottesdiensten Spannungsbögen zerkloppt werden - unser Referent warnt uns wohl nicht ganz ohne Grund, die Anmoderation nicht zu zerreden. Mehr zum Thema "Liturgische Moderation" hat übrigens Harald Schroeter-Wittke in PTh 99 (2010) geschrieben.
Von geschriebenen und gesprochenen Wörtern: Text und Performance
Die Herkunft des Poetry Slam aus Literaturlesungen scheint bedeutsamer, als im ersten Moment gedacht, denn unser Referent spricht durchgängig und mit großem Respekt vom "Text". Diese Hochschätzung des literarischen (Zwischen-)Produkts überrascht mich, weil sie quer steht zu einer Tendenz in manchen Teilen von Kirche und Theologie, das Predigtmanuskript per se für ein Übel zu halten. (Wer tiefer in die Debatte einsteigen will, dem sei die Streitschrift von Alexander Deeg, Christian Stäblein und Michael Meyer-Blanck ans Herz gelegt.) Das hat seinen wahren Kern: Es gilt das gesprochene Wort, und man merkt es einer Predigt oft auf unangenehme Weise an, wenn beim Formulieren nicht bedacht wurde, dass der Text auch noch zu Gehör gebracht werden muss. Beim Workshop wird deutlich, dass es sich hier um zwei zwar aufeinander bezogene, aber doch separate Arbeitsschritte handelt: Der Text mit einer eigenen Dignität, der dann aber zur Performance drängt. Und die wiederum ist abhängig von ihrer literarischen Vorlage - "was hilft dem Text am Besten?", oder, pädagogisch gesagt, "form follows function". Dabei wird nicht verschwiegen, dass ein tendenziell eher schlechterer Text durch eine gute Performance deutlich gewinnen kann - und umgekehrt. Das kann man finden, wie man will, aber es ist nunmal einfach so und zeigt, dass die Trennung von Form und Inhalt gar nicht scharf ist, wie wir immer tun oder es gerne hätten.Was ich fürs Erste mitnehme:
Den letzten Satz hat unser Referent uns mitgegeben, als wir innerhalb einer halben Stunde eigene Texte vorbereiten sollen, und er bezieht ihn auf Form wie Inhalt gleichermaßen.
Am Abend komme ich nach dem Kurztraining nicht unbedingt weniger aufgeregt, aber ermutigt nach hause. Ich bin gespannt, wie die Poetry-Slam-Experience weiter geht - vielleicht sehen wir uns live am 9.2.? Und: Ich bin "angefixt" im Blick auf mein eigenes Predigen, fühle mich bestärkt und herausgefordert von diesen klugen, kreativen und engagierten Menschen, die ihre Texte unters Volk bringen wollen. Und ich freu mich, nach fast einem Monat Kanzelurlaub, total auf die nächste Predigt! Und allein dafür lohnt es sich.
Am Abend komme ich nach dem Kurztraining nicht unbedingt weniger aufgeregt, aber ermutigt nach hause. Ich bin gespannt, wie die Poetry-Slam-Experience weiter geht - vielleicht sehen wir uns live am 9.2.? Und: Ich bin "angefixt" im Blick auf mein eigenes Predigen, fühle mich bestärkt und herausgefordert von diesen klugen, kreativen und engagierten Menschen, die ihre Texte unters Volk bringen wollen. Und ich freu mich, nach fast einem Monat Kanzelurlaub, total auf die nächste Predigt! Und allein dafür lohnt es sich.
Achso, wer sich über den fachtheologisch anmutenden Titel wundert: Das "Opferlamm" ist ein Beitrag, der am Anfang eines Slam-Abends das Publikum in Stimmung bringen soll. Der läuft außerhalb der Wertung - hence the name.
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